Koalitionen, Wahlen, Qualen und Gewissensbisse

2. September 2005, noch 16 Tage bis zur Bundestagswahl. Die SPD liegt 11 Prozentpunkte hinter der Union. Am Wahltag liegen beide Parteien annähernd gleichauf.

11. September 2009, noch 16 Tage bis zur Bundestagswahl. Die SPD liegt 13 Prozentpunkte hinter der Union.

Zwischendrin waren 14 Landtagswahlen – in 7 von diesen konnte die SPD ihren Stimmenanteil erhöhen, in 7 verlor sie. An derzeit 7 Landesregierungen ist sie beteiligt, was sich in Kürze auf 8 erhöhen könnte.

Diese Zahlen sind trotzdem Schönfärberei. In den vier Jahren hat sich in der politischen Landschaft viel geändert.

Auch ich habe mir gestern das Duell angeschaut und fand wie eine leichte Mehrheit Steinmeier etwas besser. Es sind heute noch 13 Tage bis zur Wahl, und da ich Ende der Woche verreise, muss ich mich in Kürze entscheiden. Das Duell gestern abend war hier eigentlich nur kontraproduktiv, denn dass ich Frau Merkel nicht wählen würde, war sowieso klar. Nur wählen wir Parteien, und ich frage mich immer noch, in welcher Wahl meine persönlichen Interessen am besten gespiegelt werden.

So sehr es mir gefallen hat, dass die SPD langsam zu ihrem ureigensten Thema, der sozialen Gerechtigkeit, zurückfindet, so schwer fällt es mir, irgendeine Situation nach der Wahl zu sehen, in der die SPD dies auch umsetzen kann. In der Frage, welche für mich in Frage kommende Wahl – SPD oder Grüne – dem Ziel der Schadensminimierung am nähesten kommt, bin ich nicht viel weiter.

Nun also der Versuch, das ganze mal koalitionsstrategisch zu sehen. Folgende Koalitionsszenarien sind realistisch:

  • Schwarz-Gelb: die denkbar schlechteste Variante für das Land, wenn ein wieder erstarkter konservativer CDU-Flügel auf eine in permanenter Steuersenkungsmanie befindliche FDP trifft. Gut für die SPD ist das nur, weil sie sich in der Opposition wieder finden und den Grundstein für eine eventuelle spätere rot-rot-grüne Koalition legen kann. Dennoch: Land geht vor Partei, und so gilt es, dieses Szenario zu verhinden – in der Hinsicht ist es aber vollkommen egal, ob man SPD oder Grüne wählt.
  • Schwarz-Gelb-Grün: Relativ unwahrscheinlich, und es bleibt auch fraglich, ob die Grünen als Korrektiv diese Koalition in erträgliche Bahnen lenken können. Auf der anderen Seite bestünde die Opposition dann nur noch aus SPD und Linken, was bei beiden eine entsprechende Ausrichtung bewirken könnte. Insofern als eine Überbrückung eine Option – um das zu erreichen, müsste man Grüne wählen.
  • Schwarz-Rot: für mich das zweitschlimmste Szenario, denn nach 4 Jahren in dieser Konstellation ist die SPD am Boden und außer einem halbwegs erfolgreichen Krisenmanagement ist nicht viel herumgekommen. Bei einer Fortsetzung sind weder richtungsweisende Reformen noch eine Erholung der SPD zu erwarten. Auch ist fraglich, ob auf dieser Basis 2013 eine rot-rot-grüne Koalition möglich wird (und damit die einzige realistische Option für eine Mitte-Links-Politik). Also gilt es in erster Linie, diese Konstellation zu verhindern: also Grüne wählen. Sollte es jedoch dazu kommen, wäre es natürlich wünschenswert, dass die SPD einen möglichst großen Anteil hat. Auch würde eine vergleichsweise starke SPD die Möglichkeit haben, nach 2 Jahren die Koalition aufzukündigen und durch eine bis dahin vielleicht erfolgte Annäherung an die Linke die Möglichkeit haben, eine rot-rot-grüne Koalition zu bilden. Das Argument ist allerdings zweischneidig, denn gerade eine schwache SPD könnte versuchen, sich aus dem „Würgegriff“ einer starken Union zu lösen und versuchen, mit einer linken Mehrheit zu regieren. Auch hier ist also nicht klar, ob Grüne oder SPD die bessere Wahl ist.

