Raabs Melodifestivalen

Lernfähigkeit kommt manchmal unerwartet. Nachdem man beim NDR 5 Jahre lang zugeschaut hat, wie Deutschland jedes Mal in der unteren Hälfte des Feldes beim Eurovision Song Contest gelandet ist, sind nun alle voll des Lobes angesichts des derzeitig laufenden Versuches mit Stefan Raab.

Nicht nur, dass man doch tatsächlich den Leuten eine echte Wahl geben will, wer nach Oslo geschickt werden soll. Die Daten wirken sogar im Vergleich zu Schweden beeindrucken: 3 Tage länger für die Auswahl und 2 Shows mehr.

Das Konzept ist freilich ein anderes, und die geradezu utopischen Einschaltquoten in Schweden (30% der Gesamtbevölkerung) wird „Unser Star für Oslo“ nie im Leben erreichen. In jedem Fall aber ist es ein vielversprechender Ansatz.

Man kann wohl annehmen, dass Raabs Leute einen Blick nach Schweden geworfen haben. Vielleicht nehmen sie ja noch etwas anderes aus Schweden: wie ich gerade gelesen haben, hat eine schwedische Musikfirma einige Titel eingeschickt, von denen es vielleicht einer unter die 20 Titel in die Endrunde schafft.

Übrigens: diesen Samstag beginnt das diesjährige Melodifestivalen.

Tage der Erkenntnis

Für uns heißt das: Wir müssen beim Eurovision Song Contest radikal neue Wege gehen.

sagte Thomas Schreiber, der ARD-Koordinator Unterhaltung, im Anschluss an das schwache Abschneiden Deutschlands.

Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt. Die weitere Entfernung demokratischer Elemente im Eurovision Song Contest ist spektakulär gescheitert. Der NDR als Deutschlands Vertretung bei der Veranstaltung hat immer noch nicht begriffen, dass man mit dem, was in den letzten Jahren beschlossen hat, niemals Erfolg haben wird. Der ESC findet mittlerweile ohne jeglichen Enthusiasmus statt – der Beitrag wird intern ausgewählt, die alljährliche Alibi-Party auf der Reeperbahn wird gepaart mit minimaler Medienpräsenz. So liefen die beiden Halbfinals praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf Spartenkanälen.

Es muss sich in der Tat etwas ändern, wenn der ESC künftig mehr werden soll als die erfolglose Verwendung von Rundfunkgebühren. Dieser Wettbewerb hat viel mehr Potential, als ihm oft zugestanden wird. Insofern hoffe ich auf bessere Zeiten und kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon letztes Jahr schrieb: weg mit der Big-Four-Regel und ein großer nationaler Vorentscheid anstatt einer bescheidenen Kleinveranstaltung bzw. einer internen Auswahl.

Einige sehr richtige Beobachtungen zum Thema macht auch Irving Wolther auf SPIEGEL Online.

Zu Schwedens Abschneiden kann ich nur sagen, dass das Ergebnis nicht ganz nachvollziehbar ist. Der Titel hatte im Halbfinale auf einem passablen fünften Platz gelegen und war so souverän ins Finale eingezogen. In den nächsten Tagen wird wohl wieder der Katzenjammer darüber beginnen, wie denn so ein schlechtes Abschneiden sein konnte. Man kann wohl schon Wetten abschließen, wieviele Geigen im nächstjährigen Vorentscheid vorkommen werden. Malena Ernman selbst sagt, dass sie zufrieden ist und das für sie nur eine Zwischenepisode war – ihr Hauptberuf ist schließlich Opernsängerin.

Schweden hat aus meiner Sicht kaum etwas falsch gemacht, sondern hat schlicht nicht den Geschmack der Zuschauer und Jurys getroffen. Hier kann es eigentlich nur einen Schluss geben: abhaken und nächstes Jahr wieder einen neuen Kandidaten suchen.

Beruhigend…

ist weniger, dass mein Server Zicken macht und gestern abend aus unerklärlichen Gründen ausfiel.

Beruhigend ist jedoch, dass Deutschland auch dieses Jahr beim Eurovision Song Contest unterirdisch schlecht abschneiden wird.

Zur Illustration dieses Video:

Es wäre schon eine ziemliche Überraschung, dass dieser Titel Europa im Sturm nimmt.

