Doch kein Wahlrecht

Die Juristerei ist nicht so einfach, auch wenn es bisweilen punktuell so erscheinen mag. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich hier begeistert darüber berichtet, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Wahlrechtsregelung für Auslandsdeutsche als verfassungswidrig gekippt habe. Diese hatte vorgeschrieben, dass man mindestens drei Monate in Deutschland gelebt haben muss, um wählen zu dürfen. Das Gericht befand dieses Kriterium als untauglich.

Nun wäre die logische Schlussfolgerung, dass eben alle Deutsche bis auf weiteres wählen dürfen, wie es auch die Intention der Klägerinnen war. Dabei habe ich aber die technischen Details außer Acht gelassen. Folgender Satz aus §12 des Bundeswahlgesetzes ist nämlich laut dem Urteil nichtig:

Wahlberechtigt sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch diejenigen Deutschen im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am Wahltag außerhalb der Bundesrepublik Deutschland leben, sofern sie nach dem 23. Mai 1949 und vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt oder sich sonst gewöhnlich aufgehalten haben.

Da nicht nur der Nebensatz ab „sofern“ verfassungswidrig ist, sondern der ganze Satz, gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage für ein Wahlrecht der Auslandsdeutschen.

Also ist das Ergebnis des Klageerfolgs der beide Klägerinnen nicht, dass jetzt alle Auslandsdeutschen wählen dürfen, sondern dass fürs erste überhaupt keine Auslandsdeutschen wählen dürfen. Damit ist ihre Intention ins Gegenteil verkehrt. Das ist natürlich unschön, aber dürfte sich in Wohlgefallen auflösen, da der Bundestag das Wahlrecht wegen der Probleme mit den Überhangmandaten ohnehin schnellstens überarbeiten muss.

Gelesen: Volksparteien ohne Volk

Seit knapp einem Jahr verbringe ich fast an jedem Werktag eine Stunde in einem Direktbus nach Slussen. Das ist bequem. Insbesondere erlaubt es mir, viel zu lesen. Etwas, das ich in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt habe.

Bis vor kurzem las ich „Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Demokratie“ von Hans-Herbert von Arnim.

Da steht wohl auch viel Wahres darin. Gut recherchiert ist es allemal.

Jedoch gibt es einige Dinge, die schon alleine vom Stil her auffallen. Der Autor pflegt gerne die Selbstreferenzierung. Da heißt es, der Autor habe dies oder jenes gemacht. Das alles mit dem Unterton, dass schon ein Beitrag seinerseits eine öffentliche Debatte erzeuge.
Ähnlich unschön ist die ausgeprägte Redundanz des Buches. So wird oft innerhalb von 20 Seiten der gleiche Fakt mehrfach aufgetischt – als könne man damit einen Effekt erzielen. Es ließe sich ja mutmaßen, dass dieses Buch noch vor der Bundestagswahl erscheinen sollte und deswegen etwas nachlässig lektoriert wurde. Aber daran kann die ständige Wiederholung nicht liegen, denn sie wird meist mit dem Hinweise „siehe Seite XX“ versehen. Ich habe es daher auch gegen Ende weggelegt, weil ich wusste, dass auf den letzten 30 Seiten nichts mehr kommen wird.

So einleuchtend viele seiner Argumente sein mögen, so ambivalent sind sie oft bei näherem Hinsehen.
Das erklärt sich schon alleine an dem, was als seine innere Überzeugung durchscheint. Für ihn ist ein Parteienstaat anscheinend untauglich, die Interessen der Bürger zu vertreten.

Für ihn ist daher ein Wahlrecht automatisch undemokratisch, bei dem der Bürger nicht direkten Einfluss darauf hat, wer ihn vertritt. Sein Argumentationslinie ist dabei, der „politischen Klasse“, wie er sie gerne nennt, vorzuwerfen, sie würde systematisch darauf achten, dass die allermeisten von ihnen wieder im nächsten Bundestag sitzen würden. In der Tat gibt es dazu allerlei kritikwürdige Instrumente. In der Realität bestimmen die Parteien Listen- und Wahlkreiskandidaten, und da die viele Wahlkreise fest in der Hand einer Partei sind, ist eine Nominierung dort mit einer Wahl gleichzusetzen. Genauso ist es mit der Liste, auf deren Zusammensetzung der Wähler keinen Einfluss hat.

