Von unten, von oben, Euphorie

Was für ein Wochenende – es war nicht nur bombiges Wetter, wie man von dieser Jahreszeit im Schweden geradezu als Gegenleistung für den grauen Winter erwartet.

Es war so eine Art Tag des offenen Denkmals. So etwas gibt es zwar meines Wissens in Schweden nicht, aber die letzten beiden Tage kamen recht nahe dran (für meinen Teil).

Am Samstag veranstaltete „Statens Fastighetsverk“, eine Immobilienverwaltungsbehörde des schwedischen Staates, einen Tag der offenen Tür unter der Bezeichnung „Hemliga Rum“ („Geheime Räume“). Viele der verwalteten Gebäude sind nämlich ehemalige Militäranlagen, die früher wohl gar nicht und heute nicht oft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So öffnete man am Samstag in insgesamt 15 Anlagen im ganzen Land geschlossene Bereich. Der Großraum Stockholm kam dabei als alles andere als zu kurz.

Ich schaute mir Oscar Fredriksborg an, eine ehemalige Festung auf der Insel Rindö an. Ich bin ein kleiner Fan jener Insel, denn sie ist irgendwie eine Schärenkuriosität. Nicht übermäßig groß und ohne Brücke sollte man nicht erwarten, dass man etwas mehr als ein paar Ferienhäuser vorfindet. Durch die militärischen Anlagen kam jedoch bemerkenswerte Infrastruktur dorthin. Es gibt eine für Schärenverhältnisse riesige Grundschule. Auf der Insel stehen Mehrfamilienhäuser wie sonst eigentlich nur in größeren Orten des Stockholmer Umlandes. Es gibt mehrere gastronomische Betriebe, einen kleinen Laden, und bis 2008 sogar eine Schwimmhalle, die aber wegen Renovierungsbedarfs schließen musste. Ungewöhnlich auch die Verkehrsanbindung: es gibt zwei Fährenrouten, die als Teil des öffentlichen Wegenetzes kostenlos Autos, Fahrräder und Fußgänger transportieren. Die westliche hat zwei Fähren und schafft die Anbindung nach Vaxholm fast rund um die Uhr. Die östliche fährt zu meinem Wohnort Värmdö, steht aber nachts. Das ganze ist sogar Teil einer wichtigen Lkw-Ausweichstrecke für die Umfahrung Stockholms. Zudem gibt es eine Buslinie über die Insel, die auf manchen Touren mit der Fähre nach Vaxholm übersetzt. Man hat also eine Schäreninsel mit Annehmlichkeiten, die man sonst nicht erwarten sollte.

Am östlichen Ende ist Oscar Fredriksborg, strategisch gut gelegen an der Durchfahrt Oxdjupsleden. Es handelt sich um eine enge Wasserstraße, die aber von den großen Schiffen auf dem Weg nach Stockholm befahren wird. Durch die Sicherung dieser Stelle würde es einem Angreifer schwerfallen, die Hauptstadt anzugreifen. Die Gefahr ist heute freilich nicht mehr so akut. Die Festung wurde schon vor vielen Jahren aufgegeben. Lange verfiel sie, aber in jüngerer Zeit sind Restaurierungsarbeiten im Gange, die man am Samstag begutachten konnte – siehe auch die Fotos.

Stockholm von oben

DN-Skrapan: direkt unter den Buchstaben ist der Balkon mit Aussicht (Foto: Holger.Ellgaard, CC-BY-SA 2.5)

Als Abonnent der Dagens Nyheter erhält man die DN-Karte, die im Normalfall irgendwo herumlungert, ohne viel von Nutzen zu sein. Zweimal im Jahr ist der Nutzen jedoch erheblich. Im Winter findet „under jord“ („unter der Erde“) statt, bei dem unterirdische Anlagen für Karteninhaber geöffnet werden.

Und gestern war „från ovan“ („von oben“). Über ein Dutzend hohe Gebäude waren für Karteninhaber geöffnet, und man konnte bis zu drei Personen mitnehmen. Leider waren die beiden Kirchen, die teilnahmen, schon frühzeitig ausgebucht.

Wir wählten drei Gebäude aus:

  1. Stockholms Konserthus: das Konzerthaus am Hötorget von 1926 war zur Zeit des Baus das höchste Gebäude in der Umgebung, aber heute ist es nur noch eines von vielen. Daher sieht man vom Dach aus zwar einiges, aber nicht so viel, wie man glauben sollte. Trotzdem ein schöner Einblick in die Stockholmer Innenstadt.
  2. DN-Skrapan: Stockholms siebtgrößtes Hochhaus – wenn man Globen als solches rechnet – ist der Sitz von Dagens Nyheter. Direkt unter den Buchstaben im 23. Obergeschoss befindet sich ein Restaurant mit Aussichtsplattform. Der Ausblick ist der beste: auf der einen Seite hat man den Blick auf alle Sehenswürdigkeiten, auf der anderen bietet sich dem Stockholmkenner eine gute Aussicht über den Westen der Stadt. Vom Gesamteindruck das Beste der drei.
  3. Das Kastell auf Kastellholmen: die kleine Insel im Hafen von Stockholm war wie die Nachbarinsel Skeppsholmen noch bis in das späte 20. Jahrhundert hinein im Besitz der schwedischen Streitkräfte. Ich muss gestehen, dass ich früher zwar den Bus, der an der Brücke nach Kastellholmen endet, öfters gefahren habe, aber selbst noch nie auf Kastellholmen war. Gestern also nun die Premiere mit einem Besuch im Kastell, das anscheinend immer noch von irgendeiner Seefahrervereinigung betrieben wird, aber in erster Linie für Konferenzen dient. Der Ausblick vom Dach ist schön, v.a. auf das nebenan gelegene Djurgården.
Auch der Turm des Kastells auf Kastellholmen war geöffnet (Foto: Markus Bernet, CC-BY-SA 2.5)

Ein tolles Angebot von Dagens Nyheter – dass man die DN-Karte braucht, ist natürlich ein echter Vorteil, denn die hat schließlich nicht jeder, was den Andrang reduzierte und kurze Wartezeiten erlaubte. Eigene Fotos kommen bei Gelegenheit.

