Noch 180 Tage

Vor wenigen Tagen las ich diesen Artikel hier, in dem Ärzte die SPD auf 15 Prozent drücken wollen. Gestern demonstrierten auch Ärzte in Gaggenau nahe meiner Heimat.

Es liegt ohne Frage in der Natur der Gesundheitspolitik, dass niemand mit ihr zufrieden ist. Das soll keine Verteidigung sein, denn in der Tat liegt einiges im Argen. Gerade in Diskussionen mit Leuten, die in Schweden den perfekten Sozialstaat sehen, erlebe ich aber immer wieder, dass ein Kritikpunkt am schwedischen System damit abgetan wird, dass es woanders (d.h. Deutschland) vermeintlich noch schlimmer sei. Viermonatige Wartezeiten, wie ich sie erlebt habe, sind dann anscheinend dadurch zu rechtfertigen, dass in Schweden der Fernseher im Krankenhaus kostenlos ist. Das Thema wird jedenfalls leidenschaftlich debattiert, denn wenn es um die eigene Gesundheit geht, fühlt man sich nie perfekt behandelt.

Vor allem hat mir jener Bericht aber bewusst gemacht, dass die Bundestagswahl 2009 doch tatsächlich am 27. September stattfindet. Ich werde selbstverständlich wählen, und wollte die entsprechenden bürokratischen Schritte unternehmen. Als Auslandsdeutscher wählt man nämlich nicht in der Botschaft oder dem Konsulat, sondern als Briefwähler. Sinnigerweise muss man dies in dem Wahlkreis, in dem man zuletzt gemeldet war. Ob man noch irgendeinen Bezug zu der Region hat, spielt keine Rolle. Eine der wenigen Voraussetzungen neben der deutschen Staatsbürgerschaft ist, dass man in seinem Leben mindestens 3 Monate in Deutschland gelebt hat.

Bei mir ist es zum Glück so, dass ich einen Bezug zu meinem letzten Meldeort habe, und so wähle ich gerne dort. Die bürokratische Hürde ist zum Glück nicht so hoch, auch wenn man wie immer ein Formular ausfüllen darf. Dieses erhält man auch bei der Botschaft, aber ein am Computer ausfüllbares PDF-Dokument ist definitiv praktischer.

In Kürze bin ich also hoffentlich Briefwähler.

Zeit, sich auf die Bundestagswahl vorzubereiten.

Ich habe dieser Tag mit einer Freundin aus Juso-Tagen gesprochen, die seit kurzem im Vorstand der Linksjugend ist. Ich gehöre zwar zu denjenigen, die der Meinung sind, dass es links der SPD nicht nur eine Partei geben kann, sondern dass man mit dieser auch koalieren kann und sollte. Trotzdem ist mir Die Linke mit dem teilweise schon demagogischen Gebahren ihres Führungspersonals sowie den doch noch reichlich vorhandenen Betonkommunisten und Ostalgikern weder sympathisch noch erscheint sie mir direkt wählbar.
Besagte Freundin meinte, es käme weniger auf die Personen als auf die Programme an. Damit hat sie prinzipiell natürlich recht, auch wenn es nur zu oft so ist, dass Programme prächtig nebulös sind und die Mandatsträger letztendlich doch machen, was ihnen gerade richtig erscheint (sollen sie ja auch). Ich werde das aber zum Anlass nehmen, die Wahlprogramme durchzuschmökern.

Dazu werde ich mich aber bei den großen Parteien etwas gedulden müssen, denn das sind die Termine der Wahlparteitage:

  • CDU/CSU: keine Ahnung. Die CDU hat außer ihrem Tagesgeschäft anscheinend gar nichts zur Bundestagswahl auf ihrer Webseite, und die CSU nur wenige bescheidene Seiten ohne brauchbaren Inhalt. Auch sonst war meine Suche fruchtlos.
  • SPD: 14. Juni 2009 in Berlin – gefunden nicht auf der SPD-Website, aber immerhin hier
  • FDP: 15. bis 17. Mai in der Messe Hannover, siehe hier.
  • Bündnis ’90/Die Grünen: 8. bis 10. Mai im Velodrom Berlin, siehe hier.
  • Die Linke: 20. bis 21. Juni in Berlin, siehe hier – übrigens die einzige Partei, die auch schon einen Vorschlag fürs Wahlprogramm online zu haben scheint.

