Piraten und Birnen

Die deutsche Piratenpartei ganz groß in Dagens Nyheter vergangenen Dienstag

Der Vergleich liegt eigentlich nahe, wird aber selten gemacht: während die deutsche Piratenpartei derzeit in aller Munde ist und bei einer Fortsetzung des Trends im Herbst 2013 locker 65 Prozent der Stimmen einheimsen wird, schaut keiner mehr auf die Wurzeln dieser Bewegung: Schweden.

Hier wurde dereinst im Jahr 2006 die erste Piratenpartei gegründet. Der Name stammte von der Trackerseite The Pirate Bay, die Links zu allerlei urheberrechtlich geschütztem Material anbietet. Gegen die Verantwortlichen der Seite wurden im Januar 2008 hierfür angeklagt. Eigentlich begann an diesem Punkt die Geschichte der schwedischen Piratenpartei erst richtig. Scharen von jungen Menschen traten der Partei bei, was freilich nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass die Mitgliedsbeiträge freiwillig sind.

Als von Februar bis April 2009 der Prozess stattfand, war diese Welle auf dem Höhepunkt. Kurz danach, im Juni 2009, fanden die Europawahlen 2009 statt, und die Piratenpartei holte stolze 7,1 Prozent.

Es liegt also nahe, dass der in Stockholm sitzende ARD-Korrespondent Albrecht Breitschuh einen Blick auf die schwedischen Piraten warf. Ich schätze seine Arbeit im Allgemeinen sehr, aber dieses Stück ist doch irgendwie ziemlich misslungen.

Bei ihm geht die Geschichte ungefähr so: auf einmal waren die 2009 da und alle waren total überrascht. Dann hat der Vorsitzende vorgeschlagen, auch Kinderpornos zu legalisieren, und Bumm waren sie weg, bekamen nur noch 0,7 Prozent im Jahr 2010 bei den Reichstagswahlen. Seither siecht die Partei.

Nicht ganz so, aber doch zumindest in Ansätzen ähnlich geht ein Artikel des Spiegels vor, der die verschiedenen europäischen Piratenparteien zum Thema hat. Dort ist die Geschichte verkürzt auf: erst ging’s hoch, dann runter. Flankiert wird das von einem wenig vertrauenserweckenden Foto der schwedischen Piratenvorsitzenden Anna Troberg.

Das alles ist – freundlich ausgedrückt – bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Piraten schafften es aus genau zwei Gründen in das Europaparlament:

  1. Seien wir realistisch: die Europawahlen interessieren keine Sau. Die Wahlbeteiligung ist niedrig und die Chancen für irgendwelche populistischen Quatschbananen (z.B. FDP und deren entdoktorierte blonde Vorzeigefrau) groß. In Schweden schaffte es so 2004 die „europakritische“ Juniliste souverän ins Parlament und 2009 ebenso souverän wieder hinaus. Die Piraten fallen genau in dieses Schema, dass bestimmte Wählergruppen sich bei solchen wenig beachteten Wahlen leichter hervortun können.
  2. Die Unterstützung basierte einzig und allein auf dem Thema Pirate Bay. Jugendliche, die weiterhin frei Sachen aus dem Netz ziehen wollen, wählten eine Partei, die genau für dies eintrat.

Dummerweise lässt sich auf so einer Plattform nicht lange bestehen, und genau das ist das Problem der schwedischen Piratenpartei. Die zigtausend Menschen, die ihrer Partei beitraten, haben sie genauso schnell wieder verlassen. Denn in Zeiten der Klickdemokratie war eine Partei, die keine zwingenden Mitgliedsbeiträge hat, perfekt für Leute, die keinesfalls etwas für ihre Downloads bezahlen wollen. Diese wollen aber auch keinen Aufwand betreiben, und so hatte man nicht plötzlich Scharen von Aktivisten, die Plakate klebten, demonstrierten und Flyer verteilten, sondern ein Mitgliederdatenbank voller Karteileichen.

