Studienjahrbeginn

Heute morgen: diese fünf Herren stehen an der Straßenseite

Das Leben in Schweden kehrt zurück. Gestern sah ich die ersten Führungen der KTH für die neuen Studenten. Wieder einmal bin ich erstaunt über diesen Teil der Studentenkultur in Schweden, insbesondere an der KTH. Viele Studenten tragen Overalls, deren Farbe je nach Fachrichtung verschieden ist, und Mützen, die auch die fünf Herren auf dem Bild tragen. Dieses Quintett zeigt auch die alternative Uniform: Frack, Sonnenbrille, Studentenmütze und nach Möglichkeit ein Bart. Um das Ganze noch beeindruckender zu machen, stellen sie sich wie hier in Pose und bewegungslos irgendwohin oder marschieren in Formation. Die Kleidung wird oft mit allen möglichen Aufnähern dekoriert.

Einen tieferen Sinn hinter solchen Studententraditionen vermag ich nicht zu erkennen, und man sollte ihn wohl auch nicht vermuten.

Dass die Fünf sich genau dort aufgestellt haben – die Anlage rechts neben ihnen war übrigens nicht angeschaltet – liegt wohl darin, dass sie etwas Eindruck auf die zahlreichen zur KTH strömenden Studenten machen wollen. Oder sie warten auf jemanden bestimmten. Auf jeden Fall traute sich niemand, mich eingeschlossen, direkt an ihnen vorbeizugehen,

Ich habe großen Respekt für die vielfältige und kreative Studentenaktivität an der KTH. Jedes Jahr findet ein sogenannte Studentenkarneval statt: jedes dritte Jahr mit einer großen Parade durch die Stadt (Quarnevalen), und die übrigen Jahre durch eine Bootparade, bei der Gruppen ihre Boote selber bauen müssen (Squvalp). An letzterem habe ich sogar selbst schon einmal teilgenommen. Die Studentenschaft hat ein eigenes Ferienhaus (Osqvik), macht massig Partys in seinem Haupthaus, und auch die mittlerweile zur unabhängigen Studentenradiostation Studentradi08 umgewidmete Radiostation THSRadio, Heim meiner einst geliebten Hello-Everybody-Show, war Teil der Organisation.

An anderen schwedischen Universitäten wie Uppsala scheinen solche Aktivitäten auch üblich zu sein. Weil ich nun an der Universität Stockholm bin und es dort so etwas schlicht nicht gibt, fällt es mir umso mehr auf. So oder so ist es mein letzter Studienjahrbeginn an der Universität – nächstes Jahr ist meine akademische Karriere beendet.

Studentenschwund in Schweden – Hochschulvertreter äußern sich

Thomas hat auf einen Debattenbeitrag hingewiesen, der gestern in der DN erschien.

Dort äußern sich zwei Uni-Vertreter, einer von der KTH hier in Stockholm und einer aus Göteborg, zu den Studiengebühren und den Effekten. Sie sind sehr kritisch gegenüber den Studiengebühren und meinen, man müsse die beiden Hauptargumente für die Gebühren – zuviele (und damit teure) Studenten sowie Qualität statt Billigheimer – noch einmal überprüfen.

Leider bleibt es dabei aber auch. Es kommen keine weiteren handfesten Fakten, welche die Argumentationslinie, dass die außereuropäischen Studenten Schweden auch etwas brachten, unterstützen würden. Allenfalls den naheliegenden Effekt, dass viele Kurse einfach ganz eingestellt werden, benennen sie konkret.

Sie stellen u.a. fest, dass die schwedische Wirtschaft und Gesellschaft die Absolventen bräuchten. Das ist alles wohl wahr, aber beantwortet nicht die Frage, inwieweit Wirtschaft und Gesellschaft diese auch bekommen haben, solange das Studium kostenlos war. Ich hoffe, dass es hierzu konkreteres geben wird.

Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (2)

Helsinki

Als ich noch Masterstudent war, bezahlte mir die KTH einmal eine Fahrt nach Helsinki samt Übernachtung. Das war in der Tat sehr großzügig, aber nicht ganz so großzügig wie in den Jahren zuvor – da fuhr der ganze Kurs Reaktorphysik nach Belgien. Der Grund dafür war schlicht, dass man einen entsprechenden Reaktor für die Experimente in Schweden nicht mehr hat.

