Skandal, Skandal

Da wurde ich heute morgen doch mächtig aus meiner Lethargie gerissen, als ich das Blog von Eric Sundström betrachtete: dass sich da ein „grösserer politischer Skandal“ anbahne, steht dort.

Kurz die Geschichte: heute nacht gaben die schwedischen Sozialdemokraten bekannt, dass die interne Kommunikationsplattform „inflitriert“ worden sei – und zwar auf höchster Ebene. Dahinter steckt anscheinend jemand mit engen Bindungen zur liberalen Folkpartiet. Es klang nach einem Super-GAU für die Liberalen. Sofort spielte ich mögliche Verschiebungen im Wählerverhalten durch. Am wahrscheinlichsten schien mir, dass liberale Wähler zu den Moderaterna wechseln würden, was mir ehrlich gesagt noch weniger behagen würde. Diese spielen jetzt kurz vor der Wahl ihren vermeintlich grössten Trumpf aus, die Arbeitslosigkeit. Arbeitslose qualifizierte Menschen werden auf den Wahlplakaten mit Lebenslauf vorgestellt. Das passt natürlich wunderbar zur bisherigen Kampagne der Partei, die eigentlich nur aus dem Aufzeigen vermeintlicher Probleme besteht: Sicherheit in Östermalm, mehr Polizei, sicherere U-Bahn, mehr Strassenbeleuchtung, und, ach ja, wir sind übrigens die neue Arbeiterpartei. Das alles garniert mit ein paar Steuersenkungsversprechen.

Das alles kommt viel neoliberaler daher als die Folkpartiet, die Wahlkampf mit echten Inhalten macht und auf einigen ihrer Wahlplakate sogar vernünftig klingende Sachen verkündigt – etwas, das man bei den restlichen bürgerlichen Parteien schmerzlich vermisst. Wählerwanderung von den Liberalen zu den Moderaterna? Nein, danke.

Bei Lichte besehen ist der ganze Megaskandal allerdings viel dünner als zuerst angenommen. Wie Svenska Dagbladet in einem Bericht schreibt, gibt die Folkpartiet die ganze Sache auch zu. Laut denen hat sich ein Mitglied des liberalen Jugendverbands LUF einen Zugang zu der Kommunikationsplattform beschafft, indem es irgendwie an die Logindaten eines „lokalen Ombudsman“ gekommen ist. Dann habe er Informationen, die eben an solche lokale Vertreter der Partei gerichtet worden seien, abgerufen, und zwar 78 mal von November 2005 bis März 2006.
Zugegebenermassen ist das sehr schlechter Stil, und das kann sogar rechtliche Folgen haben. Abgesehen davon ist der Skandal nach diesem Informationsstand bestenfalls ein Skandälchen. Rein spekulativ ist also folgendes passiert: ein stets adrett gekleidetes LUF-Mitglied hatte etwas Langeweile bei seinem Job in einer Firmenberatung und dachte sich, er könne ja mal versuchen, sich als Sozi XY da einzuloggen. XY wiederum, internetaffin, wie er ist, hat als Passwort den Namen seiner Frau gewählt, oder vielleicht den seines Sohnes, oder gar seinen eigenen – eventuell hat er aber was ganz originelles benutzt wie „olofpalme“. Jedenfalls kam der LUF-Mensch hinein und hat dann 5 Monate lang den lokalen Newsletter der Partei mitgelesen, der sicher spektakuläre Ankündigungen wie „Die Versammlung beginnt eine halbe Stunde früher“ oder „Per feiert in einer Woche seinen 50igsten“ enthielt. Der böse LUF-Hacker hat wohl auch versucht, die Webcam auf Göran Perssons Klo anzuzapfen, ist dabei aber wohl gescheitert.

Im Ernst: ich möchte die Konkurrenz ja nicht in Schutz nehmen, aber wenn es bei der Faktenlage bleibt, ist der vermeintliche Skandal ein schlechter Witz.

Die eigentliche Knüllermeldung des Tages ging bei der ganzen Sache leider vollkommen unter: der geneigte Leser wird sich ja noch an die Steuersenkungen erinnern. 1000 Kronen (ungefähr 107 €) mehr im Geldbeutel hatten die versprochen. Daneben immer das Konterfei des sympathisch wirkenden Moderaterna-Chefs Fredrik Reinfeldt.
Jetzt gestand er ein bisschen kleinlaut in einem Interview, dass dieser Wert sich auf ein schwedisches Durchchschnittspaar bezöge. 1000 durch 2 ergibt nach aktuellem Stand der Wissenschaft aber lediglich 500 kr – man könnte also sagen halb so viel. Ich bin ja kein Experte, aber es drängt sich der Eindruck auf, die Moderaterna sind entweder zu blöd für Wahlkampf oder sie schaffen es nicht, irgendwelche Inhalte zu verkaufen, die auch für die „Arbeiter“, denen sie sich ja anbiedern wollen, irgendeine Relevanz hätten.

Denn ohne die Steuersenkungen bleibt nur der ganze Law&Order-Quatsch übrig – und der spricht vor allem armani-bebrillte Snobs an, die am Stureplan herumhängen und Angst haben, dass man ihnen ihren Porsche Cayenne klaut.

Heute abend mache ich übrigens auch ein bisschen Wahlkampf. Flugblätter austeilen bei mir im Wohnheim. Mal sehen, ob dieses Mal mehr da sind als letztes Mal.

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