Alle weiteren Konstellationen sind entweder der Ausschließeritis zu Opfer gefallen (rot-rot-grün, rot-gelb-grün und sonst alles, was mit der Linken zu tun hat) oder haben schlichtweg keine realistische Perspektive (rot-grün, rot-schwarz).

Bei den beiden wahrscheinlichsten Optionen ist es entweder egal oder nicht sicher, ob die Stimme bei der SPD oder den Grünen besser aufgehoben ist.

Auf diese Art komme ich also nicht weiter. Ich könnte mir da das Leben auch einfach machen und sagen, dass ich mit der Erststimme SPD und Zweitstimme Grüne die perfekte Mischung gefunden habe. Im Wahlkreis Rastatt ist eine Erststimme an einen SPD-Kandidaten (in dem Fall eine Kandidatin) aber mehr symbolischer Natur, denn hier wurde zumindest seit 1990, wahrscheinlich aber schon immer, der CDU-Kandidat gewählt.

Es hilft wohl nur noch ein neuerlicher Blick in die Details der Programme.

Wahl-O-Mat ist da: warum ich (vielleicht) nicht SPD wählen werde

Ich habe ihn lange erwartet: der Wahl-O-Mat ist mittlerweile online.

Warum ich ihn erwarte: weil ich mir überlege, zum ersten Mal meiner Partei untreu zu werden. Der Titel dieses Posts ist also durchaus ernst gemeint.

Und ich werde darin auch bestärkt:
versuch1a

Was mich bedrückt, ist, dass unter den kleinen Parteien eine bei mir gleichauf mit der SPD liegt:
versuch1b

Die Piraten, das kann ich gleich sagen, werde ich nicht wählen.

Ich habe den Test wiederholt, aber dieses Mal auf die Verwendung der Möglichkeit „neutral“ verzichtet, um mich eindeutiger festzulegen. Das Ergebnis ist nicht unbedingt erbaulicher:
versuch2

Die Linke, auch soviel sei schon gesagt, werde ich ebenfalls nicht wählen.

Eine hoffentlich geschliffene Analyse meiner Gedanken zu dieser Wahl werde ich in der nächsten Zeit nachlegen.

Langsam wird es für mich auch ernst: Auch lange erwartet habe ich nämlich meine Briefwahlunterlagen. Diese sind heute angekommen.

Ich möchte es kurz auf die folgenden Punkte bringen:

