Vor über 10 Jahren eröffnete das erste Dunkelrestaurant in Zürich, bald danach gab es das erste in Deutschland. Das Konzept ist simpel und faszinierend: es ist stockdunkel, so dass man nicht auf das Ambiente achtet, sondern auf Geräusche und den Geschmack. Und man kann sich die Welt der Blinden begeben. Die Kellner sind üblicherweise auch blind, was wiederum für diese eine tolle Erfahrung ist, denn ausnahmsweise sind sie diejenigen, die den sensorischen Vorteil haben.
Mich hat so etwas schon seit langem mal interessiert, aber leider hat es sich nie ergeben. Das liegt schon alleine daran, dass sich das Konzept zwar erfolgreich zu behaupten scheint, aber deswegen noch lange kein Flächenphänomen ist. In Deutschland gibt es eine Reihe solcher Lokale, vornehmlich in größeren Städten. In Schweden gibt es (nach eigener Aussage) jedoch nur eines: den Svartkrogen.
Svart ist unschwer als das Wort „Schwarz“ zu erkennen. „Krog“ (gesprochen „Krug“) ist fast unübersetzbar, da es von der Landgaststätte über das schicke Restaurant bis zum Nachtclub anscheinend nahezu alles gastronomische sein kann.
Leider handelt es sich beim Svartkrogen um keine ständige Einrichtung. Es gibt vielleicht ein oder zwei Öffnungstage im Monat. Man muss den Besuch also langfristig planen. Das Ganze hat auch mehr einen Eventcharakter: alle gehen gemeinsam rein und auch wieder raus. Der Preis ist auch nicht von schlechten Eltern: 895 Kronen (derzeit ca. 100 €) kostet es pro Person, und angesichts dessen musste man die Buchung auch schriftlich bestätigen. Ich habe es geschenkt bekommen und konnte insofern vollkommen unbeschwert genießen.
Dafür bekommt man auch etwas geboten. Das Restaurant ist nämlich nicht mitten in der Stadt, sondern ist ein klein wenig idyllischer gelegen:
Es befindet sich im Konferenzzentrum Almåsa, gut 30 Kilometer südlich von Stockholm in der Gemeinde Haninge. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln unerreichbar, bleibt nur das eigene Auto oder ein Taxi – hier hat man ein Abkommen mit einem lokalen Taxiunternehmen, das besonderen Rabatt gibt. Es liegt direkt am Wasser mit Blick auf die südlichen Schären von Stockholm und wurde in den 1950er Jahren von Sehbehinderten aufgebaut. Es ist daher auf deren Bedürfnisse eingerichtet. Alles ist auch in Braille markiert, und an bestimmten Punkten stehen Lautsprecher, die in regelmäßigen Abständen einen bestimmten Ton oder ein bestimmtes Geräusch abgeben, um die Orientierung zu erleichtern. Die vier Sterne an der Tür machen deutlich, dass es sich hier für Sehende und Nichtsehende um höchsten Standard handelt.
Wer schon vorher Zeit hat, darf auch Sauna, Pool etc. nutzen, bevor es losgeht. Der Abend beginnt mit einem Sektempfang und einer Einführung durch (in unserem Fall) Joakim, der sozusagen der Conferencier ist. Man wird gebeten, bitte alle Lichtquellen abzuschalten oder zu verstecken – viele vergessen gerne, dass viele Uhren leuchten. Im Alltag ist das unbedeutend, in vollkommener Dunkelheit aber merkbar. Doch die will man hier erreichen.
Daher wies man uns auch noch darauf hin: wer besondere Essenswünsche hat, solle diese bitte – falls noch nicht geschehen – sofort anmelden, denn es ist nicht so, dass man als Allergiker oder Vegetarier in völliger Dunkelheit Teile des Essens aussortieren könnte, die man nicht zu sich nehmen kann oder möchte. Das Drei-Gänge-Menü war zudem geheim, denn es ging um das Geschmackserlebnis ohne die sonst so wichtigen optischen Sinneseindrücke.
