Der Bus war es (wahrscheinlich) nicht

Gute 6 Wochen nachdem ein Bus bei Slussen auf einen belebten Platz gerast ist und einige Menschen verletzt hat, ist der technische Bericht der Polizei erschienen. Das ist jetzt zwar auch schon drei Tage her, aber ich wollte es noch nachreichen.

Der Befund ist recht simpel: keine relevanten Sicherheitsmängel konnten an dem 15 Jahre alten Bus gefunden werden. Meine leise Vermutung, dass es nicht der zunächst vielgescholtene und mit seinen 15 Jahren vermeintlich viel zu alte Bus war, sondern leider die Busfahrerin, ist damit erheblich wahrscheinlicher geworden.

Leider deswegen, weil man natürlich niemandem wünscht, so einen Fehler zu machen – immerhin hätte mir auch ein Fehler mit tragischen Konsequenzen jederzeit passieren können. Wenn aber Lenkung und Bremsen versagt haben sollen, der Bus jedoch einwandfrei war, dann kann es eigentlich nur menschliches Versagen gewesen sein.

Gute und schlechte Ideen

Ein Fahrkartenautomat, wie sie nun verschwinden.

Eine Schnapsidee wurde neulich ziemlich beiläufig beerdigt.

Stockholm sieht sich ja gerne als hochmoderne Großstadt. Eine Erfindung hat es über nur mit deutlicher Verspätung hierher geschafft: der Fahrkartenautomat. Das ist nicht weiter schlimm, wenn an keine braucht, aber durchaus, wenn doch.

Als 2007 den Busfahrern untersagt wurde, Tickets an Bord zu verkaufen, war das ein Problem. Einen Fahrkartenautomat kauft man schließlich nicht von der Stange, sondern muss an das jeweilige Tarifmodell angepasst sein. Man kam mit einer scheinbar eleganten Lösung: umgebaute Parkscheinautomaten verkauften Einzelfahrscheine.

Leider war das dann doch nicht so praktisch. Die Automaten nahmen keine Scheine. Kreditkarten wurden genommen, aber nur schwedische Karten. Für Touristen war das natürlich vollkommen wertlos. Aber auch Tests mit echten Schweden ergaben, dass ein Drittel am Kartenkauf scheiterten. Insgesamt also doch eher eine schlechte Idee. Vermutlich wären sie besser gefahren, wenn sie echte Fahrscheinautomaten genommen hätten.

Vor einigen Wochen wurde nun als Randnotiz verkündet, dass die Automaten nun abgeschafft werden. Grund: neue Sicherheitsstandards beim Kartenkauf machten es nötig, sie aufzurüsten, was sich aber nicht lohne. Also werden die mittlerweile 435 Automaten abgebaut. Tragisch ist das nicht so sehr, denn mittlerweile gibt es Automaten, wo man das neue Chipkartensystem SL-Access aufladen kann. Zwar nehmen diese Automaten kein Bargeld und sind auch nur zu gebrauchen, wenn man schon die Chipkarte hat. Angesichts der Nachteile der Parkscheinautomaten kann man das aber sicherlich als adäquaten Ersatz ansehen. Touristen werden freilich weiterhin einigermaßen ratlos bleiben.

Retro mal ganz anders: Doppeldeckerbusse kehren zurück

Eine andere neu-alte Geschichte ist diese hier: ab kommenden Montag werden im Nahverkehr wieder Doppeldeckerbusse in Stockholm herumfahren. Das ist eine kleine Kuriosität, denn dieser Bustyp wurde vor rund 35 Jahren in dieser Stadt abgeschafft.

Der Grund ist simpel: die Stadt Norrtälje, rund 70 km von Stockholm entfernt, ist ausschließlich durch Busse angebunden. 4000 Pendler machen jeden Tag den weiten Weg, und das braucht eine Menge Busse. Die sind nicht selten voll, was man schon am Zielschild „fullsatt“ (voll besetzt) erkennen kann. Die Doppeldecker sollen das nun ändern, denn die Zahl der Plätze pro Bus wächst so von 56 auf 84.

