Pippi Langstrumpf und das Rassismusdilemma

Obsolet? Die Villa Kunterbunt (Foto: Christian Koehn/ CC-BY-SA 2.0)

Meine Eltern sind early adopter – zumindest im Falle des Videorecorders. Im Grunde auch meine Großeltern, denn auch sie hatten früh so ein Gerät. Nur hatten sie auf das vermeintlich zukunftsweisende Video 2000 gesetzt, das sich aber als nicht sonderlich langlebig erwies. Wir hingegen hatten mit einem erstklassigen VHS-Videorecorder auf das richtige Pferd gesetzt: zwar konnte der die Länge der Kassetten nicht automatisch lesen und kannte auch keine 300er-Kassetten, aber dafür konnte er – man lese und staune – Zweikanalton getrennt einspielen, womit ich schon frühzeitig in den Genuss von Filmen in Originalsprache kommen konnte.

De Facto war ich bald der einzige Nutzer des Geräts. Die ersten Kassetten jedoch waren mit Kinderfilmen bespielt, die wir im ZDF aufgenommen hatten. Einen dieser Filme hatten wir halb verpasst, so dass wir nur die letzten zwei Drittel hatten. Wir schauten ihn trotzdem unzählige Male.

Pippi in Taka-Tuka-Land – Kindheitserinnerungen mit ungeahntem Beigeschmack

Die Rede ist von Pippi in Taka-Tuka-Land, bei dem ich daher bis heute nicht so recht weiß, was vor der Szene mit dem selbstgebauten Flugzeug passiert. Ich muss auch ganz offen gestehen, dass die Filme meine einzigen Kindheitskontakte mit Astrid Lindgren waren. Bis heute habe ich – von Auszügen aus Ronja Räubertochter abgesehen – keines ihrer Bücher gelesen.

Trotzdem stellten Lindgrens Werke für mich eigentlich immer einen Meilenstein der Kinderliteratur dar. Als ich kürzlich Anatol Stefanowitschs Blogeinträge zu just diesen Büchern las, war ich daher auch etwas überrascht über einen Aspekt: just in Pippi in Taka-Tuka-Land (dem Buch, nicht dem Film) ist an zahlreichen Stellen von „Negern“ die Rede, was anscheinend synonym für ferne Kulturen in der Südsee stehen soll.

Kann man das Problem beheben?

Als die Bücher in den 1940er Jahren entstanden, war dies noch ein vollkommen legitimes Wort für Schwarze. Was aber nun tun, wenn man als vorlesendes Elternteil an solchen Stellen ankommt? Man kann versuchen, sich durch Ad-hoc-Übersetzungen zu retten, aber eine wirklich nachhaltige Lösung ist das wohl nicht.

Der naheliegendste Weg wäre freilich, die Übersetzung des Textes so anzupassen, dass die Wortwahl zeitgemäß ist. Der Oetinger-Verlag, der die Bücher Lindgrens im deutschen Sprachraum herausgebt, entschloss sich zu einer Neuausgabe mit entsprechender Wortwahl. Begründet wurde dies mit dem fraglos toleranten und offenen Wesen der Autorin, die bestimmt keine rassistischen Absichten gehabt hat. Daran kann man auch kaum zweifeln.

Stefanowitsch sieht dennoch ein Problem: es ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, sondern auch eine des Inhalts. Der Text ist von einem unterschwelligen Rassismus durchzogen, den er moniert:

Das Problem […] ist tatsächlich gar nicht die Sprache. Es ist die Idee, dass es sinnvoll ist, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu kategorisieren, dass man Menschen (mit bestimmten Hautfarben) besitzen kann, dass man Hautfarben mit der Einfärbung durch Schuhcreme vergleichen kann. Diese Ideen bleiben auch bei einer guten Übersetzung Teil des Textes.

Das lässt sich nicht beheben, außer man ist bereit, die Bücher umzuschreiben. Es hat auch keinen Zweck, eine kommentierte Ausgabe zu erstellen, denn die ist trotzdem nicht kindertauglicher. Stefanowitsch kommt in einem späteren Blogeintrag zum Schluss: die beste Art, damit umzugehen, ist wohl, Pippi in Rente zu schicken. Sie habe ihre Zeit gehabt, und die geht nun zu Ende.

Das Dilemma: richtig, aber sehr schade

An diesem Punkt muss ich sagen: es fällt mir schwer, da mitzugehen. Natürlich ist es nicht erstrebenswert, schon Kleinkindern irgendwelche Stereotypen einzutrichtern. Antirassismus ist ein so fundamentales Prinzip, dass er über jeden Zeitgeist hinaus unverrückbar bleibt. Auch wenn Kinder es nicht merken und vielleicht auch gar nicht sofort verstehen, erschiene es mir schon als Verharmlosung, wenn man über dieses Menschenbild einfach so hinwegsieht, weil die Geschichten so schön sind.