Der schwedische Beitrag war aber auch nicht gerade mein Favorit:

Vielleicht reißt das die Leute mit – ich liege ja notorisch falsch, wenn es um den ESC geht.

Liveblogging: Melodifestivalen 2009 (erste Vorrunde)

Es ist wieder einmal soweit – das wichtigste Ereignis des Jahres steht an: Melodifestivalen, der schwedische Vorausscheid für den Eurovision Song Contest, geht heute in die erste Runde. Es gibt vier Vorrunden, eine zweite Chance und ein Finale. Ich blogge live mit.

Leider bin ich etwas spät dran.
Bisher waren dran: Nina Söderquist, die schonmal in Afghanistan und wie eine Domina gekleidet war. Also nicht in Afghanistan, aber auf der Bühne.

Außerdem Jonathan Fagerlund, der schon mit der irischen Boygroup „Streetwise“ (muss man kennen… oder???) bekannt wurde. Sein Lied beginnt wie eine kaputte CD, wird danach aber erheblich besser. Leider kann er nicht so wirklich gut singen.

20:23 Uhr: Shirley Clamp ist dran, mit einer Ballade und einem langen Kleid. Es ist eines der Lieder, die bei keinem ESC fehlen dürfen, aber nie gewinnen. Zu lahm, zu unspektakulär.

20:25 Uhr: kann man übrigens auch im Netz angucken: hier.

20:54 Uhr: Ich habe für Emilia gestimmt. Bislang die einzige nationale Wahl, an der ich teilnehmen darf 🙂

20:32 Uhr: Scotts aus Linköping. Klingt wie aus den 80ern, aber eher auf die schlechte Art und reichlich uninspiriert. Laut und wenig melodiös.

20:25 Uhr: Emilia („I’m a big big girl in a big big world“) kommt aus Schweden, wer es noch nicht wusste. Sie ist hoch gesetzt, weil der Song anscheinend was taugt. Mal reinhören.

20:36 Uhr: Klingt gut.

20:29 Uhr: Der nächste internationale Act: Alcazar. Sie sind pink, und es ist der zu erwartene Dancekracher. Kein Ohrwurm, aber damit hätte ich jetzt auch nicht gerechnet.

20:41 Uhr: Die Moderatorin ist als Nonne verkleidet. Aha. Letztes Jahr war es noch ein Mann, der irgendwie seltsam, aber lustig war.

20:49 Uhr: Caroline af Ugglas war schonmal beim Melodifestivalen. Warum sie dieses Mal dabei ist, wissen wohl nur die Verantwortlichen. Es ist ein Gejaule, das wohl eine Ballade sein soll. Die Bewegung dazu sieht ein bisschen aus wie ein Gangsta Rapper auf Valium. Besonders grausam: türkisfarbene Gummistiefel zum weißen Kleid.

20:50 Uhr: Marie Serneholt ist der letzte Act des Abends. Sie singt „Disconnect me“ – nö, mache ich nicht.

20:51 Uhr: Der Song ist ganz nett, aber nicht mein Fall. Meine Favoriten sind Emilia und Alcazar.

20:55 Uhr: Die Moderatorin wäre ohne ihre Moderationskarten verloren, macht es aber souverän. Sie sagt, Göteborg (wo die heutige Veranstaltung stattfindet) nennt sich gerne „Klein-London“, und die Londoner nennen ihre Stadt angeblich gerne „Big Gothenburg“. Sehr amüsant.

20:59 Uhr: Die Moderatorin ist im Green Room, der gar nicht green ist. Angeblich schauen 3 Mio. Leute zu – das wäre jeder dritte Schwede. Lieber NDR, bitte mal hinschauen, wie man es richtig macht.

21:06 Uhr: Es fliegen raus: Jonathan Fagerlund, Shirley Clamp und Marie Serneholt. Die furchtbare Frau af Ugglas kommt weiter. Jetzt kommt eine zweite Abstimmungsrunde.

21:08 Uhr: Ich stimme nochmal für Emilia.

21:12 Uhr: Scotts kommen weiter in die Ausscheidungsrunde des Abends. Anscheinend gibt es gleich eine Ausscheidung nach KO-System.

21:13 Uhr: Alcazar tritt gegen Scotts an.

21:14 Uhr: Ich stimme für Alcazar. Das Auswahlsystem ist übrigens neu. Letztes Jahr gab es einen kleinen Skandal, weil die von den Zuschauern favorisierte Sanna Nielsen wegen der Stimmen der Juries nicht gewann, sondern (leider) Charlotte Perrelli nach Serbien fuhr.