Generell halte ich das Ganze für eine gute Idee. Was aber nicht heißt, dass es noch nicht eine bessere gibt. Denn der Bustakt auf der Strecke Norrtälje-Stockholm hat schon jetzt ein irrwitziges Maß erreicht, und da sind Doppeldecker ein Herumdoktern an den Symptomen, nicht aber an der Ursache. Dabei ist die wirkliche Lösung gar nicht so schwer: Norrtälje hatte früher nämlich Bahnverkehr, bevor die Strecke Anfang der 1980er Jahre eingestellt wurde. Die Trasse besteht heute in Teilen immer noch, und es wäre höchste Zeit, eine Wiederherstellung in Angriff zu nehmen. Davon redet bislang aber kaum einer.

Ganz schlechte Idee: Lobbyist als Verkehrsminister

Leider habe ich mittlerweile das Vertrauen in das zuständige politische Personal etwas verloren – der Verkehrsminister für die Region Stockholm, Christer G. Wennerholm, ist nämlich in Personalunion gleich auch noch Vorsitzender einer Straßenbahnlobbyorganisation. Einen Interessenkonflikt sieht er darin anscheinend nicht, und es wirkt nicht ganz zufällig, dass ein Ausbau der U-Bahn bei ihm nicht so wirklich konkret wird und auch nur nach hartem Druck überhaupt auf die Agenda kam. Dass so jemand im Amt bleibt, halte ich für eine schlechte Idee.

Ich bin zwar ein großer Fan von Straßenbahnen, aber es kann nicht angehen, dass sie ein Selbstzweck ist. Auch U- und S-Bahn brauchen in Stockholm einen Ausbau.

Alles wird teurer – auch SL: 790 Kronen für ein Monatsticket

Eine der wenigen großen Änderungen in den letzten Jahren: das Chipkartensystem SL Access (Bild: Morner, CC BY-NC-SA 2.0)

Gestern verkündete die Provinzregierung ihre Finanzpläne. Dazu gehörte unter anderem, dass die Monatskarte für den Nahverkehrsverbund ab September 790 kr (ca. 88€) kosten soll.

Da das so gut wie jeden im Großraum Stockholm betrifft, schlagen die Wellen natürlich hoch. Viele halten das für gierig und für ungerecht gegenüber den Ärmeren. Einige sehen Schweden im Niedergang.

Die Provinzregierung hat die Sache auch vollkommen im Griff. Der Finanzlandrat – oder eher Finanzminister, wenn man schon irgendeinen deutschen Begriff dafür finden will – Torbjörn Rosdahl parierte die Attacken auf die Erhöhung sogleich mit einem passenden Vergleich: 100 kr entsprechen drei Tüten Chips. Stimmt vermutlich auch, aber mit einem derart bescheuerten Argument kann man wohl niemanden auf seine Seite ziehen. Er entschuldigte sich auch im Nachgang.

Kennt sich mit Chipstüten aus: Torbjörn Rosdahl

Manche finden, dass sich die Stockholmer mal nicht so anstellen sollen, denn woanders sei es doch viel teurer, z.B. in Glasgow. Göran Elmertoft findet das gar nicht so teuer, und das bloggt er gleich zweimal. Mancherorts wird sogar angedeutet, die 48% der Stockholmer, die laut DN-Umfrage jetzt nicht mehr mit dem Nahverkehr fahren wollen, würden ihre Drohung nicht wahrmachen.

Womit er sicherlich recht hat. Die Stockholmer werden diese Erhöhung schlucken wie alle anderen davor – und wenn sie es nicht wollen, dann sollen sie nächstes Mal links der Mitte wählen, was sie bislang nur in Ausnahmefällen taten.

Der Nahverkehr wird zu 50% über die Ticketeinnahmen finanziert. Im Grunde bestimmt also der Unter- oder Überschuss in der Kalkulation, wie teuer die Tickets sein müssen. So einfach ist das dann aber doch wieder nicht, weil es natürlich über Ticketauswahl und dergleichen allerhand weitere Stellschrauben gibt. Man kann in jedem Fall feststellen, dass der Ticketpreis schneller steigt als die allgemeine Preisentwicklung. Das merke ich auch: als ich 2005 nach Stockholm kam, kostete die Karte 600 kr. Sie ist also seither 31% teurer geworden, was 4,7% pro Jahr entspricht.

Die Frage ist also: ist der Nahverkehr so viel besser geworden, dass er diese Steigerungen rechtfertigt? Die Antwort ist aus meiner Sicht: leider nein.

