Sweden’s next Top Sozi

Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)
Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)

Ich lese jeden Tag die Zeitung, habe aber manchmal das Gefühl, dass ich nicht so recht weiß, was in diesem Land eigentlich passiert. Am Samstag ist beispielsweise Håkan Juholt zurückgetreten. Den muss man nicht kennen, aber er war Parteivorsitzender der schwedischen Sozialdemokraten. Was auch schon das Problem aufzeigt. Nicht, dass er der Top-Sozi war, sondern dass ihn keiner kannte.

Vertrauen konnte er nämlich nicht aufbauen. Als er in das Amt kam, fragte man gemeinhin „Håkan wer?“. Nüchtern betrachtet war er der Vorsitzende von Rudis Resterampe: schlicht einer der wenigen, die nicht sofort mehr oder weniger dankend abgelehnt haben.

Am Samstag verlas er nun seine Rücktrittserklärung, in seinem Heimatort Oskarshamn in einem Einkaufszentrum neben einer Rolltreppe. Genauso würdig und glamorös wie seine Amtszeit.

Ich fragte mich, was denn nun eigentlich passiert war. Ich verstehe es bis heute nicht ganz. In den Tagen davor waren schon Rücktrittsandeutungen durch die Presse gegeistert. Nur warum es ausgerechnet jetzt zum Rücktritt kommen sollte, blieb unklar – im Gegensatz zu den deutschen Medien hat man es in Schweden nicht so mit Dossiers und Erklärstücken. Wer etwas verpasst hat, darf rätseln, wie das nun zustande kam.

Etwas Licht brachte für mich allenfalls diese Zusammenfassung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT (für die des Schwedischen mächtigen):

Der Rücktritt ist eine Spätfolge einer Affäre aus dem Oktober 2011. Es kam heraus, dass Juholt das für auswärtige Reichstagsabgeordnete zustehende Mietgeld für die volle Miete einer Stockholmer Wohnung bezogen hat, obwohl er dort nicht allein lebte und die Miete somit geteilt hätte werden müssen. Zudem hatte er anscheinend davon gewusst, aber nicht darauf reagiert. Er ware nahe des Rücktritts, aber er machte den Wulff: entschuldigte sich und gelobte Besserung. Die Sache schien bald überstanden, auch wenn sich kleinere Ungeschicktheiten in seinen Äußerungen wiederholten.

Aus deutscher Sicht handelt es sich freilich um Lappalien, wenn man bedenkt, in welchem Maße sich der werte Herr Bundespräsident schon beschenken hat lassen und das alles für so gar nicht rücktrittswürdig hält. Falsche Wohnungsabrechnung und ein paar unglückliche Statements nehmen sich dagegen lächerlich aus.

Die Umfragewerte gingen in den Keller, und ich nehme an, dass es letztendlich diese Zahlen sind, die zwei Landesverbände der Sozialdemokraten dazu bewegte, Juholts Rücktritt zu fordern. Am Samstag zog er die Reißleine und wurde damit der Parteivorsitzende mit der kürzesten Amtszeit.

Ob das für die Partei gut oder schlecht ist, wird sich noch zeigen. Ich tendiere zu ersterem. Juholt hat anscheinend von Anfang an nur diejenigen voll überzeugt, die sowieso alles gut finden, was die Partei entschieden hat. Bei denen, die man von den Moderaten wieder zurückholen müsste, hat er aber nur vorübergehend Sympathien geweckt.

Unter normalen Umständen ist die Regierung ein Jahr nach der Wahl am unbeliebtesten, weil sie unbequeme Maßnahmen und Klientelpolitik auf den Anfang der Legislaturperiode legt, während man Wohltaten kurz vor die Wahlen legt, um danach weitermachen zu dürfen. In Schweden ist es derzeit genau umgekehrt: bis auf die Grünen steht die Opposition so schlecht da wie nie.

Ich denke, die Sozialdemokraten haben immer noch nicht gelernt, mit der nach wie vor ungewohnten Oppositionsrolle umzugehen. Es kommt mir so vor, als wolle man die altbekannten Rezepte einfach solange neu aufsagen, bis die Schweden wieder darauf anspringen. Diese Regierung gefährdet das nicht, denn die Schweden haben keine Angst mehr vor den Bürgerlichen.

Ich habe gehofft, man würde dieses Mal nicht in typisch schwedischer Manier mit einer Wahlkommission auf Kandidatensuche gehen, sondern den Posten per Parteimitgliederabstimmung besetzen.

Danach sieht es leider wieder nicht aus. Aktuellen Berichten zufolge soll Anders Sundström gefragt worden sein. Dieser ist Chef der Versicherung Folksam und war zuvor mehrfach Minister und Reichstagsabgeordneter. Ich kenne ihn nicht aber wäre enttäuscht, wenn man erneut einfach irgendjemanden aus dem Hut zaubern würde. Um 15:15 Uhr soll es eine Pressekonferenz geben.

Andere heiß gehandelte Namen sind der ehemalige Juso-Chef Mikael Damberg, der aber erstmal abgelehnt hat, und die Generalsekretärin Carin Jämtin. Bislang nehmen sich die Kandidatenlisten im Vergleich zum letzten Mal kurz aus. Man muss wohl leider davon aus gehen, dass die ehemalige EU-Kommissarin Margot Wallström, die der ganzen Veranstaltung etwas Wiedererkennungswert und Grandezza geben könnt, wiederum nicht zur Verfügung steht.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Und hoffe, dass Bundespräsident Wulff doch noch den Juholt macht.

Update (15:28 Uhr): Die Pressekonferenz gab keine wirkliche Information außer, dass jetzt erst einmal beraten werden müsse. Am Freitag wird die Parteiführung zusammentreten. Sundström soll angeblich abgelehnt haben.

