A ferry tale

Man kann es erahnen: ich war im Urlaub.

Wie ich vor einiger Zeit erfahren musste, stirbt man früher, wenn man nicht vier Wochen am Stück Urlaub im Jahr hat. Dreißig Prozent der Einwohner Schwedens müssen unter solchen vermeintlich unwürdigen Umständen leben. Aus deutscher Sicht wirkt sie grotesk.

Nun, auch ich muss mit einem frühen Tod rechnen, denn ich habe nur zwei Wochen Urlaub gehabt, und erholsam waren sie nicht unbedingt – aber gut.

Wegen einer wichtigen Familienfeier, zu der meine Freundin nach Leipzig musste, hatten wir ein großes Programm zusammengestellt, das wir komplett mit dem Auto bzw. Fähre absolvierten:

  • Nach Nynäshamn, einer Stadt am südlichsten Ende der Region Stockholm (73 km). Ab dort fährt eine Fähre der polnischen Gesellschaft Polferries nach Danzig. Das hatte schlicht den Vorteil, dass wir zu Beginn wenig fahren mussten. Von der Fähre hatte ich mir nicht viel versprochen – die Baltivia ist nicht gerade das neueste Schiff, und schnell wurde auch klar, wer das Stammklientel darstellt: zuallererst polnische Gastarbeiter in Schweden und Lkw-Fahrer. Dementsprechend gab es an Bord wenige Familien und das Ambiente war schlicht. Uns hatte man mit dem Hinweis, Zwei-Bett-Kabinen seien ausgebucht, eine teurere Drei-Bett-Kabine gegeben. Allerdings musste ich feststellen, dass es Zwei-Bett-Kabinen entweder gar nicht oder nur in sehr geringer Zahl gab. Etwas ärgerlich war auch, dass man trotz noch an Land erhaltener Bordkarte nochmals an der Rezeption an Bord einchecken musste, um in die Kabine zu gelangen. Zudem roch das Bad dort ziemlich streng. Die Freizeitangebote an Bord waren ausgesprochen bescheiden. Der Bordshop war klein und hatte nur wenige Stunden am Morgen geöffnet. Die Cafeteria war das einzige Restaurant an Bord und servierte reichlich matschige und fettige Speisen. Das Frühstück war allerdings in Ordnung. Wir verbrachten die meiste Zeit der 19 Stunden an Bord mit Lesen und Schlafen, denn viele Alternativen hätte es ohnehin nicht gegeben. Einzig die weite Strecke rechtfertigte den Fahrtpreis von gut 300 €. In Danzig checkten wir nach einer kleinen Irrfahrt (Navi hielt Fußgängerbrücke für Straße) ins Hotel ein und gingen in die Stadt. Sehr schön. Eine Schiffsfahrt zur Westerplatte und zurück gönnten wir uns auch noch. Das Hotel La Petite kann man nur empfehlen – freundliches Personal, guter Preis, gutes Frühstück, saubere moderne Zimmer mit Fernseher, großes Bad, ein kleiner Parkplatz draußen und die Innenstadt ca. 30 Minuten zu Fuß weg.
  • Am nächsten Morgen dann weiter von Danzig nach Bad Muskau (548 km). Wir wussten vorher schon, dass das eine lange Fahrt werden würde, denn Polen hat praktisch keine Autobahnen. Unser neues Navigationssystem (Garmin Nüvi 205T) interpretierte das wohl so, dass alle Landstraßen ja gleich sind und folglich der kürzeste Weg der beste sein müsse. Wir landeten teilweise in der tiefsten Provinz, weitab von den größeren Verkehrswegen, die wir normalerweise genommen hätten. So haben wir viel von Polen gesehn, u.a. zahlreiche Störche, aber auch das waghalsige Verhalten polnischer Autofahrer. Wenn man in einem Land mit Landstraßen lebt, hat man offenkundig viel Zeit, Überholmanöver zu üben. Bad Muskau liegt direkt an der polnischen Grenze und ist nahezu umgeben vom Fürst-Pückler-Park, der mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und durch dessen Mitte die Neiße fließt, wodurch der Park halb in Polen, halb in Deutschland liegt. Neben den schönen Parkanlagen fand ich vor allem diese Grenze interessant. Nicht nur, weil man sie unkontrolliert überqueren kann, sondern der annähernd orientalische Markt auf der polnischen Seite. Da werden in Wellblechhütten unter Beschallung mit billigstem deutschen Schlager allerlei Waren angeboten, an deren Qualität man zweifeln kann, die aber auf alle Fälle in harten Euros ausgezeichnet sind. Das Ganze ist so eng bebaut, dass dort permanenter Verkehrsstau, insbesondere vor der Tankstelle, zu herrschen scheint.