  • Die Piraten werde ich nicht wählen, weil ich einer Partei, die eigentlich nur ein Thema hat, nicht meine Stimme gebe. Es wird die meisten Piraten überraschen, aber es gibt in der Tat noch andere wichtige Themen außer Datenschutz und Informationsfreiheit.
  • Die Linke werde ich nicht wählen, weil ich in bestimmten Grundpositionen, z.B. Afghanistankrieg, mit dieser Partei überhaupt nicht d’accord bin. Abgesehen davon finde ich das Führungspersonal wenig, ähm, überzeugend. Diese Partei werde ich aber noch einer näheren Analyse unterziehen.
  • Die CDU werde ich schon alleine deswegen nicht wählen, weil schicke Führungsfiguren vor einer Partei mit einem vollkommen anderen Programm nicht so recht zusammenpassen. Auch was Themen wie Atomkraft, Wehrpflicht, Familien- und Informationspolitik angeht, sehe ich wenig Übereinstimmung.
  • Die FDP ist alleine deswegen unwählbar, weil damit ausgerechnet die Krisengewinner wären, die vorher am lautesten für den freien Markt getrommelt haben. Außerdem hat das Programm der FDP nur zwei Worte: Steuern senken.
  • Die SPD war, ist und wird auch in Zukunft meine Partei sein, aber ich tue mir sehr schwer mit ihr. Vollkommen verbraucht nach 11 Jahren Regierung, ziel- und ideenlos, hat sie ein Programm vorgelegt, das als plakative Aufmacher Schnapsideen (300 € Nichtsteuererklärungsprämie) und utopische Wirtschaftsideen (Vollbeschäftigung) enthält, die von einer erbärmlichen schwachen Führungstruppe präsentiert werden. Kein Mensch glaubt, dass FW Bundeskanzler werden wird – nichtmal er selber. Weitere vier Jahre große Koalition wären eine Katastrophe für diese einst stolzen Partei. Daher frage ich mich, ob ich ihr keinen Gefallen damit tue, sie in die Opposition zu schicken.
  • Bleiben Die Grünen, die programmatisch nahe der SPD liegen, soweit ich das gesehen habe, aber auf 300€-Schwachsinn verzichten. Sie wären für mich wählbar, und damit die naheliegendste Alternative zur SPD.

Noch ist meine Entscheidung aber nicht gefallen. Daher mehr in Kürze…

Noch 180 Tage

Vor wenigen Tagen las ich diesen Artikel hier, in dem Ärzte die SPD auf 15 Prozent drücken wollen. Gestern demonstrierten auch Ärzte in Gaggenau nahe meiner Heimat.

Es liegt ohne Frage in der Natur der Gesundheitspolitik, dass niemand mit ihr zufrieden ist. Das soll keine Verteidigung sein, denn in der Tat liegt einiges im Argen. Gerade in Diskussionen mit Leuten, die in Schweden den perfekten Sozialstaat sehen, erlebe ich aber immer wieder, dass ein Kritikpunkt am schwedischen System damit abgetan wird, dass es woanders (d.h. Deutschland) vermeintlich noch schlimmer sei. Viermonatige Wartezeiten, wie ich sie erlebt habe, sind dann anscheinend dadurch zu rechtfertigen, dass in Schweden der Fernseher im Krankenhaus kostenlos ist. Das Thema wird jedenfalls leidenschaftlich debattiert, denn wenn es um die eigene Gesundheit geht, fühlt man sich nie perfekt behandelt.

Vor allem hat mir jener Bericht aber bewusst gemacht, dass die Bundestagswahl 2009 doch tatsächlich am 27. September stattfindet. Ich werde selbstverständlich wählen, und wollte die entsprechenden bürokratischen Schritte unternehmen. Als Auslandsdeutscher wählt man nämlich nicht in der Botschaft oder dem Konsulat, sondern als Briefwähler. Sinnigerweise muss man dies in dem Wahlkreis, in dem man zuletzt gemeldet war. Ob man noch irgendeinen Bezug zu der Region hat, spielt keine Rolle. Eine der wenigen Voraussetzungen neben der deutschen Staatsbürgerschaft ist, dass man in seinem Leben mindestens 3 Monate in Deutschland gelebt hat.

Bei mir ist es zum Glück so, dass ich einen Bezug zu meinem letzten Meldeort habe, und so wähle ich gerne dort. Die bürokratische Hürde ist zum Glück nicht so hoch, auch wenn man wie immer ein Formular ausfüllen darf. Dieses erhält man auch bei der Botschaft, aber ein am Computer ausfüllbares PDF-Dokument ist definitiv praktischer.

In Kürze bin ich also hoffentlich Briefwähler.

Zeit, sich auf die Bundestagswahl vorzubereiten.

