Polit-Ticker (4): Lecker Popcorn

Laut einem Kommentator von Svenska Dagbladet verglich die Vorgänge in der neuen schwedischen Regierung mit einem Popcornkochtopf. Recht hat er – jeden zweiten Tag kommt eine neue Leiche zum Vorschein, die im Keller eine Regierungsmitgliedes herumlag.

Da die dpa am Wochenende ziemlich Unsinn verbreitet hatte, hier die Fakten zusammengefasst:

  • Bei Handelsministerin Maria Borelius kam heraus, dass sie in den 1990er Jahren ein Kindermädchen beschäftigte, dies aber nicht ordentlich angemeldet habe. Somit war das Schwarzarbeit. Ihre Begründung: die Steuer wäre zu teuer gewesen, aber das tue ihr jetzt alles natürlich sehr leid. Es ist natürlich sehr erschütternd, dass einem selbst Lebensnotwendigkeiten wie ein Kindermädchen durch fiese Steuern unbezahlbar gemacht werden. Folge: Rücktritt am 14. Oktober.
  • Kulturministerin Cecilia Stegö Chilò wurde mit Amtsantritt oberste Chefin des staatlichen Rundfunks. Klammheimlich meldete ihr Mann daraufhin den Fernseher der Familie an. Dummerweise ist in Schweden aber alles öffentlich. Innerhalb kürzester Zeit stand fest, dass sie stolze 16 Jahre die Fernsehgebühr geprellt hatte. Ihre Begründung: Sie hat des Öfteren im Ausland gelebt und hätte bei der ganzen Umzieherei den Fernseher vergessen. Letztendlich war sie aber nur 2 Jahre in Deutschland, was wenig glaubwürdig wirkte. Sie gelobte zwar Rückzahlung, bekam aber trotzdem zwei Anzeigen. Den Höhepunkt erreichte die ganze Sache, als herauskam, dass sie eine Haushaltshilfe schwarz angestellt hatte. Folge: Rücktritt am 16. Oktober.
  • Migrationsminister Tobias Billström gab daraufhin auch zu, dass er 10 Jahre lang keine Gebühren bezahlt habe. Er begründete das damit, dass er SVT (das schwedische Fernsehen) nicht gut fand, dann den Schlendrian habe einreissen lassen und beim weiteren Fernsehen das Programm von SVT doch wieder zu schätzen gelernt habe. Folge: seit letzter Woche Mittwoch war er krankgeschrieben. Jetzt ist er wieder da, aber leicht werden die nächsten Tage für ihn nicht.
  • Der Abschuss kommt wohl jetzt: die wichtigste Aufgabe der Regierung momentan ist die Erstellung des neuen Haushalts. Wie passend, dass der Finanzminister ausgerechnet heute eine Anzeige von einem ehemaligen Babysitter bekommt, dass er sie angestellt habe, ohne Steuern dafür zu bezahlen.

Alle vier sind übrigens von den Moderaterna.
Eines muss man der Truppe lassen – unterhaltsam ist das Ganze ja. Sehr gespannt bin ich auf die nächsten Meinungsumfragen. Das Rekordergebnis der Moderaterna dürfte sich mittlerweile pulverisiert haben.

Eine Pause nimmt übrigens Anna Sjödin, die wohl doch eingesehen hat, dass man eine Verurteilung wegen rassistischer Beleidigungen und diverser Handgreiflichkeiten nicht einfach so aussitzen kann, bis man vielleicht bei der Berufung Glück hat und doch noch davon kommt.

Televisionen auf Schwedisch

Ich saß gerade in der Küche und durfte das grandiose Vorabendprogramm des schwedischen Fernsehens begutachten. Ich war fasziniert.

SVT 1 (Sveriges Television – die Kanäle sind im Allgemeinen nummeriert hier) zeigte eine Kunstauktion oder etwas in der Art. Ich machte mir nicht die Mühe, den Sinn der Sache zu verfolgen. Es folgte eine kurze Werbung für „Lilla Melodifestivalen“ – das Melodifestivalen ist der nationale Vorausscheid zum Eurovision Song Contest (hier auch unter dem Namen „Schlagerfestivalen“ bekannt). „Lilla“ bedeutet klein und heißt soviel, dass sich hier also Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren auf der Bühne zum Affen machen und dann per SMS und Telefon abgestimmt wird. Die beiden Teilnehmerinnen der letzten derartigen Veranstaltung, die für die ganze Sache warben, wirkten wie Medienprofis und bekundeten, dass der Wettbewerb das „größte Erlebnis in ihrem ganzen Leben“ gewesen sein. Der Zyniker wird anmerken, dass vorher ja noch nicht viel passiert sein kann.

SVT 2 überzeugt mit einem amerikanischen Film (wie immer angenehmerweise nur untertitelt), bei dem allen alles leid tut und sich eigentlich alle gern haben. Das ist schön. Danach kommt… nichts – ja, vor allem im zweiten Fernsehen sind weder der nächtliche Sendeschluss noch erhebliche Pausen im Programm abgeschafft. Im ersten Kanal kommt nachts nur die Übernahme aus dem staatlichen Nachrichtenkanal. Ab und zu gibt es sogar das fast vergessene Testbild zu bewundern. Ich fühle mich an deutsches Fernsehen der frühen 90er Jahre zurück versetzt. Persönlich schätze ich es aber, wenn irgendwie immer etwas im Fernsehen kommt.

