Schade eigentlich: ESC 2013 findet in Malmö statt

Die Malmö Arena, Veranstaltungsort des Eurovision Song Contest 2013 (Bild: Jorchr, CC-BY-SA 3.0)

Statt wie ursprünglich angekündigt im Herbst ist die Entscheidung jetzt schon gefallen: der Eurovision Song Contest 2013 findet in Malmö statt.

Auf der einen Seite finde ich die Entscheidung respektabel, gegen die beim ESC um sich greifende Gigantomanie vorzugehen. Die Halle ist modern und gut gelegen, aber nicht übergroß für das Ereignis. Auf der anderen Seite hätte ich mich natürlich auch gefreut, den ESC 2013 in der Gastgeberstadt mitzuerleben. Stockholm hätte daraus wohl ein stadtweites Fest gemacht, zumal man hier ja verrückt nach diesem Wettbewerb ist. Zudem hat die Friends Arena derart viele Plätze, dass man vielleicht sogar einen hätte ergattern können.

Naja, es ist nicht unmöglich, dass Schweden in den kommenden Jahren noch einmal gewinnen wird.

Von unten, von oben, Euphorie

Was für ein Wochenende – es war nicht nur bombiges Wetter, wie man von dieser Jahreszeit im Schweden geradezu als Gegenleistung für den grauen Winter erwartet.

Es war so eine Art Tag des offenen Denkmals. So etwas gibt es zwar meines Wissens in Schweden nicht, aber die letzten beiden Tage kamen recht nahe dran (für meinen Teil).

Am Samstag veranstaltete „Statens Fastighetsverk“, eine Immobilienverwaltungsbehörde des schwedischen Staates, einen Tag der offenen Tür unter der Bezeichnung „Hemliga Rum“ („Geheime Räume“). Viele der verwalteten Gebäude sind nämlich ehemalige Militäranlagen, die früher wohl gar nicht und heute nicht oft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So öffnete man am Samstag in insgesamt 15 Anlagen im ganzen Land geschlossene Bereich. Der Großraum Stockholm kam dabei als alles andere als zu kurz.

Ich schaute mir Oscar Fredriksborg an, eine ehemalige Festung auf der Insel Rindö an. Ich bin ein kleiner Fan jener Insel, denn sie ist irgendwie eine Schärenkuriosität. Nicht übermäßig groß und ohne Brücke sollte man nicht erwarten, dass man etwas mehr als ein paar Ferienhäuser vorfindet. Durch die militärischen Anlagen kam jedoch bemerkenswerte Infrastruktur dorthin. Es gibt eine für Schärenverhältnisse riesige Grundschule. Auf der Insel stehen Mehrfamilienhäuser wie sonst eigentlich nur in größeren Orten des Stockholmer Umlandes. Es gibt mehrere gastronomische Betriebe, einen kleinen Laden, und bis 2008 sogar eine Schwimmhalle, die aber wegen Renovierungsbedarfs schließen musste. Ungewöhnlich auch die Verkehrsanbindung: es gibt zwei Fährenrouten, die als Teil des öffentlichen Wegenetzes kostenlos Autos, Fahrräder und Fußgänger transportieren. Die westliche hat zwei Fähren und schafft die Anbindung nach Vaxholm fast rund um die Uhr. Die östliche fährt zu meinem Wohnort Värmdö, steht aber nachts. Das ganze ist sogar Teil einer wichtigen Lkw-Ausweichstrecke für die Umfahrung Stockholms. Zudem gibt es eine Buslinie über die Insel, die auf manchen Touren mit der Fähre nach Vaxholm übersetzt. Man hat also eine Schäreninsel mit Annehmlichkeiten, die man sonst nicht erwarten sollte.

Am östlichen Ende ist Oscar Fredriksborg, strategisch gut gelegen an der Durchfahrt Oxdjupsleden. Es handelt sich um eine enge Wasserstraße, die aber von den großen Schiffen auf dem Weg nach Stockholm befahren wird. Durch die Sicherung dieser Stelle würde es einem Angreifer schwerfallen, die Hauptstadt anzugreifen. Die Gefahr ist heute freilich nicht mehr so akut. Die Festung wurde schon vor vielen Jahren aufgegeben. Lange verfiel sie, aber in jüngerer Zeit sind Restaurierungsarbeiten im Gange, die man am Samstag begutachten konnte – siehe auch die Fotos.

