Sweden’s next Top Sozi

Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)
Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)

Ich lese jeden Tag die Zeitung, habe aber manchmal das Gefühl, dass ich nicht so recht weiß, was in diesem Land eigentlich passiert. Am Samstag ist beispielsweise Håkan Juholt zurückgetreten. Den muss man nicht kennen, aber er war Parteivorsitzender der schwedischen Sozialdemokraten. Was auch schon das Problem aufzeigt. Nicht, dass er der Top-Sozi war, sondern dass ihn keiner kannte.

Vertrauen konnte er nämlich nicht aufbauen. Als er in das Amt kam, fragte man gemeinhin „Håkan wer?“. Nüchtern betrachtet war er der Vorsitzende von Rudis Resterampe: schlicht einer der wenigen, die nicht sofort mehr oder weniger dankend abgelehnt haben.

Am Samstag verlas er nun seine Rücktrittserklärung, in seinem Heimatort Oskarshamn in einem Einkaufszentrum neben einer Rolltreppe. Genauso würdig und glamorös wie seine Amtszeit.

Ich fragte mich, was denn nun eigentlich passiert war. Ich verstehe es bis heute nicht ganz. In den Tagen davor waren schon Rücktrittsandeutungen durch die Presse gegeistert. Nur warum es ausgerechnet jetzt zum Rücktritt kommen sollte, blieb unklar – im Gegensatz zu den deutschen Medien hat man es in Schweden nicht so mit Dossiers und Erklärstücken. Wer etwas verpasst hat, darf rätseln, wie das nun zustande kam.

Etwas Licht brachte für mich allenfalls diese Zusammenfassung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT (für die des Schwedischen mächtigen):

Der Rücktritt ist eine Spätfolge einer Affäre aus dem Oktober 2011. Es kam heraus, dass Juholt das für auswärtige Reichstagsabgeordnete zustehende Mietgeld für die volle Miete einer Stockholmer Wohnung bezogen hat, obwohl er dort nicht allein lebte und die Miete somit geteilt hätte werden müssen. Zudem hatte er anscheinend davon gewusst, aber nicht darauf reagiert. Er ware nahe des Rücktritts, aber er machte den Wulff: entschuldigte sich und gelobte Besserung. Die Sache schien bald überstanden, auch wenn sich kleinere Ungeschicktheiten in seinen Äußerungen wiederholten.

Aus deutscher Sicht handelt es sich freilich um Lappalien, wenn man bedenkt, in welchem Maße sich der werte Herr Bundespräsident schon beschenken hat lassen und das alles für so gar nicht rücktrittswürdig hält. Falsche Wohnungsabrechnung und ein paar unglückliche Statements nehmen sich dagegen lächerlich aus.

Die Umfragewerte gingen in den Keller, und ich nehme an, dass es letztendlich diese Zahlen sind, die zwei Landesverbände der Sozialdemokraten dazu bewegte, Juholts Rücktritt zu fordern. Am Samstag zog er die Reißleine und wurde damit der Parteivorsitzende mit der kürzesten Amtszeit.

Ob das für die Partei gut oder schlecht ist, wird sich noch zeigen. Ich tendiere zu ersterem. Juholt hat anscheinend von Anfang an nur diejenigen voll überzeugt, die sowieso alles gut finden, was die Partei entschieden hat. Bei denen, die man von den Moderaten wieder zurückholen müsste, hat er aber nur vorübergehend Sympathien geweckt.

Unter normalen Umständen ist die Regierung ein Jahr nach der Wahl am unbeliebtesten, weil sie unbequeme Maßnahmen und Klientelpolitik auf den Anfang der Legislaturperiode legt, während man Wohltaten kurz vor die Wahlen legt, um danach weitermachen zu dürfen. In Schweden ist es derzeit genau umgekehrt: bis auf die Grünen steht die Opposition so schlecht da wie nie.

Ich denke, die Sozialdemokraten haben immer noch nicht gelernt, mit der nach wie vor ungewohnten Oppositionsrolle umzugehen. Es kommt mir so vor, als wolle man die altbekannten Rezepte einfach solange neu aufsagen, bis die Schweden wieder darauf anspringen. Diese Regierung gefährdet das nicht, denn die Schweden haben keine Angst mehr vor den Bürgerlichen.

Ich habe gehofft, man würde dieses Mal nicht in typisch schwedischer Manier mit einer Wahlkommission auf Kandidatensuche gehen, sondern den Posten per Parteimitgliederabstimmung besetzen.

Danach sieht es leider wieder nicht aus. Aktuellen Berichten zufolge soll Anders Sundström gefragt worden sein. Dieser ist Chef der Versicherung Folksam und war zuvor mehrfach Minister und Reichstagsabgeordneter. Ich kenne ihn nicht aber wäre enttäuscht, wenn man erneut einfach irgendjemanden aus dem Hut zaubern würde. Um 15:15 Uhr soll es eine Pressekonferenz geben.

Andere heiß gehandelte Namen sind der ehemalige Juso-Chef Mikael Damberg, der aber erstmal abgelehnt hat, und die Generalsekretärin Carin Jämtin. Bislang nehmen sich die Kandidatenlisten im Vergleich zum letzten Mal kurz aus. Man muss wohl leider davon aus gehen, dass die ehemalige EU-Kommissarin Margot Wallström, die der ganzen Veranstaltung etwas Wiedererkennungswert und Grandezza geben könnt, wiederum nicht zur Verfügung steht.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Und hoffe, dass Bundespräsident Wulff doch noch den Juholt macht.

Update (15:28 Uhr): Die Pressekonferenz gab keine wirkliche Information außer, dass jetzt erst einmal beraten werden müsse. Am Freitag wird die Parteiführung zusammentreten. Sundström soll angeblich abgelehnt haben.

Update (15:43 Uhr): ein Punkt bei den letzten Querelen war auch, dass Juholt veranlasst haben soll, einen Posten aus dem oppositionellen Gegenvorschlag für den Staatshaushalt herauszustreichen. Dieser war dafür vorgesehen, die Qualität der Arbeitslosenversicherung wieder auf das Niveau zu bringen, das sie vor dem Antritt der Regierung Reinfeldt hatte. Sicherlich kein Riesenaufreger für die Allgemeinheit, aber natürlich ein Affront für weite Teile der Partei, denn das ist natürlich eine Herzensfrage für Sozialdemokraten – siehe auch diesen Artikel dazu (vielen Dank an Jan für den Hinweis).

2 Gedanken zu „Sweden’s next Top Sozi“

  1. Beim ersten Lesen der Überschrift habe ich beim letzten Wort „Na“ statt „So“ gelesen. Kam intuitiv und in Kombination mit dem Bild…

  2. Die schwedische Wochenzeitung Fokus hatte interessanterweise noch am Freitag, also einen Tag vor seinem Abgang, Juholt als Aufmacher. In der Zeitung gab es ein Interview mit Juholt, in der er sich eigentlich so äußerte, dass er um den Vorsitz kämpfen wolle. Dem war wohl dann doch nicht mehr so. Zusätzlich hatten sie noch ein längeres Stück darüber geschrieben, wie man einen Parteivorsitzenden los wird. Und unter anderem als Vergleich Kurt Beck herangezogen. Denn neben den äußerlichen Ähnlichkeiten gäbe es ja auch Ähnlichkeiten in der Lage der jeweiligen Vorsitzenden. Dieser Vergleich hat sich dann nach nur einem Tag bewahrheitet.

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