Alles wird teurer – auch SL: 790 Kronen für ein Monatsticket

Eine der wenigen großen Änderungen in den letzten Jahren: das Chipkartensystem SL Access (Bild: Morner, CC BY-NC-SA 2.0)

Gestern verkündete die Provinzregierung ihre Finanzpläne. Dazu gehörte unter anderem, dass die Monatskarte für den Nahverkehrsverbund ab September 790 kr (ca. 88€) kosten soll.

Da das so gut wie jeden im Großraum Stockholm betrifft, schlagen die Wellen natürlich hoch. Viele halten das für gierig und für ungerecht gegenüber den Ärmeren. Einige sehen Schweden im Niedergang.

Die Provinzregierung hat die Sache auch vollkommen im Griff. Der Finanzlandrat – oder eher Finanzminister, wenn man schon irgendeinen deutschen Begriff dafür finden will – Torbjörn Rosdahl parierte die Attacken auf die Erhöhung sogleich mit einem passenden Vergleich: 100 kr entsprechen drei Tüten Chips. Stimmt vermutlich auch, aber mit einem derart bescheuerten Argument kann man wohl niemanden auf seine Seite ziehen. Er entschuldigte sich auch im Nachgang.

Kennt sich mit Chipstüten aus: Torbjörn Rosdahl

Manche finden, dass sich die Stockholmer mal nicht so anstellen sollen, denn woanders sei es doch viel teurer, z.B. in Glasgow. Göran Elmertoft findet das gar nicht so teuer, und das bloggt er gleich zweimal. Mancherorts wird sogar angedeutet, die 48% der Stockholmer, die laut DN-Umfrage jetzt nicht mehr mit dem Nahverkehr fahren wollen, würden ihre Drohung nicht wahrmachen.

Womit er sicherlich recht hat. Die Stockholmer werden diese Erhöhung schlucken wie alle anderen davor – und wenn sie es nicht wollen, dann sollen sie nächstes Mal links der Mitte wählen, was sie bislang nur in Ausnahmefällen taten.

Der Nahverkehr wird zu 50% über die Ticketeinnahmen finanziert. Im Grunde bestimmt also der Unter- oder Überschuss in der Kalkulation, wie teuer die Tickets sein müssen. So einfach ist das dann aber doch wieder nicht, weil es natürlich über Ticketauswahl und dergleichen allerhand weitere Stellschrauben gibt. Man kann in jedem Fall feststellen, dass der Ticketpreis schneller steigt als die allgemeine Preisentwicklung. Das merke ich auch: als ich 2005 nach Stockholm kam, kostete die Karte 600 kr. Sie ist also seither 31% teurer geworden, was 4,7% pro Jahr entspricht.

Die Frage ist also: ist der Nahverkehr so viel besser geworden, dass er diese Steigerungen rechtfertigt? Die Antwort ist aus meiner Sicht: leider nein.

In den letzten 6 Jahren sind nur drei Schienenprojekte in Angriff genommen worden: die Verlängerung der Tvärbanan, die Untertunnelung Stockholms für die S-Bahn und der Ausbau der Straßenbahn in der Innenstadt. Alles drei sind keine großen Würfe, und alle drei sind alles andere als fertig. Bleibt nur noch, zu sagen, dass die U-Bahn am Wochenende auch nachts fährt. Und der Busverkehr? Mag sein, dass der gewachsen ist – aber das wurde der Allgemeinheit auch mit Einführung der Trängselskatt versprochen. Für meinen Wohnort kann ich sagen, dass es fluktuiert, aber kein Trend nach oben zu erkennen ist. Kurz nach Einzug wurde uns eine Buslinie genommen, die nach einem Jahr wiederkam. Dann wurde uns eine schnelle Verbindung in die Stadt genommen, die nach einem halben Jahr eingeschränkt wieder kam. Ausbau sieht anders aus.

Zwar ist es richtig, dass auch unter sozialdemokratischer Regierung die Ticketpreise erhöht wurden. Jedoch haben die Bürgerlichen mindestens genauso zugelangt. Es wäre zumindest wünschenswert, diese Erhöhung mit irgendeiner Perspektive, irgendeinem visionären Projekt zu verbinden. Davon ist aber nichts zu hören, und so schallt die Erinnerung umso lauter, dass noch letzten Herbst hochheilig verkündet wurde, dass es 2011 keine weitere Erhöhung geben werde. Das kommt nicht gut an.

Ganz machiavellistisch kommt diese Maßnahme zum Beginn der Amtszeit – bis 2014 wird sie längst vergessen sein und keinerlei Effekt mehr haben. Immerhin kann man hoffen, dass es bis dahin eine Partei im Län gibt, die den Nahverkehr modernisieren und ausbauen will. Eine solche sehe ich bislang nämlich nicht so wirklich.

After the storm

Der Begriff „Schneesturm“ wäre vielleicht etwas hoch gegriffen, aber der gestrige Tag war soweit nicht entfernt davon. An die -15°C und ein starker eisiger Wind, überall Schneeverwehungen, Chaos im Nahverkehr. Wir waren in Sollentuna eingeladen, konnten aber die S-Bahn nicht nehmen, weil die schon zu dem Zeitpunkt massive Verspätung hat. Stattdessen haben wir die blaue U-Bahn-Linie, die als einzige fast durchgehend unterirdisch verläuft, genommen und sind in Kista mit dem Bus weiter. Der Rückweg war noch länger – trotz Taxifahrt zur Umgehung der S-Bahn dauerte sie zwei Stunden, u.a. weil die U-Bahn 100 Meter vor unserer Zielstation Slussen stehen blieb.