Stockholm von oben

DN-Skrapan: direkt unter den Buchstaben ist der Balkon mit Aussicht (Foto: Holger.Ellgaard, CC-BY-SA 2.5)

Als Abonnent der Dagens Nyheter erhält man die DN-Karte, die im Normalfall irgendwo herumlungert, ohne viel von Nutzen zu sein. Zweimal im Jahr ist der Nutzen jedoch erheblich. Im Winter findet „under jord“ („unter der Erde“) statt, bei dem unterirdische Anlagen für Karteninhaber geöffnet werden.

Und gestern war „från ovan“ („von oben“). Über ein Dutzend hohe Gebäude waren für Karteninhaber geöffnet, und man konnte bis zu drei Personen mitnehmen. Leider waren die beiden Kirchen, die teilnahmen, schon frühzeitig ausgebucht.

Wir wählten drei Gebäude aus:

  1. Stockholms Konserthus: das Konzerthaus am Hötorget von 1926 war zur Zeit des Baus das höchste Gebäude in der Umgebung, aber heute ist es nur noch eines von vielen. Daher sieht man vom Dach aus zwar einiges, aber nicht so viel, wie man glauben sollte. Trotzdem ein schöner Einblick in die Stockholmer Innenstadt.
  2. DN-Skrapan: Stockholms siebtgrößtes Hochhaus – wenn man Globen als solches rechnet – ist der Sitz von Dagens Nyheter. Direkt unter den Buchstaben im 23. Obergeschoss befindet sich ein Restaurant mit Aussichtsplattform. Der Ausblick ist der beste: auf der einen Seite hat man den Blick auf alle Sehenswürdigkeiten, auf der anderen bietet sich dem Stockholmkenner eine gute Aussicht über den Westen der Stadt. Vom Gesamteindruck das Beste der drei.
  3. Das Kastell auf Kastellholmen: die kleine Insel im Hafen von Stockholm war wie die Nachbarinsel Skeppsholmen noch bis in das späte 20. Jahrhundert hinein im Besitz der schwedischen Streitkräfte. Ich muss gestehen, dass ich früher zwar den Bus, der an der Brücke nach Kastellholmen endet, öfters gefahren habe, aber selbst noch nie auf Kastellholmen war. Gestern also nun die Premiere mit einem Besuch im Kastell, das anscheinend immer noch von irgendeiner Seefahrervereinigung betrieben wird, aber in erster Linie für Konferenzen dient. Der Ausblick vom Dach ist schön, v.a. auf das nebenan gelegene Djurgården.
Auch der Turm des Kastells auf Kastellholmen war geöffnet (Foto: Markus Bernet, CC-BY-SA 2.5)

Ein tolles Angebot von Dagens Nyheter – dass man die DN-Karte braucht, ist natürlich ein echter Vorteil, denn die hat schließlich nicht jeder, was den Andrang reduzierte und kurze Wartezeiten erlaubte. Eigene Fotos kommen bei Gelegenheit.

Euphorie

Ja, und dann war da noch die „Euphorie“ um den Eurovision Song Contest. Dass Schweden, das nachweislich ESC-verrückteste Land des Kontinents, dieses Jahr gewonnen hat, ist nun kein Geheimnis. Ich gehe davon aus, dass die Veranstaltung in Stockholm stattfinden wird, auch wenn die Eishockey-WM zur gleichen Zeit sein wird. Es sind also zwei Wochen im Ausnahmezustand zu erwarten, aber was für ein Spaß.

Ich selbst hatte den Titel nicht so hoch eingestuft. Beim Vorentscheid hatte ich ihn nicht gewählt, und die Dynamik des ESC-Finales ist mir ohnehin schleierhaft. Wie diese Heulboje aus Albanien auf einen 5. Platz kommen konnte, entzieht sich meinem Verständnis. Ich hatte die lustigen Russinnen gewählt – und rein musikalisch wäre Italien bei mir ganz oben gewesen. Die Briten können einem auch fast leid tun: der solide Titel hatte ganz gute Kritiken und wurde trotzdem wieder abgestraft. Vielleicht überlegen die sich jetzt auch endlich mal, wie man mehr Schwung in die Sache bringt. Deutschland ist damit ja recht erfolgreich, denn auch wenn man dieses Mal nicht gewonnen hat, braucht man sich mit einem 8. Platz definitiv nicht zu verstecken.

