Panoramen (16): Zentrale der schwedischen Sozialdemokratie

Panorama: Socialdemokraterna Sveavägen 68

Ich habe zwar vergessen, um welchen Kongress es sich handelte, aber hier ein Panorama vom Versammlungssaal in der Zentrale der schwedischen Sozialdemokraten. Die liegt zwar im Stadtzentrum am Sveavägen, kommt aber ziemlich unscheinbar daher – dafür gibt es freilich noch u.a. ein parteieigenes Kongresszentrum.

Politik mit Körpereinsatz

Nach dem hohen Besuch gestern wird uns heute auch noch einiges geboten: eben war Anna Sjödin da, die Vorsetzende des SSU. Man könnte also vom schwedischen Gegenstück zu Björn Böhning sprechen – das ist der Vorsitzende der Jusos in Deutschland. Wer das nicht wusste: auch nicht tragisch, ich wusste es bis eben nämlich auch nicht. Wahrscheinlich kannte Anna Sjödin in Schweden auch keiner bis vor kurzem. Doch dann hatte sie eine Schlägerei in der Stockholmer Disco Crazy Horse. Der Türsteher fühlte sich von ihr provoziert – sie hingegen gab an, gar nichts gemacht zu haben, wenig getrunken zu haben und grundlos von dem Mann niedergeschlagen worden zu sein.

Tags darauf folgte eine denkwürdige Pressekonferenz, bei der sie mit ordentlich zugerichtetem Gesicht den Vorfall aus ihrer Sicht schilderte. Woanders hätte sie wohl zurücktreten müssen, aber sie wurde unterstützt und kam im wahrsten Sinne mit einem blauen Auge davon.
Aber Even Bad Publicity is Good Publicity – die Angelegenheit rauschte tagelang durch den Blätterwald, und zwar auf Seite 1. Seither ist sie wohl deutlich bekannter. Niels Annen hatte es da leichter. Der musste sich nur 10 Minuten lang Harald Schmidt stellen, um bekannt zu werden.

Anna Sjödin sah irgendwie immer noch angschlagen aus. Mit Augenringen und nicht gerade hinreißendem Redefluss versuchte sie bescheidene 5 Minuten lang, den Kongress auf die Wahl einzuschwören.
So sieht sie übrigens aus:


Es gibt übrigens auch ein offizielles Kongressblog. Natürlich sollte man dazu des Schwedischen mächtig sein.

Bus verpasst, Bild gemacht

Die Überschriftung reimt sich nicht wirklich – allerdings habe ich wirklich gerade (mal wieder) den Bus verpasst und somit eine einigermaßen zeitige Ankunft in meiner Vorlesung effizient unterbunden.

Zur Feier des Tages gibt es daher erstmals seit langem wieder schöne Bilder zum Anschauen.

Ich habe auf meinem Handy ein Panorama von letztem Herbst entdeckt – da war Stockholm noch nicht weiß.

Panorama Albanova

Außerdem zwei kurze Impressionen von der Jahreskonferenz der Stockholmer Jusos, wenn man so will:


Und nun der ultimative Beweis, dass ich wirklich irgendwo mal Delegierter war:


So, und jetzt geht es aber wirklich auf den Bus.

Klassenkampf im Eisschrank

Während andernorts nach offiziellem Frühlingsbeginn auch wirklich so etwas ähnliches wie Frühling anfangt, fährt der Winter hier nochmal die schweren Geschütze auf. Die Sonne strahlt zwar, und auch die Vögel zwitschern, aber die Temperaturen pendeln zwischen -3°C und -10°C. So bringen mir auch die längeren Tage nicht viel, und das Joggen ist fast unmöglih, da der Schnee sich an vielen Stellen zu nicht ganz ungefährlichem Eis verdichtet hat.

Da ist es doch schön, als altes sozialdemokratisches Schlachtross in trauter Runde der Genossen Arbeiterlieder zu schmettern und wirre Anträge mit Titeln wie „Kaboom“ zu diskutieren. Letztes Wochenende war nämlich die ARSK (gesprochen „Arschk“), die jährliche Konferenz des SSU Stockholm. Unter anderem wurde beschlossen, dass die norwegische Frauenquote von 40 % in Firmenvorständen auch in Schweden eingeführt werden soll und Feuerwerkskörper allgemein verboten werden sollen. Eine Entschärfung der staatlichen Alkoholpolitik wird abgelehnt, und auch Bargeldzahlung in Nahverkehrsbussen soll abgeschafft werden. Das klingt alles etwas albern, ist es aber eigentlich nicht. Wie in jedem politischen Verband muss die eigene Linie gefunden und diskutiert werden, genauso wie die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) der Jusos Baden-Württemberg eher das politische Zusammenspiel und Selbstfindung fördern. Gerade an diese Konferenzen erinnert mich die ARSK sehr. War ich allerdings bei den LDKs der Jusos zwar dreimal anwesend, aber kein einziges Mal Ersatzdelegierter geschweige denn Delegierter, so hat man mich hier, ohne mich zu einer Wahl stellen zu müssen, zum Delegierten ernannt, was bei mir starke Irritationen hervorrief, als ich beim Verlesen der Namensliste genannt wurde und eigentlich hätte „Ja“ rufen sollen. Mein Wochenende als „Röstboskap“ (exakte Übersetzung „Stimmvieh“) habe ich jedenfalls genossen. Zwar entzogen sich die meisten Redebeiträge meinen doch noch etwas eingeschränkten Sprachinterpretationsvermögen, aber dank Antragspapieren konnte ich halbwegs folgen.

