Wo die Deutschen sind – der Großraum Stockholm und die deutschen Einwanderer

Anteil der in Deutschland geborenen Einwohner an der Gesamtbevölkerung in der jeweiligen Gemeinde. Für Botkyrka, Upplands Väsby und Sundbyberg ist mir die Zahl der Deutschen nicht bekannt, weswegen nur eine obere Grenze, dargestellt durch einen Farbverlauf, angegeben werden kann. (Bild: eigene Erstellung auf Basis der Daten in der DN, Daten des Statistiska Centralbyrån und der Kommunengrenzenkarte des Wikipedianutzers Lokal_Profil, Lizenz CC-BY-SA 2.5)

Es ist nicht zwingend investigativ, wenn Journalisten sich ein paar statistische Daten kommen lassen und daraus ein Thema basteln. Das Ergebnis kann dennoch interessant sein.

Meine tägliche Zeitung, die in Stockholm erscheinende Dagens Nyheter, hatte Ende 2009 den Lokalteil abgeschafft. Auf Anfrage sagte man mir, dass man die entsprechenden Themen lieber auf die entsprechenden Fachrubriken verteilen wolle. Das fand ich nicht so gut, und viele andere wohl auch nicht. Seit dem neuen Layout, das wohl so vor ca. einem Jahr eingeführt wurde, gibt es wieder einen umfänglichen Stockholmer Lokalteil.

Teil der Chronistenpflicht ist natürlich, festzustellen, wie sich die Region entwickelt. Das tat die Zeitung vorige Woche auf mehreren Seiten zu dem Thema, woher die Einwanderer stammen, die mittlerweile gut 20% der Bevölkerung des Großraum Stockholms ausmachen. Das Ergebnis ist eine Doppelseite mit allerlei Grafiken. Woher die Daten stammen, steht zwar nicht direkt dabei, aber es kann dafür nur eine Quelle geben: die Statistikbehörde Statistiska Centralbyrån (SCB). Diese erhebt u.a. die Staatsbürgerschaft und das Geburtsland der Einwohner. Letzteres ist ein gutes Maß für die Zahl der Einwanderer, auch wenn es z.B. natürlich im Ausland geborene Schweden gibt.

Schweden hat sich erst spät zum echten Einwanderungsland entwickelt – heute ist es eines der wenigen Länder, die das Asylrecht sehr ernst nehmen und entsprechend handeln. Daher gibt es viele Einwanderer aus dem Irak, Somalia und anderen Krisenregionen. Lange Zeit kamen Einwanderer aber vor allem aus einem Land: Finnland, das seit jeher eine schwedischsprachige Minderheit hat und zudem erst in letzter Zeit so wohlhabend wurde.

Bis heute sind die Finnen in 23 der 26 Gemeinden im Großraum Stockholm die größte Einwanderergruppe, aber das ändert sich langsam aber sicher. Einwanderung aus und Auswanderung nach Finnland ist praktisch ausgeglichen, so dass die aus Finnland stammenden Menschen langsam aber sicher in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen und andere Einwanderergruppen stärker werden. In Botkyrka gibt es mittlerweile deutlich mehr Türken. Södertälje ist mittlerweile für die Aufnahme von Irakern bekannt, die dort mittlerweile fast 10% der Bevölkerung ausmachen. In Sollentuna sind die Iraner knapp stärker vertreten. In Huddinge werden die Iraker die Finnen wohl auch bald überholt haben. Wachsende Einwanderergruppen sind die Polen, die zumindest im Sommer die schwedischen Baustellen bevölkern, und Asiaten, neben Einwanderern aus dem Nahen Osten.

Warum ich diese Erhebung so interessant finde? Als deutscher Einwanderer finde ich es spannend, zu sehen, wie die Deutschen hier vertreten sind und ob es irgendwelche Verdichtungen gibt. Nach Kommunen aufgeschlüsselt sind diese Daten kostenlos bei SCB nicht verfügbar. So kann ich zwar anhand der dortigen Datenbank herausfinden, dass es 48442 in Deutschland geborene Menschen in Schweden gibt (Stand: 2011), aber nicht, wie diese regional verteilt sind, denn diese Daten sind wiederum nur allgemein auf im Ausland geborene Menschen verfügbar, aber nicht nach Herkunftsland aufgeschlüsselt. Die Deutschen sind eine kleine, aber nicht unerhebliche Einwanderergruppe. Über uns wird wenig gesprochen, so dass es für mich umso interessanter ist, zu sehen, wo wir sind und welchen Anteil an der Bevölkerung wir stellen.