21:19 Uhr: Ich hole etwas zu essen und verpasse die Entscheidung. Alcazar dürfen nochmals ihren Titel vorführen, also haben sie wohl gewonnen.

21:23 Uhr: Emilia ist im zweiten Duell!

21:24 Uhr: Caroline af Ugglas tritt gegen sie an. Die Söderquist ist damit wohl in der zweiten Chance. Ich werde mir die Finger für Emilia wundwählen.

21:28 Uhr: Emilia ist im Finale – alles andere hätte mich am Verstand der Schweden zweifeln lassen.

21:29 Uhr: Leider lag ich falsch – Söderquist ist raus. Scotts und af Ugglas kriegen eine zweite Chance, ins Finale zu kommen. Bei dieser „zweiten Chance“ treten acht Teilnehmer der Vorrunden gegeneinander im KO-System an. Letztendlich kommen zwei dann ins Finale, das hier in Stockholm im Globen stattfindet, der neuerdings „Ericsson Globe“ heißt.

21:41 Uhr: Emilia hat gesungen, und damit ist es erstmal vorbei. Im Finale sind: Alcazar und Emilia, in der zweiten Chance Scotts und Caroline af Ugglas.

Nächste Woche dann die zweite Vorrunde aus Skellefteå, u.a. mit meiner letztjährigen Favoritin Amy Diamond und dem Sommerhitkomponisten Markoolio. Vielleicht habe ich ja wieder Zeit zum Bloggen.

How not to win the Eurovision Song Contest

Ich lag wie immer vollkommen falsch – nicht die lettischen Piraten haben gewonnen, und auch nicht der grenzdebile Spanier. Es war der unscheinbare Russe mit dem wildgewordenen Schlittschuhläufer.

Balkan-Connection: Jein

Wie im Vorjahr ist zu beobachten gewesen: die Sympathiepunkte spielen eine große Rolle. So hat Irland mittlerweile eine nicht unerhebliche polnische Minderheit, die natürlich konsequent für Polen stimmt, was letztendlich für die 12 Punkte sorgt. Dennoch ist es nicht die alleinige Komponente – wie man schon daran sieht, dass Deutschland dieses Mal nicht seine 12 Punkte an die Türkei vergab.
Der Grund des Erfolgs liegt vielmehr darin, durchweg zu punkten – Russland hat nur von wenigen Ländern keine Punkte erhalten, und das macht es letztendlich aus. Sicherlich bildeten die ganzen ehemaligen Satellitenstaaten eine gute Basis für Russlands Sieg. Das aber reicht nicht aus für eine Führung von 42 Punkten.

Das schwedische Debakel

Zum Treppenwitz ist der Auftritt von Charlotte Perrelli verkommen. Wie sich nämlich mittlerweile herausgestellt hat, ist sie überhaupt nur dank einer Sonderregelung ins Finale gekommen. Eine Jury bestimmte nämlich ihren Favoriten, und wenn dieser nicht in den oberen Neun auftauchte, wurde er automatisch auf Platz 10 gehoben – egal, wo er im Televote gelandet war. Perrelli hatte eigentlich nur den 12. Platz erreicht, gelangte so aber noch ins Finale. Ironischerweise hatte sie auch im nationalen Vorentscheid nur dank der Juries ihre Konkurrentin Sanna Nielsen überholt. So kam sie also mit doppelter Unterstützung von Fachleuten ins Finale, die wohl eher an die Charts dachten als an das Fernsehvolk, das schließlich auch weniger charttaugliche Altersgruppen enthält.

Gestern hatte sich offenbar die Kritik an ihrem Make-Up zu Herzen genommen und weit weniger dick aufgetragen. Das half aber alles nichts – eine der schlechtesten Platzierungen der schwedischen ESC-Geschichte kam heraus.

Womit man auch wieder ein schönes Lehrstück hätte: Publikumsgeschmack und Jury stehen oft konträr zueinander. All die musikalische Qualität, die mit Hilfe einer Jury vermeintlich gesichert werden soll, ist letztendlich wertlos, wenn die Mehrheit der Leute dem nicht zustimmen. Eine Jury als Komponente einzubauen ist daher mehr als fragwürdig.

