Jonathan Safran Foer – Tiere essen (Eating Animals)

Selten folge ich aktuellen Buchtrends. Noch seltener lese ich ein Buch schnell durch. Dieses ist in beider Hinsicht eine Ausnahme.

Ich vertrete schon seit längerem die Ansicht, dass Fleisch in der allgemeinen Ernährung zu gewöhnlich geworden ist, während jahrhunderte-, wenn nicht gar jahrtausendelang Fleisch als etwas besonderes galt, das auch nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch kam. Diese Wertschätzung ist verloren gegangen. Das ist kulturell ein Verlust, aber hat eine weit größere Tragweite. Ich selbst habe den Schluss gezogen, zuhause zu vegetarischer Ernährung zu tendieren, oder simpler gesagt, beim Einkauf einfach kein Fleisch mehr mitzunehmen.

Foer macht keinen Hehl daraus, dass er lange Zeit und immer mal wieder Vegetarier war (und ist). Was sein Buch aber angenehm abhebt, ist, dass ihm dieser weltverbesserischer Eifer fehlt, der jedem Fleischesser die ganzen Peta-Aktivisten und auch schon viele handelsübliche Vegetarier höchst suspekt macht. Ein solcher führt nämlich eher dazu, dass die Argumentation auf der Schiene verläuft, dass Vegetarier (und noch mehr Veganer) in jeder Hinsicht die besser lebenden (und damit wohl auch besseren) Menschen seien und sich jeder, der ein Schnitzel anguckt, gefälligst unheimlich schlecht vorkommen muss.

Das Buch beschäftigt sich aber nicht nur mit Betrachtungen dieser Art, sondern vielmehr mit einer Darstellung der Industrie, die uns tagtäglich mit dem Essen auf unseren Tellern versorgt. Es ist trotzdem ein Panoptikum des Grauens geworden. Überzüchtete eingeklemmte Tiere, die in Massen krepieren – das volle Programm. Ich kaufe ihm diese Darstellung weitestgehend ab. Das Buch scheint nämlich sehr gut recherchiert zu sein. Mir ist nur ein Fehler aufgefallen: an einer Stelle heißt es, Vegetarier lebten im Schnitt länger (weil gesünder). Dies beruht anscheinend auf einer Misinterpretation der Daten.

Er spricht aber auch von den Alternativen, die (in den USA zumindest) beinahe verschwunden sind: Bauern, die ihren Tieren ein schönes Leben bereiten und dafür sorgen, dass sie bei der Schlachtung schnell und schmerzlos sterben. Er spricht aber auch ganz offen über das Dilemma, das hierbei entsteht: weder kann man die unglaublichen Fleischmengen, die in Europa und Nordamerika verzehrt werden, auf diese Art herstellen, noch ist dies zu dem Preis möglich, den wir mittlerweile gewohnt sind. Das Buch ist sehr US-zentriert, denn für den Markt wurde es natürlich auch geschrieben. Dort hat industrielle Fleischproduktion einen Markteinteil von rund 99%. Es fällt schwer, zu glauben, dass die gleichen horrorartigen Zustand auch in Europa den Markt so dominieren. Ich glaube es ehrlich gesagt auch nicht so ganz – zumindest in Deutschland kann konstatiert werden, dass der Familienbauernhof (noch) keine Randerscheinung ist. Meldungen wie diese hier, wo 4000 Hühnern beim Transport die Flügel gebrochen wurden, finden ihren Weg in die Medien – bei Foer sind sie der Normalzustand und damit wohl kaum noch berichtenswert.

Dennoch darf man sich keine Illusionen machen: unser idyllisches Bild vom Bauernhof ist ein Wunschtraum. Hier geht es um knallharten Kapitalismus, der nur in staatlicher Kontrolle seine Grenzen findet. Ein Blick ins aktuelle Prospekt von real zeigt mir, dass selbst bestes Schweinefleisch nur 5,55 € pro Kilo kostet. In Schweden ist der Preis wohl etwas höher. Da muss man sich schon fragen, ob diese Tiere gut zu Essen bekamen, Freilauf und ein einigermaßen langes Leben hatten, wenn am Schluss ein Kilo von ihnen 5,55 € kostet. Ist dies zu so einem Preis möglich?