Der Winter ist hier noch lange nicht vorbei, aber man kann wohl hoffen, dass das zumindest das Schlimmste vorüber ist.

Ich bin gespannt auf den heuten Tag, denn ich darf die Linie 47 fahren, und irgendwie glaube ich nicht, dass auf Djurgården schon viel geräumt wurde.

Vorbeifahren

Vor einiger Zeit gab es eine Werbekampagne hier in Stockholm. Dort war auf schwarzem Grund groß zu lesen:

Es gibt nur zwei europäische Länder, deren Hauptstadt keine Umgehungsstraße hat.

Und darunter klein:

Albanien ist das eine.

Womit sich jeder denken, welches das andere ist: Schweden.

In der Tat gibt es derzeit genau drei Möglichkeiten, die Region Stockholm zu umfahren – und von denen sind zwei so abwegig, dass sie nie jemand dafür benutzen würde.
De facto gibt es also nur einen Weg, nämlich den Essingeleden, eine Autobahn über Kungsholmen, auf der trotz vierspurigen Ausbaus jeden Morgen Stau ist.

Die Schaffung einer Alternative tut also not. Diese soll die „Förbifart Stockholm“ werden, also die Vorbeifahrt an Stockholm. Eine Autobahn, größtenteils unterirdisch verlegt wird – 17 der 21 km werden Tunnel sein – soll einen Bogen im Westen über die Inseln der Gemeinde Ekerö schlagen und dann im Nordwesten die Anbindung an die großen Straßen E4 und E18 schaffen. Bis 2020 „kann“ der Bau fertig sein, was soviel heißt, dass er bis dahin nicht fertig sein wird.

Kritik wird laut von einigen Seiten. Man fürchtet um den Umwelt- und vor allem den Klimaschutz. Auch die Bewohner der Insel Lovö, unter der ein Teil des Tunnels verlaufen und die auch eine Autobahnabfahrt bekommen soll, sind nicht begeistert.

Die Argumente dieser Gegner sind mir doch einigermaßen schleierhaft. Ein Tunnel schadet ja wohl kaum der Natur. Wenig stichhaltig erscheint mir das Argument, der CO2-Ausstoß werde dadurch erhöht, denn dies beruht auf der Annahme, der Verkehr werde weniger wachsen, wenn man einfach keine Straßen für ihn baut. Diejenigen, die so argumentieren, verweisen auch auf die Stadtmaut, die man dafür benutzen könne, den Verkehr fernzuhalten.

Dabei hat gerade die Trängselskatt gezeigt, dass eine solche Maßnahme bestenfalls lenken kann – fernhalten kann es den Verkehr aber nicht wirklich. Die Straßen Stockholms sind mittlerweile genauso verstopft wie vor Einführung der Maut. Man hat sie seit 2007 nicht mehr angehoben, was einen starken Gewöhnungseffekt erzeugt.

Der Bau der Förbifart ist mehr als überfällig und ich kann sie eigentlich nur unterstützen. Außerdem erscheinen mir Klagen aus Ekerö übertreiben, weil Ekerö eine der Kommunen ist, die die schlechteste Verkehrsanbindung haben – die meisten werden wohl froh darum sein, wenn sie keine Fähre mehr nehmen oder den endlosen Umweg über Bromma fahren müssen.

Der Ablauf der Planung scheint mir aber symptomatisch zu sein für Verkehrsplanung im Raum Stockholm.

Slussen baut man erst um, nachdem es zu einem heruntergekommenen und nach Urin stinkenden Schandfleck geworden ist. Die Citybanan, ein S-Bahn-Tunnel unter Stockholm zur Entlastung des südwärts gerichteten Schienennetzes, wird in Angriff angenommen, nachdem die S-Bahn Pendeltåg schon seit vielen Jahren ein Synonym für Unzuverlässigkeit und Störungsanfälligkeit ist. Die am schnellsten wachsenden Kommunen sind nur durch Busse angebunden und haben nichtmal in Aussicht, Schienenverkehr zu erhalten. Zu der Insel, auf der ich wohne, gibt es nur eine altersschwache und überlastete Brücke, aber eine neue Brücke soll es erst in 15 Jahren geben – von einer Anbindung an den Schienenverkehr wird erst gar nicht gesprochen, obwohl jetzt schon die Busse in kurzen Takten fahren und trotzdem voll sind.

Wenn man von dem zukunftsweisenden Projekt der Tvärbanan absieht, baut man immer erst dann, wenn die Situation eine Zumutung geworden ist. Man repariert einen Schaden erst, wenn er eingetreten ist, aber versucht nicht, ihn vorsorglich zu verhindern.

Insofern kann ich der Förbifart eigentlich nur einen Kritikpunkt entgegen bringen, nämlich den, warum das Projekt nicht gleich durch eine Erweiterung des Nahverkehrs ergänzt hat. Eine direkte S-Bahn von Södertälje nach Akalla und Hjulsta wäre der Region sehr zuträglich.