Ein guter Rat an den NDR

BILD fragt heute morgen „Mag uns keiner? Oder sind wir zu schlecht?“ – ganz klar letzteres. Antipathien scheinen keine große Rolle mehr zu spielen. Denn gerade die Balkan-Connection zeigt, dass sich Länder, die sich im realen Leben spinnefeind sind, munter einander die Punkte zuschieben. Besonderes Beispiel: Russland gab Georgien 7 Punkte, obwohl Georgier in den russischen Medien zeitweise einer regelrechten Hetzjagd ausgesetzt waren.

Die No Angels waren also zu schlecht. Aus meiner Sicht sangen sie zwar harmonischer als im Vorentscheid, aber als Sandy Mölling (die blonde) zu ihrem Abschlussgeheule kam, wusste ich, dass das nichts werden kann. Dazu war die Bühnenshow sehr lahm – mir kamen die vier Mädels einfach etwas deplatziert vor. Die vier hatten weniger Präsenz als der kroatische Opa alleine.

Darum einige gute Ratschläge an den NDR:

  • Bessere PR-Arbeit: Der ESC wird trotz der nicht unerheblichen Kosten für Deutschland von der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert. Vielleicht sollte man den Gracia-Komplex endlich überwinden und eine Zusammenarbeit mit einem gewissen Herrn Raab anstreben. Die ARD hat Dutzende Fernsehprogramme und Rundfunkwellen. Trotzdem gelingt es nicht, den Leuten diesen Wettbewerb nahezubringen. Der nationale Vorentscheid ist seit Jahren nur noch eine Alibi-Veranstaltung, um aus einer Minimalauswahl einen mäßig überzeugenden Titel zu wählen.
  • Größere Vorentscheide: In San Marino kann man einen Mann mit einer Tröte auf den Marktplatz stellen, und schon ist die frohe Kunde verbreitet. In Deutschland genügt das nicht, und eine einmalige Show im Februar ist auch nicht genug, um den Leuten auch nur das geringste Interesse am ESC zu entlocken. Jedes Jahr die Reeperbahn zu beschallen macht es auch nicht besser, denn die ist von Köln, Berlin und München schon zu weit weg. Der Vorausscheid hier in Schweden ist seit 2002 auf 6 Wochen verteilt, an denen 4 Vorrunden, eine „zweite Chance“ und ein Finale an 6 verschiedenen Orten im Land stattfinden – man mag davon halten, was man will, aber die Leute wissen danach bescheid, wer antritt und haben auch das Gefühl, mitentschieden zu haben. Der Bundesvision Song Contest hat zwar einige erhebliche Schwächen, weil für manche Länder mangels indigener Teilnahmewilliger irgendwelche Ersatzleute ins Rennen geschickt werden, aber wenn sich die anderen ARD-Anstalten eine Art Halbfinale leisten würden, könnte man die Veranstaltung z.B. auch nach München, Stuttgart, Frankfurt, Saarbrücken, Köln, Bremen, Berlin und Leipzig tragen. Das würde die Republik sicherlich mehr begeistern.
  • Breitere Musikauswahl: seit die Vorentscheide so heruntergekürzt wurden, ist nur noch schwer nachvollziehen, nach welchen Kriterien die Lieder ausgewählt werden.
  • Sich dem Halbfinale stellen: sicherlich zahlen die Big Four viel Geld und haben viel Publikum, aber die Big-Four-Regel ist letztendlich ein Rohrkrepierer. Sich einem Halbfinale zu stellen heißt auch, eine Vorauswahl zu bestehen. Die Titel, die sich fürs Finale qualifizieren mussten, sind schon einmal auf Herz und Nieren geprüft. In einem Wettbewerb, der unkalkulierbar ist, ist das ein wichtiger Indikator. Es ist ja nicht verwunderlich, dass Deutschlands Mitletzter Polen im Halbfinale als Zehnter gerade so den Einzug ins Finale schaffte. Eine weiteres wichtiges Argument für eine Teilnahme am Halbfinale sollte auch nicht vergessen werden: ein ESC-Halbfinale ist besser als jeder PR-Event. Nirgendwo sonst erhält man die Gelegenheit, vor über 100 Millionen Zuschauern den Song vorzuführen, den man ins Rennen schickt. Das ist extrem wertvoll. Nicht am Halbfinale teilzunehmen heißt nämlich auch, die Zuschauer gegen die vorausgelesene Konkurrenz innerhalb von 3 Minuten überzeugen zu müssen, während die anderen zuvor wenigstens einen flüchtigen Eindruck hinterlassen konnten.