Alles in Butter also, und die königliche Palastwache war auch ganz begeistert:

Nächster Halt Baku

Der beste Beitrag kam gleich zu Beginn des Abends:

Besser geht’s nicht – Raab ist einfach großartig, und zwar so sehr, dass man über das eher peinliche Englisch hinwegsehen kann. Man merkte auch: das Moderationsteam hat sich aufeinander abgestimmt. Raab schien mir am Donnerstag als überschüssig – Rakers und Engelke hätten die Show auch alleine geschmissen. Gestern war er Gold wert.

Die meisten Beiträge waren ja schon bekannt. Das zweite Halbfinale, welches an dieser Stelle noch nicht behandelt wurde, fand ich im Allgemeinen eher schwach. Während ich im ersten Halbfinale auf Anhieb eine Reihe brauchbarer Titel fand, fiel mir das beim zweiten schwer.

Auch die Titel der Big Five plätscherten größtenteils an mir vorbei. Mit dem italienischen Titel konnte ich nicht so wahnsinnig viel anfangen, aber dass er etwas ambitionierter ist, merkte man schon. Man musste Italien fast eine Stimme geben, damit sie den Wettbewerb nicht wieder für die nächsten 15 Jahre boykottieren. Beim französischen Titel schien es mir so, dass sich da einer in der Tür geirrt hat. Blue waren im Vorfeld genauso unnötig hochgejubelt wurden wie die gefönten Iren. Und Spanien trat wie immer mit einem netten Titel an, der nachher auf den hinteren Plätzen an.

Und dann Lena.

In Sachen Show war er definitiv einer der besten Titel. Musikalisch nicht der schlechteste. Aber ob man damit nochmal den gesamteuropäischen Nerv treffen kann, war mehr als fraglich.

Saades Titel fand ich von Anfang an ganz ok, aber nicht großartig. Er ist eben zu sehr Euro-Dance-Trash, der einem vom ESC so bekannt vorkommt: dort erfolgreich, aber eben nur dort. Irgendwie passend dazu ist das Ergebnis.

Mir schien kaum vorstellbar, dass der Titel so einschlagen würde, aber als der Sieg möglich schien, hoffte ich natürlich darauf. Im Globen den ESC zu haben wäre schon cool. Trotzdem: es wäre schade irgendwo, wenn man ausgerechnet mit einem Beitrag gewonnen hätte, dem einfach irgendwo das Format fehlte.

Letzten Endes also Aserbaidschan, was bemerkenswerterweise einer meiner Favoriten war. Aber: mit Finnland und Schweiz lag ich vollkommen daneben. Finnland hatte auch den Nachteil des frühen Startplatzes. Für die Schweiz gilt das freilich nicht. Ich hatte nicht gedacht, dass dieses nette Lied mit der ebenso netten Sängerin derart abgestraft wird. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Halbfinals hervorragende Vorsortierer sind: der Schweizer Beitrag hatte es mit nur einem Punkt Vorsprung ins Finale geschafft.

Deutschland braucht sich nicht zu schämen: ein passabler 10. Platz und eine gute Show.

Nächstes Jahr also Baku, und das ist das einzig bittere daran: Aserbaidschan ist ein autoritär regierter Staat und damit nicht viel besser als Weißrussland. Man wird damit einem höchst fragwürdigen Regime eine Bühne bieten.
Ich finde, man (d.h. Deutschland oder Schweden) sollte deshalb nächstes Jahr wieder gewinnen, damit der Wettbewerb nicht in falsche Hände gerät 🙂

ESC 2011: Halbfinale 1

Ich beginne diesen Beitrag standesgemäß:

Man mag vom Eurovision Song Contest halten, was man will: es ist eine der meistbeachteten Veranstaltungen der Welt.

Ich gebe gerne zu, dass ich ihn jedes Jahr schaue. Meine Europabegeisterung lässt die Albernheit der ganzen Angelegenheit zurücktreten.

