Noch 12 Tage bis zur Wahl. Mal sieht es so aus, als laufe alles auf einen Patt hinaus. Mal führt die Regierung leicht.
Die Opposition muss also etwas tun, insbesondere die Sozialdemokraten, die nicht einmal sicher sein können, dass sie stärkste Partei werden – das wäre alles in allem das schlechteste Ergebnis seit 1914.
Also wird kräftig geworben, u.a. mit obigem Plakat. Alles nicht gerade originell, aber immerhin wird versucht, so etwas wie Inhalt zu verkaufen. Der Wähler wird hiervon aber kaum etwas mitnehmen können.
Viel präsenter sind aber Plakate wie dieses, die mit dem Slogan „Jag kan inte vänta“ bzw. „Vi kan inte vänta“ („Ich kann nicht warten“ bzw. „Wir können nicht warten“) versehen sind und Bezug darauf nehmen, was nach Ansicht der Sozialdemokraten dringend getan werden müsste.
Ich bin mittlerweile recht sicher: Börge werde ich wählen – dies aber aus teilweise egoistischen Gründen. Ich wohne im sozial schwächsten Viertel von Värmdö, das 2006 nicht ganz zufällig die niedrigste Wahlbeteiligung der Kommune hatte. Lediglich 73% gingen hier vor vier Jahren zur Wahl, während der Gemeindedurchschnitt bei 85% lag. Gerade deswegen ist das Risiko, dass niemand aus unserer Ecke gewählt wird, höher, obwohl gerade hier etwas passieren sollte.
Hellström ist eine Person mit interessanter Biographie. Nach einer Kindheit mit sexuellem Missbrauch und einer gewalttätigen Jugend mit Drogen ist er heute Schriftsteller. Nicht gerade ein typischer Kandidat – sein Programm wirkt auch etwas hemdsärmelig. Aber: er sagt, dass er seit 14 Jahren in unserem Viertel wohnt und etwas ändern möchte. Dazu gehört unter anderem eine Verbesserung der Sicherheit und etwas Druck auf die kommunale Wohnungsgesellschaft, die ihren Job nicht sonderlich gut macht. Genau diese Themen betreffen auch mich. Am 19. August habe ich mich mit zwei Anliegen an meinen Vermieter gewandt. Auf Antwort warte ich bis heute.
Börge ist auf Listenplatz 19, die Sozialdemokraten haben derzeit aber nur 17 Sitze. Daran wird sich vermutlich auch nicht viel ändern in der nächsten Wahl, weswegen Hellström zwangsläufig sein Heil in einer Direktwahl suchen muss.
Daher werde ich ihm wohl meine Stimme geben. Wenn er es nicht schafft, dann erhalten immerhin die Sozialdemokraten in Värmdö eine Stimme. Die können sie gut gebrauchen, denn die bürgerlichen Parteien haben eine ziemlich solide Mehrheit.
Wie sieht es aber jenseits meiner kleinen Gemeinde aus?
Die Parallelen sind klar erkennbar – nur dass in den meisten Plakaten wie hier mehrere Menschen zu sehen sind. Meist sind es Kandidaten, hier jedoch anscheinend junge Unterstützer Sahlins. Auffällig ist, dass die Spitzenkandidatin nie alleine zu sehen ist. Das kann man als Bekenntnis zum Teamgeist interpretieren, aber ich sehe Parallelen zu 2006. Damals plakatierte man erst überhaupt keine Menschen. Dann zum Ende der Kampagne hin rückte man doch mit Plakaten heraus, die den damaligen Statsminister (Premierminister) Göran Persson zeigten. Auch der war nie alleine auf einem Plakat, und das war ziemlich eindeutig dem Umstand geschuldet, dass er als ausgesprochen unbeliebt galt.
Die Plakate sollten damals wohl sagen: seht, wir haben auch andere patente Leute. Was sie dieses Mal sagen soll, ist nicht so klar, aber angesichts der eher bescheidenen Umfragewerte Sahlins ist zu vermuten, dass ihr Konterfei alleine wohl eher als kontraproduktiv gilt.
Auch eine echte Wechselstimmung zu vernehmen fällt schwer. Etwas nachhelfen will hier der Gewerkschaftsbund LO, der früher sogar organisatorisch mit den Sozialdemokraten verbunden war und bis heute wenig überraschend die Partei unterstützt. Er tritt daher mit folgender Kampagne in Erscheinung.
Zunächst waren Bilder plakatiert mit auf den Kopf stehenden Regierungspolitikern, verbunden mit stark vereinfachten Aussagen über deren (nach LO-Sicht) falschen Politik und wenig schmeichelhaften Adjektiven.
