Nachdem der erste Ärger verraucht ist, wird es Zeit, die aktuelle Lage zu analysieren.
- Ich habe nichts gegen Gesine Schwan – ganz im Gegenteil. Sie war 2004 schon eine fähige Kandidatin und ist es noch immer. Sie hat einen hochinteressanten Lebenslauf und ist eine Quereinsteigerin, was wiederum zwei Eigenschaften sind, die ich an Horst Köhler ebenso schätze.
- Ihre indirekte Kritik an Horst Köhler, er untergrabe mit seiner Politikerschelte die Demokratie, kann ich aber nicht unterstützen. Seine zwei Amtsvorgänger haben sich auf Festtagsreden und Repräsentation zurückgezogen. Der Bundespräsident hat jedoch die höchste politische Legitimierung des Landes, und er sollte sie auch nutzen, um die Probleme jenseits des parteipolitischen Streits anzusprechen. Er soll den Mund aufmachen, wenn er es für richtig hält, und er sollte auch nicht blind jedes Gesetz unterschreiben, das ihm unter die Finger kommt. Das Einzige, was man Horst Köhler vorwerfen kann, ist, zu unregelmäßig kritisiert zu haben – am Anfang viel, seither wenig. Der Vorwurf, es sei „antidemokratisch“, Politiker zu rügen, ist Unsinn. Kritik soll und muss möglich sein. Die letzten Jahre zeichnen sich durch Stillstand aus, an dem die Große Koalition eine große Mitschuld trägt. Einen Bundespräsidenten zu haben, der in dieser Zeit ohne Ansehen der Partei Kritik übt, ist viel wert.
- Gesine Schwan wäre also eine fähige Kandidatin, aber ich habe meine Zweifel, ob sie den Job ähnlich gut machen könnte wie Köhler. Der ist bekannt und beliebt. Nach dem doch eher farblosen Johannes Rau ist das sehr angenehm – ein Bundespräsident muss nämlich auch immer um seine Präsenz kämpfen.
- Die Beliebtheit von Köhler ist auch der Grund, warum sich die Union und FDP demonstrativ hinter ihn stellen. Wäre es nach den Oberen der Union gegangen, hätte man ihn noch nicht einmal gelassen, denn zur Zeit seiner Wahl hatte man wohl nicht damit gerechnet, dass er auch mal gegen das eigene Lager schießen würde.
- Womit wir bei der SPD wären. Die Kolumnisten, die die Kandidatur von Schwan feiern, sagen auch ganz klar, dass die SPD kopflos ist. Das stimmt, denn Becks Führungstruppe eiert schon seit Monaten ohne erkennbares Ziel herum. Dieser Partei fehlt derzeit anständiges Führungspersonal und insbesondere eine Vision. Die Basis, und damit meine ich nicht nur mich selbst, ist zunehmend unzufrieden, was die letzten Umfragen auch bestätigen. Was verspricht man sich davon, Schwan aufzustellen? Ohne Frage ist sie die Leitfigur, die man sich wünschen würde – nur leider kandidiert sie dafür für das falsche Amt. Zwar mag die Wahl eines Bundespräsidenten in der Vergangenheit ein Test dafür gewesen sein, mit welcher Partei man kann und mit welcher nicht – sobald die Wahl aber vorbei war, spielte das keine Rolle mehr. Wenn die SPD ein Bündnis Rot-Rot-Grün austesten wollte, wäre dies die richtige Gelegenheit. Aber genau das will sie ja erklärtermaßen nicht.
- Die Wahl 2009 zu gewinnen ist damit auch nicht möglich, denn man kann nicht damit Werbung machen, eine Bundespräsidentin ins Amt gehievt zu haben – das verbietet sich wegen der Neutralität des Amtes. Ein Bundespräsident ist nun einmal kein Parteipolitiker. Zudem ist mehr als fraglich, ob dieser Schritt positiv aufgenommen werden wird.
Letztendlich bleibt es die Entscheidung einer Parteiführung ohne Orientierung. Ob Gesine Schwan letztendlich Bundespräsidentin wird oder nicht, wird für die SPD keine Rolle spielen. Das alles kann den derzeitigen Niedergang der Partei nicht aufhalten. Insofern war es eine dämliche Entscheidung, gegen einen populären Bundespräsidenten in die Schlach zu ziehen. Die SPD kann dabei nur verlieren.
Die Wahl 2009 mit solchen Spielchen zu gewinnen ist aussichtslos – und es zeigt einmal mehr, dass die SPD dringend einen Führungswechsel braucht.