Aha: die Gegend um Fukushima strahlt also „wie Tschernobyl“

Die Belastung der Gegend um Tschernobyl 10 Jahre nach dem Unglück: über 50% höher als in Fukushima (Bild: Sting/Creative commons share alike attribution 2.5 given by User:Sting)

Die taz gibt sich heute die Ehre mit einem leider beispielhaften Artikel über das Unglück in Fukushima.

Dort heißt es:

Es war eine dürre Zeile im x-ten Absatz einer Pressemeldung: „Die zugänglichen Resultate zeigen eine Kontamination im Bereich 0,2 bis 0,9 MBq pro Quadratmeter.“ Dieser für Laien unverständliche Satz deutet eine mögliche Katastrophe für die Bewohner der Region rund um das japanische AKW Fukushima Daiichi an. Übersetzt heißt das nämlich, dass an den Messpunkten in der Region Strahlenwerte gemessen werden wie an den berüchtigten „Hotspots“ der evakuierten Zone rund um den ukrainischen Katastrophenreaktor Tschernobyl.

Eine mittlerweile drei Tage alte Pressemeldung herauszukramen ist schon fragwürdig an sich.

Zwar fragt der Autor Reiner Metzger immerhin Fachleute, aber eine wichtige Sache wird – nicht ganz zufällig, wie man bei dem Titel vermuten kann – unterschlagen: in Tschernobyl sind diese Werte nach 25 Jahren so hoch, in Fukushima sind aber erst wenige Tage vergangen.

Wäre das strahlende Material ausschließlich Cäsium-137, dann wäre die Panikmache nachvollziehbar, denn dieses hat eine Halbwertszeit von rund 30 Jahren. Das andere wichtige strahlende Element in dieser Sache ist jedoch Jod-131, und das zerfällt in rund 8 Stunden Tagen zur Hälfte.
Während also dieser Artikel erscheint, ist das vor drei Tagen noch vorhandene Jod-131 schon zu über 99% zu 23% zu Xenon-131 zerfallen. Dass also irgendwo kürzlich 0,9 MBq pro Quadratmeter gemessen wurde, sagt kaum etwas über die heutige Strahlenbelastung aus.

Man kann sich ausmalen, welche gigantischen Mengen von I-131 und Cs-137 um Tschernobyl niedergegangen sein müssen. Wenn man einen Taschenrechner bemüht, dann kann man anhand einfach zugänglicher Quellen ersehen, dass in Tschernobyl noch im Jahr 1996 die Belastung an einigen Stellen bei über 1,5 GBq pro Quadratmeter gelegen hat. Auf die Idee ist aber Reiner Metzger offenkundig nicht gekommen.
Die Strahlung in Tschernobyl war also 10 Jahre nach dem Unglück an den Hotspots mindestens 50% höher als in Fukushima nach einigen Tagen.

Fukushima in dieser Hinsicht allen Ernstes mit Tschernobyl vergleichen zu wollen zeugt entweder von Unwissenheit oder grandioser Sensationshascherei.

Eigentlich hatte ich den Eindruck, dass die wissenschaftliche Qualität der Fukushima-bezogenen Nachrichten etwas besser wurde in den letzten Tagen. Leider ist das nicht durchweg so.

Nachtrag: Wenn man Nachlässigkeiten anderer kritisiert, muss man zu seinen eigenen stehen. Jod-131 hat natürlich eine Halbwetszeit von 8 Tagen, nicht Stunden. 99% sind also erst nach 53,3 Tagen zerfallen, nicht schon nach 3 Tagen. Das ändert am Grundproblem aber nichts: in zwei Monaten wird das Jod verschwunden sein, und erst dann kann man überhaupt sehen, wie stark die Gegend wirklich dauerhaft belastet ist.

Fukushima, Tschernobyl, Bumm, alle tot

Mit Grauen lese ich derzeit die Nachrichten. Das bezieht sich aber nicht nur auf die schrecklichen menschlichen Dimensionen, sondern auch und vor allem auf die Berichterstattung über die Vorgänge im Kernkraftwerk Fukushima.

Nicht dass ich der größte Kernkraftspezialist wäre. Aber im Gegensatz zu den allermeisten Menschen habe ich im Rahmen meines Studiums schon Kurse in Reaktorphysik absolviert. Da ist es erschreckend, wie Kernkraft in den Medien dargestellt wird.

Die Angst vor der Kernschmelze

In einem Erklärstück gestern im ZDF sah ich, wie das mit der Kernschmelze funktionieren soll: die Reaktorstäbe sind schwierig zähmbare Biester, und wenn das Wasser um sie herum weg ist, bricht die Hölle los. Die Darstellung spielt dem Verständnis von Kernkraft in der Allgemeinheit in die Hände, dass sie wie ein Löwe nur im Normalfall ungefährlich sei, aber sobald die Käfigstäbe brechen, unkontrollierbar werde.