Das sind alles keine Siegesgarantien, aber schlimmer als in den letzten drei Jahren kann es eigentlich nicht mehr werden.

Gedanken zum Eurovision Song Contest

Das wichtigste Ereignis des ganzen Jahres steht an, zumindest aus schwedischer Sicht: der Eurovision Song Contest. Viele halten den ESC hierzulande für einen enorm wichtigen Wettbewerb und gehen blind davon aus, dass das überall sonst auch so sei. Mir ist es schon mehrfach untergekommen, dass jemand „Ein bisschen Frieden“ kannte – ein Titel, der zwar den ESC zum ersten und bisher (d.h. für immer) einzigen Mal für Deutschland (damals nur BRD) gewonnen hat, aber in Deutschland nur mäßig bekannt ist.


ESC 1982: Nicole – Ein bisschen Frieden

Man ist auch jedes Jahr überzeugt, das beste Lied der Welt ins Rennen geschickt zu haben. Dementsprechend groß war die Enttäuschung im letzten Jahr, dass „The Ark“ mit ihrem guten, aber sicher nicht besten Lied „The worrying kind“ nur einen 18. Platz erreichten.


ESC 2007: The Ark – The Worrying Kind

Im Jahr zuvor hatte Carola Häggkvist einen 5. Platz mit „Invincible“ erreicht und damit ihren Status einer Nationalheldin bestätigt, den sie qua ESC-Gewinn im Jahr 1991 schon innehatte.


ESC 1991: Carola – Fångad av en stormvind

Man könnte glauben, dass dies Charlotte Perrelli, die unter ihrem weniger spektakulären Mädchennamen Charlotte Nilsson den Sieg im Jahr 1999 nach Schweden holte, auch helfen würde. Allerdings weit gefehlt. Nicht nur wurde Carola Häggkvist mit ihrem Duo „Johnson & Häggkvist“ schon in der Vorrunde abgesägt, was ihr das Herz gebrochen haben soll, da das schwedische Volk offenkundig nicht mehr zu ihr stand. Im Finale wurde Charlotte Perrelli auch eigentlich gar nicht gewählt. Sie kam im Televote nur auf Platz 2 – allerdings durften dort auch die 11 Jurys des schwedischen Rundfunks mitstimmen, und diese Punkte gaben den Ausschlag. Charlotte Perrelli durfte fahren, Sanna Nielsen nicht.


ESC 2006: Carola – Invincible

Perrellis Titel „Hero“ ist auch gar nicht mal so schlecht, aber die Frau sieht derart künstlich aus, dass sie von Stefan Niggermeier mit wenig schmeichelhaften Attributen belegt wird. Irgendwie will dieses überschminkte doch recht grobschlächtige Gesicht nicht zu dem schlanken Körper passen.


ESC 2008: Charlotte Perrelli – Hero

Bei diesem Youtube-Video beschäftigt sich ein beträchtlicher Teil der Kommentare nur mit ihrem Gesicht.

1999 sah das alles irgendwie noch besser aus.


ESC 1999: Charlotte Nilsson – Take me to your heaven

Dass die ganze Sache auch zu guten Teil ein massives Schminkdesaster ist, zeigt diese Vorstellung von Perrelli:

Ich war ohnehin Fan von Amy Diamond, und so ist mir das Abschneiden von Charlotte auch recht gleichgültig. Es wäre enttäuschend, wenn man mit dem Zurückholen von früheren ESC-Gewinnern gewinnen würde.

Wie hatten uns irgendwie ein bisschen diebisch verstohlen darauf gefreut, sie im Halbfinale scheitern zu sehen. Das ist nun nicht passiert, aber dieser Wettbewerb ist so unkalkulierbar, dass es am Ende sogar die lettischen Piraten oder der idiotische Song der Spanier sein könnten, die den Sieg nach Hause tragen. Ich liege ja notorisch falsch.

