Schweden, die DDR und deren Spitzel – die schwedischen „Stasiakten“

Auch in Schweden aktiv: Die Stasi (Foto: Flickr-User Rande Archer, CC BY-ND 2.0)

Im September erschien unter dem Titel „Inte bara spioner… Stasi-infiltration i Sverige under kalla kriget“ („Nicht nur Spione… Die Infiltration durch die Stasi in Schweden während des Kalten Krieges“) ein Buch über Stasispitzel in Schweden. Die Verfasserin Birgitta Almgren ist Wissenschaftlerin an der Södertörns Högskola, eine vor gut 15 Jahren gegründete Hochschule im Süden Stockholms, und hat sich anscheinend auf das Thema Verbindungen zwischen der DDR und Schweden spezialisiert. Schon 2009 veröffentlichte sie „Inte bara Stasi – relationer Sverige – DDR 1949-1990“ („Nicht nur Stasi – Beziehungen zwischen Schweden und der DDR 1949-1990“), das zufällig auf meinem Bücherregal herumlungert und intensiv Staub ansetzt. So spannend das Thema, so dröge fand ich die Umsetzung. Das Buch war schlicht zu lang. Hätte sie sich etwas mehr auf das Wesentliche beschränkt und das Ganze etwas mitreißender verfasst, wäre daraus ein spannendes Stück Zeitgeschichtenbearbeitung geworden. So stellte ich es leider nach dem ersten Drittel wieder weg.

Spannend oder nicht – das neue Buch ist eingeschlagen wie eine Bombe. Almgren gelang es, einen bislang einzigartigen Datenzugriff zu erhalten. Nicht nur konnte sie in die Stasi-Unterlagen der Gauck/Birthler/Jahn-Behörde schauen. Die schwedische Säpo, Geheimdienstabteilung der schwedischen Polizei, warf um 2001 einen tiefen Blick in das eigene Archiv, um Stasi-Tätigkeiten in Schweden zu untersuchen und aufzuarbeiten. Almgren wurde nun erlaubt, Einblick in das Archiv zu erhalten. Bedingungen: alle beschriebenen Personen müssen anonym bleiben und Almgrens Aufzeichnungen müssen vernichtet werden.

Dem leistete sie auch Folge, aber die Anonymität konnte nicht gewahrt werden. Anscheinend konnten Journalisten anhand der Angaben im Buch einzelne Personen ausfindig machen. Die Sache zog weitere Kreise.. Am sichtbarsten war die von Reporter des Expressen gefundene Marianne Ersson. Laut dem Buch könnte die Flucht ihres Ex-Mannes aus Ostdeutschland im Jahr 1961 nur eine Finte gewesen sein, um sie im Stil eines Romeo-Agenten anzuwerben. Sie hat unter anderem als Fluglotsin gearbeitet und als Lehrer für deutsch und schwedisch an einer ostdeutschen Universität. In ersterer Funktion habe sie die schwedische Abwehr ausgespäht, in letzterer geriet sie ins Visier der Säpo. Diese konnte jedoch nie irgendwelche Beweise finden, obwohl sie den Fall dreimal aufnahm. Laut dem Buch fanden die Ermittler aber, dass daran etwas seltsam sei – konkretisiert konnten sie es anscheinend nicht. Ersson wehrt sich mit aller Kraft gegen diese Vorwürfe. Interessanterweise gibt sie aber eine Geheimdiensttätigkeit zu, nur eine ganz andere: sie habe für den schwedischen Dienst SSI verschiedene Anlagen in der DDR fotografiert. Später kam zudem heraus, dass die Stasi-Unterlagenbehörde anscheinend gar keine Akte zu Ersson hat. Auch ihr Ex-Mann Freimut Möschler äußerte sich später und wies alle Anschuldigungen als „Lügen“ zurück.

Vermutlich enthält das Buch also allerlei Schlüsse, die nicht durch Fakten gedeckt sind oder auf Mutmaßungen der Säpo basieren. Was nun genau daran ist, kann man nur schwerlich sagen. Mehrere Anzeigen gingen ein, und gegen die Autorin Almgren wurde sogar ermittelt – meines Wissens bislang aber ohne Ergebnis. Diese wehrt sich ebenso, weil sie der Maßgabe zur Anonymisierung nachgekommen sei.

Viel interessanter ist, welche Debatte hieraus entstanden ist. Es kann nämlich schon merkwürdig erscheinen, dass ein Land, in dem das Öffentlichkeitsprinzip Verfassungsrang hat, restriktiv mit den Akten seiner Polizei- und Geheimdienste umgeht. Mit anderen Worten: sollten Forschung und Betroffene nicht auch Gelegenheit erhalten, das zu erfahren, was die Stasi nach Wissen der Säpo in Schweden angestellt hat? Schließlich, und das ist wohl die eigentliche Problematik hier, waren es oft Schweden, die im Auftrag der Stasi andere Schweden ausspionierten und so gegen das eigene Land und seine Menschen arbeiteten.

Im November letzten Jahres sprachen sich daher einige Parteien, darunter die zur Regierung gehörende Zentrumspartei, für eine Öffnung aus, und auch die Justizministerin äußerte sich positiv. Als Vorbild wird nicht selten ausgerechnet Deutschland genannt, was schon wie ein Treppenwitz erscheint, denn normalerweise ist Schweden hier weit voraus. Vor kurzem folgten Berichte über die Arbeit der deutschen Unterlagebehörde und Geschichten von schwedischen Betroffenen, die von der Stasi überwacht wurden.

Natürlich ist das Thema nicht mehr so heiß wie im Herbst, aber es schwelt, und man kann wohl davon ausgehen, dass auch in Zukunft noch allerlei Dinge ans Tageslicht kommen werden, spätestens wenn es eine allgemeine Regelung zur Akteneinsicht geben wird.

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