Auch wenn ich gestern nicht mitwählen durfte, so wollte ich doch einmal erleben, wie das nun mit Engelke, Raab und Rakers ist. Die Anfangsgags waren ESC-gewohnt zum Fremdschämen, aber Judith Rakers letztendlich im Green Room gut platziert. Und die Einlage von Anke Engelke und Stefan Raab, die die ESC-Teilnehmer diesen Kracher singen ließen, war dann doch ganz witzig:

Die Show gerissen hat freilich Anke Engelke, die nicht nur die zwei relevanten Fremdsprachen besser spricht als es Raab es jemals auch nur mit einer könnte. Es war fast schade, dass ihre Tanz- und Playbackeinlagen zu jedem der 10 Gewinnertitel nur kurz eingeblendet wurden.

Die Musik war wie immer mit vielen Belanglosigkeiten gespickt, die es zum Glück größtenteils nicht ins Finale geschafft haben.

Obskure Dinge waren kaum dabei, aber man darf sich schon fragen, ob die Portugiesen ernsthaft damit rechneten, mit diesem Song ins Finale einzuziehen:

Kein Land ist derart notorisch erfolglos wie Portugal: 44 Teilnahmen und das höchste der Gefühle waren ein 6. Platz. Aber man wird doch wohl nicht ernsthaft erwarten, mit einem auf portugiesisch vorgetragenen Satirepolitsong weiterzukommen.

Auf der anderen Seite ziehen auch immer Lieder ins Finale ein, wo ich nur den Kopf schütteln kann. Wieso beispielsweise Griechenland und Litauen weiterkamen, ist mir ein Rätsel.

Meine vier Favoriten waren übrigens:

  • Finnland: Paradise Oskars liebenswürdig-ironische Weltverbesserungsliedchen hat fast schon Ohrwurmqualitäten. Er kam auch prompt weiter, ist im Finale aber auf Startplatz 1 gesetzt, was seine Chancen natürlich verringert.
  • Schweiz: Auch ein beschwingt süßes Lied, das es genau deswegen ganz weit bringen könnte und auch ins Finale einzog.
  • Aserbaidschan: eine nette Bombast-Ballade, die es ebenso ins Finale geschafft hat.
  • San Marino: Die Sängerin war zwar bis vor kurzem wohl noch nie in dem Land, aber das ist ihr in dem Fall wohl auch nicht vorzuwerfen. Jedenfalls haben sie keine allzu schlechte Wahl getroffen. Den Titel fand ich ganz nett, aber mehr auch nicht. Er schaffte es auch nicht ins Finale.

Sehr beunruhigend finde ich, dass sich mein Geschmack offenbar zumindest in erheblichen Teilen mit dem der Allgemeinheit deckt. Das war bislang nie so und ist hoffentlich kein Zeichen meines fortschreitenden Alters.

Etwas peinlich war der Tonausfall während der Übertragung – das schwedische Fernsehen hatte ca. ein Drittel der Show gar keine Verbindung zu den Kommentatoren und behalf sich am Ende mit Telefonen. Das dürfte vor allem nicht ganz das sein, was die Europäer von den Deutschen erwarten. Gerüchteweise sollen Züge in Deutschland pünktlich sein.

Ich freue mich jedenfalls schon auf das morgige zweite Halbfinale. Dann hoffentlich mit Ton, und vielleicht schafft es Eric Saade sogar ins Finale.

Eine unabhängige Meinung zu Eric Saade

Wer es noch nicht gemerkt hat, sei darauf hingewiesen: in weniger als einer Woche startet der Eurovision Song Contest, und zwar in Düsseldorf – eine Folge der fast für unmöglich gehaltenen Tatsache, dass Deutschland diesen Wettbewerb im letzten Jahr gewann, obwohl damit in den nächsten 5000 Jahren nicht mehr zu rechnen war.

Der streitbare Medienjournalist Stefan Niggemeier und sein Kollege Lukas Heinser sind nach ihrer grandiosen Oslo-Reportageserie im letzten Jahr nach Düsseldorf gepilgert, um zwei Wochen lang das ganze Elend in Ton und Bild der Menschheit zu bringen. Das Resultat ist wie immer unterhaltsam.

