Letzte Wochenenden haben etwas Absolutes – man fühlt sich genötigt, unbedingt noch einmal das Beste daraus zu machen, um keinesfalls etwas zu verpassen. Dies gilt insbesondere für die freien Tage vor Semesterbeginn, die nun zu Ende gehen. Drei Tage, drei Events – bei den Maschinenbauern spricht man von der größtmöglichen Packungsdichte.
Freitag, 19:30 Uhr – seit drei Tagen verkünden meine Zettel die Events einer Art O-Phase in unserem kuschligen Container. Im Laufe der Woche war ich auf die freitägliche Semestereröffnungsparty im Lappis, dem größten Studentenwohnheim Stockholms, hingewiesen worden. Kurz darauf wurde dies auch nochmals mit einer Rundmail bekräftigt, gepaart mit der vollmundigen Ankündigung, „The great Johan & Cewineye“ würden live spielen. Man musste annehmen, es müsse sich um ein Fest gigantischen Ausmaßes handeln. Selbst wenn der Johan doch nicht ganz so great sein sollte, so würde es doch zumindest akzeptabel sein. Ich begann, Werbung zu machen, und jeden Masterstudenten, der mir über den Weg lief, darauf anzusprechen: „Treffpunkt Station Universitetet, 20 Uhr, unbedingt kommen“. Mein alter Organisationsdrang schien sich wieder zu regen. Mit einigem Erfolg: schon beim Container hatte die Gruppe rund zehn Mitglieder, und sie wuchs beständig. Vor besagter U-Bahn-Station kam ich mir schon ein bisschen wie der Leiter einer Neckermann-Reisegruppe vor, denn ich war der einzige, dem der Weg zu Lappis bekannt war. Als wir an einer Wiese mit Kühen vorbeikamen, bemerkte Nicole, sie habe die Wiederkäuer noch nie aus solcher Nähe gesehen – offenbar hatte ich das urbane Potenzial ihrer Heimat New Jersey etwas unterschätzt. In mir wuchsen insgesamt große Zweifel, ob ich nicht etwas zu enthusiastisch an die Sache herangegangen war. Was, wenn da gar keine Party ist? Mein von Ruben verliehener Spitzname „Lord of the Container“ wäre unmittelbar gefährdet, von der Peinlichkeit gar nicht zu sprechen.
Die Gruppe war denn auch etwas ungläubig, als wir dann endlich vor der mondänen Partyörtlichkeit standen: eine Kellerbar, in der sich nach gründlicher Zählung exakt überhaupt kein Gast befand. 90 Minuten nach offiziellem Beginn der Festivität war offenbar noch kein einziges Getränk verkauft worden. Auf Nachfrage versicherte man uns, dass die Musik vom Laptop kommen würde. Statt Johan war also eher DJ Winamp zu erwarten. Ratlosigkeit machte sich breit. Ein Teil der Gruppe wagte sich dann doch hinein. Der Rest zeigte spontanes Interesse an „Lappis Beach“, einem zumindest ansatzweise einem Strand ähnelndem Küstenstück in der Nähe des Wohnheims. Seine Beliebheit begründet sich aber durch die dort befindliche Feuerstelle, die im Sommer eine gewisse Lagerfeuerromantik ermöglicht. Die Gruppe ist zumindest teilbegeistert. Eine attraktive Südafrikanerin namens Marian versichert mir, dass ich das alles ganz toll gemacht habe. Leider bin ich nicht in der Lage, zu erkennen, ob es sich dabei nicht um Ironie handelt.
Die Party bekommt langsam etwas Zulauf, wie wir bei unserer Rückkehr feststellen. Wir lassen uns im Inneren nieder und holen das erste Bier, das in Dosen á 0,33 Liter daherkommt und einen Alkoholgehalt von fünf Prozent besitzt, somit nicht mehr in einem normalen Supermarkt käuflich zu erwerben ist. Die Bar macht nicht viel her. Keine Discobeleuchtung, dafür geschmackvolle Rigips-Platten an der Decke. Es gibt zwei Toiletten: eine mit Licht, eine ohne. Letztere ist besonders spannend, wenn man sie mit Hilfe vom Handy-Display ausgestrahlten Lichts trotzdem zu benutzen sucht.
Der Raum füllt sich immer mehr – Nicole konnte den „DJ“ davon überzeugen, dass Nirvana zu Beginn nicht ein Stimmungsheber ist. Ab dann ist der Abend recht lateinamerikanisch geprägt. Ruben, der ja aus Mexiko kommt, scheint das nicht übermäßig zu überzeugen. Schon recht früh verabschiedet er sich auf dem Weg in den nächsten Club. Uana aus Brasilien, auch Bewohnerin des Containers und Inhaberin eines scheinbar den Hindu-Gott Vishnu abbildenden Arschgeweihs, sieht das anders und bleibt.