Daran stimmt leider so einiges nicht. Das Hauptschwierigkeit mit der Kernspaltung ist nämlich nicht, sie zu stoppen, sondern sie überhaupt erst in Gang zu bringen. Wer sich schon einmal gefragt hat, woher die Neutronen herkommen, die das Uran spalten: aus dem Uran selbst, denn bei den Zerfallsprozessen entstehen Neutronen. Nur sind diese viel zu schnell, um eine Kernspaltung auszulösen. Man muss sie abbremsen, und das macht in modernen Reaktoren gewöhnliches Wasser. Kocht das Wasser ab, endet auch die Kernspaltung. Das Problem behebt sich also ab einem gewissen Punkt von selbst. Die Kernschmelze ist letztendlich nichts anderes, als dass der Reaktorkern bei diesem Vorgang äußerst heiß wird und sich verformt.

Dadurch ist auch nicht die Schwierigkeit das „Durchbrennen“ des Reaktors an sich, sondern zu verhindern, dass in so einem Fall die Hülle des Reaktors aufbricht und radioaktives Material austritt. Dafür sollte jeder vernünftig konstruierte Reaktor ausgelegt sein.

Die Angst vor Tschernobyl

Betrüblich ist aber, dass sofort der erste „Tschernobyl“ schreit und behauptet, alle Kernkraft sei per se unsicher. Das ist so, als wäre das Sinken der Titanic für sich genommen ein Grund dafür, den Schiffsverkehr dauerhaft einzustellen. Das bedeutet zwar nicht, dass es generell nicht gut wäre, den Schiffsverkehr einzustellen. Nur ist das Sinken eines Schiffes ohne Kenntnis und Analyse der genauen Fakten kein Grund dafür.

Genauso ist es auch hier. Die Katastrophe von Tschernobyl war kein Ausrutscher, wie sie in jedem modernen Kraftwerk passieren könnte. Es war keineswegs so, dass man vorher nicht wisste, dass die Kiste hochgehen könnte. Alles, was man wissen musste, um die Unsicherheit dieses Reaktors zu sehen, war schon lange bekannt gewesen. Dieser Reaktor war schon von seinen Konstruktionsprinzipien her unsicher, und ich wage zu behaupten, das wussten die Konstrukteure auch ganz genau. Die Ursachen der Katastrophe waren vielfältig, aber im Zentrum stehen letztendlich drei Dinge: In Tschernobyl fand die Moderation durch Graphitstäbe statt. Diese kochen natürlich nicht weg, wenn der Reaktor durchgeht. Zum Zweiten waren die Eigenschaften so, dass die „Bremsen“ für die Kettenreaktion durchaus auch als Gaspedal wirken konnten. Zum Dritten wurde der Reaktor von dilettantisch agierendem Personal außerhalb der zulässigen Grenzwerte betrieben. Letzteres sorgte dafür, dass die Bremsen überhaupt erst gebraucht wurden – und das Unglück nahm seinen Lauf.

Als Krönung hatte der Bautyp aber auch keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen gegen austretendes radioaktives Material. Das Dach wurde weggesprengt, und die Graphitstäbe brannten an der freien Luft.

Leider wird gerne übersehen, dass so eine Katastrophe nur weil sie in einem Reaktor passiert ist, nicht in jedem Reaktor passieren kann.

Lieber eine schnelle Information als eine korrekte Information

Insofern ist es nicht gerade ein Glanzstück des Journalismus, wenn sofort irgendwelche alten Tschernobyl-Beiträge herausgekramt werden. Zur Stunde weiß offenbar keiner, was genau passiert ist und warum es passiert ist. Eines steht jedenfalls fest: an der freien Luft brennende Reaktorstäbe wird es nicht geben. Nur sagt das keiner.

Stattdessen darf man auch in seriösen Medien Interviews mit Vertretern von Greenpeace und IPPNW sehen, die natürlich das sagen, was man von ihnen erwartet: Kernkraft ist Teufelszeug. Garniert wird das mit Spitzenpolitikern, die versichern, dass man das jetzt in keiner innenpolitischen Debatte instrumentalisieren werde, aber natürlich sogleich anhängen, dass man seine Position bestätigt sieht.

Das Ganze trägt weniger zur Information als zur Desinformation bei. Untaugliche historische Vergleiche in Unkenntnis der wissenschaftlichen Fakten und der genauen Vorgänge in Japan schaden letzten Endes mehr als sie nutzen. Zu einer rationalen Bewertung der Lage tragen sie jedenfalls wenig bei.

Nachtrag: Ich hatte in meinen Ausführungen nicht bedacht, dass das Hauptproblem hier ein anderes ist. Die Steuerstäbe konnten anscheinend eingefahren werden, so dass die Kettenreaktion schon seit längerem steht. Das Problem ist, dass die Zerfallswärme der Spaltprodukte die Kernschmelze zu verursachen droht. Einen informativen Beitrag zum Thema gibt es hier: Why I am not worried about Japan’s nuclear reactors. (auf deutsch, sofern nicht gerade überlastet: hier)