Meine Kurse sind erledigt. Ich bewege mich nicht mehr so viel in den Korridoren dieses Gebäudes. Es fiel mir nicht so richtig auf: es ist ruhiger geworden. Es muss zumindest, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es gibt weit weniger internationale Studenten als noch vor einem Jahr.
Der Grund dafür ist simpel: Studiengebühren.
Als EU-Bürger, Bürger von Liechtenstein, Norwegen, Island oder der Schweiz muss man diese nicht bezahlen. Alle anderen trifft es größtenteils, und zwar oft nicht sanft.
So darf man beispielsweise bei der KTH mittlerweile mindestens 145.000 schwedische Kronen (knapp 16.000 Euro) pro Studienjahr bezahlen.
Das ist teuer, und auch wenn einige schwedische Hochschulen sicherlich hohes Ansehen genießen – Harvard, Cambridge, Princeton, Oxford und Yale sind nicht in Schweden. Und deswegen sind nicht nur wenige in der Lage, solche Summen aufzubringen. Von denen, die es können, sind auch nur wenige bereit, es wirklich zu tun. Die Effekte sind gravierend. Von 2010 auf 2011 ist die Anzahl der neuen Masterstudenten in Schweden um um 58 Prozent gesunken.
Wer bewirbt sich?
Diese Grafik zeigt die Anzahl der Bewerbungen für die Top 10 des Jahres 2010. Man sieht es deutlich: die Bewerberzahlen sind massiv gesunken, mit Ausnahme von Äthiopien um jeweils über 70%. Pakistan und Kamerun haben mit jeweils über 90% die größten Rückgänge. Mittlerweile ist Äthiopien das Land, aus dem die meisten Bewerbungen kommen. Schaut man hingegen auf die EU-Länder, wuchs das Interesse eher leicht.
Wer sich nun noch bewirbt, ist schwer festzustellen. Denn in der nächsten Stufe werden die offenkundig untauglichen Bewerber aussortiert, und an deren Anteil hat sich nicht viel geändert. So erfüllten letztes Jahr 58% der chinesischen Bewerber die formalen Anforderungen, heute sind 54%. Einsame „Spitze“ ist Nigeria – rund 95% der Bewerbungen von dort fallen durch, 2010 wie 2011. Es sieht also so aus, als sei die Qualität der Bewerber gleichbleibend gut oder schlecht. Angesichts der hohen Gebühren sollte man erwarten, dass vermehrt Kinder aus reichem Hause, die bei den ganz Großen in der akademischen Welt nicht landen konnten, es in Schweden versuchen sowie große Talente, die durch ihre Exzellenz auf gebührenmildernde Stipendien hoffen können. Sollte dem so sein, so scheinen sich die Effekte in weiten Teilen auszugleichen.
In anderen Worten: die stark reduzierte Zahl der Bewerber wirkt sich auch proportional auf die Zahl der tauglichen Bewerber aus. Letzten Endes ist aber nun die Frage, wer denn angenommen wurde.
Wer kommt rein?
Dabei stellt man etwas vermeintlich Selbstverständliches fest: die Schweden stellen doch tatsächlich die größte Fraktion. Das war zuvor nie so. In absoluten Zahlen hat sich zwar nicht all zu viel geändert – der Anstieg von rund 2000 auf rund 3000 wäre bei den vorherigen Verhältnissen nicht so aufgefallen – aber durch den massiven Einbruch der vorherigen Spitzenreiter wie Pakistan, Indien etc. rücken sie nun auf, und mit ihnen Studenten aus der EU, die nun auf weit weniger Konkurrenz treffen. Der Anteil aus den gebührenbefreiten Ländern ist von 13% auf 41% gestiegen, so dass Großbritannien, wo man in der Regel zahlen darf, und Deutschland nun in der Spitzengruppe sind.
Ein Blick auf die einzelnen Universitäten ist auch interessant. Mit Ausnahme der Chalmers-Hochschule in Göteborg, die die Zahl der Masterstudenten um 18% steigern konnte, haben alle Hochschulen mindestens 27% verloren. Meine Annahme, dass v.a. Hochschulen im ländlichen Raum Einbußen hinnehmen müssen, bestätigt sich nicht ganz. Zwar konnten sich fast alle Großstadthochschulen ganz gut behaupten, aber auch Jönköping (45% Verlust) und Luleå (47%) schlagen sich ganz gut, während die großstadtnahe Södertörns Högskola (im Süden Stockholms) noch ganze 12 Masterstudenten hat. Letztes Jahr waren es 249, was einem Rückgang von 95% entspricht und damit das Schlusslicht macht.
Dass Chalmers so erfolgreich ist, liegt vermutlich auch an den vergleichsweise niedrigen Studiengebühren von 70.000 SEK im Jahr. Das ist zwar immer noch ein Batzen, aber eine renommierte Universität kann sich das wohl eher erlauben als eine vergleichsweise unbekannte junge Hochschule wie Södertörns, die ab 85.000 SEK verlangt. Der etwas niedrigere Preis hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Chalmers eine private Hochschule in Stiftungsbesitz ist. Die Hochschulen sind nämlich anscheinend dazu angehalten, mit den Studiengebühren die realen Kosten zu decken, wobei eine Privatuniversität vermutlich leichter Bilanzschiebereien unternehmen kann als eine öffentliche Hochschule.
Besser oder schlechter?
Das Bild ist eindeutig: die Gebühren haben die Bewerber in Scharen davongejagt, was die Studentenzahlen aus außereuropäischen Ländern stark reduziert hat. Den EU-Bürgern erleichtert es etwas den Einstieg, aber faktisch sind sie nur deswegen plötzlich eine große Gruppe, weil die anderen weggeblieben sind.
Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wieviele von den Angenommenen wirklich dann aufkreuzen. Vielleicht haben viele von ihnen woanders ein besseres (d.h. billigeres) Angebot erhalten und verzichten auf den Platz, was wahrscheinlich in dieser Statistik gar nicht berücksichtigt werden kann.
Auf den ersten Blick wirkt die Politik also gnadenlos gescheitert. Zuvor sehr beliebt beim internationalen Publikum, ist Schweden massiv abgestürzt.
So einfach ist das Ganze aber nicht. Denn die Frage bleibt, ob sich Schweden überhaupt einen Gefallen damit getan hatte, diese Angebote zu machen. Mit anderen Worten: hat man eine Art Bildungsblase geschaffen, die zwar die Studentenzahlen spektakulär anschwellen ließ, die aber letzten Endes Schweden wenig gebracht hat?
Wenn man davon absieht, dass man im Sinne einer Entwicklungshilfe vielleicht Ausbildungen kostenlos anbieten will, so kann es eigentlich nur zwei Motivationen geben: zum Einen möchte man junge Leute mit Potenzial anwerben, die dann möglicherweise hier bleiben und damit die schwedische Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen. Zum Anderen würden Rückkehrer ein positives Bild von Schweden verbreiten und schwedischen Unternehmen und Hochschulen attraktive Kooperationen verschaffen.
Ich kann hierzu freilich keine tragfähige Untersuchung anbieten, aber etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Dazu aber morgen mehr.