Manche Leute sind jedoch der Meinung, man sollte gar nicht wählen. Der Leiter des Washington-Büros des SPIEGEL, Gabor Steingart, hat gerade ein Buch mit dem Titel „Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers“ veröffentlicht. Darin legt er dar, wieso er dieses Mal nicht wählen wird. Er tat dies auch kürzlich in einer SWR1-Leute-Sendung (zum Anhören). Auch wenn ich seine Haltung nicht unterstütze, Politikern einen Denkzettel zu verpassen, den sie ohnehin nicht verstehen würden, so ist es doch einmal interessant, die Meinung eines Nichtwählers zu hören, der über die übliche Stammtischrhetorik hinaus geht. Bei echten Gegenvorschlägen bleibt er aber leider etwas kleinlaut, denn wenn man sagt, dass das bisherige System schlecht ist, sollte man zumindest überlegen, wie es verbessert werden könnte. Vielleicht tut er es in seinem Buch. In der Sendung war er in der Hinsicht recht abweisend.

In einem Punkt muss ich ihm aber rechtgeben: dass das deutsche Wahlrecht einige massive Schwächen hat. Zwar bin ich nach wie vor klarer Gegner von bundesweiten Referenden. Jedoch halte ich es für möglich, den Bundespräsidenten direkt zu wählen. Die größte Schwäche ist aber das Listenwahlrecht zum Deutschen Bundestag. Es kann nicht sein, dass Leute nur deswegen ein Mandat erhalten, weil sie von ihrer Partei in der Liste nach oben gesetzt wurden. Das bisherige Listenwahlrecht bringt den Wählerwillen in vielen Fällen wenig zum Ausdruck. Steingart brachte als Beispiel, dass Andrea Ypsilanti, obwohl sie in ihrem Wahlkreis fast 20% der Stimmen einbüßte, immer noch im hessischen Landtag sitzt. Dass die Wähler ihr hierfür ein Mandat gegeben haben sollen, ist da kaum nachzuvollziehen.

Das ist nichts neues. Interessant ist das Thema aber trotzdem, denn der Bundespräsident hat sich erst kürzlich für eine Änderung des Wahlrechts ausgesprochen, aber das verhallte im Nichts – schade.

Gedanken zu Gesine Schwan

Nachdem der erste Ärger verraucht ist, wird es Zeit, die aktuelle Lage zu analysieren.