Die Verfahrensweise beim SSU (das ist auch die Abkürzung für den ganzen sozialdemokratischen Jugendverband in Schweden) und wohl auch anderen Parteien und deren Organisationen ist allgemein etwas anders als in Deutschland. So wird bei Abstimmungen einfach kollektiv ein „Ja“ geschmettert. Erst, wenn es Zweifel gibt, wird mit Hochhalten der Stimmkarten abgestimmt. Führt auch das zu keinem klaren Ergebnis, wird gezählt. Die Möglichkeit, sich zu enthalten, existiert dabei nicht. Allgemein geht man auch eher pragmatische Wege bei solchen Dingen. Bei der Jahreshauptversammlung meines Klubs vor einem Monat wurden die Kandidaten für die Posten im Vorfeld von einem Wahlkomitee (auch eine Art Ältestenrat, weil es vorwiegend altgediente Genossen waren) gesucht, um somit für jeden zu wählenden Posten jemanden zu haben. Das ist prinzipiell natürlich gut, allerdings war ich sehr irritiert, dass auch diese Wahlen per Akklamation stattfanden, da es immer nur einen Kandidaten gab. Lediglich bei der Wahl der Nominierung für einen Posten im Redaktionskomitee der Verbandszeitung eine Woche später fand eine geheime Wahl statt. Die Krönung war nun am Sonntagmorgen, als es einen 15:15 Patt bei der Abstimmung gab und am Schluss gelost wurde, welcher der beiden gegeneinander gestellten Anträge angenommen wurde.
Vielleicht liegt es an der offenen schwedischen Art, dass hier nicht hinter dem Rücken Mehrheiten zusammengeschmiedet werden, die dann im Geheimen verteidigt werden können. Dennoch würde dieses allzu offene Vorgehen in Deutschland misstrauisch beäugt werden – was auch verständlich ist, denn unser Verfahren erzeugt zwar viel mehr Aufwand, ist aber prinzipiell die korrektere, denke ich. Eigentlich steht es mir jedoch nicht zu, die schwedischen Verfahren zu beurteilen. Politik ist sowieso immer ein schmutziges Geschäft.

Apropos Politik: am Sonntag wird ja mächtig gewählt. Das habe ich per Brief schon getan – natürlich meine eigene Partei. Eine Hoffnung auf Schwarz-Rot in Baden-Württemberg habe ich allerdings nicht wirklich. Rot-Grün wäre illusorisch. Dennoch hoffe ich, dass zumindest die FDP in Baden-Württemberg nach ihren ganzen Spenden- und Flowtexaffären auch einmal einen Denkzettel verpasst bekommt und wieder lernt, wie es in der Opposition ist. Es würde der Landespolitik auch endlich etwas Bewegung verschaffen, die sie auch nötig hat. Meine unrealistische Hoffnung lautet daher zwar Rot-Grün, aber meine realistische Hoffnung ist Schwarz-Grün. Ich hoffe inständig, dass Kurt Beck in Rheinland-Pfalz wiedergewählt wird. Anscheinend machen die dort ganz gute Arbeit, und Christoph Böhr ist jetzt auch nicht gerade eine übermäßig sympathische Figur.

Es geht los

Es ist soweit, in 90 Minuten beginnt meine erste Vorlesung.

Nachdem ich nun gestern abend beim SSU, dem Stockholms Socialdemokratiska Ungdomsdistrikt, war und die ersten organisatorischen Dinge hier auf dem Flur geregelt habe, ist die vorlesungsfreie Zeit vorbei.

Der SSU war recht spannend, da ich über zwei Stunden lang normalem Schwedisch lauschen konnte, was im Normalfall nicht immer so leicht möglich ist. Im Radio wird schließlich keine Umgangssprache gesprochen. Immerhin schaffte ich es, rund 10 bis 20 Prozent zu verstehen. Da ist also noch viel Luft nach oben. Jedenfalls wurde ich sehr herzlich aufgenommen und werde nächste Woche wohl wieder hingehen.

Hier auf dem Flur habe ich mal ein paar Schilder zur Aufteilung der Schränke aufgehängt. Langsam sieht man auch die Abgründe hier. Der nervige Moldawier hier ist mit seiner Frau/Freundin/was auch immer eingezogen. Das ist unverständlich, weil die Räume nicht gerade spottbillig sind und es für zwei Personen sicher passenderes gäbe. Es entsteht auch nicht gerade der Eindruck, als wäre sie sonderlich glücklich hier: sie meidet Kontakt und ist im Allgemeinen sehr selten zu sehen. Auch zwei Chinesinnen bewohnen ein Zimmer zusammen. Der Mietvertrag besagt, dass der Raum nur vom Mieter bewohnt werden darf – ich glaube nicht, dass da eine zweite Person vorgesehen ist.
Der Moldawier hat auch aus anderen Gründen meinen Unmut auf sich gezogen. Gestern verkündete er doch einigen Mitbewohnern, die sich über die Möglichkeiten, einen Sprachkurs zu belegen, unterhielten, dass man doch gar nicht Schwedisch lernen müsse – wozu denn, schließlich könne hier jeder Englisch. Ich wies ihn deutlich darauf hin, dass der schwedische Staat ihm seine Ausbildung schenke und dass es dann wohl eine Frage des Respekts sei, sich etwas mit diesem Land zu beschäftigen.

Mit dem Beginn der Vorlesungszeit heute ist es Zeit, die Rubrik „Die ersten Wochen in Stockholm“ zu schließen. Ich habe mich eingelebt hier – nun gilt es die Herausforderungen des neuen Alltags zu meistern.