Es ist eine Binsenweisheit, die sich ins deutsche Bewusstsein eingefressen hat: ein Mord verjährt nie.
Dabei war das keineswegs immer so. Bis 1965 gab es eine Verjährungsfrist von 20 Jahren. Da man den 8. Mai 1945 als frühestmögliches Datum für die Verfolgung von Nazi-Verbrechen nahm, drohte sie auszulaufen. Diese Verbrechen ungesühnt lassen wollte man aber nicht. Das Anfangsdatum wurde zunächst auf 31. Dezember 1949 versetzt, was also eine Verlängerung bis 1969 bedeutete. Dann wurde die Frist auf 30 Jahre angehoben, und 1979 wurde die Verjährung endgültig abgeschafft. Heute ist dies praktisch unumstritten.
Sinnigerweise sind es die Neonazis, die jeden August mit Spruchbannern „Mord verjährt nicht“ durch die Lande ziehen, um zu proklamieren, dass man ihren verblichenen Helden Rudolf Heß ermordet haben soll – was freilich auf einer nur sehr dürftig mit Fakten untermauerten Verschwörungstheorie fußt.
In Schweden, weit weg von solchen Dingen, verjährte Mord seit jeher nach 25 Jahren. Im Normalfall spielt das keine Rolle, denn nach 25 Jahren werden kaum noch Morde aufgeklärt. Aber es gibt einen, der noch immer großes Interesse hervorruft: der Mord an Schwedens Regierungschef Olof Palme am 28. Februar 1986, der an jenem Tag nach einem Kinobesuch von einem Unbekannten niedergeschossen wurde und noch vor Ort verstarb.
Damals ging viel bei der Ermittlung schief, aber wohl nicht nur deswegen ist bis heute nicht klar, wer der Täter war. Die abstrusesten Theorien wurden aufgestellt: die Südafrikaner, die RAF – alle wollen und können es gewesen sein. Erst neulich wollte ein ehemaliger jugoslawischer Geheimdienstmann die Welt wissen lassen, dass natürlich sein Geheimdienst Palme getötet habe. Mit Christer Pettersson, ein schon einmal wegen Totschlags verurteilter Drogenabhängiger, konnte man einen Verdächtigen präsentieren, der aber letztinstanzlich freigesprochen wurde. Er ist bis heute einer der wahrscheinlichsten Kandidaten, schon weil Palmes Witwe ihn identifizierte und es als es recht sicher gilt, dass er in der Umgebung des Kinos war. Aber selbst wenn er es war, wird man es nie klären können: er verstarb 2004.
Damit ist auch das Dilemma dieses Verbrechens schon beschrieben: es ist soviel gesagt, geschrieben und gemutmaßt worden, dass man den Täter nie finden wird.
Normalerweise hätte man sagen können: eine Woche noch, dann sind die 25 Jahre um und das Thema damit gegessen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann einer vortritt und sagt, wie es wirklich war, ist verschwindend gering. Vor einem Jahr beschloss aber der Schwedische Reichstag, dass alle Morde, die nach dem 1. Juli 1985 begangen wurden, nicht mehr verjähren. Das Gesetz trat am 1. Juli 2010 in Kraft, womit Verbrechen, die eigentlich schon verjährt waren, nicht wieder „entjährt“ werden.
Die Motivation hierzu ist offiziell, dass die internationalen Rechtsnormen sich mit der Zeit gewandelt hätten und deswegen Mord und Völkermord nicht mehr verjähren sollen. Dass damit der Palme-Mord auch nicht mehr verjährt, ist aber wohl kaum Zufall. Eins ist jedenfalls sicher: damit hat man der schwedischen Polizei ein ziemliches Ei gelegt.
Anders ist die kuriose Pressekonferenz, die gestern abgehalten wurde, kaum zu erklären. Die Presse war in voller Stärke angerückt, um genau das zu hören, was sie erwartet hatte: es gibt nichts Neues zum Palme-Mord, aber es wird weiter ermittelt – auf schwedisch nennt sich das sinnigerweise auch noch „förundersökning“ („Voruntersuchung“), was natürlich nach so einer langen Zeit ein schlechter Witz ist.
