Mit Grauen lese ich derzeit die Nachrichten. Das bezieht sich aber nicht nur auf die schrecklichen menschlichen Dimensionen, sondern auch und vor allem auf die Berichterstattung über die Vorgänge im Kernkraftwerk Fukushima.
Nicht dass ich der größte Kernkraftspezialist wäre. Aber im Gegensatz zu den allermeisten Menschen habe ich im Rahmen meines Studiums schon Kurse in Reaktorphysik absolviert. Da ist es erschreckend, wie Kernkraft in den Medien dargestellt wird.
Die Angst vor der Kernschmelze
In einem Erklärstück gestern im ZDF sah ich, wie das mit der Kernschmelze funktionieren soll: die Reaktorstäbe sind schwierig zähmbare Biester, und wenn das Wasser um sie herum weg ist, bricht die Hölle los. Die Darstellung spielt dem Verständnis von Kernkraft in der Allgemeinheit in die Hände, dass sie wie ein Löwe nur im Normalfall ungefährlich sei, aber sobald die Käfigstäbe brechen, unkontrollierbar werde.
Daran stimmt leider so einiges nicht. Das Hauptschwierigkeit mit der Kernspaltung ist nämlich nicht, sie zu stoppen, sondern sie überhaupt erst in Gang zu bringen. Wer sich schon einmal gefragt hat, woher die Neutronen herkommen, die das Uran spalten: aus dem Uran selbst, denn bei den Zerfallsprozessen entstehen Neutronen. Nur sind diese viel zu schnell, um eine Kernspaltung auszulösen. Man muss sie abbremsen, und das macht in modernen Reaktoren gewöhnliches Wasser. Kocht das Wasser ab, endet auch die Kernspaltung. Das Problem behebt sich also ab einem gewissen Punkt von selbst. Die Kernschmelze ist letztendlich nichts anderes, als dass der Reaktorkern bei diesem Vorgang äußerst heiß wird und sich verformt.
Dadurch ist auch nicht die Schwierigkeit das „Durchbrennen“ des Reaktors an sich, sondern zu verhindern, dass in so einem Fall die Hülle des Reaktors aufbricht und radioaktives Material austritt. Dafür sollte jeder vernünftig konstruierte Reaktor ausgelegt sein.
Die Angst vor Tschernobyl
Betrüblich ist aber, dass sofort der erste „Tschernobyl“ schreit und behauptet, alle Kernkraft sei per se unsicher. Das ist so, als wäre das Sinken der Titanic für sich genommen ein Grund dafür, den Schiffsverkehr dauerhaft einzustellen. Das bedeutet zwar nicht, dass es generell nicht gut wäre, den Schiffsverkehr einzustellen. Nur ist das Sinken eines Schiffes ohne Kenntnis und Analyse der genauen Fakten kein Grund dafür.
Genauso ist es auch hier. Die Katastrophe von Tschernobyl war kein Ausrutscher, wie sie in jedem modernen Kraftwerk passieren könnte. Es war keineswegs so, dass man vorher nicht wisste, dass die Kiste hochgehen könnte. Alles, was man wissen musste, um die Unsicherheit dieses Reaktors zu sehen, war schon lange bekannt gewesen. Dieser Reaktor war schon von seinen Konstruktionsprinzipien her unsicher, und ich wage zu behaupten, das wussten die Konstrukteure auch ganz genau. Die Ursachen der Katastrophe waren vielfältig, aber im Zentrum stehen letztendlich drei Dinge: In Tschernobyl fand die Moderation durch Graphitstäbe statt. Diese kochen natürlich nicht weg, wenn der Reaktor durchgeht. Zum Zweiten waren die Eigenschaften so, dass die „Bremsen“ für die Kettenreaktion durchaus auch als Gaspedal wirken konnten. Zum Dritten wurde der Reaktor von dilettantisch agierendem Personal außerhalb der zulässigen Grenzwerte betrieben. Letzteres sorgte dafür, dass die Bremsen überhaupt erst gebraucht wurden – und das Unglück nahm seinen Lauf.
Als Krönung hatte der Bautyp aber auch keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen gegen austretendes radioaktives Material. Das Dach wurde weggesprengt, und die Graphitstäbe brannten an der freien Luft.
Leider wird gerne übersehen, dass so eine Katastrophe nur weil sie in einem Reaktor passiert ist, nicht in jedem Reaktor passieren kann.
Lieber eine schnelle Information als eine korrekte Information
Insofern ist es nicht gerade ein Glanzstück des Journalismus, wenn sofort irgendwelche alten Tschernobyl-Beiträge herausgekramt werden. Zur Stunde weiß offenbar keiner, was genau passiert ist und warum es passiert ist. Eines steht jedenfalls fest: an der freien Luft brennende Reaktorstäbe wird es nicht geben. Nur sagt das keiner.
Stattdessen darf man auch in seriösen Medien Interviews mit Vertretern von Greenpeace und IPPNW sehen, die natürlich das sagen, was man von ihnen erwartet: Kernkraft ist Teufelszeug. Garniert wird das mit Spitzenpolitikern, die versichern, dass man das jetzt in keiner innenpolitischen Debatte instrumentalisieren werde, aber natürlich sogleich anhängen, dass man seine Position bestätigt sieht.
Das Ganze trägt weniger zur Information als zur Desinformation bei. Untaugliche historische Vergleiche in Unkenntnis der wissenschaftlichen Fakten und der genauen Vorgänge in Japan schaden letzten Endes mehr als sie nutzen. Zu einer rationalen Bewertung der Lage tragen sie jedenfalls wenig bei.