Update (15:43 Uhr): ein Punkt bei den letzten Querelen war auch, dass Juholt veranlasst haben soll, einen Posten aus dem oppositionellen Gegenvorschlag für den Staatshaushalt herauszustreichen. Dieser war dafür vorgesehen, die Qualität der Arbeitslosenversicherung wieder auf das Niveau zu bringen, das sie vor dem Antritt der Regierung Reinfeldt hatte. Sicherlich kein Riesenaufreger für die Allgemeinheit, aber natürlich ein Affront für weite Teile der Partei, denn das ist natürlich eine Herzensfrage für Sozialdemokraten – siehe auch diesen Artikel dazu (vielen Dank an Jan für den Hinweis).

Schwedens nächster Regierungschef (?)

Håkan Juholt, voraussichtlicher nächster Parteivorsitzender der Sozialdemokraten (Bild: http://politik.in2pic.com/ , CC)

Ich habe es seither nicht mehr erwähnt, aber die Suche nach einem neuen Parteichef für die schwedischen Sozialdemokraten, der am 25. März gewählt werden soll, ging den ganzen Winter weiter.

Das gleiche Spiel setzte sich fort: keiner der Gefragten hatte Lust, den Job zu machen. Pär Nuder, ehemaliger Finanzminister, wurde mehrfach gefragt, und sagte konstant nein. Zuletzt wurde auch Leif Pagrotsky gehandelt, ein relativ bekannter Politiker und ebenso ehemaliger Minister. Aber auch er sagte gestern endgültig und definitiv Nein. Schon länger geisterte eine Liste von vier Personen durch die Presse:

  • Mikael Damberg, ehemaliger Jusochef und Reichstagsabgeordneter, der aber anscheinend im Jugendverband für allerlei Spannungen sorgte.
  • Thomas Östros, Ex-Minister und Ökonom
  • Sven-Erik Österberg, ein weiterer Ex-Minister, ebenso spezialisiert auf Wirtschaft
  • Håkan Juholt, ehemaliger Journalist, derzeit Reichstagsabgeordneter und Vorsitzender im Verteidigungsausschuss

Aus dieser bunten Resterampe wurde nun heute ausgerechnet Juholt auserkoren, den Job zu machen. „Juholt? Wer zum Teufel ist Juholt?“ dachte ich mir, als ich das las. Nicht dass ich ein besonderer Kenner der Politszene wäre, aber mich beschleicht das Gefühl, dass ich nicht der einzige bin, dem das so gehen dürfte. Juholt stand nicht einmal auf der doch recht langen Liste potenzieller Kandidaten, die letzten Herbst kolportiert wurde. Er hat keine hohen Ämter bekleidet, keine illustren Parteiposten gehabt. Er ist weder jung noch scheint er ein ausgeprägter Charismatiker zu sein:

Ein Blick in die Leserkommentare der Dagens Nyheter:

  • Hasse schreibt: „Vollkommen unbekannte Person für mich. Ist das ein intelligenter Mann? Vielleicht sogar mit Universitätsexamen?“
  • Jan Stavaeus: „Gab es keinen, der noch reaktionärer war? […] Juholt scheint erzkonservativ zu sein und hat nicht den Hauch einer Chance gegen die Modernisten Reinfeldt und Borg“
  • Kalle: „Ist heute 1. April?“
  • F.d. moderat (ehemaliger Moderater): „Das ist ein richtiger Kerl. […] Man fühlt sich schon sicher, wenn man ihn nur sieht.“
  • Curre: „Kann ja wohl nicht wahr sein!“
  • Lennart S.: „Es war wohl der Schnauzbart, der den Ausschlag gab.“

Kommentare sind natürlich nie repräsentativ, aber vielversprechend ist das trotzdem nicht. Er wirkt mir jedenfalls nicht wie ein Hoffnungsträger für eine Partei, die frischen Wind dringend brauchen könnte. Vielleicht ist eine dritte bürgerliche Regierungsperiode gerade wahrscheinlicher geworden.

Man soll den Mann aber nicht vorzeitig begraben. Ab 25. März darf er zeigen, was er kann.

Och nö, lass mal…

Irgendwie hat man schon das Gefühl, dass schwedische Politiker „ehrlicher“ oder zumindest nicht so machtbesessen sind. Während man in Deutschland Abgänge wie die von Koch oder von Beust als außergewöhnliches Ereignis wahrnimmt, gibt es in Schweden Politiker, die sich nicht um jede Machtperspektive prügeln.

Da ist Schwedens größte Partei, die sich die meiste Zeit ihrer Geschichte in Dauerregierung befand, führungslos, und keiner will den Posten haben, der mit etwas Geschick ein Ticket für den Regierungschef ist.
Mona Sahlin ist ja bekanntermaßen zurückgetreten. Nun wirkt es so, dass keiner der potenziellen Nachfolger sich um den Job reißt. Vielmehr haben einige potenzielle Kandidaten gleich gesagt, dass sie keine Lust haben.

Ulrica Messing, ehemalige Infrastrukturministerin, hat kein Interesse. Sie hat eine eigene Firma gegründet und wird dabei bleiben. Pär Nuder, ehemaliger Finanzminister, bleibt auch lieber in der Wirtschaft. Margot Wallström, ehemalige EU-Kommissarin und heute im Auftrag der UN unterwegs, hat ihrer Meinung nach etwas besseres zu tun. Schade, denn sie hätte ich mir ganz gut vorstellen können. Sie bringt aber auch das nachvollziehbare Argument vor, dass sie seit 12 Jahren nicht mehr in Schweden lebt – auf der anderen Seite könnte genau das eine zweite Perspektive einbringen, die momentan bei den schwedischen Sozis fehlt. Thomas Bodström, dem ich auch nicht ganz abgeneigt gewesen wäre, hat auch gleich gesagt, dass er es nicht machen wird. Das ist nicht ganz so überraschend, denn er hatte erst vor kurzem seinen Abschied aus der Politik verkündet.

Damit sind also einige große Namen herausgfeallen, und es bleibt noch einiges für die Kandidatenfindungskommission zu tun.

Jag avgår som partiordförande

… war der Titel einer Mail, die ich gestern abend erhielt.

Das bedeutet zu deutsch: „Ich trete als Parteivorsitzende zurück“ und Absender war Mona Sahlin, Parteivorsitzende der Sozialdemokraten. Ausnahmsweise kein Spam, denn es stimmt wirklich.