Die einzig echte Überraschung wäre wohl, wenn tatsächlich einmal Portugal gewinnen würde…

Eurovision

In Telefonaten mit Deutschland wurde mir in den letzten Tagen viel von der Osteuropa-Connection geklagt, die da den Eurovision Song Contest entschieden haben soll. Ich möchte diese Klagen nicht unterstützen – ein paar Gedanken zum Thema:

  • Das BILDblog bemerkt richtig, dass Serbien auch ohne Schützenhilfe aus dem Osten gewonnen hätte. Die Rechnung dort belegt das recht deutlich.
  • Die Liste bringt auch das Auswandererargument ins Wanken – so viele Ukrainer und Bulgaren wohnen nicht im Westen, dass es dafür reicht. In Sachen Türkei ist das Argument sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Deutschland gibt ja schon seit Jahren Spitzenpunktzahlen an die Türkei, egal wie gut oder schlecht das Lied ist. Allerdings muss man auch die Deutschen da in die Pflicht nehmen. Wenn 1,76 Millionen Türken das Votum der restlichen ca. 80 Millionen Einwohner Deutschlands überstimmen können, dann sind die letzteren selbst schuld.
  • Die TED-Demokratie ist eigentlich keine – sie ist stark verzerrt, aber in vieler Hinsicht auch ehrlicher als eine Jury. Eine solche wäre nämlich genauso fragwürdig, da über ihre Besetzung irgendwelche Rundfunkgranden entscheiden dürften. Auf die jetzige Art kommt man den Leuten doch schon etwas näher.
  • Wir sind eigentlich schon ein ziemlich arroganter Haufen – die Schweden wie die Deutschen. Wir interessieren uns im Normalfall nicht dafür, was in Osteuropa passiert, und wir gehen davon aus, dass die Künstler von dort von vorneherein schonmal unbekannt sein müssen. Roger Cicero war ja immerhin schonmal eine nationale Größe, aber eben nirgendwo sonst. Die Serbin Marija ŠERIFOVIĆ ist bei sich zuhause anscheinend eine echte Hausnummer und eben auch in den Nachbarländern bekannt. Für den ach so fürchterlichen Ukrainer gilt dasselbe. Wann haben wir das letzte Mal jemanden hingeschickt, den außerhalb Deutschland jemand kennt?
  • In Schweden hat man notorisch zu hohe Erwartungen, weil man für die nationale Vorauswahl so einen Riesenaufwand macht. In Deutschland hingegen zahlt man die Zeche und ist noch nicht einmal bereit, ein vernünftiges Auswahlverfahren zu schaffen – trotz vorhandener föderaler Strukturen und inspirierender Vorbilder á la Stefan Raabs Bundesvision Song Contest. Stattdessen jedes Jahr Party auf der Reeperbahn – auch dem NDR kann man durchaus Arroganz vorwerfen, die Veranstaltung norddeutsch zu besetzen und damit die zahlreichen anderen Zentren der Republik außer Acht zu lassen. Miese Resultate und geringes Interesse sind die Folge. Bei Guildo war das noch etwas anders. Außerdem schaue man sich doch mal nur die Ergebnisse der letzten 15 Jahre an:
    • 1995: Stone & Stone kriegen nur einen Punkt und fahren das mieseste Ergebnis überhaupt ein.
    • 1996: Leon mit Blauer Planet scheiterte an einer vorgeschalteten Zwischenrunde, weil der Titel zu schlecht war. Daraufhin hat man die Regel eingeführt, dass wir immer im Finale sind – und damit auch geschickt davon abgelenkt, dass man zuletzt einfach nur noch unbekannten Schrott ins Rennen geschickt hatte.
    • 1997: Deutschland schneidet mit „Zeit“ von Bianca Shomberg wiederum miserabel auf Platz 18 ab.
    • 1998: Ein Komplott aus Guildo Horn und Stefan Raab bricht in das wohlbehütete Paralleluniversium ESC ein und macht das Dauerabo von Ralf Siegel kaputt. Deutschland kriegt einen prächtigen 7. Platz und ganz Deutschland interessiert sich plötzlich wieder für den Wettbewerb. Die Veranstalter können natürlich nichts dafür – außer, dass sie Guildo Horn haben teilnehmen lassen.
    • 1999-2003: in schönem Wechsel gewinnen Siegel und seine Gegner. Die guten Ergebnisse halten sich, bis auch Europa genug von Siegel hat und Corinna May im Jahr 2002 mit einem 21. Platz nach Hause schickt. Zwar kommt Lou das Jahr darauf noch einmal ganz gut weg, aber beim NDR macht man sich Gedanken, wie man die Sache noch interessanter machen könnte.
    • 2004: Stefan Raab eilt zur Rettung und schickt Max Mutzke ins Rennen, der auch recht erfolgreich ist. Das neue Regelwerk, nachdem man Chartplatzierungen haben muss für die Teilnahme, scheint zu funktionieren.
    • 2005: Gracia hat manipuliert und gewinnt den nationalen Vorausscheid, aber erreicht beim ESC nur den 24. Platz
    • 2006-heute: Um jede Peinlichkeit und echte Einflussnahme auf den Teilnehmer zu vermeiden, wird das Regelwerk gestrafft. Der Erfolg bleibt trotzdem oder gerade deswegen aus. 2006 war es ganz schlimm – wenn man die Wahl zwischen Vicky Leandros, Thomas Anders und einer Kombo von Olli Dittrich hat, muss man ja wohl oder übel letztere nehmen.