Trotzdem gefällt mir der Gedanke, man könne Literatur einfach durch etwas „moderneres“ austauschen, überhaupt nicht. Die Werke eines Kinderbuchautoren hätten dann nicht für sich irgendeinen literarischen Wert, sondern wären nur in einem gewissen kulturellen Kontext überhaupt von Relevanz. Entspricht das Werk nicht mehr den Werten der Gesellschaft, so hat das Werk ausgedient.

Stefanowitsch schreibt:

Es ist ja nicht so, als ob eine Welt ohne Pippi Langstrumpf unvorstellbar oder eine literarische Dystopie wäre.

Nein, unvorstellbar ist sie nicht. Aber auch ärmer, wie mir scheint, denn die Abenteuer Pippi Langstrumpfs sind auch Geschichten, die man nicht nach Belieben austauschen kann. Der Verzicht darauf, an bestimmten Stellen ein unerwünschtes Menschenbild zu vermitteln, wird an anderen Punkten durch den Verzicht auf ein positives Rollenbild – das Pippi Langstrumpf auch darstellt – und spannende, einzigartige Geschichten teuer erkauft.

Einen echten Kompromiss kann es leider nicht geben: man kann zumindest beim Originalbuch den schönen Kern nicht von den fauligen Verwachsungen trennen, ohne das Gesamtwerk zu beschädigen.

Vielleicht ist es in der Tat auch eine Generationenfrage, dass ich mir irgendwo wünsche, die Lindgren-Erzählungen seien zeitlos. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Kinder nicht mehr diese Geschichten mit auf den Weg bekommen. Vermutlich wird aber genau dies passieren. Ich selbst habe noch Winnetou gelesen. Wieviele Kinder und Jugendliche tun dies heute noch?
Vielleicht sollte man es einfach so machen wie ich: die Filme gucken und andere Bücher lesen, denn die Pippi-Filme sind meines Wissens nicht „kontaminiert“.

Wenn es einmal so weit sein wird, werde ich mich vielleicht auch fragen, ob die Pippi-Bücher etwas für die Kinder sind. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit.

Harte Worte

Auch wenn heute hier schon eine Menge steht, kann ich mir natürlich nicht verkneifen, eine der kuriosesten politischen Possen des Jahres 2006 hier in Schweden kurz zu kommentieren.

Kurz die Geschichte: Anna Sjödin, die Vorsitzende von sozialdemokratischen Jugendverband SSU, war im Januar im Stockholmer Club „Crazy Horse“. Tags darauf präsentierte sie sich mit reichlich blauen Flecken im Gesicht aufeiner Pressekonferenz. Klar war nur, dass es zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Sjödin behauptete, der Sicherheitsmann Babak Jamei, der dort arbeitet, hätte sie geschlagen. Dieser wiederum sagte jedoch aus, sie hätte ihn beleidigt und wäre auf ihn losgegangen. Anzeigen wurden gestellt – der Prozess wurde aber zu Sjödins Glück nicht vor der Wahl anberaumt. Das Brisante: es sollen auch rassistische Beleidigungen gefallen sein, was natürlich der Todesstoss für Sjödin wäre. In der Zwischenzeit wurden Kameras am Eingang verschiedener Clubs angebracht – prophylaktisch, obwohl man noch gar nicht weiss, was denn passietr ist.
Nun steht sie aber vor Gericht, angeklagt der Tätlichlichkeiten gegen eine Amtsperson (Security am Eingang ist hier offiziell registriert), gewaltsamer Widerstand, eigenmächtiges Vorgehen (in Deutschland wohl Störung der öffentlichen Ordnung)
und Beleidigung vorgeworfen.

Jamei gab heute nun zum Protokoll, sie hätte ihn „Svartskalle“ (wörtlich „Schwarzschädel“) genannt und sei mächtig betrunken gewesen, als er sie hinauswerfen wollte. Sie habe ihn direkt ins Gesicht geschlagen. „Solche Einwanderer wie dich wollen wir nicht in diesem Land“, habe sie gesagt. Als er dies später Kollegen erzählte, sei ihm klar geworden, dass diese Aussagen ja gesetzeswidrig seien.

Sjödin hingegen bestreitet all dies. Laut ihr sei der Abend toll gewesen, bis Jamei angefangen hätte, mit einer Freundin von ihr zu streiten. Jamei habe Sjödin „Hure“ und „Fotze“ genannt. Als sie ihre Tasche holen wollte, habe er sie mit einem Knüppel niedergeschlagen.

Es bleibt abzuwarten, was die anderen Zeugen zu sagen haben.

Das Interesse an dem Prozess ist jedenfalls gewaltig – der Saal war heute voll besetzt. Es könnte zu einem Highlight des Herbsts werden, wenn es nichts Neues vom Spionskandal der Folkparti gibt und die neue Regierung keine Fehler macht. Apropos Folkparti: dort tut sich auch wieder etwas. Der Pressechef gab mittlerweile bekannt, dass man ihn mit einem Job ködern wollte, damit er seinen Mund hält.