Ich kann Thomas nur zustimmen: es ist erstaunlich, dass es so lange gedauert hat. Ich war ja schon recht enttäuscht nach der Wahl, als es kaum Diskussionen deswegen gab. Immerhin hatte sie das Kunststück fertiggebracht, das Ergebnis von 2006, welches schon das schlechteste seit 1914 war, noch einmal um 5% zu untertreffen und damit nur knapp an einer genauso historischen Schmach vorbeizuschrammen, nicht stärkste Partei zu werden.
Der Ablauf dieses Abgangs ist mir aber trotzdem schleierhaft. Vor einer Woche überraschte Sahlin damit, dass sie die Meinung vertrat, die ganze Parteiführung müsse nach dem Debakel seine Ämter zur Verfügung stellen. Dass sie auch Teil der Parteiführung ist, hätte ihr eigentlich klar sein müssen.

Ich kann nur punktuell die Stimmung in der Partei sehen, auf Facebook zum Beispiel. Ein Genosse schreibt über Nudeln, ein anderer ist deswegen im Radio eingeladen – ok, er ist aber auch Redakteur bei einer parteinahen Zeitung. Eine Genossin schreibt etwas wehmütig, dass ihre Stimmung nun gedrückt sei. Eine andere scheint eher wütend und findet, jetzt müssten die Reihen einmal aufgeräumt werden. Und dass Sahlin „gezwungen“ worden sei, abzutreten, auch weil sie eine Frau sei.

Letztere Aussage überrascht mich ehrlich gesagt nicht – weite Teile der Partei, oder zumindest die Kreise, die ich kenne, sind vom Feminismus beseelt und betrachten die Ereignisse sehr gerne aus dieser Perspektive. Soweit ich das beurteilen kann, war das auch der Grund, wieso man vor vier Jahren meinte, nun müsse unbedingt eine Frau ran. Dass Mona Sahlin nicht gerade die tauglichste Person für den Job ist, fand ich schon damals.

Ob ihr Geschlecht mit diesem Ende etwas zu tun hat, vermag ich aber nicht so recht zu beurteilen. Man kann sich durchaus vorstellen, dass ein Mann als Kandidat mehr dazu geführt hätte, das Duell mit Reinfeldt mehr zu einem archaischen Kampf zwischen zwei Alpha-Tieren zu stilisieren. Es fällt mir aber schwer, dies als zentralen Faktor für den Wahlausgang zu sehen.

Die eigentlich spannende Frage ist aber nun: was oder vielmehr wer kommt danach?

Was nach Sahlin kommt

Potenzielle Nachfolger für Sahlin, wenn sie nicht wiedergewählt wird. (Ausriss: DN)

Die sozialdemokratische Parteivorsitzende Mona Sahlin überraschte die Partei am Mittwoch damit, dass sie der Meinung ist, die ganze Parteispitze solle ihr Amt zur Verfügung stellen. Dem vorausgegangen war eine nach einer ziemlich saftigen Wahlniederlage ebenso ziemlich miese Stimmung im Laden. Schon vor einer Woche wollte der Jugendverband SSU, dass die Parteispitze abtritt.

Nun ist natürlich die Frage, ob Sahlin als Parteivorsitzende bleibt bzw. bleiben darf. Sie ist ja nicht zurückgetreten, sondern stellt sozusagen die Vertrauensfrage. Meiner Ansicht nach wurde das Zeit – ich konnte mich noch nie für sie erwärmen.

Laut lachen musste ich bei der obigen Übersicht, die ich eben in der Zeitung sah. Dort sind potenzielle Konkurrenten für Sahlin aufgelistet. Unter ihnen ist Thomas Bodström.

Seine Beschreibung lautet:

Ehemaliger Justizminister. Eine der bekanntesten Personen der Partei. Gut darin, Aufmerksamkeit zu schaffen.

Der letzte Punkt trifft es wie die Faust aufs Auge, denn darin ist er wirklich sehr gut. Die Frage ist nur, welche Art von Aufmerksamkeit die DN meinte. Bodström ist ja nicht nur ehemaliger Justizminister, sondern auch Krimiautor, Anwalt und war ganz früher mal Profifussballer. Aufsehen erregte er zuletzt dadurch, dass er der konstituierenden Sitzung des Reichstags fernblieb, weil er in den USA weilte. Er stellte daraufhin einen Antrag auf eine Auszeit vom Reichstag (sowas scheint in Schweden zu gehen), was aber abgelehnt wurde. Daraufhin beschloss er, der Politik (für den Moment zumindest) den Rücken zu kehren. Ich habe ihn mal getroffen und fand ihn sehr sympathisch. Den könnte ich mir trotz solcher Possen gut als Parteivorsitzenden vorstellen.

Große Präferenzen habe ich aber nicht. Ich hoffe nur, die Partei kommt nicht wieder auf die Idee, es müsse unbedingt eine Frau sein. Das schien nämlich nach der verlorenen Wahl 2006 wichtiger zu sein als alles andere. Dass diese Art der Quotierung vielleicht die Partei beruhigt, aber nicht unbedingt Stimmen bringt, hat man im September dann eindrücklich gesehen.

Das Endergebnis der Wahl zum schwedischen Reichstag

Es hat gedauert, weil man wegen der Stimmknappheit mehrfach nachzählte. Diesen Nachmittag wurde nun das Ergebnis des letzten der 6063 Wahlbezirke fertiggestellt.