Dass aber die feste Belegung vieler Bundestagsplätze mit der kompletten Vorentscheidung durch die Parteien gleichgesetzt wird, ist fragwürdig. Dabei übersieht er, dass auch in ganz anders gestrickten Wahlsystemen die meisten gewählten Repräsentanten viele Jahre ihr Mandat behalten. Im Senat der Vereinigten Staaten haben mehr als die Hälfte der Abgeordneten ihr Mandat schon mehr als zwei Wahlperioden.

Auch wiederholt er mehrfach den Vorwurf, dass viele über die Liste eingezogene Kandidaten einen Wahlkreis vertreten, in dem sie selbst erfolglos als Kandidat für das Direktmandat angetreten waren. Von Arnim argumentiert also, diese Leute hätten gar keinen Anspruch, die Menschen dieses Wahlkreises zu vertreten. Jedoch wäre vermutlich er unter den ersten Kritikern, wenn Listenkandidaten gar keinen Wahlkreis vertreten würden, denn dies würde die vermeintliche Abgehobenheit der Abgeordneten noch weiter zementieren. Man kann es einem Listenkandidaten wohl kaum verdenken, dass er den Wahlkreis vertreten möchte, in dem er selbst angetreten ist, denn diesen kennt er auch am besten. Es ist ja auch keineswegs so, dass dies in allen Wahlkreisen so wäre.

Immer wieder legt er dar, wie ungeheuerlich sich die Politiker seiner Ansicht bei den Diäten bedienen. Er setzt blind voraus, dass Diäten unangemessen sind, wenn er sie dafür hält. Sein Hauptvorwurf ist, dass eine Entscheidung, die in eigener Sache getroffen wird, tendenziös sein muss. Folglich kann ein Politiker, der über sein eigenes Gehalt zu bestimmen hat, gar nicht objektiv handeln. Ein schlüssiger Punkt – jedoch bleibt unklar, wer denn sonst die Diäten festlegen soll. Eine genaue Festlegung schreibt das Bundesverfassungsgericht vor, und man kann wohl schwerlich den Verfassungsorganen ein Gremium vorsetzen, das über die Diäten zu bestimmen hat. Die Entscheidung in eigener Sache ist also ein notwendiges Übel. An Alternativvorschlage aus dem Buch kann ich mich nicht erinnern.

In vielen Dingen hat er allerdings recht. Wie kann es sein, dass die oberen Parteigremien praktisch alleine bestimmen, welche Personen in den Bundestag überhaupt einziehen können, während dem Bürger und selbst dem einfachen Parteimitglied nur tendenzielle Mitbestimmung gewährt wird?
Sollte der Bürger nicht auch die Möglichkeit haben, eine Partei zu unterstützen, ohne deren Personalauswahl widerspruchslos hinnehmen zu müssen?

Das sind wichtige Fragen, auf die von Arnim Antworten gibt, die vor allem in den Bereich des Mehrheitswahlrechts gehen.

Man muss mit seinen Lösungsvorschlägen nicht konform gehen, auch ich tue es nicht. Aber die Punkte, die er vorträgt, sollten diskutiert werden.

Allerdings ist fraglich, ob man dies am besten auf die Art tut, indem man über Hunderte von Seiten immer wieder die gleichen Argumente wiederholt.

Wahl-O-Mat ist da: warum ich (vielleicht) nicht SPD wählen werde

Ich habe ihn lange erwartet: der Wahl-O-Mat ist mittlerweile online.

Warum ich ihn erwarte: weil ich mir überlege, zum ersten Mal meiner Partei untreu zu werden. Der Titel dieses Posts ist also durchaus ernst gemeint.

Und ich werde darin auch bestärkt:
versuch1a

Was mich bedrückt, ist, dass unter den kleinen Parteien eine bei mir gleichauf mit der SPD liegt:
versuch1b

Die Piraten, das kann ich gleich sagen, werde ich nicht wählen.

Ich habe den Test wiederholt, aber dieses Mal auf die Verwendung der Möglichkeit „neutral“ verzichtet, um mich eindeutiger festzulegen. Das Ergebnis ist nicht unbedingt erbaulicher:
versuch2

Die Linke, auch soviel sei schon gesagt, werde ich ebenfalls nicht wählen.

Eine hoffentlich geschliffene Analyse meiner Gedanken zu dieser Wahl werde ich in der nächsten Zeit nachlegen.

Langsam wird es für mich auch ernst: Auch lange erwartet habe ich nämlich meine Briefwahlunterlagen. Diese sind heute angekommen.