In den letzten 6 Jahren sind nur drei Schienenprojekte in Angriff genommen worden: die Verlängerung der Tvärbanan, die Untertunnelung Stockholms für die S-Bahn und der Ausbau der Straßenbahn in der Innenstadt. Alles drei sind keine großen Würfe, und alle drei sind alles andere als fertig. Bleibt nur noch, zu sagen, dass die U-Bahn am Wochenende auch nachts fährt. Und der Busverkehr? Mag sein, dass der gewachsen ist – aber das wurde der Allgemeinheit auch mit Einführung der Trängselskatt versprochen. Für meinen Wohnort kann ich sagen, dass es fluktuiert, aber kein Trend nach oben zu erkennen ist. Kurz nach Einzug wurde uns eine Buslinie genommen, die nach einem Jahr wiederkam. Dann wurde uns eine schnelle Verbindung in die Stadt genommen, die nach einem halben Jahr eingeschränkt wieder kam. Ausbau sieht anders aus.

Zwar ist es richtig, dass auch unter sozialdemokratischer Regierung die Ticketpreise erhöht wurden. Jedoch haben die Bürgerlichen mindestens genauso zugelangt. Es wäre zumindest wünschenswert, diese Erhöhung mit irgendeiner Perspektive, irgendeinem visionären Projekt zu verbinden. Davon ist aber nichts zu hören, und so schallt die Erinnerung umso lauter, dass noch letzten Herbst hochheilig verkündet wurde, dass es 2011 keine weitere Erhöhung geben werde. Das kommt nicht gut an.

Ganz machiavellistisch kommt diese Maßnahme zum Beginn der Amtszeit – bis 2014 wird sie längst vergessen sein und keinerlei Effekt mehr haben. Immerhin kann man hoffen, dass es bis dahin eine Partei im Län gibt, die den Nahverkehr modernisieren und ausbauen will. Eine solche sehe ich bislang nämlich nicht so wirklich.

Butler in der U-Bahn

Der Jugendverband der derzeit regierenden bürgerlichen Moderaten MUF hat dieses Video zum neuesten Vorschlag der Stockholmer Sozialdemokraten, eine „Butler“-Dienste in der U-Bahn einzuführen, gedreht. Man muss ihnen ein Kompliment machen: das Ergebnis ist nicht zum fremdschämen, und das kann man bei kreativen Auswüchsen von politischen Jugendverbänden schon als Erfolg betrachten.

Ich weiß nicht so recht, was ich von dem Vorschlag halten soll. Neue Einrichtungen in den U-Bahnen finde ich nicht verkehrt. Mir fällt spontan nur ein Geschäft ein, das sich auf dem Bahnsteig befindet: ein Schlüssel- und Schuhdienst in der Station Karlaplan. Wenn es da ungenutzte Räume gibt, spricht nichts dagegen, diese zu nutzen, sei es nun für Geschäfte oder eben Dienstleister. Den Vorschlag aber als „Butler“-Dienst zu bezeichnen, der Stockholmern helfen soll, ihre Freizeit besser zu nutzen, erscheint mir aber etwas weit hergeholt. Das erinnerte mich an das etwas unnötig erscheinende Bahnsteigspersonal des neuen U-Bahn-Betreibers MTR.

Das alles macht auf mich den Eindruck, die Sozialdemokraten verfolgen als Wahlkampstrategier, jede Woche eine neue Sau durchs Dorf (bzw. die Stadt) zu treiben. Vielleicht haben sie Angst, dass ambitionierte Nahverkehrspläne nicht ausreichen, und glauben, man müsse nun mit plakativen Forderungen eins draufsetzen. Erst kürzlich versprachen sie, Kinder bis 12 gratis fahren zu lassen und die Fahrkartenpreise zu senken. Außerdem soll der nach der letzten Wahl abgeschaffte Einheitstarif für alle Fahrten in der Region wieder kommen.

Das Problem ist nur, dass das alles Geld kostet. Der Einheitstarif wurde nämlich nach nur einem Jahr abgeschafft, weil er SL Verluste bescherte. Mit der Freigabe der U-Bahn-Stationen für externe Anbieter kann man vielleicht etwas einnehmen, aber das kann die ganzen anderen Pläne kaum finanzieren. Die Frage ist: hat die Region Stockholm denn so viel Geld?