Hier die Angaben, in Klammern die vorläufigen Ergebnisse vom Sonntag und die Ergebnisse von 2006:

  • Moderate (Moderata Samlingspartiet): 30,03 % (Sonntag: 30,0 %, 2006: 26,1 %)
  • Zentrumspartei (Centerpartiet): 6,55 % (Sonntag: 6,6 %, 2006: 7,88 %)
  • Volkspartei die Liberalen (Folkpartiet liberalerna): 7,05 % (Sonntag: 7,1 %, 2006: 7,54 %)
  • Christdemokraten (Kristdemokraterna): 5,60 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 6,59 %)
  • Sozialdemokraten (Arbetarepartiet-Socialdemokraterna): 30,69 % (Sonntag: 30,9 %, 2006: 34,99 %)
  • Linkspartei (Vänsterpartiet): 5,61 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 5,85 %)
  • Umweltpartei die Grünen (Miljöpartiet de gröna): 7,34 % (Sonntag: 7,2 %, 2006: 5,24 %)
  • Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna): 5,70 % (Sonntag: 5,7 %, 2006: 2,93%)
  • Piratenpartei (Piratpartiet): 0,65 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)
  • Feministische Initiative (Feministiskt initiativ): 0,40 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)

Wie man sieht, haben die Auslandsstimmen und andere später gezählte Stimmen das Ergebnis nur insofern beeinflusst, als dass die Moderaten etwas dazu gewonnen haben. Die letzten beiden Parteien habe ich hinzugefügt, weil sie erhebliche Aufmerksamkeit genossen haben und die beiden größten nicht in den Reichstag eingezogen sind.

Die konkrete Mandatverteilung wurde zur Stunde noch nicht bekanntgegeben. Jedoch wird nur mit minimalen Zugewinnen auf der bürgerlichen Seite gerechnet. Die drei Mandate Rückstand werden nicht auszugleichen sein. Damit hat die bürgerliche Koalition weiterhin keine Mehrheit und die Schwedendemokraten die Blockaderolle inne. Allerdings ist diese Verteilung auch gerecht, so unschön die aktuelle Situation auch sein mag. Die vier bürgerlichen Parteien haben rund 1900 Stimmen weniger erhalten als die gesamte Opposition. Eine Mehrheit wäre also nicht gerechtfertigt, sondern immer mit dem Makel behaftet, aufgrund eines unzulänglichen Wahlrechts zustande gekommen zu sein.
Dennoch ist es seltsam, dass die bürgerliche Koalition ihren Stimmenanteil steigern konnte und trotzdem keine Mehrheit hat – hier merkt man, dass eine Prozentsperre unter Umständen erhebliche Stimmanteile ausschließen kann.

Während man noch auf die weiteren Details wartet, kann man wie immer einen Blick auf die sonstigen Parteien richten, die gewählt wurden. Das ist immer recht spaßig, denn man darf in Schweden nach Lust und Laune irgendjemanden aufschreiben, was zu allerlei kreativen Auswüchsen führt.

Zunächst die Parteien, die sich im Vorfeld registriert haben:

  • Spritpartiet (Schnapspartei oder auch Alkoholpartei): ein Blick auf deren Homepage machte mir nicht auf den ersten Blick klar, ob sie denn nun für oder gegen Alkoholgenuss sind. Sie sind dagegen und wollen den Konsum halbieren. Immerhin 236 Stimmen haben sie dafür bekommen, wohl auch dank etwas Medienaufmerksamkeit.
  • Europeiska Arbetarpartiet-EAP (Europäische Arbeiterpartei): unter diesem verwirrenden Namen verbirgt sich die Schwesterpartei der deutschen BüSo, die beide in der sogenannten LaRouche-Bewegung vereint sind. Die Inhalte sind im Wesentlichen die gleichen. Wirr ist auch sonst allerlei, was die Partei plant. Sie sagt seit jeher den Zusammenbruch des Finanzsystems voraus, was sich natürlich gut trifft, wenn es ausnahmsweise wirklich mal schwächelt. Die Wähler kamen in Scharen: 187 Stimmen gab es dafür und damit 104 mehr als letztes Mal.
  • Alexander’s Lista (Deppenapostroph beachten) und Li Yu Chen Anderssonpartiet haben zwei Dinge gemeinsam: sie haben 4 Stimmen erhalten und traten beide in Gävleborgs Län. Bei beiden ist der Name Programm – zumindest bei letzterer weiß man das. Die Li Yu Chen Anderssonpartiet hat wirklich nur einen Kandidaten: Li Yu Chen Andersson, 44 Jahre, Übersetzer. Alexander’s Lista hingegen stellt vermutlich auch nur den Alexander auf, aber deren Wahlzettel glänzt mit Leere.

Nun die unregistrierten Parteien:

  • Kalle Anka Partiet (Donald-Duck-Partei): Der Klassiker unter den satirischen Scherzparteien, die seit jeher für freie Alkoholausgabe und breitere Bürgersteige steht. 123 Stimmen gab es für dieses Programm, was obige Ergebnisse ziemlich relativiert.
  • Junilistan (Juniliste): 30 Stimmen gab es von ganz hartnäckigen Wählern für diese „EU-kritische“ (eher EU-feindliche) Partei, die 2004 mit 14,5 % der Stimmen in das Europaparlament einzog und fünf Jahre darauf mit 0,47 % wieder auszog.
  • Jesus Kristus (bzw. nur Jesus): 4 Wähler haben dem Heiland persönlich die Stimme gegeben. Soviel Hingabe ist löblich, aber mir scheint zweifelhaft, dass er die Wahl angenommen hätte.
  • Mig Själv (mich selbst): zwei Wähler trauen offenkundig nur einem Menschen in der Welt zu, die Geschicke Schwedens zu leiten.
  • Tomma Stolar (leere Stühle): diese zwei Wähler haben nicht mal zu sich selbst Vertrauen und wollen den Reichstag gleich ganz leer lassen.
  • Älska mer! (Liebe mehr!): diese positive Aufforderung brachten weitere zwei Wähler vor.

451 „Parteien“ wurden nur von einem Wähler gewählt. Viel ist purer Politikfrust und Verschwörungstheorie. Darunter sind aber auch Knaller wie „All makt åt kungen“ (Alle Macht dem König) oder „Jan Lennartssons röda byxparti“ (Jan Lennartssons Rote-Hosenpartei). Man kann die Daten hier als Excel-Datei herunterladen. Eigentlich schade, dass Deutschland kein so humoriges Wahlsystem hat. Bei so vielen Wählern käme da noch allerlei mehr lustiges Zeugs heraus.
Update (18:40 Uhr): Nun ist auch die Mandatverteilung fertig. Gegenüber der Wahlnacht haben sich kleinere Veränderungen ergeben. Obwohl die bürgerlichen Parteien auf 173 Sitze erhöhen konnten, fehlen natürlich immer noch zwei zur Mehrheit. Die Zentrumspartei hat nun 23 statt 22 Abgeordneten. Die Sozialdemokraten verlieren eben diesen Abgeordneten.