Ich möchte es kurz auf die folgenden Punkte bringen:

  • Die Piraten werde ich nicht wählen, weil ich einer Partei, die eigentlich nur ein Thema hat, nicht meine Stimme gebe. Es wird die meisten Piraten überraschen, aber es gibt in der Tat noch andere wichtige Themen außer Datenschutz und Informationsfreiheit.
  • Die Linke werde ich nicht wählen, weil ich in bestimmten Grundpositionen, z.B. Afghanistankrieg, mit dieser Partei überhaupt nicht d’accord bin. Abgesehen davon finde ich das Führungspersonal wenig, ähm, überzeugend. Diese Partei werde ich aber noch einer näheren Analyse unterziehen.
  • Die CDU werde ich schon alleine deswegen nicht wählen, weil schicke Führungsfiguren vor einer Partei mit einem vollkommen anderen Programm nicht so recht zusammenpassen. Auch was Themen wie Atomkraft, Wehrpflicht, Familien- und Informationspolitik angeht, sehe ich wenig Übereinstimmung.
  • Die FDP ist alleine deswegen unwählbar, weil damit ausgerechnet die Krisengewinner wären, die vorher am lautesten für den freien Markt getrommelt haben. Außerdem hat das Programm der FDP nur zwei Worte: Steuern senken.
  • Die SPD war, ist und wird auch in Zukunft meine Partei sein, aber ich tue mir sehr schwer mit ihr. Vollkommen verbraucht nach 11 Jahren Regierung, ziel- und ideenlos, hat sie ein Programm vorgelegt, das als plakative Aufmacher Schnapsideen (300 € Nichtsteuererklärungsprämie) und utopische Wirtschaftsideen (Vollbeschäftigung) enthält, die von einer erbärmlichen schwachen Führungstruppe präsentiert werden. Kein Mensch glaubt, dass FW Bundeskanzler werden wird – nichtmal er selber. Weitere vier Jahre große Koalition wären eine Katastrophe für diese einst stolzen Partei. Daher frage ich mich, ob ich ihr keinen Gefallen damit tue, sie in die Opposition zu schicken.
  • Bleiben Die Grünen, die programmatisch nahe der SPD liegen, soweit ich das gesehen habe, aber auf 300€-Schwachsinn verzichten. Sie wären für mich wählbar, und damit die naheliegendste Alternative zur SPD.

Noch ist meine Entscheidung aber nicht gefallen. Daher mehr in Kürze…

Unglückliche Überschriften Teil 2098

ZDF Politiker beklagen 1933
Ausriss: zdf.de

Einen sprachlichen Ausrutscher leistet sich heute das ZDF. Beklagen kann man eigentlich nur, was man noch rückgängig oder zumindest noch korrigieren könnte. An der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes kann man heute aber leider nichts mehr ändern. Genauso gut könnte man das Schisma der Kirche, das Scheitern der Revolution 1848 oder den Vietnamkrieg beklagen.

Nachtrag: Nachdem ich ja jetzt schon zwei Kommentare dazu bekommen habe, habe ich mir etwas Gedanken gemacht. Ich bin bei Google News über die Überschrift gestolpert und habe mich spontan an ihr gestört. Auch nach einigem Nachdenken im Bus bin ich der Ansicht, dass man das Wort „beklagen“ üblicherweise nicht in diesem Zusammenhang verwendet. Aus meiner Sicht bezieht sich das Wort typischerweise auf einen Zustand oder ein kürzlich stattgefundenes Ereignis. Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, dass z.B. Überlebende ihre Toten beklagen. Es muss also nicht notwendigerweise einen Adressaten geben, ist in dem Falle aber ein Ausdruck von Schmerz und Trauer.

Ich vermute, ich habe mich vor allem deswegen daran gestört, dass es eigentlich selbstverständlich ist, dass das Ermächtigungsgesetz etwas beklagenswertes war und ist. Eine Klage ist nach meiner Sicht aber auch immer, dass man andere auf etwas hinweisen möchte. Allerdings ist man im Allgemeinen in der deutschen Öffentlichkeit darüber hinaus, denn diejenigen, an die die Klagen gerichtet sein könnten, sind tot. Auch ist das Ermächtigungsgesetz nichts, was heute den Abgeordneten noch unmittelbar Schmerzen bereiten würde – daher wäre „mahnen“ oder „gedenken“ in so einem Zusammenhang sicher besser als „beklagen“.

Aber ihr habt schon recht: ein Ausrutscher ist es nicht. Da hatte ich hier schon ganz andere Sachen präsentiert.