Der weitere Ablauf war simpel: in einem Nebengebäude gab es einen Vorraum, von dem aus es in den Speisesaal ging. Ein Gang, bei dem man nach zwei Windungen schon keinerlei Licht mehr hatte, führte hinein. Man sollte eine Hand immer an der Wand halten, um nicht vollkommen die Orientierung zu verlieren. Die Wand war als kleines Extra mit Dingen zum Ertasten ausgestattet. Am Ende wartete ein Kellner auf uns, der uns zum Tisch führte.
Natürlich gab es die Möglichkeit, zwischendrin auf die Toilette zu gehen – und diese hatte sogar Licht! Dazu musste man aber jedes Mal wieder heraus ins Vorzimmer. Ich verzichtete darauf, was dazu beitrug, dass ich bis zum Schluss nur wenig Ahnung hatte, wo der Ausgang ist und wie der Raum aufgebaut ist. Ich wusste nicht einmal, wer neben uns saß und hätte unsere Nachbarn auch draußen nicht wiedererkannt.
Einfachste Dinge geraten zur geraten Herausforderung. Die Wasserflaschen hatten Kronkorken. Also musste man erst einmal herausfinden, wo der Öffner am Tisch war. Wenn man einschenkte, hatte man zudem keine Ahnung, wie voll das Glas war. Ich behalf mir damit, einen Finger in das Glas zu halten, um rechtzeitig den kritischen Wasserstand zu bemerken. Ähnlich schwierig war das Essen. Ich benutzte das Besteck, soweit es ging, aber man schiebt viel auf den Rand (und darüber hinaus). Letzten Endes helfen nur die Finger bei der Erfassung der Lage. Manche aßen gleich ohne Besteck – gesehen hat es schließlich keiner. Wenn man nicht weiß, was man da auf dem Teller hat, ist es schwer, Tischmanieren aufrecht zu erhalten.
Man versteht schnell, mit welchen Schwierigkeiten Sehbehinderte konfrontiert sind, wenn es darum geht, solche alltäglichen Dinge zu meistern und dabei auch noch gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Für die Kellner muss es eine ebenso spannende Erfahrung sein, hier einmal Rollentausch spielen zu können.
Apropos Kellner: was man vorher nicht geahnt hatte und dem ganzen das Sahnehäubchen aufsetzte, war die „Nebenbeschäftigung“ der Kellner. Sie waren nämlich nicht nur Personal, sondern auch die Comedy- und Musikgruppe „De synliga“ („Die Sichtbaren“), die mehrere ihrer selbstgeschriebenen Stücke zum besten gaben. In diesen setzten sie sich auf fröhliche und hintersinnige Art mit ihrer Behinderung auseinander. Die Ansagen der Lieder hatten schon Kabarettqualität.
Das machte den Abend kurzweilig, und da konnte ich nur dankbar dafür sein. Das Netzhautflimmern hört zwar nicht auf, aber wenn man länger in absoluter Dunkelheit sitzt, verliert man jedes Zeitgefühl. Und mit der Abwesenheit von Licht assoziert mal vor allem eines: Schlaf. Ohne die Musik wäre ich zwischendrin bestimmt einmal weggedöst.
Nach einer tollen „Show“ (absurdes Wort in diesem Zusammenhang) und einem opulenten Essen ging es dann wieder ins Licht. Es waren drei Stunden vergangen. Ich hätte zu gerne den Raum einmal im Licht gesehen. Es muss chaotisch ausgesehen haben.
Der Abend klang aus bei Kaffee und Tee.
Das alles war den Preis wert. Es ist sicherlich nichts, was man öfter machen kann, und auch nicht gerade etwas, das man einfach so verschenken kann. Aber es ist definitiv ein spannendes Erlebnis, das man jedem, der nicht gerade panische Angst vor dem Dunkeln hat, ans Herz legen kann.
Spannend! Was gab es denn nun genau und wie war das Essen? Schmeckte das Essen mehr, als wenn man abgelenkt ist durch Seheindrücke?
Das weiß ich leider nicht mehr – der Besuch ist schon eine Weile her. Man konzentrierte sich vielleicht mehr auf das Essen als sonst, würde ich sagen, aber eine Geschmacksexplosion vermochte ich jetzt nicht zu vernehmen.