Sehr amüsant auch die Antwort auf die Frage eines Journalisten, wie alt denn die Ermittler seien. Um die 60 sind sie, und damit alle kurz vor der Pension. Die Ermittlungen gingen natürlich weiter in den Händen von Nachfolgern, wurde sogleich versichert, aber es drängte sich schon der Verdacht auf, dass die Palme-Kommission ein ruhiger Arbeitsplatz für die etwas älteren Semester der Polizei ist. Nicht dass die nichts zu tun hätte: zwei bis drei Hinweise kommen täglich immer noch herein . Aber etwas Neues ist selten dabei, und so kann man die allermeisten sofort zu den Akten legen. Von welcher „Qualität“ die meisten Tipps sind, kann man nicht nur an solchen Räuberpistolen wie dem oben erwähnten jugoslawischen Geheimdienstkomplett ersehen, sondern auch daran, dass in den 25 Jahren nicht weniger als 130 Personen den Mord an Palme gestanden haben. Dummerweise konnte keiner von denen das glaubwürdig vermitteln.
Es sieht so aus, dass die Polizei hier auf lange Zeit ein paar Planstellen für Polizisten einrichten muss, die Freude daran haben, wertlose und skurrile Hinweise zu bearbeiten, aber ohne Ermittlungserfolge leben können. Die entsprechenden Beamten rechnen nach der heutigen Medienaufmerksamkeit schon damit.
Prinzipiell halte ich es für richtig, dass Mord niemals verjährt. Das hier ist einer der Fälle, wo man das Prinzip auch dann noch hochhalten muss, wenn als Kollateralschaden Steuergelder für eine offenkundig aussichtslose Ermittlung ausgegeben werden.
Nun, das Ganze hat noch einen weiteren Aspekt. Eigentlich hätten nach 25 Jahren alle Ermittlungsakten freigegeben werden müssen, aufgrund der Gesetzesänderung und der somit weiter andauernden „Ermittlungen“ ist dies nun nicht der Fall – die Akten bleiben weiter unter Verschluss….
Ein schöner Artikel dazu steht im Tagesspiegel:
http://www.tagesspiegel.de/politik/mordsmaessiges-schweigen/3882670.html
Das ist sicherlich ein Aspekt – zumindest, wenn man davon ausgeht, dass in den Ermittlungsakten irgendetwas ist, das von Interesse wäre. Mittlerweile umfassen sie über 3000 Ordner. Anscheinend arbeiten die Polizisten mitlerweile zu guten Teilen nicht mehr am Fall selbst, sondern an Informationsanfragen von Journalisten etc., bei denen sie schauen müssen, ob diese von der Geheimhaltungspflicht betroffen sind.
Ich bin wahrlich kein großer Palme-Spezialist, aber den Tagesspiegel-Artikel finde ich wenig überzeugend. Zwar ist sicher vieles da gut recherchiert, aber die Methodik hinterlässt bei mir große Zweifel. Der Autor spricht von „dubiosen Mordthesen“, die jeden Februar aufkommen, scheut sich aber nicht, schon im nächsten Absatz seine eigene These zu präsentieren – die selbstverständlich nicht dubios ist, sondern die einzig richtige. Das Ganze trägt schon verschwörungstheoretische Züge: Regierung, Polizei, Justiz und Medien sollen Hand in Hand arbeiten, um die Wahrheit zu unterdrücken. Das ist das typische Schema einer Verschwörungstheorie: ich habe die einzig wahre Wahrheit herausgefunden, aber böse Mächte sorgen dafür, dass sie nicht ans Licht kommt.
Aus den Unmengen Spuren scheint er sich selektiv das herauszugreifen, was seine Auffassung stützt. Zum Teil verwendet er die beliebte Methode, Zeugenaussage herauszugreifen, die genau das belegen, was er braucht. Dabei sind Zeugenaussagen das unzuverlässigste Beweismittel überhaupt.
Zudem fällt mir auf, dass er die Anklage gegen Christer Petterson als „konstruiert“ wegwischt und behauptet, dass 14 Berufsrichter von seiner „Unschuld überzeugt“ gewesen seien. Nach meinem Empfinden wäre eher zutreffend, dass es an Entlastungsmaterial, aber vor allem an Belastungsmaterial mangelte. Der Freispruch war aus Mangel an Beweisen, und das als Unschuldsüberzeugung auszulegen ist schon sehr gewagt.