Nachtrag: Ich hatte in meinen Ausführungen nicht bedacht, dass das Hauptproblem hier ein anderes ist. Die Steuerstäbe konnten anscheinend eingefahren werden, so dass die Kettenreaktion schon seit längerem steht. Das Problem ist, dass die Zerfallswärme der Spaltprodukte die Kernschmelze zu verursachen droht. Einen informativen Beitrag zum Thema gibt es hier: Why I am not worried about Japan’s nuclear reactors. (auf deutsch, sofern nicht gerade überlastet: hier)
Unglaublich, in was sich die Medien reinsteigern, nur weil sie es wollen.
Als informierterer Mensch steht man nun da und schaut sich verwundert die Parallelwelt an.
Nachtrag: Wenn es genug Wasser im Reaktor gibt und die Decke einbricht, dass ist das eben doch gefährlich, weil der Prozess unter freiem Himmel weiterläuft. Es macht zwar nicht bumm, wie wenn eine Atombombe explodiert, aber unter freiem Himmel zu kokeln ist auch nicht lustiger.
Jein – Uran ist nicht wasserlöslich. Wie ich auch angesprochen habe, geht es hier auch nicht mehr darum, die Kernspaltung zu beenden, sondern die Abwärme der Spaltprodukte abzuführen. Auch dieser Prozess ist zeitlich überschaubar. Es hört also auch in absehbarer Zeit auf zu kokeln.
Es gibt auch einen simplen Zusammenhang bei der Radioaktivität: stark radioaktive Stoffe zerfallen auch besonders schnell. Deswegen ist Uran eher wegen seiner Giftigkeit kritisch, weniger wegen seiner Radioaktivität. Was da in Japan rauskam, war, soweit man das beurteilen kann, eine Wolke schnell zerfallender Spaltprodukte. Die strahlen vielleicht ziemlich viel, sind dann aber auch schnell zerfallen.
Die Ironie bei der Geschichte scheint zu sein, dass die Sicherheitsmaßnahmen in weiten Teilen so funktionieren, wie sie sollen. Wie der verlinkte Artikel darlegt, gibt es sozusagen eine Reihe von Dämmen, die die Flut aufhalten sollen. Wenn man nun 10 Dämme hat und sieben brechen, dann sagt die Presse „Sieben Dämme haben versagt“, aber der Techniker sagt „Damm 8 hat die Flut gestoppt“. Wenn die Sicherheitsmaßnahmen komplett versagt hätten, würde der Reaktorkern schon im Meer schwimmen.
Mich erreichte Kunde von folgender Nachricht: eine Kalt-Fusionsmaschine ist erfunden worden.
Wissenschaftlich abgesegnet: http://arxiv.org/abs/1305.3913
Äußerst unwahrscheinlich – Kalte Fusion war vor gut 20 Jahren mal ein Thema, erwies sich aber als reiner Humbug. Heute rangiert sie zumeist im Bereich pseudowissenschaftlichen Unfugs wie freier Energie und dergleichen.
Dinge, die bei arxiv.org publiziert werden, sind nicht wissenschaftlich abgesegnet, da sie ohne weitere Überprüfung dort publiziert werden können. Für wissenschaftliche Glaubwürdigkeit bräuchte es eine Publikation in einem Peer-Review-Journal und die Reproduktion der Ergebnisse durch andere Wissenschaftler.
Ich bezweifle, dass die gängige Wissenschaftsclique unvoreingenommen ist. Die meisten Journale verfolgen eine bestimmte Politik – mit oder ohne Finanzinteressen dahinter.
Oder einfach nur die eigenen Scheuklappen.
Natürlich ist sie nicht unvoreingenommen. Wenn man einem Arzt erzählt, Rauchen sei gesund, dann muss man schon einiges vorlegen, damit er das glauben kann. Zu leichtgläubige Annahme von Ergebnissen kann auch zu fatalen Ergebnissen führen – Stichwort Jan Hendrik Schön.
Es ist nicht so, dass auch reputable Journale nicht auch kontroverses abdrucken würden. Kalte Fusion ist auch nicht zwingend unmöglich und ihre Entdeckung wäre eine Sensation. Alle, die in dem Geschäft Physik arbeiten, hoffen darauf, einmal etwas Unerwartetes zu finden.
Je weitreichender die Behauptung, desto gründlicher wird Methodik und Ergebnis geprüft. Als Pons und Fleischmann damals ihre Ergebnisse veröffentlichten (übrigens durchaus in einem Fachjournal), stürzte sich die ganze Fachwelt in eigene Experimente, um den vermeintlichen Effekt zu untersuchen. Levi et al. haben anscheinend aber nicht einmal versucht, ihren Messungen Glaubwürdigkeit zu verschaffen – nicht nur wegen arXiv (das ist eine gern genutzte Plattform für Preprint), sondern durch Verweigerung der Überprüfung durch Außenstehende im Allgemeinen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass selbst ein zigfach selbst kontrolliertes Paper immer noch Fehler enthalten kann, die einem Außenstehenden schnell auffallen, aber den Autoren nicht.
Historisch gesehen haben sich Paradigmenwechsel auch trotz anfänglicher Ablehnung der Fachwelt vollzogen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass an den Ergebnissen von Levi et al. etwas dran ist, wird auch dies irgendwann geschehen. Bis dahin ist leider ITER die einzige Fusionshoffnung, und das nicht mal in naher Zukunft.