Insgesamt 59 Abgeordnete wurden per Direktwahl in den Reichstag gewählt. D.h. sie wurden auf dem Wahlzettel ihrer Partei von den Wählern so oft angekreuzt, dass dies mindestens 8% der Stimmen der jeweiligen Partei im jeweiligen Wahlkreis ausmachte. Allerdings wären viele von diesen direkt gewählten Kandidaten ohnehin in den Reichstag eingezogen – so auch Reinfeldt und Sahlin.

Die Zählerei ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Schließlich fanden zeitglich Wahlen für die Kommunen und die Län statt. Anscheinend machen die Zählhelfer erst einmal bei den Kommunen weiter. Dort sind derzeit aber erst knapp 2500 der 6063 Wahlkreise ausgezählt. Nur in Norrbotten, wo es naturgemäß nicht so viel zu zählen gibt, hat man schon mit der Auszählung der Wahlen im Län begonnen.

Blue Monday

„Vad blir det? Rött eller blått?“, fragte der Kollege – was wird es? rot oder blau?

Blau natürlich – die Farbe der Moderaterna und damit der Regierungskoalition. Die Umfragen hatten im Wesentlichen recht und die Zeitungen überschlagen sich: zum ersten Mal ist es einem bürgerlichen Regierungschef gelungen, wiedergewählt zu werden. Das ist aber geschönt – Reinfeldts Leistung zeichnet sich nur dadurch aus, dass er es geschafft hat, die Regierung zusammenzuhalten. Die Bürgerlichen hatten nämlich schon in den 1970er Jahren zwei Wahlperioden in Folge die Mehrheit, und hätten sie sich nicht über die Kernkraft gezofft, wäre Thorbjörn Fälldin auch die direkte Wiederwahl gelungen.

Das eigentlich Historische: der Abstieg der Sozialdemokraten

Viel schwerer wiegt etwas anderes: den Sozialdemokraten ist es nicht gelungen, Wähler zurück zu gewinnen. Hier liegt die eigentliche historische Dimension. Über Jahrzehnte war es so, dass die Sozialdemokraten eine Art Staatspartei waren. Sie stellten im Normalfall die Regierung, und nur wenn die Wähler einmal richtig unzufrieden waren, übernahm vorübergehend die Konkurrenz die Macht. Diese Epoche schwedischer Politik endete gestern abend, vermutlich für immer. 30,9% – das letzte derart schlechte Ergebnis stammt vom März 1914, nicht einmal drei Jahre nach Einführung allgemeiner Wahlen.

Die Ursachen wird man noch eine Weile analysieren. Entgegen meinen Erwartungen deutete gestern einiges darauf hin, dass die Unbeliebtheit von Mona Sahlin, Vorsitzende der Sozialdemokraten, nicht der Hauptfaktor war. Ihr rot-rot-grünes Bündnis fiel beim Wähler wohl auch durch, weil eine tiefe Abneigung gegenüber der Linkspartei besteht. Aber auch die Inhalte zogen nicht. Alleine das bürgerliche Schreckgespenst an die Wand zu malen hat jahrzehntelang die Wähler bei der Stange gehalten, aber das schwedische Modell ist ebenso im Wandel begriffen wie der Rest der Welt. Die bürgerlichen Parteien haben gelernt, auf die Wähler zuzugehen. Nun ist es Zeit für die Sozialdemokraten, ebenso einen solchen Prozess zu starten.

Die Bündnisbildung hat noch zu einem weiteren, beklagenswerten Zustand geführt: obwohl sieben Parteien im Reichstag sind, gab es nur zwei Regierungsoptionen. Genau diese Absage an jegliche Flexibilität erzeugt nun einen Patt.

Internationaler Medienmagnet: die Schwedendemokraten

Denn mit den Schwedendemokraten ist eine fremdenfeindliche Partei in den Reichstag eingezogen. Nach dem vorläufigen Ergebnis liegen sie knapp vor den Linken und den Christdemokraten, was ihnen auch einen Sitz mehr beschert. Die internationale Presse hat sich auf diese Meldung mit Begeisterung gestürzt – wenig verwunderlich.

So spektakulär und überraschend ist das alles aber nicht. Ich erinnere mich noch vage an einen Artikel, den ich vor vier Jahren in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Studenten auf englisch schrieb. Da prophezeite ich, dass die so nett erscheinenden Schwedendemokraten – sie sind immer bestens angezogen und haben eine Blume als Symbol – noch lange nicht gestoppt sind und man sie erst nehmen müsse. Und wie es aussieht, hatte ich damit ziemlich recht. Einfach nur ignorieren und verabscheuen ist zu wenig.

Viel wird spekuliert werden über die Ursachen für den Erfolg. Ist es nur Protestwählertum gegen das Establishment? Die Umfragen zeigen v.a. eine Abwanderung von den beiden großen Parteien. Oder brennt den Leuten das Thema Einwanderung so unter den Nägeln? Wahrscheinlich ist es beides. Vor allem aber ist es eines nicht: ein Strohfeuer. Die Schwedendemokraten haben seit 1991 einen kontinuierlichen Aufstieg geschafft. Heute erreichen sie in 24 der 29 Reichstagswahlkreise mehr als 4% der Stimmen. Ihre Hochburgen haben sie nach wie vor in Skåne, aber sie sind kein regional begrenztes Phänomen. Das ist eine allgemein Stimmung in Teilen des Volkes, und damit sehr ernst zu nehmen.

Daher wäre es auch der größte Fehler aller anderen Parteien, zu versuchen, einfach an den Schwedendemokraten vorbeizuregieren. Nyamko Sabuni, die Integrationsministerin, sprach gestern von einer „missglückten Integration“. Das konterkariert natürlich deutlich Artikel wie diesen. Hier muss etwas geschehen.

