Mittlerweile wurde im Parkplatzkrieg ein Waffenstillstand erreicht, in Berlin wurde erstmals seit einigen Monaten wieder politische Intelligenz beobachtet, der Spiegel fragt in seiner aktuellen Ausgabe „Wozu Sex?“ – ich sage: blöde Frage – und ich habe mir ein Fahrrad gekauft. Aber das kommt später, denn wir machen das ja der Reihe nach hier – streng chronologisch wie beim Schulaufsatz.
Stockholm, 10:30 Uhr – der Boden schwankt. Nein, ich bin nicht betrunken. Angesichts der letzten Nacht bin ich sogar vergleichsweise fit. Vielmehr ist es darauf zurückzuführen, dass der Gleicgewichtssinn nach zwei Nächten auf einem Schiff doch schon etwas aus dem Takt ist. Schön kann man das auch nach langen Zugfahrten beobachten.
Mein Mitbewohner hatte mich doch ziemlich angenervt, aber das ist jetzt sowieso egal. Ich stand zuletzt mit Bianca am Ausgang des Schiffes und wartete, dass es endlich geöffnet wurde. Damit ließ man sich dann auch 20 Minuten Zeit. Der erhoffte Zeitvorteil war also auf Null geschwunden. Dennoch waren wir recht schnell vom Schiff unten, und das war wichtig, denn ich hatte es eilig, zu einer bestimmten Veranstaltung zu kommen. Es handelte sich um nichts Geringeres als die offizielle Bekanntgabe der Preisträger des Nobelpreises in Physik 2005. Ich verabschiedete mich vor der Passkontrolle – nach ihr rannte ich direkt los. Es war 10:45 Uhr – noch eine Stunde bis zur angesetzten Zeit.
Blåbuss 1 bis Nybrogatan, dann Buss 44 nach Ruddammen. Aussteigen, Alkohol in den Container werfen, weiter zur Bushaltestelle. 11:35 Uhr erreiche ich die Königliche Akademie der Wissenschaften, einem majestätisch erscheinenden Bau gegenüber der Universität. Ich hatte erwartet, dass ich nicht mehr hereinkommen würde. Nicht weil ich allgemein nicht hineindürfte – eine Akkreditierung gab es anscheinend nicht und wenn: einen Presseausweis habe ich ja noch. Vielmehr glaubte ich, der Ansturm wäre so groß, dass man so schnell gar nicht mehr hineinkäme.
Ich lag allerdings gründlich falsch. Man konnte ohne Kontrolle hindurch, viel los war auch nicht. Der Raum, in dem die Pressekonferenz stattfand, war allerdings beeindruckend. Wie in einem alten Schloss hingen Bilder an den Wänden – hier allerdings nicht von Königen, Herzögen und anderen vermeintlich wichtigen Menschen, sondern von Wissenschaftlern. Einen Eindruck davon kann man in dem Panorama bekommen.
Ein Video von der Bekanntgabe gibt es hier.
Die Preisträger sind natürlich längst bekannt. Roy L. Glauber, John L. Hall und Theodor W. Hänsch. Letzterer ist der erste Deutsche seit langem, der auch noch in Deutschland arbeitet. Zum Abschluss der Pressekonferenz hatten sie ihn auch noch am Telefon. Verstanden hat man ihn zwar nicht, aber es kam klar hindurch, dass er ziemlich von den Socken war und eigentlich nicht so recht wusste, wie er reagieren soll – kein Wunder, wenn man morgens nichtsahnend im Büro sitzt und plötzlich so ein Anruf aus Stockholm kommt.
Jan, ein Kommilitone aus Darmstadt, hatte von Bianca gehört, dass ich dort hingehen würde, und kam nach. Am Ende der Veranstaltung sprach uns ein Journalist aus Deutschland an und fragte uns über unsere Ansichten aus.
Insgesamt eine sehr spannende Veranstaltung – und ein echter Geheimtipp, weil nicht viel los ist, man problemlos reinkommt und eine Stunde später die Medien der Welt damit voll sind. Allerdings gibt es auch nichts kostenlos, wenn man mal von der gedruckten Pressemeldung absieht.
Auf dem Rückweg quälte ich mich noch in die Vorlesung „Atom- och Molekylfysik“ – die Professorin ist Mitglied der Akademie und wusste daher schon etwas länger, wer den Preis bekommen würde, durfte aber natürlich nichts sagen. Das Thema des Tages hatte aber zufällig auch mit dem Nobelpreis zu tun. Nur, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen: die Themenreihenfolge wurde schon festgelegt, als der Preisträger noch nicht feststand.