  • Ich habe nichts gegen Gesine Schwan – ganz im Gegenteil. Sie war 2004 schon eine fähige Kandidatin und ist es noch immer. Sie hat einen hochinteressanten Lebenslauf und ist eine Quereinsteigerin, was wiederum zwei Eigenschaften sind, die ich an Horst Köhler ebenso schätze.
  • Ihre indirekte Kritik an Horst Köhler, er untergrabe mit seiner Politikerschelte die Demokratie, kann ich aber nicht unterstützen. Seine zwei Amtsvorgänger haben sich auf Festtagsreden und Repräsentation zurückgezogen. Der Bundespräsident hat jedoch die höchste politische Legitimierung des Landes, und er sollte sie auch nutzen, um die Probleme jenseits des parteipolitischen Streits anzusprechen. Er soll den Mund aufmachen, wenn er es für richtig hält, und er sollte auch nicht blind jedes Gesetz unterschreiben, das ihm unter die Finger kommt. Das Einzige, was man Horst Köhler vorwerfen kann, ist, zu unregelmäßig kritisiert zu haben – am Anfang viel, seither wenig. Der Vorwurf, es sei „antidemokratisch“, Politiker zu rügen, ist Unsinn. Kritik soll und muss möglich sein. Die letzten Jahre zeichnen sich durch Stillstand aus, an dem die Große Koalition eine große Mitschuld trägt. Einen Bundespräsidenten zu haben, der in dieser Zeit ohne Ansehen der Partei Kritik übt, ist viel wert.
  • Gesine Schwan wäre also eine fähige Kandidatin, aber ich habe meine Zweifel, ob sie den Job ähnlich gut machen könnte wie Köhler. Der ist bekannt und beliebt. Nach dem doch eher farblosen Johannes Rau ist das sehr angenehm – ein Bundespräsident muss nämlich auch immer um seine Präsenz kämpfen.
  • Die Beliebtheit von Köhler ist auch der Grund, warum sich die Union und FDP demonstrativ hinter ihn stellen. Wäre es nach den Oberen der Union gegangen, hätte man ihn noch nicht einmal gelassen, denn zur Zeit seiner Wahl hatte man wohl nicht damit gerechnet, dass er auch mal gegen das eigene Lager schießen würde.
  • Womit wir bei der SPD wären. Die Kolumnisten, die die Kandidatur von Schwan feiern, sagen auch ganz klar, dass die SPD kopflos ist. Das stimmt, denn Becks Führungstruppe eiert schon seit Monaten ohne erkennbares Ziel herum. Dieser Partei fehlt derzeit anständiges Führungspersonal und insbesondere eine Vision. Die Basis, und damit meine ich nicht nur mich selbst, ist zunehmend unzufrieden, was die letzten Umfragen auch bestätigen. Was verspricht man sich davon, Schwan aufzustellen? Ohne Frage ist sie die Leitfigur, die man sich wünschen würde – nur leider kandidiert sie dafür für das falsche Amt. Zwar mag die Wahl eines Bundespräsidenten in der Vergangenheit ein Test dafür gewesen sein, mit welcher Partei man kann und mit welcher nicht – sobald die Wahl aber vorbei war, spielte das keine Rolle mehr. Wenn die SPD ein Bündnis Rot-Rot-Grün austesten wollte, wäre dies die richtige Gelegenheit. Aber genau das will sie ja erklärtermaßen nicht.
  • Die Wahl 2009 zu gewinnen ist damit auch nicht möglich, denn man kann nicht damit Werbung machen, eine Bundespräsidentin ins Amt gehievt zu haben – das verbietet sich wegen der Neutralität des Amtes. Ein Bundespräsident ist nun einmal kein Parteipolitiker. Zudem ist mehr als fraglich, ob dieser Schritt positiv aufgenommen werden wird.

Letztendlich bleibt es die Entscheidung einer Parteiführung ohne Orientierung. Ob Gesine Schwan letztendlich Bundespräsidentin wird oder nicht, wird für die SPD keine Rolle spielen. Das alles kann den derzeitigen Niedergang der Partei nicht aufhalten. Insofern war es eine dämliche Entscheidung, gegen einen populären Bundespräsidenten in die Schlach zu ziehen. Die SPD kann dabei nur verlieren.

Die Wahl 2009 mit solchen Spielchen zu gewinnen ist aussichtslos – und es zeigt einmal mehr, dass die SPD dringend einen Führungswechsel braucht.

Brechreiz

Zum aktuellen Beschluss meiner Parteiführung, Gesine Schwan aufzustellen, fällt mir fast nichts mehr ein, weil ich damit beschäftigt bin, mein soeben verzehrtes Mittagessen bei mir zu halten. Wieso stellt man eine Mitbewerberin gegen einen beliebten Bundespräsidenten auf, der sich bislang in löblicher Weise damit hervortat, von den Festtagsreden abzuweichen und auch aktiv die Politik zu kritisieren? Warum verstösst man gegen die Regel, keinen Gegenkandidaten zu amtierenden Präsidenten zu stellen? Soll Gesine Schwan, als Person sicherlich fähig und vielerorts hochgeschätzt, etwa die Steigbügelhalterin für einen Kanzler Beck sein? Der SPD-Vorstand scheint im kollektiven Delirium zu sein…