„It’s the end of the world as we know it…

…and I feel fine“

REM – End of the World

Gestern morgen hatte man ja noch leise Hoffnungen. Mein erster schwedischer Urnengang war spannend – man darf die Briefe nicht selbst in die Urne werfen, und man muss sie zukleben. Das sind im Wesentlichen die Hauptunterschiede zu Deutschland.
Ich möchte nicht behaupten, ich hätte es schon vorher gewusst, aber eine leise Vorahnung hat mich den ganzen Tag begleitet. Eigentlich hatte ich schon die ganze Woche das Gefühl, dass das eigentlich nichts werden kann.

Wenn man auf einen knappen Sieg spekuliert, geht das immer schief. Das vermeintlich kontrollierbare tut letztendlich doch, was es will. Professor Murphy lässt grüssen.Dann kommt es so wie beim Autounfall, wo ein Meter fehlt, beim WM-Halbfinale, wo man doch nur noch zwei Minuten hätte aushalten müssen, oder bei Steve Irwin. Und letztendlich ist es nicht anders bei den schwedischen Sozialdemokraten, die wussten, dass sie dieses mal nicht die Trümpfe in der Hand und den schlechteren Spitzenkandidaten haben. 70 Jahre annähernde Dauerregierung sind letztendlich doch kein Garant.

So sind wir gestern abend mit gemischten Gefühlen zur offiziellen Wahlparty in Norra Latin, einer der Zentralen schwedischer Sozialdemokratie gegangen. Ich hatte zuvor sogar meine bescheidenen Krawattenbindkünste angestrengt, um auch etwas herausgeputzt zu erscheinen. Die Wahlparty war gross, das Fernsehen war da, und man konnte zwischen dem öffentlich-rechtlichen SVT und dem privaten TV4 entscheiden. Leider muss ich konstatieren, dass SVT zumindest anfangs die erheblich schlechtere Wahl war.

In einem Tiefpunkt der Medienpädagogik zeigten sie, wie man die Prognose nicht präsentieren sollte. Kurz hier der Ablauf:

  • 20 Uhr: der Balken der Linkspartei schnellt hoch. Es wird gejubelt, bis einen Moment später klar wird, dass es sich um das Ergebnis von 2002 handelt.
  • der Prognosebalken schnellt hoch, keiner jubelt. 2 Prozent minus für die Linkspartei – die werden uns nachher auch fehlen.
  • jeder wartet auf den nächsten Balken. Stattdessen wird zunächst ein Linksparteiler interviewt, der bitte jetzt kommentieren soll, dass seine Partei möglicherweise wahrscheinlich eventuell zwei Prozentpunkte eingebüsst hat. Idiotisch, zumal keiner die anderen Ergebnisse kennt. Auf der TV4-Seite des Gebäudes schlagen dagegen die Emotionen hoch. Ich hätte dort sein sollen.
  • Als nächstes die Sozis. Wieder Jubel – 39,9 % – aber wieder nur das Ergebnis von 2002.
  • Der Jubel verstummt, als die Prognose auftaucht – 34 %, ein Debakel.
  • Nach dem Schema geht das weiter. Nach 10 Minuten wissen wir endlich, was Sache ist.

Nun beginnt die eigentliche Zählerei. Hochrechnungen sind in Schweden auch noch genau das: Hochrechnungen. Man nimmt einfach die schon angekommenen Ergebnisse und rechnet sie hoch. Gut gemeint aber unrealistisch. Die Grossstädte sind traditionell eher konservativ. Dementsprechend führen wir auch bis kurz vor 23 Uhr. Wenigstens konnten wir so vorher noch jubeln.

Ich rede mit einigen Genossen, sehe Mädchen weinen. Sie tragen es mit Fassung, aber es scheint ein bisschen durch, dass sie im inneren nur bedingt darauf gefasst waren. Viele werden Tage, vielleicht sogar noch länger brauchen, um zu verstehen, dass auch im Sozi-Land Schweden eine rot geführte Regierung nicht gottgegeben ist. Dass die immer hoch gehaltene Demokratie heissen kann, ja sogar heissen muss, in die Opposition zu gehen. Ich frage mich leise, ob sie denn das können. Die SPD konnte es 1982 nicht. 16 Jahre Kohl waren die Folge.

Ich sehe es trotz allem mit einem gewissen Amüsement. Die SAP hat 9 % mehr als ihr stärkster Herausforderer bekommen und ist dennoch im Tal der Tränen. Aus deutscher Sicht eine groteske Situation. Als leidgeprüfter ehemaliger Einwohner von Baden-Württemberg kann ich da nur Schmunzeln.

Der NDR ist übrigens auch da und interviewt eines der weinenden Mädchen und deren beiden Freundinnen. Letztere sind eher gefasst. Er redet minutenlang mit ihnen. Ich zweifle stark daran, dass diese Aufnahmen viel hergeben. Ich frage den Reporter, wann der Beitrag läuft. Heute morgen – nehme ich mir auf.
Die Schweden haben ihre Regierung abgewählt. Ob mit Recht oder nicht, das ist nicht mehr das Thema. Nun heisst es analysieren, und Fragen stellen – auch unbequeme.

Wir haben auf allen Ebenen verloren. Nicht nur der Reichstag, auch der Landsting (eine Art grosser Kreistag) und vor allem der Stockholmer Stadtrat sind nicht mehr links dominiert. Es ist klar, dass die Leute uns nicht mehr wollen.