David, der lustige Tscheche aus dem oberen Stockwerk, holt ein Bier nach dem anderen. Irgendwann kommt auch der great Johan und spielt auf der Gitarre – mangels Verstärkung aber praktisch nicht hörbar. Ein Japaner, der Chuma oder so ähnlich heißt, sitzt neben mir. Er studiert auch Quantum Physics, hat aber seinen Abschluss in Biologie gemacht. Dies beruhigt mich ungemein, weil es gleichermaßen heißt, dass ich nicht der einzige sein werde, der keine Ahnung hat. Meinem neuen Mitbewohner Thibaut, auch in unserem Studiengang, scheint es ähnlich zu gehen.
Etwas angetrunken machen wir uns um halb eins auf den Rückweg. Wir, das sind Nicole, Dmitry und ich. Auf dem Uni-Gelände wird offenbar gerade ein Open-Air-Festival aufgebaut. Gegen halb 2 liege ich im Bett.
Samstag, 14:00 Uhr – da der Staffellauf (5x5km) nur noch eine Woche weg ist, habe ich einen Trainingslauf anberaumt. Die Staffel ist nicht so firm, wie ich dachte. Aus den ursprünglich 7 Läufern sind mittlerweile einige ausgeschieden: die zwei Ersatzläufer haben keine Zeit, zu Nikolai besteht kein Kontakt und Vinod tauchte zum Training nicht auf. Allerdings kommt dafür Peter aus Ungarn. So ist die Lücke doch nicht ganz so groß.
Die Wartezeit vor Beginn des Trainingslaufs gestaltet sich interessant. Das Open-Air an der Universität, an dem schwedische Größen wie The Ark und The Hellacopters spielen werden, wird von 14- bis 16-jährigen Mädels belagert. Offenbar scheinen sie sich zu guten Teilen für Hakan Hellström zu begeistern. Einige tragen unerklärlicherweise Matrosenanzüge und -mützen, andere haben sich als Pseudogothicweißschminkopfer betätigt. Es wird klar, dass dieses Konzert nicht unbedingt zu meiner Abendgestaltung gehören sollte.
Bei mir zeigen sich ganz woanders Defizite. Auch wenn ich nun seit einem halben Jahr praktisch täglich laufen gehe und 20 kg verloren habe, fällt es mir schwer, bei dem Tempo mitzuhalten. Ich werde nächste wohl eher ein Fall für den Start oder den zweiten Läufer sein, weil die letzten Läufer dank freier Bahn ihre Schnelligkeit ausspielen können.
Ich hänge daraufhin ein brauchbares Halbmarathontraining dahinter. Nach etwas über 15 km bin ich zurück – und platt.
Samstag, 21:00 Uhr – Es strebt mir nicht nach einem erfüllten Abendprogramm. Dennoch gehe ich in die Stadt, um das Open-Air von Rix FM zu erleben. Ich komme gegen 21:30 in der Stadt an – exakt in der Minute, als das Konzert zuende ist. Es ist schon bemerkenswert, dass man ein halbes Dutzend Acts in zweieinhalb Stunden durchschleusen kann. Lärmschutz ging hier wohl ganz klar vor. Ronney kommt mit einigen anderen hinzu. Wir spielen verwirrende Rolltreppenspielchen. Etwas später landen wir dann doch in der Kneipe, wo es das Bier (0,5 l) für 29 kr (3,11 €) gibt. Die Pinte in Karlsruhe ist zwar immer noch deutlich billiger, aber nach vier Wochen hier habe ich meine diesbezüglichen Ansprüche deutlich heruntergeschraubt. Nach einer Stunde dort geht es nach hause – zumindest für mich.
Sonntag, 20:00 Uhr – Meine großartig angekündigte Flurversammlung konstituiert sich langsam. Letztendlich sind wir rund 15 Leute. Die Liste meiner Vorschläge ist mehr als eine Seite lang. Umso erstaunlicher ist, dass alle nach einer Vorstellungsrunde lammfromm zuhören und praktisch alles abnicken.
Der anschließende „Partyabend“ droht zunächst zu kippen, aber nachdem der halbe obere Flur dazu kommt, läuft es hervorragend. Ich habe bald auch das Geld für die eingekauften Sachen wieder drin. Die Begeisterung für gemeinsame Aktivitäten ist in jedem Fall vorhanden. Rosige Aussichten also.
Montag – 12:00 Uhr – Meine Tandempartnerin hat abgesagt. Heute ist Student Union Day, wo sich die ganzen Gruppen des Studentenverbands vorstellen. Es lohnt sich sicher, das anzuschauen. Und wie geht es heute abend weiter? Wenig überraschend: Party.