Man sollte vielleicht noch anmerken, dass SVT1 und SVT2 staatlich sind und per Gesetz werbefrei. Vielleicht sähen ARD und ZDF genauso aus, wenn es dort keine Werbung gäbe: Bildungsfernsehen, kein Schlager, Informationsmagazine – allerdings auch Gottesdienste, Sendepausen, und wenig Filme. Was besser ist, sei dahingestellt.

Mal schauen, was das Privatfernsehen so zu bieten hat:

Kanal 3 überrascht mit einer grotesken Mischung aus DSDS und Hundedressur. Das heißt konkret, dass Hundebesitzer ihre Hunde Kunststücke vorführen lassen und dann eine Nanny-artige Hundeexpertin ihren Senf dazu abgibt. Ich bin begeistert, dass Volksverblödungsfernsehen auch hier Einzug gehalten hat.

Kanal 4 spielt die sportliche Karte und zeigt Pferdegespannrennen. Überhaupt scheint das recht beliebt hier zu sein. Der vierte Kanal ist auch das einzige Privatfernsehen, das über Antenne ausgestrahlt wird. Abends erinnert das Programm etwas an RTL – allerdings bei deutlich niedrigerer Beliebtheit, schätze ich.

Kanal 5 zeigte irgendetwas, das mich nicht interessiert und das ich deswegen auch sofort vergessen habe. Ah, jetzt fällt es mir wieder ein: irgendein Eishockeyspiel. Der Kanal ist sonst aber typisches Privatfernsehen. Ein Kanal (vielleicht dieser) erdreistet sich sogar, die US-amerikanische Serie COPS („Bad Boys, Bad Boys, what you’re gonna do when they come for you“) zu zeigen, die ein verzerrtes Bild amerikanischer Realität zeigt, indem man eine Woche bei der Polizei mitfährt und dann die schlimmsten Sachen zusammenschneidet, um den Leuten zu suggerieren, dass man mächtig Schiss haben sollte, wenn man auch nur den Fuß vor die Tür setzt. Vielleicht soll das als pädagogisches Format dienen, um Schweden auf das Zusammentreffen mit der amerikanischen Polizei vorzubereiten. Man muss zur Verteidung von 3 und 5 allerdings sagen, dass hier auch die ganzen guten Serien wie „The Simpsons“ usw. laufen, und zwar im Originalton.

Kanal 6 zeigte einen Film, wo alle über ihre Gefühle und Träume reden, permanent hart an der international einheitlich festgelegten Heulgrenze. Dass nicht die ganze Filmbesetzung schluchzt, ist auch schon alles. Beverly Hills 90210 lässt grüßen – dieses Früh-90er-Machwerk habe ich im Übrigen neulich schon auf einem der Kanäle erspäht. Shannen Doherty und Tori Spelling alias Brenda und Donna liefen durch ein so offensichtlich unechtes Filmkulisse-Paris, dass man sich fragen muss, wie wir auf diesen Käse früher hereinfallen konnten.

Kanal 7 gibt es nicht und wäre eigentlich Z TV, aber das ist vorne nicht einprogrammiert. Stattdessen geht es mit MTV Nordic weiter, wo gerade All Access läuft. Zwei oberflächliche amerikanische Gerade-nicht-mehr-Teenager gehen auf ein Britney-Spears-Konzert und treffen die Hupfdohle persönlich. Diese fragt „Did you enjoy my show?“, worauf diese natürlich bejahen. „Show“ ist eigentlich auch das richtige Wort, denn Konzert kann man das Gehüpfe eigentlich nicht nennen – singen ist dabei unmöglich. Letztes Jahr an Silvester habe ich mir bei der Konzertserie „Pop around the Clock“ auf 3sat alle Konzerte und damit auch ihres aufgenommen. Sie sang genau ein Lied selbst, und das auch nur unter sichtlicher Anstrengung.

Eurosport zeigte den üblichen Käse.

SVT24, der Nachrichtenkanal des staatlichen Fernsehens, brachte wie früher, als morgens noch Videotext im Fernsehen lief, die Nachrichten des Tages in Textform. Freilich graphisch besser aufbereitet.

Fazit: es gib Tage, an dem am Sinn der Erfindung Fernsehen zweifelt.

TV-freie Zone – noch…

Wie allgemein bekannt, verstehen wir uns gut mit unseren Nachbarn aus den Niederlanden. Das heißt, rein sprachlich gesehen verstehen sie eher eher uns, und wir stellen ihnen im Gegenzug gerne unsere Autobahnen zur Verfügung, damit sie mit ihren Wohnwägen in Urlaub fahren können. Auch Rudi Carrell, Harry Wijnvoord, Linda und John de Mol durften dürfen unsere Fernsehkultur, sofern es so etwas überhaupt gibt, bereichern. Käse und Tulpen genießen in Deutschland ein gewisses Ansehen. All dies ändert sich schlagartig, wenn ein Spiel ansteht, bei dem die deutsche Nationalmannschaft auf ihre niederländischen Kollegen trifft. TV-freie Zone – noch… weiterlesen