    Alles in allem also ein höchst absurdes Spektakel, das uns da der NDR jedes Jahr präsentiert.

  • Manche meinen ja, die Musik wäre dieses Jahr schlecht gewesen. Das stimmt nicht. In den letzten Jahren haben die ganzen Balkanländer immer irgendwelche Volksmusikmenschen zum Wettbewerb geschickt. Will man ihnen jetzt etwa vorwerfen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben und moderne Musik einbringen?
  • Wer jetzt über die Ostmafia schimpft, sollte sich auch mal die Frage stellen, wo denn die ganzen osteuropäischen Länder letztes Jahr waren. Die Antwort ist: sie waren fast alle dabei. Dennoch hat Lordi klar gewonnen.
  • Die einzige Wahrheit über diesen Wettbewerb ist: er ist unberechenbar. Die Abstimmungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Meinungsbilder aus den verschiedenen Ländern häufig gleichförmig sind. Ein Siegertitel zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er viele 12-Punkte-Wertungen geholt hat, sondern dadurch, dass er fast von überall Punkte bekommen hat. Um zu gewinnen, muss man also einen Titel haben, der in fast allen Ländern zumindest ein paar Punkte erhält. Der serbische Titel war so einer.

Trotz allem Mäkeln: der ESC bleibt eine außergewöhnliche europäische Institution, die jenseits der EU existiert und jedes Jahr hunderte von Millionen Zuschauer interessiert. Es gibt weltweit nichts vergleichbares – und es ist ohne Frage ein Stück gelebtes Europa.

Höchster Feiertag

Nach weniger inspirierenden letzten Tagen ist es hier etwas leer geworden.

Es darf allerdings eine Sache nicht unerwähnt bleiben. Heute ist der Tag, der für viele Schweden scheinbar so wichtig ist wie Weihnachten, zumindest aber soviel wie der Nationalfeiertag.

Wie dem auch sei – heute ist Eurovision Song Contest, oder wie man es hierzulande nennt: Schlager-EM.

Kein Land dürfte derart verrückt nach diesem Wettbewerb sein wie Schweden. Der Teilnehmer wird einer langwierigen Prozedur mit Hilfe von 4 Vorentscheiden, einer „zweiten Chance“, einem Finale sowie zahlreichen lokalen Jurys ermittelt. Dagegen wirkt das deutsche Finale mit gerade einmal drei Teilnehmern ziemlich bescheiden.

Heute ist er also, der große Abend. Zu meinem Erstaunen scheint es kein public viewing oder ähnliches zu geben. Auch die entsprechenden Veranstaltungsseiten schweigen sich doch ziemlich aus zu dem Thema. Es ist wie das schwedische Silvester wohl eher etwas für den Genuss zuhause.

Steffen und ich haben am Donnerstag auch das Halbfinale begutachtet. Unsere Favoriten, die Punkrockband „Anonymous“ aus Andorra, konnte sich leider nicht qualifizieren. So hoffen wir doch einmal für Schweden. Ich werde aus reinem Patriotismus für Deutschland stimmen, auch wenn ich starke Zweifel habe, dass Roger Cicero sich mit seinem Swing zwischen diesen ganzen schnellen Pop- und Rocknummern behaupten können wird.

Ein großes Fest wäre jedenfalls ein schwedischer Sieg – ich schätze, die Stadt würde dann nächstes Jahr wochenlang im Ausnahmezustand verbringen.

Politische Bedenken habe ich gegen einen weißrussischen Sieg – das Lied ist zwar echt nicht schlecht, aber dass die Veranstaltung nächstes Jahr in Lukaschenko-Land stattfinden soll, wäre schon etwas traurig.