Kürzlich kontaktiere mich ein gewisser Dmitrii G. über Facebook. Er schreibe mir im Namen eines in Saarbrücken ansässigen internationalen Verlagshauses, der Lambert Academic Publishing, und sei über eine Arbeit von mir gestolpert.
Sie planen Publikationen in diesem Bereich, und fragten sich, ob ich an einer Veröffentlichung interessiert sei. Ich habe mir mal die Broschüre kommen lassen:
- Eine Kopie für den Autor gibt es umsonst.
- Man kann das Cover selbst gestalten. Weitere Kopien kann man zu vergünstigen Preisen erhalten.
- 12% der Einnahmen gehen an den Autor.
- Es erhält eine ISBN-Nummer und kann z.B. bei Amazon bestellt werden.
Klingt schön, oder? Ist es leider nicht.
Dmitrii lügt gar nicht mal, wenn er meint, sie planten Veröffentlichungen in dem Fachgebiet. Das Problem ist, dass Lambert Academic Publishing wahrscheinlich in so ziemlich jedem Fachgebiet publizieren will.
Es geht nämlich nicht um wissenschaftlichen Anspruch oder gar redaktionelles Interesse. Man begibt sich hier in die Gosse des Verlagswesens:
- Es ist ein On-Demand-Verlag: Bücher werden nur gedruckt, wenn eine Bestellung vorliegt. Bücher, die sich schlecht bis gar nicht verkaufen, verursachen also kaum Kosten.
- Es findet keinerlei Redaktion statt. Die vermeintliche Freiheit, das Cover selbst gestalten zu können, ist in Wirklichkeit eine Methode des Verlags, Geld zu sparen. Vermutlich kommt man so auch umhin, teure Bildrechte zu bezahlen.
Es ist also schlicht eine billige Methode, Inhalte zu akquirieren, die man teuer weiterverkaufen kann. Was man druckt, ist egal, solange es Geld bringt.
Der Verlag ist telefonisch nicht erreichbar, weil das angeblich zuviel Geld kostet. Lagerhaltungskosten fallen nicht an. Die Kosten sind annähernd Null, die Gewinnmargen groß.
Der Verlierer bei dem Spiel ist dabei nicht unbedingt der Autor. Der junge Nachwuchswissenschaftler freut sich vielleicht über die Publikation seines Werks.
Es ist vielmehr der Kunde, der dabei verliert. Die Bücher sind, um es einmal freundlich auszudrücken, nicht gerade im Niedrigpreissegment angesiedelt. So kommt z.B. eine Arbeit mit moderaten 84 Seiten auf einen Preis von stolzen 49 €. Jenseits der 100 Seiten scheint der Preis auf 59 € zu steigen, jenseits der 200 auf 79 €.
Ich habe mal einen Durchschnitt über 6 Bücher genommen und kam auf einen Seitenpreis von 42 Cent.
Nun sind stattliche Preise im Bereich Fachbücher, insbesondere wissenschaftlicher Fachbücher, nicht selten. Jedoch liegen diese trotz Redaktion, Lagerhaltung etc. wohl kaum über 20 Cent pro Buchseite.
Witzigerweise habe ich die Arbeit, nach der G. fragte, auch drucken lassen. Obwohl ein Teil der Auflage sogar in Farbe war, kam ich auf einen Seitenpreis von ca. 6 Cent (!). Selbst wenn man da alle anderen Kosten großzügig aufrechnet, kommt man niemals auf 42 Cent.
Das Perfide an der ganzen Angelegenheit ist zudem, dass die Inhalte, die da für teures Geld angeboten werden, häufig auf den Seiten der entsprechenden Hochschulen frei zum Download angeboten werden. Letzten Endes werden Inhalte, die ohnehin frei sind und, wie in meinem Fall, mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, zu hohen Preisen verkauft.
Eine Sache ist mir zudem aufgefallen: sucht man auf Amazon nach Büchern des Verlags, so wird nicht nur klar, dass die tolle Covergestaltung im Wesentlichen aus der Auswahl eines Bildes besteht. An den Autorenbeschreibungen fällt auf, dass auffällig viele aus Entwicklungsländern kommen – auf Anhieb fand ich Nigeria, Südafrika und Tansania. Über die Hintergründe kann man nur spekulieren, aber man muss wohl annehmen, dass dies zumindest eine willkommene Zweiteinkommensquelle ist.
Apropos Hintergründe: ich habe den Prospekt der Firma nur interessehalber angefragt, weil ich schon wusste, um was es sich handelt – dank dieses Artikels der taz. Dmitri G. hat sich bei mir nicht noch einmal gemeldet, was mich auch nicht wundert. Ich nehme an, dass er noch nie in Saarbrücken war und die Autorenbeschaffung nach einem Drückerkolonnensystem funktioniert, bei der man eine Art Abschussprämie für jeden Vertragsabschluss erhält. Dementsprechend werden täglich massenweise Autoren angeschrieben, und wenn die nicht gleich mitziehen, dann lohnt sich die Weiterverfolgung nicht.
