Während ganz Schweden auf das Midsommarwochenende hinfiebert – der Verkehr in der Stadt ist schon erheblich zurückgegangen – möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen und auf ein hochspannendes Projekt verweisen: Scott vs. Amundsen.
In diesem Blog werden die Tagebucheinträge von Robert Falcon Scott denen von Roald Amundsen gegenüber gestellt. Und, wie man daraus ersehen kann, feierten beide vor ziemlich genau 100 Jahren den Mittwintertag, denn im Juni ist in der Antarktis natürlich tiefster Winter stockdunkel.
So lange ist es her, dass die beiden Expeditionen sich in der Antarktis befanden, um schließlich im Herbst 1911 zum Pol aufzubrechen. Das zu einer Art Rennen zum Pol avancierte Ereignis endete bekanntermaßen tragisch: Amundsen im Dezember 1911 war einen Monat vor Scott am Pol. Letzterer kam mit seinen Mitstreitern beim Rückweg zur Basis um.
Es handelt sich zweifellos um das größte Epos der Südpolarerkundung, das bis heute sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Scott war jahrzehntelang der tragische britische Held – eine Verkörperung der Ideale des britischen Empire und gleichzeitig auch ein Zeichen für dessen Niedergang. Amundsen war zwar der Sieger im Rennen, aber letzten Endes doch ebenso eine tragische Figur. Man gönnte ihm den Sieg nicht, weil er vorgab, eine Expedition in den Norden zu planen, und erst auf dem Weg dorthin seine Leute einweihte. Scott erhielt nur ein äußerst knappes Telegramm, wodurch er überrumpelt wurde. So schuf man sich die Legende vom hinterhältigen Amundsen, der den armen Scott hinterhältig übergangen und durch seinen Sieg am Pol diesem das Herz brach, worauf er umkam.
Natürlich muss man den Pathos dieser Ära herausfiltern, um eine Beurteilung machen zu können. Die Loslösung davon ist auch noch gar nicht so lange her. Der erste echte Angriff auf den Nationalhelden Scott kam auch erst in den 1980er Jahren. Der fiel dafür aber massiv aus. Der Autor Roland Huntford veröffentlichte eine Biographie von Scott und Amundsen, in der Scott gelinde gesagt schlecht wegkommt: unfähig seine eigenen Fehler einzusehen, beratungsresistent und ignorant gegenüber bereits vorhandenem Wissen habe er seine Leute in den Tod geführt. Huntford versteifte sich v.a. auf die Frage des Transportmittels. Während sich Amundsen Hundeschlitten bediente, zogen Scott und seine Leute ihre Lasten den größten Teil des Weges selbst. Dennoch schafften es britische Filmemacher, aus der unbarmherzigen Buchvorlage die weniger tendenziöse und hervorragende Dokudramaserie „The last Place on Earth“ (auch nicht so wirklich urheberrechtlich einwandfrei auf Youtube zu sehen) zu machen – u.a. darin zu sehen ein noch junger Bill Nighy und ein damals noch jüngerer und recht wenig bekannter Hugh Grant.
Im Nachhinein ist es freilich immer leicht, einen gescheiterten Ansatz zu verurteilen. Deswegen habe ich nicht nur Huntfords Buch, sondern auch das Buch von Diana Preston zum Thema gelesen. Sie wiederum ist sehr nachsichtig gegenüber Scott und versucht, nahezu jede zweifelhafte Entscheidung noch irgendwie zu verteidigen, auch wenn sie seine sprunghafte Art, Entscheidungen zu treffen, kritisiert.
Die Wahrheit liegt wohl wie so oft irgendwo in der Mitte. Wer sich selbst eine Meinung bilden will, kann durchaus mit Scott vs. Amundsen beginnen. Den Kontext und neuere wissenschaftlichere Kenntnisse z.B. zur Ernährungslehre wird man auf diesem Wege nicht bekommen, aber man kann die Ereignisse anhand der Aufzeichnungen der Teilnehmer selbst miterleben. Vielleicht hat man nach der Lektüre sogar noch Lust auf mehr.
Beendet sein wird das Projekt in jedem Fall wohl am 29. März 2012. Das ist der mutmaßliche 100. Todestag von Scott, als er seinen letzten Tagebucheintrag mit den unsterblichen Worten beendete:
For God’s Sake Look After our People