Wie schon mehrfach angeklungen, interessiere ich mich seit einiger Zeit etwas für die Südpolarforschung, insbesondere für das legendäre Wettrennen von Scott und Amundsen zum Südpol vor genau 100 Jahren.
Vor ebenso ziemlich genau 100 Jahren erlebten Robert Falcon Scott und seine Gefährten Henry Bowers und Edward Wilson ihre letzten Stunden in einem Zelt auf 79° 50′ S, nur 11 geographische Meilen entfernt von einem großen Depot.
Vorangegangen war eine qualvolle Rückreise. Am 19. Januar 1912 erreichten sie den Pol, über einen Monat nach Amundsen, was ein harter Schlag gewesen sein muss. Die Strapazen einer solchen Reise sind für uns heute ohnehin kaum vorstellbar – der volle Weg zum Pol und zurück wäre über 2500 km lang gewesen. Die Ausrüstung war damals erheblich primitiver und weniger ausgereift als heute. Dazu fehlten wichtige Erkenntnisse der Ernährungslehre, so dass die Rationen zu klein ausgelegt waren und konstanter Vitamin-C-Mangel in verschiedenen Fällen zu Skorbut führte, was auch auf Scotts letzte Gruppe Auswirkungen gehabt haben kann.
Als die letzte Unterstützergruppe umkehrte, nahm Scott überraschend fünf statt vier Männer mit – wohl auch ein Grund für das letztendliche Scheitern. Auf dem Rückweg starb Edgar Evans schon am 17. Februar 1912, mutmaßlich an Verletzungen nach einem schweren Sturz. Bei Lawrence Oates verschlechterte sich der Zustand immer mehr. Das Wetter wurde schlechter, und die ohnehin knappen Reserven waren bald so gering, dass es kaum noch etwas zu essen gab und die Männer sich von Depot zu Depot retteten. Am 16. März 1912 verließ Oates das Zelt, um in der Kälte umzukommen. Die einzige Quelle dieser Tage ist das Tagebuch von Scott – die anderen Männer hatten schon lange vorher aufgehört, Tagebuch zu führen. Er zitiert Oates mit den Worten
I am just going outside and may be some time.
Das Opfer rettete die anderen jedoch nicht mehr. 5 Tage später mussten sie erneut pausieren, weil das Wetter extrem schlecht war. Das Essen ging aus. Die Aufzeichnungen der letzten Tage sind teilweise wirr. Scott kommt mit dem Datum teilweise durcheinander. Einmal spricht er davon, dass sie auf dem Marsch sterben wollen, dann wieder davon, dass Bowers und Wilson gehen sollen, dann klingt es wieder so, als gäbe es noch Hoffnung. Seltsam ist auch, dass in den letzten 5 Tagen vor dem allerletzten Eintrag anscheinend nichts mehr geschah, was natürlich auch an Fehldatierungen liegen kann.
Thursday, March 29.—Since the 21st we have had a continuous gale from W.S.W. and S.W. We had fuel to make two cups of tea apiece and bare food for two days on the 20th. Every day we have been ready to start for our depot 11 miles away, but outside the door of the tent it remains a scene of whirling drift. I do not think we can hope for any better things now. We shall stick it out to the end, but we are getting weaker, of course, and the end cannot be far.
It seems a pity, but I do not think I can write more.
R. SCOTT.
For God’s sake look after our people.
Im darauffolgenden antarktischen Frühling wurden sie von einer Suchgruppe gefunden, die die Aufzeichnungen und zahlreiche geologische Proben bargen. Das ist auch das einzige, was man absolut sicher sagen kann: von wissenschaftlichen Resultaten her gesehen war Scotts Expedition wertvoller.
Dies ist aber wohl das so ziemlich einzige, was nicht kontrovers diskutiert wird. Ohne Frage war Amundsen besser ausgerüstet und bediente sich u.a. des reichen Erfahrungsschatzes der Inuit. Ob man aber ein Versagen Scotts konstatieren kann, ist Ansichtssache, denn seine Tagebücher enthalten auch viele Hinweise darauf, wie umfangreich er die Expedition plante. Wie bei fast allen großen Katastrophen ergaben viele kleine Fehler letzten Endes einen großen, der fatale Folgen hatte.
Mir bleibt nur, noch einmal auf ein hervorragendes Projekt hinzuweisen, das meiner Ansicht nach viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hat: Scott vs. Amundsen ist ein Blog, das Tagebuchaufzeichnungen etc. der beiden Polarpionier enthält und so die Geschichte der beiden Expeditionen nüchtern nacherzählt. Meine Hochachtung für den anonymen Macher des Projekts, der trotz faktischer Reaktionslosigkeit des Publikums seit 2007 daran arbeitete.