Tunnelbana ausbauen

Der ehemalige Chef des Stockholmer Nahverkehrsverbundes SL, Lennart Jangälv, hat im Svenska Dagbladet diesen Debattenartikel geschrieben: Bygg ut Stockholms tunnelbana („Baut die Stockholmer U-Bahn aus“)

Wer nicht des Schwedischen mächtig ist, dem seien die Kernpunkte genannt:

  • In Nordschweden rollen die Züge, weil man dort Respekt vor der Natur hat und sich dementsprechend darauf eingerichtet hat.
  • Es fehlt an weitsichtiger Projektplanung in Stockholm. Früher baute man den Essingeleden und die zentralen Teile der U-Bahn, obwohl noch gar nicht absehbar war, dass die Kapazitäten gebraucht würden. Heute begnügt man sich mit einer kleinen Innenstadtstraßenbahn, wenn man einmal von der Förbifart absieht. Die U-Bahn betrachtet man als abgeschlossen. Er fragt rhetorisch, auf was die Bewohner von Außenbezirken sich freuen könnten. Die Antwort gibt er gleich als neue Frage: 100.000 neue Einwohner und Reisende?
  • Er fordert von der Regierung einen Ausbau des Netzes.

Ich fand den Artikel höchst interessant und kann eigentlich nur auf ganzer Linie zustimmen. Es wird zu spät geplant und dann auch nur für den aktuellen Bedarf, ohne Vorausschau auf eine langfristige Weiterentwicklung.

Historisch

“Historische” Straßenbahn

Eine touristische Attraktion der besonderen Art ist Stockholms Djurgårdslinje. Es handelt sich dabei um eine alte Straßenbahnlinie, die vom früheren Straßenbahnnetz Stockholms übrig geblieben war. Das hatte man nämlich im Zuge der Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr am berühmten Dagen H endgültig abgeschafft.
Eine Linie ließ man allerdings als Museumslinie übrig, die seither im Sommer und an Wochenenden fährt. Leider ist sie nur sehr bedingt eine Unterstützung des Verkehrsnetzes, da sie erst ab Norrmalmstorg fährt und die Touristenmassen stattdessen ab der Innenstadt mit notorisch überfüllten Bussen nach Djurgården gebracht werden müssen. Zwar fahren diese im Sommer praktisch ständig, aber die Kapazitäten reichen nicht aus.

Eigentlich sind auf der Linie auch nur historische Wagen unterwegs. Umso überraschter war ich, als ich die oben gezeigte Bahn sah – so historisch schien mir die nicht zu sein. Es handelt sich um einen Wagen der Madrider Straßenbahn, der offenkundig ausgeliehen wurde.

Erfreulich ist übrigens, dass die Linie ausgebaut werden soll – das wäre sicher eine Bereicherung für den Innenstadtverkehr.

Wandel leichtgemacht

Meine unglaublich vielen treuen Leser wissen ja, dass mein Verhältnis zum Nahverkehrsverbund in Stockholm, Stockholms Länstrafik, kurz SL, etwas zwiespältig ist.

Das Problem, dass Busfahrer ausgeraubt wurden, wollte man dadurch lösen, dass man gar keine Fahrkarten mehr im Bus verkaufen wollte. Da gab es nur ein kleines Hindernis: SL hat schlichtweg keine Fahrkartenautomaten. Das ist für so ein modernes Land schon recht grotesk. Umso überraschender die Ankündigung, man wolle bis April welche anschaffen. Ich hatte mich natürlich gefragt, wie man diese Neuentwicklung so schnell über die Bühne kriegen will – und hatte die SL-Menschen etwas unterschätzt, denn man hat dort eine recht pragmatische Lösung gefunden: man nimmt einfach entsprechende Parkscheinautomaten. Ich habe nämlich einen dieser Automaten entdeckt:

Fahrkartenautomat Stockholm

So simpel die Lösung auch ist, so elegant ist sie. Nur der Verkauf von Monatskarten wird hiermit natürlich nicht gehen.

Am Montag mache ich einen Anstellungstest, damit ich im Sommer als Busfahrer in Stockholm arbeiten kann. Drückt mir die Daumen!

Uiuiui

Hoch, runter, links, rechts – Masterarbeit, Relativitätstheorie, Sittensen und jetzt tritt auch noch Merz zurück. Man hat es wirklich nicht leicht.