Besonders auffällig ist in der gestrigen Folge das ausgiebige Bashing des schwedischen Teilnehmers Eric Saade. Das beginnt eher harmlos mit einer Frage eines Journalisten, der nahelegt, dass sein Beitrag nicht nur Frauen-, sondern auch bestimmte Männerherzen höher schlagen lässt, und sich erkundigt, ob dies denn Absicht oder Zufall sei.

Zufall, versichert Saade, was mich nicht verwundert, denn in Schweden schwärmen die Mädels für ihn. So sieht er aus:

Eric Saade, Interpret des diesjährigen schwedischen Beitrags im Eurovision Song Contest (Bild: Janwikifoto, http://artist.in2pic.com ; Lizenz: CC)

Das ist auch wohl der Hauptgrund seines Sieges beim nationalen Vorentscheid. Der Junge wurde ziemlich hochgejubelt, und als die Glasscheiben zersplitterten, hatte er den Sieg in der Tasche.

Mein Favorit war übrigens dieser Titel hier:

Wenn die Schweden aber mal einen Titel gewählt haben, dann stehen sie zu ihm und glauben, es sei der beste Titel des Jahrhunderts – mindestens. Da erfreut es fast schon, das eher mittelmäßig vernichtende Urteil der beiden aus Düsseldorf zu hören, um nicht allzu hohe Erwartungen zu haben.

Gut möglich, dass es wirklich ein Debakel gibt und sich ganz Schweden wieder einmal fragt, wie das nur passieren konnte. Aber vielleicht liegen die beiden auch falsch – in diesem Wettbewerb ist schließlich alles möglich.

In jedem Fall lohnt es sich, als Einstimmung auf das Spektakel täglich Duslog.tv anzuschauen.

Amy Diamond – Shooting Star

Als ich über dieses Video stolperte, fühlte ich mich ins Jahr 2005 zurückversetzt. Damals war ich gerade nach Schweden gekommen, und die ursprüngliche Version dieses Lieds war in den Charts.

Fünfeinhalb Jahre und zwei erfolglose Melodifestivalen-Bewerbungen später hat Amy Diamond immer noch eine prima Stimme, und auch das Lied ist immer noch nett.

Apropos Melodifestivalen: wie mir gestern eine Werbeanzeige verriet, geht es in zwei Wochen wieder los. Vielleicht ist man dieses Jahr etwas erfolgreicher.

Noch 2 Stunden


Noch einmal genau hinsehen: so gewinnt man

Während Stefan Niggemeier und Lukas Heinser ihr unglaublich exzellentes Videoblog aus Oslo machen, koche ich u.a. Chili Con Carne, denn wir haben zum Grand-Prix-Abend geladen, um dieses Großereignis gemeinsam zu zelebrieren. Die Tatsache, dass wir das erste Mal seit geraumer Zeit einen Beitrag aufzubieten haben, für den man sich nicht peinlich berührt fühlen muss, ist das allemal wert.

In Schweden scheint die Stimmung über die Enttäuschung hinweg zu sein.

Die Dagens Nyheter versucht es mit einer Prise Trotz und brachte heute morgen einen einseitigen Artikel über die „Big Four“. Im Wesentlichen ging es darum, wieso diese ins Finale dürfen und Schweden – das natürlich unausgesprochenerweise jedes Jahr das beste Lied des Universums ins Rennen schickt – hingegen nicht. Ein Absatz versucht zaghaft ins Spiel zu bringen, dass Schweden schließlich auch eine Menge Geld an die EBU zahle. Nämlich mehr als die Ukraine, die schließlich mehr als viermal so viele Einwohner hat. Botschaft durch die Hintertür: ein Land, das soviel Geld bezahlt, gehört eigentlich auch sofort ins Finale.

Der schwedische Rundfunk SVT wählt einen anderen Ansatz: wenn die Leute in Schweden offenkundig keinen Schimmer haben, was der Rest Europas gut findet, dann fragt man sie besser nicht mehr so viel und stattdessen die internationale Jury. Ob das so kommen wird, ist natürlich fraglich. Das Aftonbladet geht jedenfalls mit schwerem Geschütz an die Sache heran und sorgt sich um die Zukunft von Melodifestivalen, dem schwedischen Vorentscheid. Und konstatiert, dass ein schwedischer Wettbewerb ohne internationale Perspektive nicht interessant sei. Im schwedischen Fußball scheint genau dieses Konzept aber hervorragend zu funktionieren…

Svenska Dagbladet fragt jemanden, der sich auskennt und der sogar seine Doktorarbeit über Melodifestivalen geschrieben hat. Der meint: das war kein Fiasko – Schweden ist einfach von guten Leistungen verwöhnt.


