Unfassbar

(BIld: Bernt Sønvisen, CC)

Ich möchte nicht allzuviele Worte der Anteilnahme schreiben – das haben andere schon getan, und sie können das vermutlich auch viel besser.

Mir geht es mehr darum, etwas den schwedischen und auch skandinavischen Blickwinkel einzubringen. Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass Norwegen für Schweden zwar Ausland ist, aber die Bindungen viel enger sind, als es dieser Begriff ausdrückt. Man kann es vielleicht mit dem Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland beschreiben, aber auch der Vergleich hinkt ein bisschen. Die Norweger sprechen eine Sprache, die selbst für einen schwedischen Fremdsprachler wie mich recht gut verständlich ist. Eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte schafft ein Gefühl der Verbundenheit, und es ist nicht übertrieben, wenn Kommentatoren vom Brudervolk sprechen.

Es wirkt fast so, als sei es in Schweden gewesen. Auch Fredrik Reinfeldt wirkte angeschlagen, als er heute morgen vor die Presse trat. Mein ungeteilter Respekt gilt aber Jens Stoltenberg. Anstatt wie viele Politiker vor ihm auf Rache zu sinnen, hat er das einzig Richtige getan und gesagt, dass dies die norwegische Demokratie nur stärken wird. Dieser Mann ist eine Inspiration. Bei allem Terror, der der Welt in den letzten 10 Jahren widerfahren ist, hat es kaum einen gegeben, der nicht bereit war, die Ideale, die die Terroristen – von welcher Seite sie auch kamen – angreifen wollten, über Bord zu werfen. Er lässt den Terror nicht siegen, indem er ihnen einen Teilerfolg verschafft. In dem unaufhörlichen Trend der letzten Dekade, bürgerliche Freiheit zugunsten von vermeintlicher Sicherheit zu opfern, ist das bewundernswert. Ich hoffe, er bleibt dabei.

Interessanterweise schienen mir seine Aussagen auch einen kleinen Blick in die norwegische Seele zu geben. Er sagte wörtlich: „Wir sind ein kleines Land, aber ein stolzes Land.“ Das ist etwas, das ich mir aus dem Mund eines Schweden nicht so ganz vorstellen könnte. Die Schweden mit ihrer Historie als ehemalige Großmacht sind in der Welt bekannt und geschätzt, was ein sehr gesundes Selbstbewusstsein zu geben scheint. Die Norweger hingegen fühlen sich als kleinen Akteur am Rand, der eher bescheiden zur Seite tritt und anderen den Vortritt lässt. Aber wenn ihnen der Wind ins Gesicht bläst, fallen sie nicht um. Ich wünsche ihnen diese Stärke auch in der kommenden Zeit, die sicher nicht einfach werden wird.

Auch der norwegischen Polizei muss man ein Kompliment aussprechen, die trotz des gewaltigen Medieninteresses nicht zur Vorverurteilung des mutmaßlichen Täters übergegangen ist, sondern sich streng an die gesicherten Fakten hielt.

Die Rolle der Medien: nicht nur Licht

Jenseits dieser Lobeshymnen muss ich aber auch noch zu den dunklen Seiten dieser unfassbaren Tragödie kommen.
So kann ich leider ein bisschen Medienschelte nicht verkneifen. Während deutsche Newsportale noch munter verkündeten, Stoltenberg sei an einem unbekannten Ort, während er gerade vor der versammelten Weltpresse sprach, schaute ich TV2 Norge im Livestream, das dankenswerterweise in Zusammenarbeit mit der schwedischen Boulevardzeitung Aftonbladet zur Verfügung gestellt wurde. Zwar war die Berichterstattung insgesamt mehr als ordentlich, aber es gab auch einige betrübliche Tiefpunkte. Genauso wie Johannes B. Kerner vor 9 Jahren beim Amoklauf in Erfurt stellten sich die Fernsehreporter hin und interviewten schamlos Jugendliche, die das Massaker überlebt hatten. Damals wie heute ist es pietätslos und ohne Erkenntnisgewinn für die Öffentlichkeit, wenn traumatisierte Jugendliche vor eine Fernsehkamera gestellt werden. Auch Handykameravideos, die direkt nach der Bombenexplosion aufgenommen wurden, hätte man nicht zeigen müssen. Der britische Telegraph hat sich auch nicht gerade verdient gemacht, als er gestern Bilder von blutüberströmten Menschen zeigte. Dass auch seriöse schwedische Medien Bilder und den vollen Namen des mutmaßlichen Attentäters publizierten, muss man wohl hinnehmen – das ist man leider gewohnt.

Populismus und geistiges Brandstiftertum

Welche unfassbaren Dinge man auch in den Medien gesehen haben mag: noch weniger begreiflich sind die Motive des mutmaßlichen Täters. Es ist alles noch sehr vorläufig, aber das Bild, das sich abzeichnet, ist erschreckend.
Es ist kein Wunder, dass die „Islamkritiker“ von Politically Incorrect sich äußerst knapp halten und die Kommentatoren Gift und Galle versprühen, um allen anderen die Verantwortung für diese Morde anzulasten, nur nicht sich selbst. Es sieht nämlich so aus, dass Anders B. ein Produkt dieses geistigen Brandstiftertums ist, das Geert Wilders und zahlreiche rechtspopulistische Parteien in Europa seit längerem betreiben. Diese Menschen betreiben eine Ideologie des Hasses, die vermeintlich eine bürgerliche Gesellschaft verteidigt, aber in Wirklichkeit ihre fundamentalsten Prinzipien missachtet.

Mutmaßlicher Täter war Mitglied in der „Fortschrittspartei“

Nicht ganz zufällig war der mutmaßliche Attentäter bis 2004 Mitglied in der Fremskrittspartiet (Fortschrittspartei), die wie die Schwedendemokraten auch versuchen, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Die Parteivorsitzende Siv Jensen ist bemüht, ihre Solidarität mit dem sozialdemokratischen Jugendverband AUF auszudrücken. Sie sagt es mit „Heute sind wir alle AUF-ler“ – ein Ausdruck, der aber nicht von ihr erfunden wurde, sondern an vielen Stellen zu lesen ist.

Doch habe ich wenige Zweifel, dass der Nährboden für diesen Irrsinn in solchen rechtspopulistischen Parteien vorhanden ist. Noch schlimmer sind freilich Portale wie Politically Incorrect oder das jetzt im Rampenlicht stehende document.no, wo Hass auf den Islam und alle, die ihn nicht teilen, gepredigt wird. Document.no hat wenigstens den Mut, die Aussagen, die der mutmaßliche Täter auf ihrem Portal von Herbst 2009 bis Herbst 2010 getätigt hat, in voller Länge zu veröffentlichen. Ich habe weder Zeit noch Lust, das alles durchzulesen, aber schon ein paar Leseproben zeigen, wohin die Reise geht. Leider sieht man nicht, wie andere reagiert haben, aber man kann es sich denken.
Wer derartigen Hass versprüht, braucht sich nicht zu wundern, wenn irgendein Wahnsinniger die Vorstellungen zur Wirklichkeit werden lässt. Sie können nicht sagen, sie hätten das nicht gewollt.

Man kann nur hoffen, dass infolge dieser schreckliche Tat der Wahnsinn, der zu ihr beitrug, ein Ende haben wird.

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