Eine kleine Geschichte zwischen Finnland, Schweden, Pakistan und einem Forschungsreaktor

In meiner Gruppe waren zwei pakistanische Studenten, die ich in dem Rahmen etwas kennenlernen durfte. Ich zeigte ihnen das bisschen von Helsinki, das ich kannte. Die beiden waren sehr nett, zurückhaltend und bescheiden. Es war recht offensichtlich, dass sie mit sehr begrenzten Mitteln wirtschafteten. Wohl nicht nur aus religiösen Gründen hatten sie etwas Toastbrot und Brotaufstrich dabei, um ein paar Mahlzeiten zu ersetzen. Bei politischen Fragen wollte ich nicht allzu tief bohren, aber es war schon interessant zu hören, dass sie unumwunden sagten, es lohne sich bei ihnen nicht, zur Wahl zu gehen, weil sie sowieso nicht sauber verlaufe. Die Aussage, dass die Taliban es immerhin geschafft hätten, Afghanistan einigermaßen stabil zu regieren, konnte ich zwar bestätigen – freilich aus einem anderen Blickwinkel. Vor einem Sex-Shop in Helsinkis Innenstadt fragten sie, ob sie denn da reingehen dürften. Ich antwortete, dass sie das natürlich dürften. Ausprobiert haben sie es nicht. Schade eigentlich, denn das hätte dieser interkulturellen Begegnungsreise noch einiges hinzugefügt.

Wir führten allerlei kleine Experimente an einem Forschungsreaktor in Helsinki durch, die wir anschließend auswerten und in einem Bericht zusammenfassen sollten. Frisch vom blauen Tscherenkow-Licht angestrahlt kehrten wir nach Stockholm zurück. Ab dem Zeitpunkt ging es bergab. Wir einigten uns darauf, dass ich den Bericht zusammenstellen sollte und jeder ein Drittel der Aufgaben bearbeiten würde. Die Stücke, die meine Mailbox erreichten, waren weitaus schlimmer als erwartet.
Nicht dass ich ein perfektes Englisch erwarten würde – wir sind alle keine Muttersprachler – aber dass die Texte auch einmal gelesen werden schien nicht zuviel verlangt. Stattdessen erhielt ich Texte, die mit Fehlern übersät waren. Die Analysen waren weitgehend nicht nachvollziehbar gemacht, die Resultate unvollständig.

Als wir das einreichten, war das Urteil wenig überraschend: nicht akzeptiert. Man musste sich also zusammensetzen und alles noch einmal überarbeiten. Das scheiterte schon daran, dass einer der beiden im Sommer nach Pakistan gereist und seither nicht mehr erreichbar war. Es musste angenommen werden, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Das Ende kann man erahnen: der andere zeigte immerhin noch etwas Interesse, aber das allermeiste blieb an mir hängen. Das Gemachte konnte man wegen Unverständlich- und Unbrauchbarkeit in die Tonne treten. Stattdessen machte ich die Aufgaben selbst.

Die Situation war schon grotesk: ich hatte den Kurs nur spaßeshalber belegt und brauchte die Punkte nicht. Die beiden hingegen machten einen Reaktorphysik-Master, bei dem dies natürlich ein Pflichtkurs war. Wichtigkeit und Engagement standen in deutlichem Widerspruch. Ich beschloss, in diesem Fall einmal unsolidarisch zu sein und den Tutoren zu empfehlen, dem entschwundenen Kommilitonen den Kurs nicht anzurechnen – physische Anwesenheit war schon irgendwo vorauszusetzen, fand ich. Es ist nicht ganz ohne Unbehagen, wenn ich mir überlege, dass er vielleicht mit seiner halbfertigen Ausbildung und derart offenkundigen fachlichen Mängeln in Pakistan an den Reglern eines dortigen Kernkraftwerkes sitzen könnte.

Etwas aus dem Fenster gelehnt: was die beiden hierher brachte

Was hat diese Anekdote mit dem Thema zu tun? Mehr als man denkt.

Die beiden Kollegen scheinen mir nicht untypisch zu sein. Bei beiden hatte die Familie schon eine Ehe arrangiert. Sie lebten in bescheidenen Verhältnissen dicht gepackt in einem Zimmer. Sie verdienten sich etwas Geld durch das Verteilen von U-Bahn-Zeitungen hinzu.

Ich glaube nicht, dass der Grund ihrer Anwesenheit in Schweden akademische Bildung oder gar Exzellenz war, ja nicht einmal die Ausbildung an sich. Sie waren eher Vertreter der pakistanischen gehobenen Mittelschicht, die mit den Mitteln der Familie ins Ausland geschickt wurden, um dort irgendetwas zu studieren, auf dass man einen vorzeigbaren Sohnemann habe. In Schweden zu bleiben war zu keinem Zeitpunkt eine Option, und die Wahl fiel auf das Land nur, weil man hier eine englischsprachige Ausbildung ohne Studiengebühren erhalten konnte.

Die Frage ist, ob dies wirklich so typisch ist. Dazu habe ich morgen einen recht authentischen Erfahrungsbericht eines ehemaligen pakistanischen Studenten.

Das radioaktive Orchester

Manchmal erfährt man über 5 Ecken, was neben einem passiert. Die Kollegen von der KTH haben ein sehr interessantes Projekt gestartet: die Energien von Gamma-Zerfällen in Musik umwandeln. Der Musiker, mit dem sie das zusammen entwickelt haben, will daraus sogar echte Stücke machen.