Völlig unklar: wer wird Schweden künftig regieren?

Die Regierungsbildung ist in jedem Fall eine spannende Frage. Mona Sahlin, die Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat es schlau gemacht: die Niederlage eingestanden und Reinfeldt die Regierungsbildung überlassen. Die Wähler haben ihr schließlich klar gesagt, dass sie keinen Anspruch darauf hat, auch wenn die Sozialdemokraten gerade so noch stärkste Partei sind.

In Schweden ist es anscheinend so, dass der Regierungschef im Amt bleibt, bis er zurücktritt, stirbt oder vom Reichstag per Misstrauensvotum abgewählt wird. Reinfeldt wird also nicht zurücktreten, und die Abwahl wird nur mit Hilfe der Schwedendemokraten möglich sein, auf deren Hilfe die linke Opposition nicht angewiesen sein will.

Minderheitsregierungen haben eine lange Tradition in diesem Land, und sogar welche mit mehreren Parteien hat es gegeben. Man muss trotzdem Partner finden, mit denen man Mehrheiten erzielen kann. Beide Seiten haben schon vor der Wahl ausgeschlossen, dass dies die Schwedendemokraten sein können. Ein Abweichen davon könnte Reinfeldts Karriere innerhalb kürzester Zeit pulverisieren.

Also hat er schon gestern abend durchblicken lassen, er wolle mit den Grünen reden. Diese erteilte gleich eine Absage an diese Überlegungen. Sie würden gerne Gespräche mit allen Parteien haben.

Das kann nur Taktik sein. Es ist fast zu hoffen, dass die Grünen einfach an der Regierung beteiligt sein wollen und dafür die Blöcke aufbrechen wollen. Die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien, die in der letzten Wahlperiode viele Beobachter erstaunt hat, beruhte möglicherweise nur auf der klaren eigenen Mehrheit. Sie könnte schon bald bröckeln, wenn man einen Regierungskompromiss auch noch irgendjemandem in der Opposition schmackhaft machen muss.

Die Bildung einer neuen Regierung mit einer neuen Kombination von Regierungsparteien ist daher mehr als wünschenswert. Nur, ist das realistisch? Rein rechnerisch würde es schon genügen, die Zentrumspartei oder die Christdemokraten in die Opposition zu schicken und stattdessen die Grünen ins Boot zu holen. Doch es bliebe in jedem Fall eine Vier-Parteien-Koalition und würde viel Kompromissfindung erfordern, insbesondere im Bereich Kernkraft.

Eine Minderheitsregierung nur mit den Moderaterna vielleicht? Auch nicht unbedingt realistisch, denn sie sind nicht die größte Partei, und die derzeitigen Partner werden hierfür wohl kaum ihre schönen Pöstchen abgeben wollen.

Bleibt am Ende nur die Große Koalition – für die müssten aber beide Seiten über mächtig große Schatten springen, denn das gab es in der schwedischen Politik wirklich noch nie.

Mehr zur Wahl in deutschsprachigen Medien:

(K)eine Wahlempfehlung

Der Wahlkampf geht zu Ende. Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich mich nicht aktiv eingeklinkt, wenn man einmal von meinen Berichten hier absieht.

Der Grund ist simpel: ich bin froh, das nationale Wahlrecht nicht zu haben, denn hätte ich es, wäre ich mir nicht sicher, was ich wählen soll. Meine Sympathien sind klar verteilt, aber so einfach ist es nicht. Es geht um Inhalte. Auch wenn die Opposition den kommenden Sonntag fast zur Schicksalswahl stilisiert: sie ist es nicht. Schweden hat in den letzten Jahren allerlei Bereiche privatisiert. Das stört manche, aber für das Funktionieren des Gemeinwesens muss der Staat weder einen Wodkahersteller, noch eine Apothekenkette oder das schwedische TÜV-Pendant in seinem Besitz haben. Man hat einige (unnötige) Geschenke an Reiche gemacht wie die Steuerreduzierung für Haushaltsdienste und die Steuerdeckelung auf Häuser. Und einige von allgemeinem Nutzen, die aber auch nicht zwingend nötig gewesen wären: ein Steuernachlass für Handwerkerarbeiten (zur Wirtschaftsankurbelung) und eine allgemeine Lohnsteuersenkung.

Gerade hier schaue ich skeptisch in beide Richtungen. Ein Pfeiler der Überlegenheit des schwedischen Steuersystems ist für mich dessen Einfachheit. Gerade diese untergräbt man aber weiter durch Gewährung von weiteren Steuerausnahmen für entsprechende Gruppen, wie sie beide Seiten in verschiedenen Varianten vorhaben. Solche Detailregelungen für irgendwelche Partikularinteressen haben das deutsche System zu dem unüberschaubaren Monstrum gemacht, das es heute ist. Nicht gut.

In anderen Bereichen ist der Fall klarer. So gefällt mir der Ansatz der Regierung, Schülern beim Abi etwas mehr abzuverlangen als nur höheres Grundschulniveau, ausgesprochen gut. In Verkehrs- und Umweltpolitik traue ich hingegen der Opposition mehr zu.

Alles in allem hat die Regierung ziemlich genau das gemacht, was sie vorher angekündigt hatte. Schweden hat es überlebt, und gar nicht mal schlecht. Egal welche Seite gewinnt: Schweden wird daran nicht zugrunde gehen.

Das haben auch die meisten Wähler verstanden. Für einen Regierungswechsel und eine echte Wechselstimmung braucht es im Grunde drei Dinge: zum Ersten eine unbeliebte Regierung, zum Zweiten eine attraktive Oppositionstruppe und zum Dritten richtungsweisende Themen. Alles drei ist nicht vorhanden, und so wundert es nicht, dass die Regierung in den Umfragen vorne liegt. Und ich mache keinen Hehl daraus: damit habe ich nicht das geringste Problem. Womit ich aber ein Problem hätte, wäre ein Einzug der rechtspopulistischen Schwedendemokraten und – noch schlimmer – ein Patt zwischen den Blöcken. In dem Fall könnte keine stabile Regierung gebildet werden. Eine sichere Mehrheit ist mir in jedem Fall zehnmal lieber als dieses Szenario.