Die Tabellen der Dagens Nyheter geben hier einen Einblick. Laut denen waren 2011 insgesamt 11757 in Deutschland geborene Menschen in der Provinz Stockholm wohnhaft – das ist ja schonmal eine deutsche Kleinstadt und reicht für einen siebten Platz hinter Finnland, Irak, Polen, Iran, der Türkei und Chile. Mit Ausnahme von Botkyrka im Südwesten, Upplands Väsby im Norden und der flächenmäßig kleinsten schwedischen Gemeinde Sundbyberg direkt nördlich der Hauptstadt sind die Deutschen in den Top 10 der Einwanderernationen.

Anteil der in Deutschland geborenen Menschen an allen im Ausland geborenen Menschen. Für Botkyrka, Upplands Väsby und Sundbyberg ist mir die Zahl der Deutschen nicht bekannt, weswegen nur eine obere Grenze, dargestellt durch einen Farbverlauf, angegeben werden kann.(Bild: eigene Erstellung auf Basis der Daten in der DN, Daten des Statistiska Centralbyrån und der Kommunengrenzenkarte des Wikipedianutzers Lokal_Profil, Lizenz CC-BY-SA 2.5)

Bleibt die Frage, wie sie sich auf die Region verteilen. Dazu habe ich zwei Grafiken ähnlich denen in der DN erstellt. Es entsteht der Eindruck einer relativ gleichmäßigen Verteilung, der aber angesichts der geringen Zahlen etwas täuscht. Zwar machen die Deutschen ungefähr 0,6 % der Gesamteinwohnerschaft aus und sind nirgendwo komplett abwesend, aber die Schwankungsbreite liegt in den 23 erfassten Kommunen zwischen 0,3 % und 0,8 %.

Interessant ist, dass es kein klares Muster gibt – die 10 Gemeinden mit dem höchsten Anteil an Deutschen sind:

  1. Lidingö: 0,84 % (371 in Deutschland geborene)
  2. Danderyd: 0,84 % (268)
  3. Södertälje: 0,83 % (731)
  4. Täby: 0,81 % (520)
  5. Österåker: 0,75 % (297)
  6. Solna: 0,68 % (473)
  7. Vallentuna: 0,63 % (193)
  8. Salem: 0,60 % (94)
  9. Upplands-Bro: 0,60 % (144)
  10. Nacka: 0,58 % (527)

(Anmerkung: in Botkyrka ist die Anzahl unbekannt, aber der Anteil liegt irgendwo im Intervall 0 % bis 0,74 %)

Es scheint im Wesentlichen zwei Kategorien zu geben:

  1. Gutsituierte Vorortgemeinden: Lidingö, Danderyd, Täby und Nacka sind wohlhabende Vorortgemeinden. Dass die Deutschen eher dort wohnen, mag daran liegen, dass es sich bei ihnen den tendenziell um besser ausgebildete und damit auch besser verdienende Einwanderer handelt. Es dürfte aber auch etwas damit zu tun haben, dass diese Gemeinde allgemein unterdurchschnittlich viele Einwanderer haben.
  2. Landschaftlich attraktive ländliche Gemeinden: bei Södertälje, Vallentuna, Österåker, Salem und Upplands-Bro dürfte sich vor allem das Bullerbü-Syndrom Wirkung zeigen: es handelt sich um großflächige, eher ländliche Kommunen, wo man sich den Traum vom roten Holzhäuschen im Grünen erfüllen kann, ohne weit von den Arbeitsplätzen in der Stadt entfernt zu sein. Zudem sind die Häuser dort relativ gut bezahlbar. Man muss aber auch sagen, dass man Nacka und Täby hier auch hinzurechnen kann – die Immobilienpreise sind zwar hoch, aber die Struktur ist in weiten Teilen schon recht ländlich.

Solna passt in keine der Kategorien. Ich kenne Deutsche, die dort leben, aber wieso gerade diese Gemeinde deutlich weiter oben steht ist mir nicht ersichtlich. Eine Erklärung ist vielleicht, dass Solna de facto eigentlich ein Teil Stockholms und nur aus historischen Gründen administrativ eigenständig ist. Das Gemeindegebiet schließt sich unmittelbar an das Stockholmer Stadtgebiet hat und ist sehr dicht besiedelt. Meine Vermutung ist, dass Solna damit am ehesten den mittelständischen und gut bürgerlichen Teilen Stockholms entspricht, in denen deutsche Einwanderer etwas überdurchschnittlich anzutreffen sind, während in anderen städtisch geprägten Gemeinden wie Stockholm, Sundbyberg oder Botkyrka auch große Mietshaussiedlungen, nicht selten soziale Brennpunkte, die Deutschen etwas weniger anziehen oder sie zumindest nicht lange halten.