  • Weiter nach Leipzig (236 km). Dort schöne 4 Tage mit Bowling, Familienfesten und Stadtführung.
  • Über das malerische Städtchen Greiz in Thüringen zu meinen Eltern nach Rastatt (592 km). Dort dann ein paar Tage in der Umgebung verbracht, wobei die Schwarzwälder Kirschtorte am Mummelsee eine herbe Enttäuschung war – Boden angebrannt, Sahne alt. Da das vormalige Mummelsee-Hotel vor einem Jahr abgebrannt ist, muss man das wohl den Umständen der provisorischen Bewirtung zuschreiben. Die Tage nutzten wir auch, das Auto auf Vordermann zu bringen – es hat jetzt einen neuen Kotflügel und eine neue Tür. Insofern war die Abwrackprämie ausnahmsweise zu irgendwas gut.
  • Dann weiter nach Norderstedt (676 km) – wobei die Streckenangabe hier reine Makulatur ist. Die anvisierten 6 Stunden Fahrt verdoppelten sich staubedingt auf 12 Stunden, was in erster Linie einer Vollsperrung der A7 bei Göttingen geschuldet war. Deren Ursache bleibt im Dunkeln, denn sie schien vorbereitet gewesen zu sein. Mangels Vertrauen in unser Navigationssystem fuhren wir zu früh wieder auf die Autobahn, was mehrere Stunden kostete. Immerhin konnten wir noch einen guten halben Tag in Hamburg verbringen.
  • Zur Fähre nach Lübeck-Travemünde (82 km) – wir hatten im Vorfeld beschlossen, auch auf dem Rückweg eine der größeren Fähren zu nehmen, da wir so noch länger in Hamburg bleiben konnten. Die Nacht würde zwar kurz sein, denn Abfahrt ist um 22 Uhr und Ankunft schon um 7 Uhr. Die Fährgesellschaft Nordö-Link meinte, wir sollten spätestens 2 Stunden vor Abfahrt dort sein. Nach den Erfahrungen vom Vortag planten wir großzügige Reserven ein – umso ärgerlicher, dass der Check-In 2 Stunden vor Abfahrt noch nicht einmal begonnen hatte, und als er dann begann, doch sehr gemächlich vor sich ging. An Bord war das Unterhaltungsangebot auch nicht viel größer als auf der ersten Fähre, was aber angesichts der späten Abfahrt kaum eine Rolle spielte. Das Erstaunlichste war jedoch unsere Kabine – die hatte ca. 20 Quadratmeter und 4 Betten, obwohl wir nur zu zweit waren. Den im Informationsmaterial erwähnten Fernseher gab es nicht, aber interessanter- und eigentlich auch unnötigerweise eine Minibar. Das Frühstück hatten wir dazu gebucht – man musste freilich schon um 6 Uhr morgens beginnen, denn die Fähre kam pünktlich an. Sollte ich das nochmal machen, werde ich dazu eine Kamera mitnehmen, denn man fährt währenddessen unter der Öresundbrücke hindurch. Die 200 € für die Fahrt sind nur auf den ersten Blick teuer, denn die Fähre Puttgarden-Rödby und die Öresundbrücke hätten zusammen rund 100 € gekostet. Wenn man dann noch Spritkosten und den Service einer Nacht mit Frühstück an Bord einrechnet, dann schmilzt der Preisunterschied stark zusammen – dass man ausgeruht in Schweden ankommt, wiegt es letztendlich ganz auf.
  • Nach einem Brotkauf in der deutschen Bäckerei im Hauptbahnhof von Malmö (hatten wir in Deutschland vergessen) ging es auf den letzten Abschnitt nach Hause (632 km).