Mittwoch dann Chemie – von der Materie habe ich ohnehin keine Ahnung. Lustig war allerdings, dass der prämierte Prozess mit einem Tanz mit Partnertausch verglichen wurde. Das für sich genommen war ja nicht weiter spektakulär, zumal man sich sehr gut darunter vorstellen konnte, was gemeint ist. Die Vorsitzenden hatten sich aber gedacht, man könne das ja auch demonstrieren. Also führten zwei der Vorsitzenden und zwei der PR-Damen einen kleinen Tanz vor. Leider habe ich den aber nicht auf Film.
Die Woche blieb kurz. Donnerstag kaufte ich mir beim SSSB für 250 kr ein Fahrrad, das von einem anderen Studenten an irgendeinem Wohnheim zurückgelassen wurde. Beide Reifen waren intakt, aber es war noch abgeschlossen. Für letzteres ging ich zur Autowerkstatt nebenan, wo mir der Mechaniker für 100 kr das Schloss mit dem Schweißbrenner öffnete und ich mir die Reifen aufpumpen konnte. Danach weiter zu Cykelstaden, wo ich mir ein neues Schloss kaufte. Also ca. 65 € später hatte ich ein passables Fahrrad – das fand ich akzeptabel, und es war ein verdammt gutes Gefühl, wieder Fahrrad fahren zu können, auch wenn Stockholm deutlich bergiger als Karlsruhe ist.
Nachdem wir ein weiteres Praktikum hatten, ging es am Freitag schon weiter: Neumitgliederseminar der sozialdemokratischen Studenten in Bommersvik bei Södertälje. Es handelt sich dabei um keinen Ort, sondern um eine Art Ferienanlage der sozialdemokatischen Partei mit mehreren kleinen Häusern, Konferenzräumen, Sauna – das alles gelegen an einem großen See und umgeben von Wäldern. Prächtige Landschaft eben, wie so oft hier. Es muss sich offenbar um die Kaderschmiede der Partei handeln, denn patreifremde Gäste werden hier wohl selten nächtigen. Zudem sind die Häuser kleine Kunstmuseen – und typisch sozialistische Motive überwiegen.
Meine Hoffnung, dieses Wochenende würde meinen Schwedischkenntnissen einen ungeahnten Schub versetzen, wurden etwas dadurch unterminiert, dass mehrere Teilnehmer extrem gut deutsch sprachen. Enrique kommt zwar aus Chile, wuchs aber in Zwickau auf und lebt nun in Schweden – und kann dementsprechend deutsch. Auch Josef, der aus Finnland kommt, aber in Schweden aufgewachsen ist, kann sehr gut deutsch. Dazu kamen später noch ein paar Studenten, die schon im Austausch in Deutschland waren.
Das Seminar selbst war ganz interessant, auch wenn ich natürlich nicht immer alles verstand. Der Prozentsatz war aber vergleichsweise akzeptabel, und ein Angebot Eric Sundströms, den Vortrag auf Englisch zu halten, lehnte ich dankend ab. Allerdings nahm auch mein Enthusiasmus, mich in Schwedisch zu versuchen, ab – zum Ende beschränkte ich mich fast nur noch auf Englisch. Hoffentlich wird das auf Dauer etwas besser.
Meine Kenntnisse der schwedischen Begebenheiten sind natürlich auch nur sehr beschränkt. Am Freitagabend gab es ein Quiz, zu dem wir in Gruppen eingeteilt wurden. Zwei der Fragen:
– Wieviele Landkreise hat Schweden? (ich glaube es waren um die 290)
– Benennt so viele, wie ihr könnt? (Ich komme mit Mühe auf zwei Dutzend – die meisten Gruppen hatten wohl mehr als 150)
Dafür konnten wir bei der Frage nach den EU-Kommissaren punkten, weil wir nicht nur die Standards Wallström (Schweden) und Baroso hatten, sondern ich auch Verheugen (Deutschland) und Ferrero-Waldner (Österreich) im Angebot hatte. Bei vier Gruppen reichte es so immerhin für den dritten Platz.
Leider musste ich ja wegen des Hässelbyloppets schon am Samstagabend fahren. Josef, der am Samstag mit Migräne zu kämpfen hatte, nahm ich zurück mit nach Stockholm.
Das Seminar gefiel mir insgesamt sehr gut – interessante Themen und Diskussionen, attraktive Teilnehmerinnen und netter Empfang.
Sonntagmorgen dann Hässelbyloppet – aber darüber nächstes Mal mehr.