Hier zeigt sich auch die Schwäche einer solchen Erhebung: die Gemeinden in sich selbst sind natürlich auch nicht homogen. Stockholm hat mit Östermalm das wohl teuerste Wohngebiet des ganzen Landes, aber mit z.B. Rinkeby und Tensta eben auch große soziale Brennpunkte. Södertälje ist als Anziehungspunkt für irakische Flüchtlinge bekannt, hat aber auch eine große Fläche, wo Einfamilienhäuser die Regel sind. Ein Gesamtdurchschnitt der Gemeinde kann dies nicht wiedergeben.

Interessant ist ein Blick auf die Platzierungen unter den Einwanderergruppen. Nirgends sind die Deutschen die größte Gruppe, aber in Danderyd und Täby schaffen sie es auf Platz 4, in Österåker und Lidingö auf Platz 3. Der zweite Platz wird aber nur in einer Gemeinde erreicht: Värmdö (auf den Karten ganz rechts mit den Inseln), mein Wohnort. Nun wird vielleicht jemand unken, ich hätte mich hier in ein Nest von Landsmännern begeben – die Grafiken oben zeugen vom Gegenteil. Die Erklärung ist simpel. Värmdö ist trotz seines gewaltigen Wachstums in den letzten Jahrzehnten noch sehr klassisch strukturiert: beim Einwandereranteil liegt die Kommune mit 11% auf Platz 23 (von 26), und die Finnen übertreffen alle anderen Einwandergruppen bei weitem. So leben hier 1342 Finnen, die also gut ein Viertel der 4337 hier lebenden im Ausland geborenen Einwohnern stellen. Weit abgeschlagen folgen dann die 211 Deutschen.

Das Fazit ist also ein bisschen so wie erwartet: es gibt zwar deutliche Unterschiede, aber ein deutsches Nest gibt es wahrscheinlich nirgends, und wenn, dann bräuchte man noch feiner aufgeschlüsselte Daten.

Nochmal Zäune oder wie austauschbar doch alles ist

Mit etwas scharfer Polemik zum Verhältnis Deutsche-Schweden habe ich offenbar einen Nerv getroffen – zumindest, was die Ausführungen zum Buch von Sandra Eichinger angeht. Vielleicht hätte ich etwas mehr abwägen sollen beim Schreiben, denn wie man in den Kommentaren sieht, hat es nicht an Missverständnissen gemangelt. Vielleicht verstehe ich auch Frau Eichinger falsch und bewerte den von mir kritisierten (und mittlerweile leider nicht mehr frei verfügbaren) Abschnitt ihres Buches über.

Um zum Thema zu kommen: Linda war bei einem Treffen von vier schwedischen Frauen, die in Deutschland leben. Die Ausführungen dazu sind hochinteressant. Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass man nur „Schweden“ mit „Deutsche“ und „Messmör“ mit „ungesüßtes Brot“ vertauschen müsste, und schon hätte man eine treffende Beschreibung von dem, was viele Deutsche in Schweden so umtreibt.

Hier ein Satz in Übersetzung, um das mal zu illustrieren:

Man nutzt alles aus, was in Deutschland besser ist als in Schweden, aber man klagt trotzdem darüber wieviel besser es doch in Schweden ist, und man verkehrt nur mit anderen Schweden.

Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns doch viel ähnlicher sind, als wir wahrhaben wollen.

German Service

Früher war ich immer sehr beschämt, wenn ich auf Auslandsreisen sofort als Deutscher erkannt wurde. Heute muss ich aber selbst feststellen, dass ich irgendwie einen Sinn dafür habe, Deutsche zu erkennen.

Mir ist es in den letzten Wochen mehrfach passiert, dass Deutsche beim Einsteigen kaum mehr als zwei Worte gesagt haben und ich sofort wusste, woher sie kommen. Bei der Intonation, die Deutsche im Englischen haben, ist das öfters auch nicht so schwer.