Alles in allem also alleine auf diesen Wegen über 2800 km. Mit den ganzen Fahrten dazwischen landeten wir bei weit über 3000 km. Das kann man nicht jedes Jahr machen – dementsprechend war das Auto mit deutschen Leckereien beladen.

How not to win the Eurovision Song Contest

Ich lag wie immer vollkommen falsch – nicht die lettischen Piraten haben gewonnen, und auch nicht der grenzdebile Spanier. Es war der unscheinbare Russe mit dem wildgewordenen Schlittschuhläufer.

Balkan-Connection: Jein

Wie im Vorjahr ist zu beobachten gewesen: die Sympathiepunkte spielen eine große Rolle. So hat Irland mittlerweile eine nicht unerhebliche polnische Minderheit, die natürlich konsequent für Polen stimmt, was letztendlich für die 12 Punkte sorgt. Dennoch ist es nicht die alleinige Komponente – wie man schon daran sieht, dass Deutschland dieses Mal nicht seine 12 Punkte an die Türkei vergab.
Der Grund des Erfolgs liegt vielmehr darin, durchweg zu punkten – Russland hat nur von wenigen Ländern keine Punkte erhalten, und das macht es letztendlich aus. Sicherlich bildeten die ganzen ehemaligen Satellitenstaaten eine gute Basis für Russlands Sieg. Das aber reicht nicht aus für eine Führung von 42 Punkten.

Das schwedische Debakel

Zum Treppenwitz ist der Auftritt von Charlotte Perrelli verkommen. Wie sich nämlich mittlerweile herausgestellt hat, ist sie überhaupt nur dank einer Sonderregelung ins Finale gekommen. Eine Jury bestimmte nämlich ihren Favoriten, und wenn dieser nicht in den oberen Neun auftauchte, wurde er automatisch auf Platz 10 gehoben – egal, wo er im Televote gelandet war. Perrelli hatte eigentlich nur den 12. Platz erreicht, gelangte so aber noch ins Finale. Ironischerweise hatte sie auch im nationalen Vorentscheid nur dank der Juries ihre Konkurrentin Sanna Nielsen überholt. So kam sie also mit doppelter Unterstützung von Fachleuten ins Finale, die wohl eher an die Charts dachten als an das Fernsehvolk, das schließlich auch weniger charttaugliche Altersgruppen enthält.

Gestern hatte sich offenbar die Kritik an ihrem Make-Up zu Herzen genommen und weit weniger dick aufgetragen. Das half aber alles nichts – eine der schlechtesten Platzierungen der schwedischen ESC-Geschichte kam heraus.

Womit man auch wieder ein schönes Lehrstück hätte: Publikumsgeschmack und Jury stehen oft konträr zueinander. All die musikalische Qualität, die mit Hilfe einer Jury vermeintlich gesichert werden soll, ist letztendlich wertlos, wenn die Mehrheit der Leute dem nicht zustimmen. Eine Jury als Komponente einzubauen ist daher mehr als fragwürdig.

Ein guter Rat an den NDR

BILD fragt heute morgen „Mag uns keiner? Oder sind wir zu schlecht?“ – ganz klar letzteres. Antipathien scheinen keine große Rolle mehr zu spielen. Denn gerade die Balkan-Connection zeigt, dass sich Länder, die sich im realen Leben spinnefeind sind, munter einander die Punkte zuschieben. Besonderes Beispiel: Russland gab Georgien 7 Punkte, obwohl Georgier in den russischen Medien zeitweise einer regelrechten Hetzjagd ausgesetzt waren.