Für den Moment gibt es aber schon einmal ein sehr schickes Präsentationsvideo (schwedisch mit englischen Untertiteln):

Und natürlich kann man auch selbst ein paar radioaktive Isotope nehmen und das Ganze klimpern lassen, nämlich auf der Webseite von The Radioactive Orchestra.

Eine lustige Sache, zumal Kooperationen zwischen Kunst und Naturwissenschaft nicht übermäßig oft vorkommen, und nebenbei auch der pädagogische Zweck verfolgt, zu erklären, dass es tatsächlich natürliche Radioaktivität gibt.

Bo Cederwall sitzt interessanterweise nur einen Korridor unter mir, und fast hätte ich einmal einen Kurs bei ihm gemacht. Vielleicht werde ich meinen Enkeln einmal erzählen müssen, dass ich einen Kurs bei einem der bedeutendsten Musiker des 21. Jahrhunderts geschmissen habe.

[via Geeks are Sexy]

Feuer in der Architekturhochschule

Die Architekturschule der KTH - nach Meinung vieler das hässlichste Gebäude Stockholms (Bild: Oscar Franzén, Public Domain)

Über Großbrände zu berichten ist zwar nicht gerade mein Metier, aber in dem Fall ist das Feuer keine 1,5 Kilometer von hier entfernt: die Architekturschule der KTH brennt, und zwar mächtig. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, aber das Dach wurde schon gesprengt, und zur Stunde ist der Brand noch nicht unter Kontrolle.

Das Ganze hat vor allem eine gewisse Ironie, weil die Architekturschule ein ausnehmend hässliches Gebäude ist. Als ich es vor gut 5 Jahren zum ersten Mal sah, dachte ich, es handele sich um ein Parkhaus oder etwas anderes wenig heimeliges. Dass darin ausgerechnet Architekten ausgebildet werden, wäre mir nicht in den Sinn gekommen.

Besonders witzig ist irgendwie, dass das Feuer noch nicht einmal aus und schon die ersten Spekulationen im Umlauf sind, ob man das Gebäude denn nicht lieber abreißen und durch etwas ansehnlicheres ersetzen sollte. Worüber wir hier im Büro diesen Morgen noch scherzten, ist jetzt schon schlagzeilentauglich. Spontan wäre ich dafür – das bisherige ist nun wirklich keine Zierde für Stadt und Hochschule.

Immer diese High Society

img_2481

Ich bin mir ja meiner Prominenz vollkommen bewusst. Welche Gesellschaftsveranstaltung würde schon gerne auf mich verzichten?

Nun habe ich aber eine Einladung zur Diplomübergabe der KTH im Stadshuset erhalten. Kurz darauf flatterte auch noch eine Einladung zum Willkommensabend für Doktoranden an der Stockholmer Universität herein. Allerdings war ich bei beiden Veranstaltungen schon im letzten Winter zugegen.

Das finde ich dann doch etwas anbiedernd.

Change

Letzte Woche flatterte eine Benachrichtigung über ein Einschreiben ins Haus. Diese muss man in Schweden nämlich wie die meisten Pakete auch bei der Postagentur abholen.

Es war wie erwartet mein Zeugnis. Nun bin ich also auch offiziell ein „Master of Science“, mit einem „major in physics“, wer es genau wissen möchte. Es ist damit mein Lebenstraum erfüllt: endlich kann ich bei den ganzen unnötigen Meinungsumfragen, an denen ich teilnehme, „abgeschlossenes Hochschulstudium“ als Ausbildung ankreuzen. Kann es ein größeres Glück geben?

Der Titel des Posts lautet aber „Change“ nicht nur wegen meines geänderten Akademikerstatus, sondern wegen der Dinge, die sich auf der anderen Seite des Atlantiks heute abspielen. Ich werde heute nacht mitfiebern. Weil ich begeistert bin, was ein schwarzer Senator mit einer cleveren Taktik und großen Visionen in zwei Jahren geschafft hat und in den kommenden vier Jahren noch schaffen kann. Weil ich mir wünsche, auch in Europa würde man wieder an eine bessere Zukunft glauben und mit ähnlichem Enthusiasmus dafür einstehen. Und, ganz nebenbei, weil ich dann nicht nach Hessen schauen muss.

Bericht zur Lage meiner selbst

Ich schreibe hier selten über meine Studien, aber heute ist doch einer der Tage, an dem ich dies tun möchte. Seit heute bin ich offiziell Doktorand bei Stockholms Universitet. Mein Masterzeugnis wird zwar noch etwas auf sich warten lassen, aber die die Uhr tickt: in 2 Jahren muss ich mein Lizentiat, eine Vorstufe zum Doktor, und in 4 Jahren meinen Doktor machen. Über was, das wird sich noch zeigen, aber höchstwahrscheinlich werde ich sehr viel mit dem im Bau befindlichen Projekt DESIREE zu tun haben.