Woran lag das?

Der offensichtlichste Grund hat zwei Namen: Fredrik Reinfeldt und Göran Persson. Reinfeldt wird der neue Statsminister (Ministerpräsident) werden. Er ist alles, was Persson nicht ist: jung und dynamisch. Die Leute hatten die Schnauze voll von Persson, der sich zwischenzeitlich nicht gerade schlau angestellt hatte, aber auch einiges Pech hatte. 2003 verlor er seine Kronprinzessin Anna Lindh durch einen irren Mörder. 2004 kam der Tsunami, und Tausende Schweden sassen in den betroffenen Gebieten fest. Vor allem Laila Freivalds, die Nachfolgerin Lindhs als Aussenministerin, musste sich Vorwürfe gefallen lassen, halbherziges Krisenmanagement betrieben zu haben. Im Frühjahr 2006 trat sie dann endgültig zurück. Ihr Nachfolger Jan Eliasson wurde gestern 65 Jahre alt – ein Kronprinz kann er nicht sein, soll er nicht sein und will es wohl auch nicht werden. Auch sonst musste Persson einiges einstecken. Sein mondänes Anwesen ausserhalb Stockholms, das rund 2 Millionen Euro gekostet hatte, machte auf die Schweden, die immer ein sehr genaues Auge auf die Diäten der Politiker werfen, alles andere als einen guten Eindruck.

Persson ging aus diesen Unbillen nicht unbeschadet hervor. In den Beliebtheitswerten rangierte er zuletzt auf mittelmäßigen Plätzen, während Reinfeldt strahlte. Kein Wunder, dass man mit dem Plakatieren von Perssons Konterfei bis fast zum Ende wartete – und dann bekam er auch immer mindestens einen Minister zur Seite gestellt, damit er nicht ganz so verloren da steht. Der krönende Abschluss war der ein Versuch, sich den bürgerlichen Parteien anzubiedern – die Presse zerriss das als Hilferufe eines Ertrinkenden, und hatte wahrscheinlich nicht einmal unrecht damit. Dazu kam noch die Ankündigung, keine volle Legislaturperiode mehr machen zu wollen. „Ihr seid mich eh bald los“ – diese Wahlkampfbotschaft ist schlichtweg töricht.
Reinfeldt hatte so unnötig leichtes Spiel. Dass die Fernsehdebatten im Allgemeinen ausgeglichen gewertet wurden, konnte die Gesamtsituation nicht verdecken.
Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, ist, wie sehr die Sozialdemokraten als Partei darunter gelitten haben. Dies war das niedrigste Wahlergebnis seit 1920 – deutet sich hier vielleicht ein strukturelles Problem an? Laut den Statistiken sind die Moderaten bei Gewerkschaftern komplett gescheitert – der Schachzug, sich als neue Arbeiterpartei darzustellen, ist also gescheitert. Woher kamen dann aber dann die Wähler? Verlieren wir vielleicht gewisse Bevölkerungsschichten als Stammklientel? Oder war es letztendlich „nur“ der Erdrutschsieg in Stockholm? Diese Probleme sind aus Deutschland zur Genüge bekannt – die CDU gewinnt nicht bei den Frauen und in den Städten, die SPD nicht bei den Bauern. Man wird sich damit auseinandersetzen müssen.
Nun hat die „Allianz“, wie sich der bürgerliche Block nennt, eine knappe aber klare Mehrheit. Die Allianz, das sind 4 Parteien, die in der Vergangenheit nicht immer dicke Kumpels waren. Nun arbeiten sie zusammen. Ob dieses Bündnis weit kommen wird, ist mehr als fraglich.
Was aber, wenn doch? Viele Sozialdemokraten mögen wohl nun denken, man müsse sich einfach vier Jahre in einer Höhle verkriechen und abwarten.
Das aber wäre ein fundamentaler Fehler. Die Partei muss sich personell und programmatisch erneuern, und das schnell genug, um in 4 Jahren wieder angreifen zu können.

Persson hat heute seinen Rücktritt eingereicht, was aber ohnehin die übliche Formalie ist. Das Entscheidende: im März wird ein Sonderparteitag einen neuen Vorsitzenden wählen. Doch wer kommt in Frage?

Einer der in den Raum geworfenen Namen ist Wanja Lundby-Wedin. Sie ist die Vorsitzende von LO, einer Art schwedischem DGB. Der Verband steht der Partei äußerst nahe – soweit, dass sie sogar Hauptrednerin beim Kampagnenauftakt im Frühjahr war. Ob sie das Zeug dazu hat, bezweifle ich aber. Sie scheint mir keine Ikone zu sein.

In einer Webumfrage der Tageszeitung Dagens Nyheter führt derzeit die schwedische EU-Kommisarin Margot Wallström. Auch der recht junge nun Ex-Justizminister Thomas Bodström scheint laut dieser Umfrage passable Chancen zu haben.

Die Diskussion wird sicherlich die nächsten Wochen und Monate in Anspruch nehmen. Für mich als halb Außenstehender wird dies eine spannende Zeit werden und wahrscheinlich auch eine einzigartige Gelegenheit sein,diese ungewöhnliche politische Konstellation zu sehen. Das alles kann aber nicht verdecken, wie ernst das alles ist – die Zukunft der Partei und damit auch des Landes wird damit eng verknüpft sein.

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