Life goes on

Deutsche Gründlichkeit ist etwas Schönes, eben weil es sie nur in Deutschland gibt und woanders folglich in dieser Form nicht existiert. So ist auch mit meinem Strafzettel, den ich letzte Woche bekommen habe. Bei der Wohnungsverwaltung erklärte man mir auf Anfrage lapidar, dass es natürlich schade sei, dass mich der Hausmeister falsch informiert habe. Man könne auf dieser Müllhalde hier nicht kostenlos parken. Dass das außer mir und ein paar Bauarbeitern auch niemand will und somit eine marktwirtschaftliche Schieflage in Bezug auf Angebot und Nachfrage besteht, scheint noch niemandem aufgefallen zu sein.

Ich überlege mir, eine kleine Fotoserie der Gegend hier zu machen. Vielleicht sollte ich ein paar Mitbewohner von mir dazu überreden, sich um eine brennende Mülltonne herum zu gruppieren. Dies würde den Flair der Nachbarschaft realistisch widerspiegeln. Vorne auf dem großen Schotterfeld steht ein Wohnwagen. Ich mutmaße schon seit Wochen, dass dort tatsächlich jemand wohnt. Neulich nachts habe ich auch tatsächlich jemanden beim Versuch beobachtet, hinein zu gelangen. Dies gestaltete sich in stark alkoholisiertem Zustand allerdings schwer. Nebenan ist ein Geschäft, das wohl auch irgendetwas verkauft, aber mit Sicherheit nichts, was ich brauchen könnte. Abends scheint rotes Licht aus dem oberen Stockwerk. Es geht die Vermutung um, dass dort eine Mischung aus langbärtigen Hardrockern und Batik-Hippies wohnt. Ich bleibe dran.

Jedenfalls bin ich nicht bereit, irgendetwas für einen Parkplatz hier auszugeben, und werde dies in einem fortwährenden Akt zivilen Ungehorsams durch Nichtbezahlen von Strafzetteln sowie Falschparken untermauern. Mich zum Che Guevara des 21. Jahrhunderts auszurufen ist allerdings noch etwas verfrüht – ich habe mir versichern lassen, dass man die Strafzettel sowieso nie nach Deutschland geschickt bekommt. Außerdem steht das Auto ab sofort auf der vermeintlich sicheren Seite des Containers.

Es sind noch 10 Tage bis zum zu erwartenden Debakel der deutschen Sozialdemokratie. Ihrer schwedischen Schwesterpartei geht es nicht beträchtlich besser, wie ich gehört habe. Vorgestern besuchte ich zum zweiten Mal eine Sitzung hier. Ich platzte mitten in die Kandidatenaufstellung für die Wahlen 2006 hinein. Die Bestimmung wurde in einem hochinteressanten Verfahren durchgeführt, bei dem trotz zweier antretender Kandidaten drei „Punkte“ vergeben mussten. Da nur zwei Punkte auf einem Kandidaten vereinigt werden durfen, blieben nicht viele Optionen bei der Stimmabgabe. Ich verstand, dass es wohl sechs Wahlkreise in Stockholm gibt – wo diese sind, blieb mir allerdings verschlossen. Anschließend kam ein Gast: Anna-Marie Lindgren, die offenbar bei einer Art Think Tank der Sozialdemokraten hier ist. Ihr permanent etwas bedröppelt daherkommender Gesichtsausdruck ließ nicht erkennen, ob sie gerne hier ist. Es sah aber nicht so aus.
Als ich in der Vorstellungsrunde auf Englisch begann, schämte ich mich fast schon dafür, dass ich mich nicht traute, irgendwelche schwedischen Standardvorstellungssätze von mir zu geben. Es wäre auch sehr albern gewesen.
Nach 10 Minuten gab ich auf, verstehen zu wollen, was sie sagte. Ihr Redestil und -geschwindigkeit ließen aber erkennen, dass sie keine begnadete Rednerin ist und es sich um eine totlangweilige Veranstaltung handeln musste. Ab nächster Woche wird es hoffentlich wieder interessanter. Am Freitag danach ist beispielsweise Party.

Party ist auch dieses Wochenende – wieder in Osqvik, und ich habe leider bisher kaum Zeit gefunden, meine Karte zu holen. Ich hoffe, ich kriege heute noch eine. Die Bestätigung habe ich auf alle Fälle.

Heute abend dann wieder Tandem – ich setze alles daran, Fortschritte in dieser Sprache zu machen. Nach dem ersten Termin in meinem Kurs gestern bemühe ich mich darum, in den nächsthöheren Kurs zu wechseln. Der Einstufungstest ist zwar anderer Meinung, aber vielleicht ist ja noch ein Plätzchen frei.

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