Euphorie

Ja, und dann war da noch die „Euphorie“ um den Eurovision Song Contest. Dass Schweden, das nachweislich ESC-verrückteste Land des Kontinents, dieses Jahr gewonnen hat, ist nun kein Geheimnis. Ich gehe davon aus, dass die Veranstaltung in Stockholm stattfinden wird, auch wenn die Eishockey-WM zur gleichen Zeit sein wird. Es sind also zwei Wochen im Ausnahmezustand zu erwarten, aber was für ein Spaß.

Ich selbst hatte den Titel nicht so hoch eingestuft. Beim Vorentscheid hatte ich ihn nicht gewählt, und die Dynamik des ESC-Finales ist mir ohnehin schleierhaft. Wie diese Heulboje aus Albanien auf einen 5. Platz kommen konnte, entzieht sich meinem Verständnis. Ich hatte die lustigen Russinnen gewählt – und rein musikalisch wäre Italien bei mir ganz oben gewesen. Die Briten können einem auch fast leid tun: der solide Titel hatte ganz gute Kritiken und wurde trotzdem wieder abgestraft. Vielleicht überlegen die sich jetzt auch endlich mal, wie man mehr Schwung in die Sache bringt. Deutschland ist damit ja recht erfolgreich, denn auch wenn man dieses Mal nicht gewonnen hat, braucht man sich mit einem 8. Platz definitiv nicht zu verstecken.

Alles in Butter also, und die königliche Palastwache war auch ganz begeistert:

Der Sommer ist da: Guter Wein, Vaxholm und übersäuerte Waden

Das schwedische Wetter ist wie ein Lichtschalter: es gibt nur an und aus, nichts dazwischen. War hier vor 4 Wochen noch Winter, hat man heute hochsommerliche Gefühle. Strahlender Sonnenschein und wolkenfreier Himmel.

Wir haben die Saison mit unseren neuen Sitzgarnitur auf dem bislang ungenutzten Balkon begonnen. Zwar ist der weder groß noch sonderlich schön, aber der Ausblick ganz in Ordnung. Mit leckerem Essen und einem Gläschen Wein lässt es sich gut aushalten.

Für unseren einzigen richtig freien Tag gestern haben wir uns für eine Radtour nach Vaxholm entschlossen. Dorthin sind es eigentlich nur ca. 15 km, aber dazwischen liegt Wasser, was den kürzesten Weg mit dem Auto ca. 60 km lang macht. Als Fahrradfahrer hat man freilich nichts von der Autobahn, so dass man den geografisch kürzesten Weg wählt: die 222 bis zum Strand nach Grisslinge, dann weiter auf der 274 Richtung Stenslätten. Das ist das nordwestliche Ende der Insel, auf der wir wohnen, gut 20 km von hier entfernt.

Ab dort fährt dann eine Autofähre nach Rindö, eine Insel, die schon zu Vaxholm gehört und die historisch bedeutend ist, weil sich dort Festungsanlagen befanden. Auch heute kann man noch eine Festung besichtigen. Die Insel ist aber auch sonst ungewöhnlich. Obwohl sie auch im Westen nur über eine Autofähre angebunden ist, wohnen rund 1000 Menschen auf ihr. Es gibt eine Buslinie, die einige Male am Tag fährt, eine Schule, einen kleinen Supermarkt und zwei Restaurants. Die Hauptstraße in der Mitte ist gut ausgebaut und verfügt sogar über weite Teile über einen Radweg. Die Westfähre verkehrt fast rund um die Uhr. Ein ziemlicher Kontrast zu vielen Schäreninseln, wo nur eine Handvoll Leute leben, Schotterpisten die Regel sind und ohne Boot fast nichts zu machen ist.

Kein Wunder also, dass man dort Ausbaupläne für eine Art Schärenstadt hat. Nebenan auf Vaxholm ist es auch schon ziemlich voll. Allerdings ist anscheinend kein Bau einer festen Straßenverbindung in Sicht.

Also fuhren wir Fähre an der Festung vorbei nach Vaxholm hinüber. Rund 33 km betrug die ganze Strecke (ein Weg, wohlgemerkt). Nach kurzem Spaziergang, Mittagessen und Eis ging es wieder zurück. Der Rückweg war freilich anstrengender, weil man schon spürt, wenn man solche Strecken nicht öfters fährt. Wir waren auch die einzigen, die auf die Idee kamen. Zwischen Grisslinge und Stenslätten begegneten wir praktisch keinen Radfahrern. Schade eigentlich, denn die Tour wäre es wert.

Nach insgesamt 8 Stunden waren wir wieder zurück. Hintern wund, Waden strapaziert – aber es hat sich gelohnt.