Eigentlich hatte ich so viel vorbereitet gehabt, aber da ich derzeit etwas fleißig bin, kam das Schreiben zu kurz.
Daher kommt nun die Kurzfassung:

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Dieser komische Typ aus der Media Markt-Werbung, der anscheinend einen Deutschen darstellen soll, bekommt jetzt auch noch einen Namen: Peter Antoine – Gott allein weiß wohl, wie sie darauf gekommen sind. Er sagt übrigens: „Wenn ich diese Angebote verpasse, werde ich saurer als Tante Helgas Sauerkraut.“

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Geradezu aufgeräumt wirkt da diese Meldung aus der U-Bahn-Zeitung „City“ von letzter Woche: das Bild ist einfach grau, die Schlagzeile eher schwarz: „Milde Strafen für Totschlag“

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Viel erfreulicher hingegen diese Meldung – SL hat ja kürzlich SMS-Tickets eingeführt. Man schickt eine SMS an eine bestimmte Nummer, und erhält dafür eine Nahverkehrskarte als SMS zurück. Dieser Bericht handelt davon, dass man da leicht bescheißen könnte. Wie dieser Betrug allerdings vonstatten gehen soll, bleibt unbekannt.

Mein aktueller Gewichtsstand hat die 97 kg unterschritten und war auch schon unterhalb der kritischen Grenze von 96,1 kg (das entspricht bei mir Body-Mass-Index von 30). Natürlich muss das noch weitergehen, denn schon im März ist mein erster Lauf.

Zum Abschluss das Wetter (in diesem Zusammenhang auch interessant): nach einigen Tagen mit Ekeltemperaturen um die 0°C (alles nass, alles rutschig) hatten wir gestern dann wieder etwas Schnee und heute -5 °C. Der Winter bleibt trotzdem eine Enttäuschung. Meinen Thermometer habe ich kürzlich auf Reset gesetzt, um Höchst- und Tiefsttemperaturen zu messen. Bisher war die Spanne zwischen 5,1 °C und – 10,8 °C – das ist in der Tat etwas dürftig für einen schwedischen Winter.

Sülze

Alles wird schlechter.

Bei LIDL sind die Regale dünn bestückt – Milch und Joghurt gibt es nicht, Kartoffeln nur in 10-Kilo-Säcken. Im Regal mit den eingelegten Oliven steht ein reichlich verschimmeltes Glas in der ersten Reihe. Ich komme mir vor wie auf einer Hamsterfahrt in den 40er-Jahren. Damals hat man den Schimmel aus der Not heraus einfach oben abgehoben – da kann man das heute wenigstens im Regal stehen lassen. Man soll ja nicht meckern. Wenigstens sind die leckeren Pilzmischungen und der Spinat nicht aus.

Auf dem Rückweg schmieren meine Scheibenwischer derart, dass wir einen Boxenstopp bei der Tankstelle einlegen. Wir rätseln zuvor, was wohl Scheibenwischerblätter auf Schwedisch heissen mag. Den besten Vorschlag, den wir haben, ist „fönsterputsare“. Ich kann dank meiner familiären Vorbildung an einem Auto das Öl, die Reifen und auch einige Lampen wechseln – aber beim Scheibenwischer versage ich kläglich. Ein Trauerspiel.

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Die letzte Media Markt-Kampagne „So billig, dass mir die Bratwurst im Hals stecken blieb“

Später auf dem Weg zu Anita: meine Nahverkehrskarte, die ich am gleichen Morgen für teures Geld (600 SEK = 65,92 €) gekauft habe, ist verschwunden. Ich fahre trotzdem los, kehre dann aber dann nochmal um. Es stürmt, Erinnerungen an Lothar kommen auf. Ich kaufe eine neue Karte.

So bin ich innerhalb eines Tages 220 € losgeworden – und was habe ich davon? Nicht viel, aber immerhin ein LIDL-Fondueset.

Weil der gestrige Tage also nur mittelmässig war und SL daran stark beteiligt war, ist der allseits beliebte Stockholmer Nahverkehrsverbund heute auch meine Bashing-Zielscheibe.

Treue Leser werden sich erinnern: bei SL gibt es bislang keine Automaten, so dass ABMler am U-Bahnhofseingang Tickets verkaufen müssen. Machen die dann Pause, geht SL mehr Geld durch die Lappen als dieser Mensch überhaupt in der Stunde verdient. Sinnigerweise will man jetzt auch noch aus Sicherheitsgründen den Fahrkartenverkauf in Bussen verbieten.

