Boiron, C200 und der Streisand-Effekt

Pietro Longhi: Der Scharlatan (1757)

Ich halte nicht viel von Online-Prangern, aber selbst wenn dies einer wäre: in dem Fall hätte ich wenige Hemmungen angesichts dessen, was die Firma Boiron da vorhat. Das Portal Esowatch ruft dazu auf, den aktuellen Blogeintrag wiederzugeben:

Wieder ist ein Blogger unter Beschuss, diesmal von der multinationalen Firma Boiron, dem weltweit größten Hersteller homöopathischer Produkte. Dieser hat den Blogger mit Klage bedroht. Es wird Zeit, dass auch Boiron den Streisand Effekt kennenlernt um davon zu profitieren.

Der italienische Blogger Samuele Riva hat im Juli zwei Artikel (1 und 2) online gestellt, in denen er die Zuckerkügelchen mit dem Namen Oscillococcinum C200 auf die Schippe nimmt. Oscillococcinum wird als Grippemittel beworben und ist in den USA das meistverkaufte homöopathische Mittelchen. Und jetzt haltet euch fest, das Zeug, das einen Umsatz von 20 Millionen Dollar macht, wird aus Entenleber hergestellt. Also wenn das nicht Quack, Quack, Quacksalberei in Hochpotenz ist …

Naja, das Schöne ist, bei C200 musste vermutlich nicht einmal eine Ente dran glauben. Man nimmt einfach ein Tröpfchen aus einem See, über den mal eine Ente geflogen ist. Im Mittelalter oder so.

Nun, jedenfalls witzelte Samuele darüber, dass kein einziges Molekül von der Ursprungssubstanz mehr drin sein könne. Zur Erinnerung: C200 bedeutet, in einer Verdünnung von 1:10^400. Das sind 400 Nullen! Unser ganzes Universum besteht schätzungsweise aus 10^78 Molekülen. Selbst wenn man kein Stück Leber, sondern unser ganzes Universum verdünnt hätte, wäre schon ganz lange nichts mehr übrig gewesen.

Ist ungefähr so, als wollte man 1 Bonbon unter 10 Leuten aufteilen. Nur sind es nicht 10 Leute oder 100 oder gar 6 Millarden (6*10^9), sondern viel, viel mehr. Selbst wenn man jedes Sonnensystem und jeden Planeten im ganzen Universum mit Milliarden Menschen besiedeln würde, würde dieses Bonbon noch immer reichen müssen.

Boiron reagierte nicht sehr amüsiert darüber, dass jemand Fakten über ihr Produkt schreibt und drohte sofort mit Klage. Ein Brief ging an den Internetprovider mit der Beschwerde, dass die Artikel und Überschriften “untrue and derogatory both of homeopathy and [the] company” seien und den Ruf der Firma beschädigen.

Nun, damit haben sie jedenfalls eines erreicht: Zu den 150 Leuten, die den Blogbeitrag in den ersten 56 Stunden gelesen haben, haben sich nun einige mehr gesellt und mit diesem Blog hier hoffentlich noch weitere! Über 100 Seiten im Internet, darunter auch das British Medical Journal haben schon berichtet. Je mehr Support dieser Blogger erhält, je mehr Wellen das ganze schlägt desto besser.

Wir von Esowatch bitten daher alle, die dies lesen, sich schamlos bei uns zu bedienen! Bloggt das auch, nehmt die Info von uns, zitiert uns oder zitiert uns nicht, uns ist eines wichtig: Dieser Angriff auf die Redefreiheit und Wissenschaft, auf Wahrheit und Fakten darf nicht durchgehen!

Und gleichzeitig möchten wir Cheerleader für die kommende Klage gegen Boiron spielen und hoffen, dass dieser Prozess verhandelt wird!

Nun muss man Esowatch nicht mögen. Das Portal bleibt unter dem Deckmantel der Anonymität und geht agressiv vor. Nur: während andere ihre Tiraden mit logischen Fehlschlüssen und Falschbehauptungen spicken, stellt sich Esowatch auf den Boden von nachprüfbaren (und nachgeprüften) Fakten, was es schlecht angreifbar macht.

Ich bin des Italienischen nicht mächtig, aber eine Firma, die homöopathische Arzneimittel herstellt und Leute wegen Rufschädigung vor Gericht bringen will, muss sich schon sehr warm anziehen. Also entweder hat der Blogger da etwas vollkommen ungeheuerliches behauptet – was ich nicht glaube – oder die Firma schickt sich an, gegen die Behauptung zu klagen, Homöopathie sei Humbug.

Und das ist eine verdammt schwere Beweisführung, um es mal vorsichtig auszudrücken. Zwar bin ich kein Freund des Arguments, Homöopathie wirke wegen der starken Verdünnung nicht. Es ist zwar physikalisch und chemisch plausibel, aber man kann eine Methode, die Verdünnung als Basis hat, nicht dadurch widerlegen, dass sie Verdünnung verwendet.

Die ganze Sache ist viel simpler: wenn Homöopathie tatsächlich so stark wirken würde wie die Unterstützer behaupten, dann muss es auch eine Methode geben, mit der sich das nachweisen lässt.

Bislang kommt da aber nur, dass die Methoden, die die Wissenschaft verwendet, in dem Fall nicht anwendbar seien. Schön und gut, aber welche Methoden könnte man denn dann verwenden? Man kann sich nicht hinstellen und behaupten, man habe einen Geist gesehen. „Wo?“ – „Der ist immer da, wenn du nicht da bist“.
Oder das Standardargument „Bei mir wirkt es aber“. Das haben die Leute, die den Aderlass überlebten, auch gesagt. Subjektive Wahrnehmung kann nicht einfach als objektiver Beweis herhalten.

Insofern beteilige ich mich gerne, hier einen kleinen Streisand-Effekt aufzubauen, wie es andere schon getan haben.

Wer das Kilo Zucker für über 200 € verkauft, muss das ertragen.