In der regionalen und lokalen Wahl habe ich Wahlrecht und glücklicherweise weniger Bedenken. Dass ich mit Börge Hellström gerne einen Vertreter meines Wohnbezirks in den Gemeinderat schicken würde, habe ich hier schon kundgetan.

Aber auch regional werde ich Sozialdemokraten wählen. Warum? Weil mir die Nahverkehrsprojekte der Sozialdemokraten mehr zusagen als die der bürgerlichen Regierung – nicht viel, aber ein bisschen. Zudem ist mit einem Sieg der linken Parteien ohnehin nicht zu rechnen – es gilt also, sie zumindest stark zu machen. Die entscheidende Frage des regionalen Verkehrs, die Umgehungsstraße um Stockholm, wollen die linken Parteien zwar fahrlässigerweise einem Bürgerentscheid stellen, aber da dies eigentlich nicht in der regionalen Zuständigkeit liegt, wird das Projekt eher bei einem nationalen Regierungswechsel gestoppt werden als bei einem regionalen.

Blickt man auf die Personen, dann ist der Fall relativ klar. Mona Sahlin hat allem Anschein nach nicht einmal in der eigenen Partei viel Rückhalt, und das ist ein erheblicher Grund dafür, dass ihr rot-grünes Bündnis nicht so recht in Fahrt kommt. Gut möglich, dass ihre Karriere nächste Woche schon beendet ist.

Spannung verspricht der Sonntagabend trotzdem – um 20 Uhr werden die Wahllokale geschlossen, und bei eventuell knappen Verhältnissen kann es lange dauern, bis man mehr weiß.

Einen tiefen Einblick und eine gute Analyse findet man hier von Albrecht Breitschuh, dem ARD-Korrespondent in Schweden.

Im Spiegel findet man diesen Artikel von Anna Reimann. Wieso man immer vom „liberalen“ Schweden spricht, ist mir ein Rätsel. Die Niederlande sind für meine Begriffe ein liberales Land. In Schweden konnte man bis vor einiger Zeit noch nicht einmal frei wählen, welchen Arzt man besucht. Sicherlich gibt es liberale Politikbereiche, z.B. die Einführung der Homo-Ehe, aber Schweden als Musterbeispiel von Liberalität zu sehen fällt mir schwer. Ein Fehler ist mir jedenfalls aufgefallen: die Angabe, dass die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit 1917 nicht stärkste Partei werden, stimmt nicht so ganz. 1917 war das erste Mal, dass sie stärkste Partei wurden.

Die kleine Plakateschau (5): Moderaterna

Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich im Endspurt des Wahlkampfs bei meiner Rundschau über die Wahlplakate nicht auch noch bei der Hauptregierungspartei vorbeischauen würden: die Moderaterna.
Wer es nicht ahnen kann: das heißt „die Moderaten“. Moderat waren sie nicht immer, denn früher hieß Högerpartiet, also Rechtspartei (im Sinne der Richtung rechts). Nachdem sie anscheinend nachhaltig gescheitert sind, Schweden das Konservative schmackhaft zu machen, haben sie den Spieß umgedreht. Stattdessen stellen sie sich jetzt allen Ernstes als „Arbeiterpartei“ dar.

Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen

Wie beispielsweise auf diesem Plakat hier. Schweden hat keine sonderlich hohe Arbeitslosigkeit (wenn man mal von der Jugend absieht), aber irgendwie ist das zum Wahlkampfthema geworden. Die Masche mit der Arbeiterpartei wurde freilich schon vor vier Jahren in ähnlicher Form aufgefahren. Man fühlt sich an Jürgen Rüttgers erinnert.

Das Ziel ist nämlich das gleiche: den Sozialdemokraten, die die Arbeiterpartei sogar noch im Namen tragen, das Recht abzusprechen, diese Gruppe zu vertreten. Soziologisch ist das bestimmt interessant, denn den Arbeitern fühlen sich bestimmt viele „einfache Leute“ nahe, obwohl Schweden mittlerweile längste eine Nation von Dienstleistern geworden ist, wo der klassische Arbeiter bestimmt nicht mehr so oft vorkommt. Insofern ist das auch albern.

Umgehung Stockholm - Ja/Nein

Genau das trifft auch ein bisschen auf diesen Teil der Kampagne zu. Parteizugehörigkeiten werden in Schweden mit Kürzeln in Klammern bezeichnet. (S) für Sozialdemokraten, (M) für die Moderaterna. So ist die Symbolik klar, jedoch gibt es einen Knackpunkt: hier soll der Eindruck erweckt werden, es sei ein Stockholmer Thema. Ist es aber nicht – die Umgehungsstraße (Förbifart) um Stockholm liegt in der Zuständigkeit des Reichstags. Das ist die Gefahr bei so einer großen Wahl: was eigentlich in welche Schublade gehört, ist eigentlich egal, denn es entscheidet sich sowieso an einem Tag, und dass jemand verschiedene Parteien an einem Tag wählt, ist eher unwahrscheinlich.

Die blaue Gestaltung der Plakate weiter oben ist übrigens auch das Hauptmotiv. Diese gibt es in tausenden Varianten mit der jeweils lokal relevanten Version.

Macht Humlan für Teenager zugänglich und sicher

Dieses hier ist z.B. für die Innenstadt. Bei uns hier draußen versprechen sie die Unterstützung der wunderbaren Wirtschaft.

Gemeinsam machen wir Schweden zu einem Erfolgsland

Aber auch Gesichter gibt es zu sehen. Obiges Plakat dürfte das häufigste sein: Ministerpräsident Reinfeldt locker und leger. Bei dem Slogan stellt sich natürlich die Frage, wieso es in den letzten vier Jahren nicht gelungen ist, Schweden zu einem Erfolgsland zu machen.