Oder so auch…

Insgesamt setzt man nun auf seine Ersatzpferde im Rennen. Insgesamt 7 Beiträge entstanden unter schwedischer Beteiligung, und mit denen versucht man sich ein bisschen mitzufreuen. Gespannt wird aber dennoch das Ergebnis heute nacht erwartet, denn man möchte natürlich wissen, ob Anna Bergendahl nur knapp oder gar deutlich gescheitert ist.

Meine Vermutung ist: sehr knapp, den schlecht war das Lied nicht und die Begeisterung auch anderorten recht groß.

Jetzt muss es aber erst einmal darum gehen, wer heute abend gewinnt. DN sieht Lena im guten Mittelfeld, wie es scheint, und auch bei Aftonbladet ist das so.

Alles weitere liegt in der Hand der Jurys und Abermillionen Zuschauer. Ich bin gespannt.

Satz mit X

Die Flaggen hängen auf Halbmast, im Radio läuft getragene Musik, die Kronprinzessin lässt ihr Brautkleid in schwarz umfärben. Der nationale Super-GAU ist eingetreten. Zum ersten Mal seit 1958 hat Schweden es nicht in das Finale des Eurovision Song Contest geschafft. Da hat auch der tolle Gitarrenverschwindetrick mitten im Lied nichts geholfen.

Auch die Nachbarn im Westen sind in Trauer mit den Schweden vereint.

Norwegische Zeitung Aftenposten: Wir verstehen nicht, was passiert ist. (Ausriss: aftenposten.no)

Ich übertreibe natürlich ein wenig, aber das ist in der Tat ein schwerer Schlag für ein in konstanter Eurovisionsmanie befindliches Land wie Schweden. Es wird von einem Fiasko gesprochen. Ganz hart wird Expressen:

Überarbeitet den nationalen Vorentscheid oder boykottiert den Scheiß!

Boykottieren wird man die Veranstaltung natürlich niemals. Aber man ist wohl ein bisschen zu erfolgsverwöhnt und hat generell sehr hohe Erwartungen. Man wird sich wohl einige Gedanken machen und vielleicht auch etwas bescheidener werden müssen.

Die deutsche Bedrohung

Nachtrag: anscheinend mag man Youtube bei Brainpool nicht so. Hier gibt es das Lied direkt vom Anbieter.

Der gemeine Schwede mag vieles gegenüber den Deutschen empfinden – bedroht dürfte er sich nicht fühlen. Das liegt nicht nur daran, dass das Land einigermaßen unbeschadet durch die Zeiten gekommen ist, als man vor Deutschen noch wirklich Angst hätte haben müssen.

Doch Ungemach droht aus dem Lande der Teutonen. Die DN titelt „Det tyska hotet“ („Die deutsche Bedrohung“), und gemeint ist die Gefahr aus deutschen Landen in der für Schweden wichtigsten Auslandsvergleichsdisziplin: Lena Meyer-Landrut.

Ja, nachdem in Deutschland nach langen Jahren endlich versucht hat, einen Teilnehmer für den ESC zu finden, bei dem die Blamage nicht schon vorprogrammiert ist, horcht sogar das erfolgsverwöhnte Skandinavien auf. Denn die Ergebnisse der schwedischen Beiträge der letzten Jahre haben zwar etwas am Selbstvertrauen genagt, aber nüchtern betrachtet ist Schweden immer noch eines der wenigen Länder, das seit über 30 Jahren keinen letzten Platz mehr belegt hat und, wenn schon nicht mehr unter den Spitzenplätzen, letzten Endes nie den Finaleinzug verpasst hat.

Schweden selbst hält es jedoch mit Adenauer und wagt keine Experimente: man schickt eine blonde Frau, anfangs mit Gitarre, später ohne.