And the winner is

Die SPD eilt zur Rettung – oder nicht?

Wenige Tage vor der Wahl ist es Zeit, meine große Serie voll enorm wichtiger Informationen für den geneigten Wähler zu beenden. Manche werden eine gewisse Spaßpartei vermisst haben. Ich persönlich finde die aber so unlustig, dass ich mir nicht mal die Mühe gemacht habe, nach einem albernen Video über sie zu suchen.

Während ich diese Zeilen schreibe, weile ich aus beruflichen Gründen in Caen in der Normandie. Aber nicht nur deswegen habe ich schon vor Abfahrt meine Stimme abgegeben. Auslandsdeutsche können ohnehin nur per Briefwahl wählen. Eine beliebte Frage scheint zu sein, wie und wo man denn als solcher wählt. Die Antwort ist schlicht: man ist Briefwähler in dem Wahlkreis, in dem man zuletzt in Deutschland gelebt hat. Allerdings muss man die Eintragung ins Wählerregister bei jeder Wahl neu beantragen, und dass man sich den Wahlkreis nicht aussuchen kann, ist für alle diejenigen schade, die keinen Bezug zu ihrem letzten Wohnortswahlkreis haben. Elegant ist die Lösung aber schon, denn Briefwähler sind so selten nicht, und wer noch nie in Deutschland gelebt hat, hat ohnehin kein Wahlrecht.

Nun ist gewählt, und zwar Erststimme SPD, Zweitstimme B’90/Grüne. Und natürlich ist mir bewusst, dass die Erststimme in einem rabenschwarzen Wahlkreis nur symbolischen Wert hat – sie ist auch mehr als Unterstützung für die gute Arbeit von Nicolette Kressl gedacht.

Grüne zu wählen ist eine schwere Entscheidung, wenn man seit fast 11 Jahren SPD-Mitglied ist. Ich möchte auch nicht andere dazu aufrufen, mir es am Sonntag gleich zu tun.

Meine Gründe für diese Wahl sind vielfältig, aber ich will es an fünf Punkten festmachen:

  • Ich bin weit davon entfernt, in heißspornige Rundumschläge wie diesen zu verfallen. Wer die Politik an ihrem Ideal misst, muss enttäuscht werden. Dennoch sollte Politik zumindest dem Ideal folgen, soll heißen: nur wer große Ziele hat, kann auch Fortschritt bewirken. Ein Ausbruch aus der Kleingeisterei ist aber in keiner politischen Partei wirklich zu beobachten. Ich schreibe dies zu guten Teilen der großen Koalition zu. Alle warten ab, bis sie vorbei ist, und das ist für sich genommen schon ein Grund, ihr Weiterbestehen zu verhindern.
  • Man könnte den Eindruck gewinnen, der Klimawandel sei wegen der Krise abgeblasen worden. Stattdessen wird eine Phantomdebatte um die Kernkraft geführt. Neue AKW können in Deutschland ohnehin nicht gebaut werden, und so ist die Atomkraftdebatte nur ein Placebo für echte Umweltpolitik. Hier haben die Grünen ihre Kernkompetenz.
  • Der fast zum Dogma erhobene Müntefering-Spruch, dass Opposition Mist sei, verdeckt nur unzureichend, in welchem desolaten Zustand die SPD ist. Man kann den Eindruck gewinnen, die ganzen Idealisten seien entweder zur Linke gewechselt, ausgetreten oder in die innere Emigration gegangen. 1998 war man die mitgliederstärkste Partei Deutschlands, die über 40% der Stimmen auf sich vereinigen können. Heute ist man hinter der CDU nur noch die Nummer zwei, und man kann es schon als Erfolg betrachten, wenn man die 30% mal aus der Nähe betrachten darf. Es grenzt an Masochismus. Dieser Niedergang kann meines Erachtens nur gestoppt werden, wenn man entweder in die Opposition geht, um neue Kraft zu schöpfen. Oder man hört endlich auf, sich mit der zweiten Geige zufrieden zu geben.
  • Programmatisch sind die Grünen und die SPD in weiten Teilen identisch. Jedoch stößt mir bei der SPD ein Programmpunkt ziemlich auf: 300€ Prämie für das Nichteinreichen der Steuererklärung. Nach meinen Erfahrungen in Schweden sehe ich die Ausgestaltung der Steuern in Deutschland als ein vordringliches Problem. Ein Steuersystem sollte gerecht und verständlich sein. Das deutsche versagt in beiden Punkten kläglich, und gerade einer sozialdemokratischen Partei müsste daran gelegen sein, dies zu ändern. Dabei geht es nicht um das Verschieben irgendwelcher Steuersätzen, sondern einem grundlegenden Umbau des ganzen Systems. Daher ist die Sache mit den 300 € nicht nur ein Wahlkampfgag, sondern auch die Aufgabe des Ziels, ein gerechtes System zu schaffen. Anstatt die Mängel zu beheben, ist man bereit, Steuerhinterzieher mit Nichtkontrolle und 300€ zu belohnen. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer, die sich ihr Gehalt nicht durch unzählige Steuertricks kleinrechnen können. Genau diese sollte die SPD aber vertreten. Liebe Genossen, hier muss sich etwas ändern! Die Grünen bleiben zwar in ihren Absichten ähnlich vage, aber solche Ausreißer nach unten scheint es da nicht zu geben.
  • Zu guter Letzt will ich – gähn – noch die Internetsperren erwähnen. Schweden hat solche, und daher kann ich mich nicht so ganz darüber aufregen, denn die realen Auswirkungen sind minimal. Abseits der unnötig zugespitzten Polemik und der offenkundigen Unsinnigkeit der Maßnahme ist die Angelegenheit aber ein trauriges Beispiel dafür, wie wenig die SPD-Spitze die junge Generation versteht und wie man geradezu grob fahrlässig Chancen ziehen lassen kann. Die jungen Menschen kreiden dies in besonderem Maße der Sozialdemokratie an, denn die CDU wird in diesem Kontext zumeist als hoffnungsloser Fall gesehen. Hier hat die SPD junge Wähler und potentielle Aktive verloren. Die Passivität in so einer Frage zeigt auch den Drang, mit kleinen sinnlosen Maßnahmen gut aussehen zu wollen. Aber auch im weiteren Kontext zeigt sich, dass man noch nicht verstanden hat, wie Demokratie im 21. Jahrhundert funktionieren könnte und sollte. Willy Brandt hat in einer berühmten Rede die Formel „Mehr Demokratie wagen“ geprägt. Die SPD sollte auch heute noch einen solchen Anspruch erheben. Doch verstanden hat kaum einer der Abgeordneten, dass es nicht reicht, ein bisschen zu twittern, ein Facebook-Profil zu haben und gelegentlich mal eine Frage bei Abgeordnetenwatch zu beantworten. In der Realität bleibt das Muster: wir machen unsere Politik, und wenn ihr Wähler dagegen seid, dann ist nicht die Politik falsch, sondern wir haben sie euch nicht gut genug erklärt. Dies muss sich ändern! Es reicht eben nicht mehr, alle 4 Jahre fieberhaft den Dialog mit dem Wähler zu suchen. Es wird Zeit, dass Internetpetitionen und Kommunikation mit dem Wähler ernst genommen werden. Dies alles war auch ein Grund, von einer Stimme für die SPD etwas Abstand zu nehmen.

Kurzum: in der SPD und für die SPD muss sich einiges ändern, und die Wahrscheinlichkeit, dass dies in einer Neuauflage der großen Koalition geschieht, ist gering. Daher gebe ich meine Stimme einer hoffentlich irgendwann vorhandenen Mitte-Links-Regierung, die den derzeitigen Zustand beenden wird.

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