Ich glaube aber irgendwie, ich sollte meine Strategie ändern. Oft sind die Reaktionen verduzt bis reserviert, zum Einen aus der doch offenkundigen Frage heraus, ob ich denn nun ein sehr germanophiler Schwede bin (angesichts des badischen Dialekts wäre das aber leicht auszuschließen), und zum Anderen aus der Peinlichkeit heraus, gleich als Deutscher erkannt worden zu sein, obwohl man sich doch so schön bemüht hat. Mein Überschwang, Deutschen in meiner Muttersprache bei Fragen zum Nahverkehr helfen zu können, bleibt so wohl auf der Strecke.

Vielleicht – und das ist ein bisschen meine Befürchtung – kommt das Verhalten der Passagiere schlichtweg daher, dass sich hartnäckig die Annahme hält, jeder könne doch mindestens so ein bisschen deutsch.

Rette sich, wer kann

Bratwurst - sxc.hu

Mütter, passt auf eure Töchter auf – die Deutschen kommen!
Sie kommen in unglaublichen Massen und jagen der Bevölkerung Angstschauer über den Rücken…

So ähnlich kommt zumindest eine Geschichte in der U-Bahn-Zeitung Stockholm City vom letzten Freitag (ebenso in den Göteborger und Malmöer Schwesterblättern) daher, die Rainer entdeckt hat. Eine selbst für City-Verhältnisse extrem bescheuerte Überschrift hat man sich dann auch noch für die Zeitungsboxen ausgedacht, so dass man auch ja eine Ausgabe mitnimmt – dort wird geradezu ein Einfall der Deutschen suggeriert.

Im Text gibt man sich deutlich moderater. Der Grund für die Geschichte ist aber offensichtlich – der Redaktion ist wieder einmal überhaupt gar nichts eingefallen, und so bequatschte wohl ein Redakteur seine deutsche Bekannte, um daraus notdürftig eine Titelstory zu basteln.

Die vermeintliche Invasion der Deutschen mag im Bereich Tourismus ja noch stimmen – in der Altstadt wimmelt es in der Tat nur so. Eine allgemeine Wanderungsbewegung kann man aber nicht direkt attestieren. Laut dem statistischen Jahrbuch der Stadt Stockholm ist die Zahl der Deutschen von 1670 im Jahr 1990 auf 2153 im Jahr 2005 gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 13%. Damit sind gerade einmal 3,1 % der Ausländer in Stockholm Deutsche. Dieser Anteil ist zwar gestiegen, aber die Gruppe EU25 (also alle Mitgliedsländer bis einschließlich 2006) hat im gleichen Zeitraum einen Anstieg von rund 25% zu verzeichnen. Dazu sollte man auch nicht vernachlässigen, dass 405 der aktuell 2153 Teutonen schon in Schweden geboren wurden. Das werden also zumeist doppelte Staatsbürger sein.

Auch gehört Deutschland nicht zu den stärksten Herkunftsländern bei Einwanderern, die nach Schweden kommen. So stehen 1908 im Jahr 2006 eingewanderten Deutschen stolze 5922 eingewanderte Polen und 3764 eingewanderten Serben gegenüber. Von den Irakern gar nicht zu sprechen – hier sind es über 10000.

Die Story ist also einmal wieder nichts anderes als heiße Luft. Weder ist ein gewaltiger Anstieg zu erkennen, noch läuft Stockholm Gefahr, einer Germanisierung zum Opfer zu fallen.

Fast schon possierlich ist der Text der Geschichte. So erfährt man, dass die präsentierte Beispieldeutsche – Nicole Gläser ist ihr Name – frische Bratwurst vermisst und ihre Freunde damit erfreut hat, dass sie schon lebende Elche gesehen hat. Nächste Abfahrt Klischeestadt.

Die Sache mit der Bratwurst ist insofern seltsam, als dass Bratwurst gerade eines der wenigen deutschen Produkte ist, das man in jedem größeren Supermarkt erwerben kann. Über Qualität lässt sich natürlich streiten, aber immerhin ist es verfügbar. Zudem ist Bratwurst meiner Einschätzung auch nicht gerade ein Bestandteil der täglichen Ernährung, sondern eher im Bereich Imbiss und (Grill-)Fest anzusiedeln. Brot wäre da ein besseres Beispiel gewesen.

Bei meinen Recherchen habe ich übrigens eine interessante Entdeckung gemacht. In der Statistik wird auch gezeigt, welche Gemeinden in Stockholm und Umland am schnellsten wachsen. Zu meinem Erstaunen ist dies ausgerechnet Vaxholm, das Ferien- und Sommerdomizil für neureiche Städter. Am langsamsten wachsen hingegen Norrtälje und Upplands-Väsby. Das wiederum kann ich verstehen.