Dann erschien diese Serie mit dem genau umgekehrten für die Oppositionspolitik.
Über Geschmack und Wirkung dieser Kampagne lässt sich streiten.
Ganz ehrlich, ich mochte die Wahlwerbung mit den auf den kopfstehenden Regierungspolitikern. Denn sie greift etwas auf, was (ausgehend von meiner laienhaften Auffassung der schwedischen Politik, ich bin wahrlich kein Experte) irgendwie typisch für die aktuelle Regierung ist: oben hui und unten pfui. Oder auch: mehr schein als sein. Ich bin ja grundsätzlich gar nicht so fürchterlich gegen Konservative, nur bitte, wenn die anfangen zu behaupten, sie seien die neue Arbeiterpartei und sozialer als die Sozis (hatten wir in D ja alles schon) … dann stinkt das meiner Meinung nach meilenweit. Kurz: man schmünckt sich mit quasi-sozialen Parolen und macht aber konservative Politik, und zwar still, leise und heimlich. Hier ein paar Regelungen unbemerkt geändert, da ein Etat gekürzt, hier ein bisschen privatisiert, da öffentliche Stellen gestrichen … und keiner will es so richtig gewesen sein bzw. sagen. Und diese Kampagne macht eben genau das, womit Schweden (meiner bescheidenen Meinung nach) manchmal doch große Probleme haben: sie zeigt mit den Fingern direkt auf die Verantwortlichen. Das hat mit Geschmacklosigkeit wenig zu tun und hätte schon viel früher während der vierjährigen Regierungszeit (in den Medien z.B.) passieren sollen. Aber die schwedische Gesellschaft ist im Wandel, und wenn dieser hin zum Konservatismus geht – dann bitte. Man muss sich nur immer fragen, was mit diesem Konservatismus denn eigentlich wirklich bewahrt werden soll.
Da ist viel Wahres dran. Eigentlich gibt es in Schweden keine Konservativen. Was die gemacht haben, ist, sich in einem sozialdemokratischen Land den Gegebenheiten anzupassen. Mit anderen Worten: man hat es nicht geschafft, die Schweden konservativ zu machen, also machen sich die Konservativen zu kleinen Sozialdemokraten. Das mit der „Arbeiterpartei“ ist daher auch eine Posse. Arbeiterparteien kann es in einer Dienstleistungsgesellschaft wie Schweden sowieso kaum noch geben, und wenn, dann sind es bestimmt nicht die Moderaterna. Meine Bedenken mit den Köpfen haben eher was mit den Gewerkschaften in Schweden an sich zu tun. Sie scheinen enorm mächtig zu sein, aber weder sind sie unabhängig noch vertreten sie zwangsläufig die Interessen der Arbeitnehmer. Ich durfte vor zwei Jahren streiken. Ich wurde nicht gefragt, ob ich das will, sondern hatte es gefälligst zu tun. Und dann durfte ich mir agitatorische Reden von einer Frau anhören, die in dem Job noch nie gearbeitet hat. Das schien mir doch alles etwas fragwürdig. Wenn die genauso losgelöst als Vertreter der Arbeitnehmer die Politik beeinflussen, dann scheint mir Skepsis gegenüber solchen Kampagnen wie die mit den Köpfen angebracht.
Ja, es ist vieles zweischneidig. Wenn es z.B. um die Gewerkschaften geht, kann ich Dich gut verstehen. Als ich den Kollektivavtal der zuständigen Gewerkschaft meines Herzallerliebsten gelesen habe, ist mir auch erstmal Hören und Sehen vergangen und ich habe mich gefragt, was die da eigentlich überhaupt regeln und für wen letztendlich. Nun lebe ich noch nicht so wahnsinnig lange hier, mein Schwedisch lässt auch eher noch zu wünschen übrig, gleichzeitig versuche ich aber irgendwie, dieses „Land“ zu verstehen. Was oberflächlich (für Deutsche?) so einfach scheint, erweist sich doch recht schnell als sehr komplex.
Ich bin wirklich sehr gespannt, wie diese Wahl ausgeht, denn auch wenn es im Moment so aussieht, als legen die Unterschiede zwischen den Parteien in vielen Fragen „nur im Detail“, habe ich trotzdem das Gefühl, das irgendwie mehr auf dem Spiel steht. Oder zumindest, dass diese Details in den nächsten fünf bis zehn Jahren eben größere Bedeutung annehmen, als die Mehrheit das jetzt vermutet und vor allem spürt und sieht. Auf bald! ;O)