Die schwedischen Gepflogenheiten in Sachen Parteienmitgliedschaft tun ihr übriges. Eintrittsanträge muss man nämlich genauso wenig stellen wie Austrittsanträge. Wer Mitglied werden bzw. bleiben will, zahlt, wer nicht, eben nicht. Die schwedischen Piraten machen dies ähnlich: die Mitgliedschaft gilt immer 365 Tage. Wer sie nicht erneuert, fliegt automatisch raus – und genau das ist offenkundig tausendfach passiert.

Es handelte sich also nicht um einen Massenexodus, sondern um eine geplatzte Scheinmitgliederblase.

Man braucht eben mehr als ein Thema, mehr als nur einen vielbeachteten Gerichtsprozess. Zum Zeitpunkt der Reichstagswahl 2010 waren die Leute von der Pirate Bay schon lange verurteilt. Das kurz danach verkündigte Ergebnis der Revision (schuldig) fand so gut wie kein Interesse mehr. Dummes Geschwätz des Vorsitzenden hatte auf den Untergang wenig Einfluss, denn die Wähler, die sie gebraucht hätten, waren da schon lange entschwunden.

Der Unterschied zu den deutschen Piraten

Genau diese Gemengelage macht auch den Unterschied zu den deutschen Piraten aus. Ich gebe gerne zu, dass ich den Piraten noch vor kurzem nicht viel zugetraut habe. Mir erschien es unwahrscheinlich, dass eine Partei mit so einem seltsamen Namen und für den Normalbürger so exotischen Themen wie der Netzpolitik punkten kann. Zudem galten sie als ziemlich zerstritten.

Doch passen sie sehr gut in die Zeit von Stuttgart 21 und dem Wutbürger, der sich von der Politik nicht mehr hinreichend repräsentiert fühlt. Die deutschen Piraten kommen daher mit ihren Zielen an. Genau dies fehlt den schwedischen Piraten aber. Der schwedische Bürger empfindet zumindest noch nicht eine so große Kluft zu seinen Politikern, und mangelnde Transparenz kann auch nur wenig beklagt werden, nicht zuletzt wegen des Öffentlichkeitsprinzips. Die schwedische Allgemeinheit – wohl auch dank der umfänglichen Auswahl von ganzen 8 Parteien – hat anscheinend nicht das Bedürfnis nach noch einer Partei. Solange die schwedischen Piraten nicht irgendein nachhaltig relevantes Thema finden, haben sie keine Chance.

Der oben gezeigte Artikel aus Dagens Nyheter – leider anscheinend nicht online – zeigte nun auch die schwedische Sicht auf die deutschen Piraten. Die fällt nüchtern aus: sympathisch, aber ohne richtiges Programm und wahrscheinlich auch nicht mit dem Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Ich bezweifle, dass die schwedischen Wähler ihre Piraten da wiedererkennen werden.

Denn das ist der Punkt: der Vergleich zwischen deutschen und schwedischen Piraten ist einer zwischen Äpfel und Birnen. Außer den gemeinsamen Wurzeln haben sie nichts miteinander gemein. Die schwedische Öffentlichkeit schaffte für kurze Zeit ein höchst fragiles Biotop für das zarte Pflänzchen – als dieses vorteilhafte Klima schnell zusammenbrach, war es vorbei. Die deutsche Piraten hingegen wuchsen unter kühlen Bedingungen langsam heran, um dann bei der nun schon etwas länger anhaltenden Wärme zu gedeihen.

Ob sie danach genügend Kraft haben werden, auch den Winter zu überstehen, wird sich freilich noch zeigen.

Wahl-O-Mat ist da: warum ich (vielleicht) nicht SPD wählen werde

Ich habe ihn lange erwartet: der Wahl-O-Mat ist mittlerweile online.

Warum ich ihn erwarte: weil ich mir überlege, zum ersten Mal meiner Partei untreu zu werden. Der Titel dieses Posts ist also durchaus ernst gemeint.

Und ich werde darin auch bestärkt:
versuch1a

Was mich bedrückt, ist, dass unter den kleinen Parteien eine bei mir gleichauf mit der SPD liegt:
versuch1b

Die Piraten, das kann ich gleich sagen, werde ich nicht wählen.