Lambert gehört zur VDM Publishing Group, wobei das VDM für den ersten Verlag der Gruppe, „Verlag Dr. Müller“, steht. Die anderen Subunternehmen der Gruppe zeichnen sich durch ein noch unseriöseres Geschäftsmodell aus: sie verkaufen ausgedruckte Wikipedia-Artikel, was natürlich noch billiger ist, weil es da keine Autoren gibt, die für ihre Arbeit Geld haben wollen. Das freie Lizenzmodell der Wikipedia erlaubt es nämlich, die Artikel ohne Genehmigung der Autoren zu vervielfältigen, solange das Zielprodukt auch noch unter einer entsprechenden freien Lizenz steht.
Besagter Dr. Müller heißt komplett Wolfgang Philipp Müller und ist nonchalant, wenn es um seine Verlage geht.
Sie beantworten Fragen zum VDM-Verlag nur schriftlich? Warum ist das so?
Weil ich nur mit meiner Frau und meinen Kindern telefoniere. Da Sie wie unsere Autoren weder zur einen noch zur anderen Gruppe gehören, telefoniere ich auch mit Ihnen nicht.
Was wohl passend ausdrückt, wieviel Respekt er der Arbeit der Autoren entgegenbringt. Das Interview ist insgesamt recht interessant – er gibt sich als Michael O’Leary des Verlagswesens.
Viele Verlage klagen, dass es Ihnen in Zeiten des kostenfreien Internets immer schwerer fiele, kostenpflichtige Bücher zu verkaufen. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Das liegt daran, dass diese Verlage falsch arbeiten. Ein Fehler ist es, sich mit Inhalten zu beschäftigen. Klassische Modelle, bei denen der Verlag den Autor für seine Nichtleistung bezahlen lässt, funktionieren tatsächlich nicht mehr. Wer kreativ ist, hat keine Probleme.
Derart markig zieht es sich hindurch. Teilweise geht es schon ins Hanebüchene:
Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden sich an fremdem Wissen bereichern. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?
Es gibt mehrere Milliarden Menschen auf der Welt, die keinen Internetzugang haben und Wikipedia gar nicht einsehen können. Auch viele ältere Menschen in Deutschland. Oder andere, die gar keine Lust haben, die 600seitige Geschichte der Päpste online zu lesen, sondern lieber das Buch für 49 Euro bei uns erwerben, obwohl sie wissen, dass sie sich das alles in stundenlanger Arbeit zusammenstellen und selber ausdrucken könnten. Wer kauft, hat Gründe. Wer nicht kauft, auch.
Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn. Menschen, die keinen Internetzugang haben, werden zu einem Onlinebuchhändler gehen – woanders lassen sich die Bücher wohl kaum auffinden – und sich dort ein teures Buch kaufen. Es gibt nur einen Grund, die Bücher seiner Verlage zu kaufen: die Unwissenheit darüber, um was es sich bei dem bestellten Produkt eigentlich handelt.
Sehenswert sind auch die Bilder der pompösen Zentrale: ein schlichtes Mietshaus. Wenn der Verlag nicht Amazon mit seinen Erzeugnissen fluten würde, könnte man das für ein Agglomerat von Briefkastenfirmen halten.
Auch in Müllers Blog geht es nicht gerade zimperlich zu – die Verteidigungslinie ist: es geht, es ist legal, was wollt ihr eigentlich?
Damit hat er zwar recht. Das kann aber ein Bordellbesitzer genauso sagen – der erwartet aber auch nicht, dass man es gut findet, was er da macht. Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch ethisch und moralisch.
Leuten Texte auf Papier zu verkaufen, die es eigentlich auch kostenlos gibt, ist eine findige Geschäftsidee, aber kein Fortschritt des Verlagswesens. Zwar haben anscheinend allerlei Bibliotheken diese Bücher auf den Index gesetzt, aber es finden sich wohl zunehmend auch dort derlei Titel.
Die Idee, Wikipedia-Artikel zu verkaufen, haben anscheinend auch andere Verleger wie Hephaestus Books gefunden.
Die einzigen, die dem einen Riegel vorschieben können, sind wohl die Onlinehändler wie Amazon – aber solange die nicht allzu viele Beschwerden haben, verdienen sie wohl gerne mit. Mehr noch: das Buch, das oben im Bild als Beispiel gezeigt wird, wurde von Amazon selbst gedruckt. So hat die VDM Publishing Group auch die Druckerei eingespart.
Am meisten nervt mich, dass diese Leute damit Amazon fluten — und langfristig unbrauchbarer machen. Ich hoffe mal, dass fällt denen mal auf.
Ich wäre auch fast mal auf so ein Wikipedia-Buch reingefallen. Nicht, dass ich es gleich hätte kaufen wollen, aber erst nach genauer Durchsicht der Beschreibung wurde mir klar, dass das definitiv nichts für meine Literaturliste ist. Das Potenzial für solche Probleme nimmt natürlich zu, wenn die wirklich jeden Monat 1300 Autoren reinholen und ebenso viele Bücher auf den Markt werfen. Amazon kennt da vermutlich nur ein Kriterium: solange es Geld bringt und nicht zuviele stört, verkaufen die schön weiter.