Vielmehr frage ich mich, ob es System hat, dass viele der Fotos auf den Plakaten so aussehen wie ein Familienfoto: so, jetzt stell dich mal dahin. Das wirkt alles sehr improvisiert. Auf mich machen da die stilvollen sozialdemokratischen Plakate in Schwarz-Weiß mehr Eindruck. Diese sind größtenteils im Studio entstanden, und das sieht man auch. Neuerdings haben sie sogar Farbe – um Mona Sahlin herum stehen Jugendliche mit Boxhandschuhen in rot und weiß. Sehr seltsam, wenn man mich fragt.

Fazit? Schwer zu sagen – die moderate Kampagne versucht, Inhalte auf sehr, nun ja, plakative Weise zu verkaufen. Im Gegensatz zu manchen ihrer kleineren Koalitionsparteien haben sie sich hingegen für Inhalt entschieden. Im Stil können sie aber nicht voll überzeugen.

Die kleine Plakateschau (3): Börge for President

Nach unten: der Geldbeutel regiert; nach oben: Pflege nach Bedarf; Du wählst - wir können nicht warten

Noch 12 Tage bis zur Wahl. Mal sieht es so aus, als laufe alles auf einen Patt hinaus. Mal führt die Regierung leicht.

Die Opposition muss also etwas tun, insbesondere die Sozialdemokraten, die nicht einmal sicher sein können, dass sie stärkste Partei werden – das wäre alles in allem das schlechteste Ergebnis seit 1914.

Also wird kräftig geworben, u.a. mit obigem Plakat. Alles nicht gerade originell, aber immerhin wird versucht, so etwas wie Inhalt zu verkaufen. Der Wähler wird hiervon aber kaum etwas mitnehmen können.

Börge Hellströms Wahlplakat: Ich kann nicht warten - niemand soll im Stich gelassen werden

Viel präsenter sind aber Plakate wie dieses, die mit dem Slogan „Jag kan inte vänta“ bzw. „Vi kan inte vänta“ („Ich kann nicht warten“ bzw. „Wir können nicht warten“) versehen sind und Bezug darauf nehmen, was nach Ansicht der Sozialdemokraten dringend getan werden müsste.

Ich bin mittlerweile recht sicher: Börge werde ich wählen – dies aber aus teilweise egoistischen Gründen. Ich wohne im sozial schwächsten Viertel von Värmdö, das 2006 nicht ganz zufällig die niedrigste Wahlbeteiligung der Kommune hatte. Lediglich 73% gingen hier vor vier Jahren zur Wahl, während der Gemeindedurchschnitt bei 85% lag. Gerade deswegen ist das Risiko, dass niemand aus unserer Ecke gewählt wird, höher, obwohl gerade hier etwas passieren sollte.

Hellström ist eine Person mit interessanter Biographie. Nach einer Kindheit mit sexuellem Missbrauch und einer gewalttätigen Jugend mit Drogen ist er heute Schriftsteller. Nicht gerade ein typischer Kandidat – sein Programm wirkt auch etwas hemdsärmelig. Aber: er sagt, dass er seit 14 Jahren in unserem Viertel wohnt und etwas ändern möchte. Dazu gehört unter anderem eine Verbesserung der Sicherheit und etwas Druck auf die kommunale Wohnungsgesellschaft, die ihren Job nicht sonderlich gut macht. Genau diese Themen betreffen auch mich. Am 19. August habe ich mich mit zwei Anliegen an meinen Vermieter gewandt. Auf Antwort warte ich bis heute.

Börge ist auf Listenplatz 19, die Sozialdemokraten haben derzeit aber nur 17 Sitze. Daran wird sich vermutlich auch nicht viel ändern in der nächsten Wahl, weswegen Hellström zwangsläufig sein Heil in einer Direktwahl suchen muss.

Daher werde ich ihm wohl meine Stimme geben. Wenn er es nicht schafft, dann erhalten immerhin die Sozialdemokraten in Värmdö eine Stimme. Die können sie gut gebrauchen, denn die bürgerlichen Parteien haben eine ziemlich solide Mehrheit.

Wie sieht es aber jenseits meiner kleinen Gemeinde aus?

Wir können nicht warten: Mona Sahlin mit jungen Unterstützern

Die Parallelen sind klar erkennbar – nur dass in den meisten Plakaten wie hier mehrere Menschen zu sehen sind. Meist sind es Kandidaten, hier jedoch anscheinend junge Unterstützer Sahlins. Auffällig ist, dass die Spitzenkandidatin nie alleine zu sehen ist. Das kann man als Bekenntnis zum Teamgeist interpretieren, aber ich sehe Parallelen zu 2006. Damals plakatierte man erst überhaupt keine Menschen. Dann zum Ende der Kampagne hin rückte man doch mit Plakaten heraus, die den damaligen Statsminister (Premierminister) Göran Persson zeigten. Auch der war nie alleine auf einem Plakat, und das war ziemlich eindeutig dem Umstand geschuldet, dass er als ausgesprochen unbeliebt galt.

Die Plakate sollten damals wohl sagen: seht, wir haben auch andere patente Leute. Was sie dieses Mal sagen soll, ist nicht so klar, aber angesichts der eher bescheidenen Umfragewerte Sahlins ist zu vermuten, dass ihr Konterfei alleine wohl eher als kontraproduktiv gilt.

Auch eine echte Wechselstimmung zu vernehmen fällt schwer. Etwas nachhelfen will hier der Gewerkschaftsbund LO, der früher sogar organisatorisch mit den Sozialdemokraten verbunden war und bis heute wenig überraschend die Partei unterstützt. Er tritt daher mit folgender Kampagne in Erscheinung.

Maud Olofsson, Vorsitzende der Zentrumspartei, auf einem Plakat von LO
Maud Olofsson, Vorsitzende der Zentrumspartei, auf einem Plakat von LO

Zunächst waren Bilder plakatiert mit auf den Kopf stehenden Regierungspolitikern, verbunden mit stark vereinfachten Aussagen über deren (nach LO-Sicht) falschen Politik und wenig schmeichelhaften Adjektiven.

Dann erschien diese Serie mit dem genau umgekehrten für die Oppositionspolitik.

Pro-Oppositionsplakat von LO
Pro-Oppositionsplakat von LO

Über Geschmack und Wirkung dieser Kampagne lässt sich streiten.