Ich habe den Test wiederholt, aber dieses Mal auf die Verwendung der Möglichkeit „neutral“ verzichtet, um mich eindeutiger festzulegen. Das Ergebnis ist nicht unbedingt erbaulicher:
versuch2

Die Linke, auch soviel sei schon gesagt, werde ich ebenfalls nicht wählen.

Eine hoffentlich geschliffene Analyse meiner Gedanken zu dieser Wahl werde ich in der nächsten Zeit nachlegen.

Langsam wird es für mich auch ernst: Auch lange erwartet habe ich nämlich meine Briefwahlunterlagen. Diese sind heute angekommen.

Ich möchte es kurz auf die folgenden Punkte bringen:

  • Die Piraten werde ich nicht wählen, weil ich einer Partei, die eigentlich nur ein Thema hat, nicht meine Stimme gebe. Es wird die meisten Piraten überraschen, aber es gibt in der Tat noch andere wichtige Themen außer Datenschutz und Informationsfreiheit.
  • Die Linke werde ich nicht wählen, weil ich in bestimmten Grundpositionen, z.B. Afghanistankrieg, mit dieser Partei überhaupt nicht d’accord bin. Abgesehen davon finde ich das Führungspersonal wenig, ähm, überzeugend. Diese Partei werde ich aber noch einer näheren Analyse unterziehen.
  • Die CDU werde ich schon alleine deswegen nicht wählen, weil schicke Führungsfiguren vor einer Partei mit einem vollkommen anderen Programm nicht so recht zusammenpassen. Auch was Themen wie Atomkraft, Wehrpflicht, Familien- und Informationspolitik angeht, sehe ich wenig Übereinstimmung.
  • Die FDP ist alleine deswegen unwählbar, weil damit ausgerechnet die Krisengewinner wären, die vorher am lautesten für den freien Markt getrommelt haben. Außerdem hat das Programm der FDP nur zwei Worte: Steuern senken.
  • Die SPD war, ist und wird auch in Zukunft meine Partei sein, aber ich tue mir sehr schwer mit ihr. Vollkommen verbraucht nach 11 Jahren Regierung, ziel- und ideenlos, hat sie ein Programm vorgelegt, das als plakative Aufmacher Schnapsideen (300 € Nichtsteuererklärungsprämie) und utopische Wirtschaftsideen (Vollbeschäftigung) enthält, die von einer erbärmlichen schwachen Führungstruppe präsentiert werden. Kein Mensch glaubt, dass FW Bundeskanzler werden wird – nichtmal er selber. Weitere vier Jahre große Koalition wären eine Katastrophe für diese einst stolzen Partei. Daher frage ich mich, ob ich ihr keinen Gefallen damit tue, sie in die Opposition zu schicken.
  • Bleiben Die Grünen, die programmatisch nahe der SPD liegen, soweit ich das gesehen habe, aber auf 300€-Schwachsinn verzichten. Sie wären für mich wählbar, und damit die naheliegendste Alternative zur SPD.

Noch ist meine Entscheidung aber nicht gefallen. Daher mehr in Kürze…

Bei den Piraten

Natürlich war ich gestern wählen, auch wenn ich mir bis zuletzt Gedanken machte, was es nun werden sollte. Letztendlich habe ich mich wieder für meine Partei entscheiden, habe aber bewusst nicht die Liste einfach abgesegnet, sondern die Möglichkeit verwendet, einen bestimmten Kandidaten anzukreuzen.
Die Spitzenkandidatin Marita Ulvskog ist eine typische Parteikarrieristin, die als EU-kritisch gilt und im Allgemeinen keinerlei Vorerfahrung in Sachen EU zu haben scheint. Es kommt einem wohl nicht nur so vor, als sei sie der typische Fall vom verdienten Politiker, für den man keine andere Verwendung mehr hat und deswegen nach Europa abschiebt. Ihr wollte ich meine Stimme nicht geben. Auch Anna Hedh, die als einzige in der ganzen sozialdemokratischen Fraktion des EU-Parlaments gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt hat, wollte ich beim besten Willen keine Stimme geben – soviel Dummheit sollte nicht belohnt werden.