Als ich nach Schweden kam, kostete eine Einzelfahrt im SL-Netz 40 kr (ca. 4,39 €). Dann senkte man diesen Irrsinnspreis auf 20 kr ab. Für Mehrfahrer gab es Abstempelkoupons, so dass man bei Kurzfahrten mit rund 14,50 kr davon kam. Letztes Jahr im Mai hatte man auch die sogenannte „enhetstaxa“ eingeführt – ein Fahrpreis für alle Fahrten innerhalb des SL-Gebiets. Dadurch wurden zwar die Karten leicht teurer – Koupons kosteten jetzt 18 kr – dafür wurde aber das System erheblich einfacher und im Schnitt auch billiger. SL kostete die Aktion allerdings 100 Millionen Kronen pro Jahr. Geld, das sie natürlich nicht haben.

Planka.nu demonstranter

Die U-Bahn-Zeitung Metro heute mit einem Bild von planka.nu-Demonstranten, die gegen die neuen Preise demonstrieren

Soweit, so gut – eigentlich konnte man damit schon einigermassen leben. Die neue Preispolitik ab diesem Jahr macht damit aber Schluss. Einzelfahrten kosten ab 29. Januar wieder 40 kr. Wenigstens bemüht man sich um eine halbwegs anständige Begründung: die vielen Käufer von Einzelfahrkarten hätten zu Schlangen am Einkaufsschalter und beim Busfahrer geführt, und damit letztendlich auch zu Verspätungen.

Daher beglückt man die Stockholmer auch mit wenigstens einer wirklichen spannenden Neuerung: ab 29. Januar kann man Einzelfahrkarten auch per SMS kaufen – und dort kosten sie nur 26 kr. Ausserdem werden als Vorboten eines neuen Fahrkartenautomatensystems namens SL Access – man lese und staune – Fahrkartenautomaten aufgestellt.

Zu früh sollte man sich allerdings nicht. Der Einheitsfahrpreis ist ab 1. April Geschichte, wenn ein neues Zonensystem eingeführt wird. Dann gibt es zwar nur 3 Zonen, nicht wie früher 5, aber eine Einzelfahrt ist dann sogar bei im voraus gekauften Mehrfachfahrkarten bis zu 40 kr teuer. Einzelfahrten werden dann zwischen 26 kr und 52 kr kosten. Die Monatskarten werden dann 620 kr kosten – ich sollte sie also tunlichst nicht verlieren. Der Studentenrabatt ist anscheinend auch vom Tisch. Immerhin: der Fahrkartenverkauf in Bussen wird auch bis April weitergeführt.

I have to admit it’s getting better, it’s getting better all the time…

ÖPNV-Wunderland

Neue Kampagne Media Markt (1)

Die neue Media Markt-Kampagne – Übersetzung eigentlich unnötig

SL, seines Zeichens Nahverkehrsverbund für ganz Stockholms Län, ist in vieler Hinsicht einzigartig.

Er ist beispielsweise ein Kabinett der Absurditäten. Obwohl die Züge der U-Bahn hochmodern sind und so langsam wohl auch der allseits verhasste Nahverkehrszug Pendeltåg unter neuer Führung ab und an pünktlich kommt, leistet man sich allerhand Anachronistisches. Vor allem gibt es keine Fahrkartenautomaten – ja, diese nicht gerade moderne Einrichtung hat Stockholm noch nicht erreicht. Den Verkauf von Einzelkarten nehmen dann Leute in den Kabinen am Stationseingang vor. Zwar will ich meine Partei hier nicht anschwärzen, aber mir kommt es manchmal so vor, als seien diese Arbeitsplätze das Ergebnis einer verzerrten sozialdemokratischen Philantropie. Denn man scheint bewusst einiges in Kauf zu nehmen, um diese Jobs zu erhalten – koste es, was es wolle, im wahrsten Sinne des Wortes.
Wenn beispielsweise ein solcher Fahrkartenverkäufer Pause macht – und das kommt meiner Einschätzung nach ziemlich oft vor – dann kann jeder die Sperre vor ihm ganz offiziell passieren, ohne ein Ticket kaufen zu müssen. Es ist die amtliche Absegnung der Schwarzfahrerei. Ohne zu übertreiben kostet so eine 10minütige Pause den SL mehr, als dieser Mitarbeiter in der Stunde verdient. Hinzu kommt, dass diese Leute auch nicht gerade ein Beitrag zum Service sind. Drückt irgendein Idiot am Wochenende auf den „Nödstopp“ der Rolltreppen, so bequemt sich dieser nicht etwa mit dem entsprechenden Schlüssel hin und wirft das Gerät wieder ein an. Nein, notfalls steht sie es bis Montagmorgen.
Ebenso seelenruhig schauen sie auch zu, wenn Schwarzfahrer die elektronischen Sperren überspringen. Noch schlimmer ist es, wo es solche Sperren gar nicht gibt und sie die Fahrkartenkontrolle direkt übernehmen. Schwarzfahren kann man hier eigentlich immer, wenn man sich nicht allzu blöd anstellt.