Die No Angels waren also zu schlecht. Aus meiner Sicht sangen sie zwar harmonischer als im Vorentscheid, aber als Sandy Mölling (die blonde) zu ihrem Abschlussgeheule kam, wusste ich, dass das nichts werden kann. Dazu war die Bühnenshow sehr lahm – mir kamen die vier Mädels einfach etwas deplatziert vor. Die vier hatten weniger Präsenz als der kroatische Opa alleine.

Darum einige gute Ratschläge an den NDR:

  • Bessere PR-Arbeit: Der ESC wird trotz der nicht unerheblichen Kosten für Deutschland von der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert. Vielleicht sollte man den Gracia-Komplex endlich überwinden und eine Zusammenarbeit mit einem gewissen Herrn Raab anstreben. Die ARD hat Dutzende Fernsehprogramme und Rundfunkwellen. Trotzdem gelingt es nicht, den Leuten diesen Wettbewerb nahezubringen. Der nationale Vorentscheid ist seit Jahren nur noch eine Alibi-Veranstaltung, um aus einer Minimalauswahl einen mäßig überzeugenden Titel zu wählen.
  • Größere Vorentscheide: In San Marino kann man einen Mann mit einer Tröte auf den Marktplatz stellen, und schon ist die frohe Kunde verbreitet. In Deutschland genügt das nicht, und eine einmalige Show im Februar ist auch nicht genug, um den Leuten auch nur das geringste Interesse am ESC zu entlocken. Jedes Jahr die Reeperbahn zu beschallen macht es auch nicht besser, denn die ist von Köln, Berlin und München schon zu weit weg. Der Vorausscheid hier in Schweden ist seit 2002 auf 6 Wochen verteilt, an denen 4 Vorrunden, eine „zweite Chance“ und ein Finale an 6 verschiedenen Orten im Land stattfinden – man mag davon halten, was man will, aber die Leute wissen danach bescheid, wer antritt und haben auch das Gefühl, mitentschieden zu haben. Der Bundesvision Song Contest hat zwar einige erhebliche Schwächen, weil für manche Länder mangels indigener Teilnahmewilliger irgendwelche Ersatzleute ins Rennen geschickt werden, aber wenn sich die anderen ARD-Anstalten eine Art Halbfinale leisten würden, könnte man die Veranstaltung z.B. auch nach München, Stuttgart, Frankfurt, Saarbrücken, Köln, Bremen, Berlin und Leipzig tragen. Das würde die Republik sicherlich mehr begeistern.
  • Breitere Musikauswahl: seit die Vorentscheide so heruntergekürzt wurden, ist nur noch schwer nachvollziehen, nach welchen Kriterien die Lieder ausgewählt werden.
  • Sich dem Halbfinale stellen: sicherlich zahlen die Big Four viel Geld und haben viel Publikum, aber die Big-Four-Regel ist letztendlich ein Rohrkrepierer. Sich einem Halbfinale zu stellen heißt auch, eine Vorauswahl zu bestehen. Die Titel, die sich fürs Finale qualifizieren mussten, sind schon einmal auf Herz und Nieren geprüft. In einem Wettbewerb, der unkalkulierbar ist, ist das ein wichtiger Indikator. Es ist ja nicht verwunderlich, dass Deutschlands Mitletzter Polen im Halbfinale als Zehnter gerade so den Einzug ins Finale schaffte. Eine weiteres wichtiges Argument für eine Teilnahme am Halbfinale sollte auch nicht vergessen werden: ein ESC-Halbfinale ist besser als jeder PR-Event. Nirgendwo sonst erhält man die Gelegenheit, vor über 100 Millionen Zuschauern den Song vorzuführen, den man ins Rennen schickt. Das ist extrem wertvoll. Nicht am Halbfinale teilzunehmen heißt nämlich auch, die Zuschauer gegen die vorausgelesene Konkurrenz innerhalb von 3 Minuten überzeugen zu müssen, während die anderen zuvor wenigstens einen flüchtigen Eindruck hinterlassen konnten.

Das sind alles keine Siegesgarantien, aber schlimmer als in den letzten drei Jahren kann es eigentlich nicht mehr werden.