Ich habe dieser Tag mit einer Freundin aus Juso-Tagen gesprochen, die seit kurzem im Vorstand der Linksjugend ist. Ich gehöre zwar zu denjenigen, die der Meinung sind, dass es links der SPD nicht nur eine Partei geben kann, sondern dass man mit dieser auch koalieren kann und sollte. Trotzdem ist mir Die Linke mit dem teilweise schon demagogischen Gebahren ihres Führungspersonals sowie den doch noch reichlich vorhandenen Betonkommunisten und Ostalgikern weder sympathisch noch erscheint sie mir direkt wählbar.
Besagte Freundin meinte, es käme weniger auf die Personen als auf die Programme an. Damit hat sie prinzipiell natürlich recht, auch wenn es nur zu oft so ist, dass Programme prächtig nebulös sind und die Mandatsträger letztendlich doch machen, was ihnen gerade richtig erscheint (sollen sie ja auch). Ich werde das aber zum Anlass nehmen, die Wahlprogramme durchzuschmökern.

Dazu werde ich mich aber bei den großen Parteien etwas gedulden müssen, denn das sind die Termine der Wahlparteitage:

  • CDU/CSU: keine Ahnung. Die CDU hat außer ihrem Tagesgeschäft anscheinend gar nichts zur Bundestagswahl auf ihrer Webseite, und die CSU nur wenige bescheidene Seiten ohne brauchbaren Inhalt. Auch sonst war meine Suche fruchtlos.
  • SPD: 14. Juni 2009 in Berlin – gefunden nicht auf der SPD-Website, aber immerhin hier
  • FDP: 15. bis 17. Mai in der Messe Hannover, siehe hier.
  • Bündnis ’90/Die Grünen: 8. bis 10. Mai im Velodrom Berlin, siehe hier.
  • Die Linke: 20. bis 21. Juni in Berlin, siehe hier – übrigens die einzige Partei, die auch schon einen Vorschlag fürs Wahlprogramm online zu haben scheint.

Manche Leute sind jedoch der Meinung, man sollte gar nicht wählen. Der Leiter des Washington-Büros des SPIEGEL, Gabor Steingart, hat gerade ein Buch mit dem Titel „Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers“ veröffentlicht. Darin legt er dar, wieso er dieses Mal nicht wählen wird. Er tat dies auch kürzlich in einer SWR1-Leute-Sendung (zum Anhören). Auch wenn ich seine Haltung nicht unterstütze, Politikern einen Denkzettel zu verpassen, den sie ohnehin nicht verstehen würden, so ist es doch einmal interessant, die Meinung eines Nichtwählers zu hören, der über die übliche Stammtischrhetorik hinaus geht. Bei echten Gegenvorschlägen bleibt er aber leider etwas kleinlaut, denn wenn man sagt, dass das bisherige System schlecht ist, sollte man zumindest überlegen, wie es verbessert werden könnte. Vielleicht tut er es in seinem Buch. In der Sendung war er in der Hinsicht recht abweisend.

In einem Punkt muss ich ihm aber rechtgeben: dass das deutsche Wahlrecht einige massive Schwächen hat. Zwar bin ich nach wie vor klarer Gegner von bundesweiten Referenden. Jedoch halte ich es für möglich, den Bundespräsidenten direkt zu wählen. Die größte Schwäche ist aber das Listenwahlrecht zum Deutschen Bundestag. Es kann nicht sein, dass Leute nur deswegen ein Mandat erhalten, weil sie von ihrer Partei in der Liste nach oben gesetzt wurden. Das bisherige Listenwahlrecht bringt den Wählerwillen in vielen Fällen wenig zum Ausdruck. Steingart brachte als Beispiel, dass Andrea Ypsilanti, obwohl sie in ihrem Wahlkreis fast 20% der Stimmen einbüßte, immer noch im hessischen Landtag sitzt. Dass die Wähler ihr hierfür ein Mandat gegeben haben sollen, ist da kaum nachzuvollziehen.

Das ist nichts neues. Interessant ist das Thema aber trotzdem, denn der Bundespräsident hat sich erst kürzlich für eine Änderung des Wahlrechts ausgesprochen, aber das verhallte im Nichts – schade.