Staring at the sun

Es war nicht gerade einfach, sich um 3:30 Uhr aus dem Bett zu quälen. Immerhin war der Morgen schön genug, um Hoffnungen zu haben. Ich packte die Kamera sowie meine Sonnenfinsternisbrille ein und machte mich auf den Weg.

Das Wetter war gerade gut genug, um hoffend zu bleiben, aber zu schlecht, um etwas zu sehen. Innen im Museum befindet sich ein kleiner Raum mit Bestuhlung und Projektor, in dem Vorträge gehalten werden können. Gezeigt wurden Liveaufnahmen verschiedener Teleskope rund um die Welt – vermutlich der Livestream der NASA. Da die meisten wohl zuerst erwarteten, es würde dort etwas stattfinden, füllte sich der Raum stetig.

Doch außer den Bildern gab es nichts zu sehen. Man konnte drinnen noch einen schnellen Blick in das Museum werfen, aber die Musik spielte draußen. Im Garten hielt jemand einen Vortrag zum Venustransit. Ich war positiv überrascht vom Zuspruch – insgesamt dürfte eine dreistellige Anzahl Besucher dort gewesen sein, die sich die Vorträge anhörten und selbst versuchten, den Transit zu sehen.

Der kleine Park mit Bänken und einer schönen Aussicht war perfekt geeignet für die Beobachtung. Einige hatten Fernrohre mit Filtern mitgebracht. Manche versuchten es mit geschwärzten Gläsern oder Fotofilm, was beides nicht zu empfehlen ist. Allerdings war die Gefahr überschaubar, denn die Sonnenscheibe war zumeist von Wolken verdeckt.

Ich setzte mich hin und wartete. Manche Partygänger der Nacht davor hatten auch ihren Weg dorthin gefunden. Es war eine interessante Menschenmenge, die sich da versammelt hatte. Ein Mann erzählte davon, dass er schon in alle möglichen Ecken der Welt gereist sei, um Sonnenfinsternisse zu beobachten. Unter anderem war er 1999 in Stuttgart, aber das Wetter war etwas zu schlecht.

Die Stimmung erinnerte mich genau an diesen 11. August 1999. Ich hatte meinen Sommerjob in einer Werkstatt für geistig Behinderte angetreten, aber an dem Tag wurde nicht viel gearbeitet. Wir alle – die Abteilungsleiter eingeschlossen – waren draußen und beobachteten das Ereignis. Ich hatte mein Teleskop aufgebaut und hoffte auf gute Sicht. Doch die wollte sich nicht so recht einstellen. Es blieb bewölkt, aber ausgerechnet bei der Totalität hatten wir einen klaren Moment und konnten die verdeckte Sonne sehen. SWR3 spielte „Staring at the sun“ von U2.

Ich genoss es heute morgen genauso, obwohl sich die Wolken nicht so recht verziehen wollten. Zwischendrin, als es einmal wieder gar nichts zu sehen gab, schaute ich nochmal nach drinnen. Ein Mitarbeiter erzählte etwas über das Museum. Der Saal mit dem Projektor war fast leer – dass es dort nicht mehr geben würde, hatte sich wohl herumgesprochen.

Die Wolken wurden immer dichter. Um 6 Uhr beschloss ich, wieder aufzubrechen.

Ob ich denn die Venus nun gesehen habe?

Ja, für wenige Minuten gaben die Wolken den Blick frei, und ganz rechts oben war ein kleiner scharfer Punkt. Und in meinem Kopf lief U2 – „I’m not the only one staring at the sun…“

Das letzte Mal in unserem Leben

Es kommt schon sehr dramatisch daher, aber es ist nicht übertrieben: am Mittwoch erwartet uns ein globales Ereignis ein, das keiner von uns jemals wieder erleben wird. Das ist jetzt etwas gestelzt, aber kommt hin, denn am 6. Juni findet ein Venustransit statt. Der nächste wird am 11. Dezember 2117 sein, und ich übertreibe wohl nicht, wenn ich sage: bis dahin sind wir alle tot.

Nun werden sich die meisten fragen: was ist ein Venustransit?
Das ist, wenn sich der Planet Venus vor die Sonne schiebt, also ein bisschen eine Sonnenfinsternis in klein. Dunkel wird es aber nicht, denn das Ganze sieht so aus:

Bild vom Venustransit des Jahres 1882

Es zieht also ein schwarzer Punkt über die Sonne, den man ohne entsprechende Gerätschaften natürlich nie bemerken würde. Das Bild ist übrigens vom vorletzten Transit, der im Jahr 1882 stattfand. Ja, der vorletzte – kaum ein regelmäßig wiederkehrendes und einfach zu beobachtendes Himmelsereignis ist so selten wie ein Venustransit. Während man fast jedes Jahr eine totale Mondfinsternis hat und man in den meisten Jahren irgendwo auf der Erde eine totale Sonnenfinsternis sehen kann, ist der Venustransit eine sehr exklusive Sache.

Zwar ist die Venus immer zwischen Sonne und Erde. Auch ist ihr Jahr kürzer als unseres, so dass sie öfters an uns vorbeizieht. Aber durch die Besonderheiten der beiden Planetenbahnen ergibt sich ein Vorbeiziehen der Venus vor der Sonnenscheibe äußerst selten. Pro 130 Jahre gibt es nur zwei, dazu noch sehr ungleich verteilt: es sind immer 8 Jahre zwischen zwei, während dann der nächste Transit erst in 105 oder 122 Jahren folgt.

Wer zurückrechnet, wird sich also denken können, dass der letzte im Jahr 2004 war. Der fand bei bestem Wetter und zu humanen Zeiten statt. Ich habe ihn damals mit meinem Teleskop begutachtet. Das ist aber nach fast 7 Jahren in Schweden leider immer noch in Deutschland, weswegen ich mir diese schicke Brille habe kommen lassen:

Meine schicke neue Brille - alltagsuntauglich, aber sehr hilfreich, wenn man mal in die Sonne schauen will.

Ich werde versuchen, den Transit auch dieses Mal nicht zu verpassen. Jedoch gibt es einen erschwerenden Umstand: er findet von 22:09 Uhr bis 4:49 Uhr statt. Die Sonne ist also anfangs nicht zu sehen. Ich finde, es ist trotzdem einen Versuch wert.

Einen Tipp für Stockholmer: das Observatoriemuseet, das Museum in der alten Sternwarte Stockholms, in der Nähe des Odenplan ist zwischen 4:30 Uhr und 6:30 Uhr geöffnet. Alle halbe Stunde werden Vorträge über den Venustransit gehalten. Man kann es auch als indirekte Projektion am Teleskop live miterleben, sofern das Wetter mitspielt. Eine Brille wie die obige kann vielleicht dazu dienen, zu entsprechender Zeit aus dem Fenster zu sehen. Der Eintritt ist frei. Am Abend davor ist um 18 Uhr ein Vortrag zum Thema, der 90 Kronen Eintritt kostet.

Es mag nach nicht viel aussehen, aber wenn man etwas an Astronomie interessiert ist oder die Ahnung hat, dass man ein solches Interesse im Lauf des restlichen Lebens entwickeln könnte, der sollte am 6. Juni sehr früh aufstehen und nach der Sonne schauen.

Es könnte nicht das letzte Mal sein. Es wird das letzte Mal sein.