Selbst wenn es so ist: es ist den Menschen egal, und das ist das eigentlich beklemmende an dem Buch. Jeder setzt sich intensiv damit auseinander, wie man aus guten Zutaten gutes Essen macht. Keiner will aber wissen, wo dieses Essen herkommt – nicht aus Desinteresse, sondern eher aus bewusst gewählter Ignoranz. Es ist ein nicht wissen wollen aus der Befürchtung, etwas zu erfahren. Wir wollen, dass die Spielzeuge unserer Kinder frei von Schadstoffen sind und veranstalten einen Riesenterz um letztendlich harmlose Arzneien. Wie aber das Zeug produziert wird, das viele von uns jede Woche kiloweise in sich hineinschaufeln, wollen wir nicht wissen. Wir besuchen Autofabriken, aber keine Schlachtereien. Man kann es einem nicht verdenken – ich will das auch nicht sehen.

Solange uns aber Missstände in Autofabriken mehr interessieren als Missstände in Schlachtereien, kann kein politischer Druck entstehen. In der Hinsicht haben sich in Europa die Grünen und allerlei Verbände große Verdienste erwiesen, hier vorangegangen zu sein, auch wenn es keine populäre Position war.

Ich habe die letzten Wochen auch dazu genutzt, im Freundes- und Bekanntenkreis das Thema etwas zu diskutieren. Angesichts dessen, dass das Angebot vegetarischer Alternativen ein Standard geworden ist, scheint die Skepsis erstaunlich tief verankert zu sein. Es ist ein heißes Thema, schon weil es vielen nicht einmal als diskutierenswürdig erscheint. Vegetarische Ernährung wird oft als Notlösung gesehen, nicht als Alternative. Es scheint sogar überraschend zu sein, dass ein vegetarisches Gericht schmecken kann – auch wenn es freilich nicht muss. Fleischverzehr wird als essentiell angesehen – etwas, auf das man bei einer abgerundeten Ernährung gar nicht verzichten kann. Das ist so natürlich nicht richtig. Es ist eher ein Tribut an die Bequemlichkeit, eine Mischung aus sozialer Konvention, dem verlockenden Geschmack und schlichter Gewohnheit. Schon alleine den Gedanken zu formulieren, eine auch nur vorwiegend vegetarische Ernährung, erzeugt Reaktionen, als habe man gerade verkündet, man wolle morgen mit einem Schlauchboot Walfangschiffe stürmen. Glühbirnen auszutauschen gegen den Klimawandel ist für jeden eine Option, aber den Bedarf für die unheimliche aufwändige Tierhaltung zu reduzieren nicht. Hier greift auch das klassische Ich-als-einzelner-kann-sowieso-nichts-tun-Argument, was natürlich einen Stillstand zementiert.
Auch einen Blick auf die Speisekarten habe ich in letzter Zeit geworfen. Man kann froh sein, wenn 10% der angebotenen Gerichte vegetarisch sind. Die Marktmacht der Vegetarier drückt sich anscheinend eher in der Bildung von Parallelstrukturen aus – kein vielversprechender Weg, einen allgemeinen Wandel zu stützen.

Ich stimme in bestimmten Schlussfolgerungen nicht mit Foer überein. Er weist gegen Ende darauf hin, dass man in seinen Ausführungen eine Aufforderung sehen sollte, nicht weniger, sondern gar kein Industriefleisch zu essen. An diesem Punkt fällt er aber auch in die weltverbesserische Rhetorik, die, wie oben erwähnt, nicht typisch für ihn ist. Dass nur eine Änderung eintreten könne, wenn man ganz diesem Fleisch abschwört, ist etwas naiv. Wer nach dem ganzen Kuchen schreit, wird nachher kaum mehr als Krümel kriegen. Jedes verkaufte Kilo Fleisch, das nicht aus dieser Quelle stammt, bewegt die Marktverhältnisse und zwingt letzten Endes alle Marktakteure, auf die veränderten Kundenprioritäten zu reagieren.

Deswegen fühle ich mich im Grunde nur umso mehr in meiner Haltung bestätigt: die Ignoranz ist eher das Problem als der Fleischverzehr an sich. Wenn Fleisch die Ausnahme anstatt der Regel ist, wenn man bewusst einkauft anstatt nur das billigste im Regal zu nehmen, wenn man höhere Standards in den Bauern- und Schlachthöfen von der Politik verlangt und dafür gerne auch mehr Geld auf den Tisch zu legen, dann ist schon viel gewonnen.