.SE Reklam Pamuk

Die Domainendung .se ist in Schweden nicht allzu beliebt – .nu und .com werden nämlich sehr gerne genutzt. Daher macht man jetzt Werbung für .se-Domains und nimmt dazu auch gerne den aktuellen Literaturnobelpreisträger zu Hilfe. Ich nehme allerdings nicht an, dass der diese Woche Busse fahren wird.

Sicherlich kann man ihnen die letzteren beiden Dinge im Interesse ihrer eigenen Sicherheit nicht wirklich vorwerfen. Dennoch stellt man sich die Frage, was diese Menschen mehr tun als ein Fahrkartenautomat mit Abstempelfunktion. Man kann bei ihnen ja nicht mal alle Fahrkartensorten erwerben. Ausser 10er-, 20er- und Einzeltickets gibt es bei ihnen nämlich nichts zu kaufen – den Verkauf von Dauerkarten aller Art übernehmen Kioske.
Es gibt übrigens einen Pilotversuch für die Einführung von Fahrkartenautomaten – diese verkaufen aber nur Dauerkarten.

Der Gipfel der Absurdität kommt in der aktuellen Debatte um die Busfahrer. Die wurden in der letzten Zeit nämlich des Öfteren ausgeraubt, was schon einmal kurzzeitig zu der Massnahme führte, dass sie keine Karten mehr verkaufen durften, um keine Geldbestände an Bord zu haben. Ab 1.1.2007 ist das nun auch der Dauerzustand: Karten gibt es an Bord nicht mehr. Ein paar hellen Köpfen bei SL und den regionalen Behörden ist nun dann auch schon gedämmert, dass man dann ja nirgendwo mehr Karten kaufen kann, es sei denn, ein Kiosk ist unmittelbarer Nähe der Haltestelle.

Manchmal scheint es mir nicht verwunderlich, dass die Monatskarte über 60 € kostet.

Für manche Dinge kann der SL aber wenig. Als im Frühjahr der Versuch zur Gedrängesteuer („Trängselskatt“) genannten Stadtmaut für Stockholm lief, wurden die Einnahmen daraus direkt in den öffentlichen Nahverkehr gepumpt. Heraus kamen u.a. eine Menge Buslinien, die zur Kenntlichmachung mit einem X versehen wurden. Das erweiterte Budget für 2006 konnte wegen des Machtwechsels nicht mehr gesichert werden. Dementsprechend fallen die X-Linien von 151X bis 815X dem Rotstift zum Opfer. Die kürzen Intervalle der U-Bahn bleiben aber glücklicherweise erhalten – wenn sie denn nicht von technischen Problemen geplagt ist.

Die neue Regierung hat auch schon erste Massnahmen beschlossen. So soll im nächsten Jahr eine verbilligte Monatskarte für Studenten eingeführt werden (endlich!). Dafür wird aber die reguläre Karte teurer und das Zonensystem für die Tarife der Einzelfahrkarten wird auch wieder eingeführt.

Richtig weit vorne ist SL in Sachen Umwelt. Sie machen derzeit Werbung mit dem hier:

SL Biogas (1)

SL Biogas (2)

Darauf bedankt sich SL bei all denjenigen, die kürzlich Sushi, Köttbullar usw. gegessen haben. Der Grund: aus den Abwässern Stockholms wird Biogas gewonnen, mit dem die Biogasbusse fahren.
Na dann Guten Appetit!

PS: Der Anlass dieses Artikels ist meine heutige Busfahrt hierher, auf der ich diese Fotos geschossen habe.