Während ich das so schreibe, frage ich mich schon wieder ein bisschen, ob andere Parteien nicht besseres Spitzenpersonal gehabt hätten.

Meine Wahl fiel auf Åsa Westlund – jung und in Stockholm wohnhaft, profiliert als EU-Parlamentarierin in Umweltfragen. Das schien mir eine akzeptable Mischung zu sein.

Beim Durchschauen der Ergebnisse konnte ich auch etwas lernen über meinen Wohnort. Gustavsberg, wo ich jetzt lebe, gehört zu Värmdö, eine Kommune, die schon recht ländlich ist und im Sommer vor allem von zahlreichen Ferienhausbesitzern bevölkert wird. Es ist also auch allerlei Wohlstand versammelt – Gustavsberg hat die niedrigste Arbeitslosigkeit im ganzen Land.

Dementsprechend wurden die Moderaterna auch mit Abstand stärkste Partei, während die Sozialdemokraten gerade einmal auf Platz 3 kamen. Dass ich in einem der sozial schwächsten Teile der Kommune wohne, wurde mir nun durch die Ergebnisse illustriert: hier kommen die Parteien der aktuellen Mitte-Rechts-Regierung zusammen auf gerade einmal 22,4%, wobei das Zentrum fast schon eine Splitterpartei ist. Die Sozialdemokraten hingegen landeten bei 25,9%, die Grünen bei 16,8% und die Linken bei 13%. Spannend ist aber auch, dass hier auch eine Hochburg der Piratenpartei ist: 11,9% hat die Partei hier erhalten, und damit über 4 Prozentpunkte mehr als in jedem anderen Wahlbezirk der Kommune. Ich befinde mich also in einer interessanten Gesellschaft hier.

Die Piratenpartei macht auch landesweit Schlagzeilen, denn nach dem vorläufigen Endergebnis hat sie einen Sitz im Europaparlament errungen. Spannend ist hier die Wählerverteilung.

Laut eigener Statistik hat die Partei am meisten Mitglieder pro Wähler in der Kommune Hylte. Dort sind angeblich 3,5% der Wähler Parteimitglieder. Das Wahlergebnis spricht aber eine andere Sprache: 4,9% haben Piratenpartei gewählt, und damit liegt Hylte auf dem letzten Platz im Hallands Län und zudem weit unter dem Landesschnitt von 7,1%. Die zweitgrößte Mitgliederdichte hat die Partei in Salem, einer Kommune im Süden der Region Stockholm, mit 1,9%. Hier schneidet die Partei überdurchschnittlich ab, aber liegt immer noch hinter anderen ähnlich ländlichen Kommunen. Für mich ist es ein Indiz dafür, dass meine Vermutung richtig ist, was die Mitgliederbasis der Partei angeht. Die Mitgliedschaft kostet nämlich nichts und kann schnell über die Homepage abgeschlossen werden. Auf diese Art hat die Partei nach dem Medienecho um den Pirate-Bay-Prozess gewaltigen Zulauf erhalten und ist nun zumindest auf dem Papier drittstärkste Partei des Landes. Ich gehe davon aus, dass diese Parteimitglieder eben auch nur auf dem Papier existieren. Diese Leute dürften größtenteils nicht daran interessiert sein, sich in der Partei einzubringen. Dass jenseits des Themas Filesharing irgendein gemeinsamer Nenner existiert, halte ich ebenso für unwahrscheinlich. So ist die Mitgliederbasis genau so zustandegekommen, wie sonst sinnlose Onlinepetitionen entstehen – Flagge zeigen ja, aber bitte ohne Engagement oder Kosten.
So lebte der Wahlerfolg von der guten Organisation der Partei und der hohen Medienpräsenz. Es wird sich noch zeigen, wie weit solch eine Basis tragen kann.

PS: Einige interessante Beiträge zu den Europawahlen hat Thomas auf Fiket veröffentlicht.