Letzte Rate bezahlt am 31.12.2127 – oder nie

Verlangt ganz Unerhörtes: Sten Nordin, Stockholms Bürgermeister (Foto: "foto:"/CC-BY-SA 3.0)

Sten Nordin, der Bürgermeister Stockholms, hat letzte Woche mit einem geradezu unverschämten Vorschlag Wellen gemacht: die Schweden sollen künftig dazu verpflichtet werden, ihre Immobilienkredite auch wirklich abzubezahlen. Dass diese Selbstverständlichkeit überhaupt diskutiert wird, zeigt die Perversion der hiesigen Immobilienmarktverhältnisse auf.

Schon seit einiger Zeit gibt es das sogenannte „Bolånetak“ (Wohnkreditdach), eine Obergrenze dafür, wieviel man von der Kaufsumme für eine Wohnung oder Haus per Kredit finanzieren darf. 15% muss man seit der Einführung selbst mitbringen. Davor war es nicht unüblich, 10%, 5% oder sogar überhaupt nichts an Eigenkapital einzubringen. Man konnte also praktisch mittellos eine Wohnung erwerben und zahlte eben statt der Miete die Zinsen des Kredits.

Wenig verwunderlich sind die Immobilienpreise bei solchen Verhältnissen in den letzten 15 Jahren um 300% und mehr gestiegen. Das Bolånetak hat nun für eine merkliche Abkühlung gesorgt: um 11 Prozent gingen die Preise im letzten Jahr im ganzen Land zurück, in Stockholm immerhin um 3 Prozent. Eine wichtige Verschnaufpause und eine gute Gelegenheit für die Löhne, wieder etwas aufzuholen.

Ich würde mir wünschen, dass es noch eine Weile so weitergeht. Nicht nur, dass mir das vielleicht selbst irgendwann nützen würde. Mir scheint, dass ökonomische Vernunft und simple Zusammenhänge, die im Alltag jeder nachvollziehen kann, irgendwie keine Rolle mehr zu spielen scheinen, sobald es um Kredite und ganz besonders Immobilienkredite geht.

Vor Augen führte mir das vor kurzem diese Meldung: bei Eigentumswohnungen werden in Schweden im Schnitt pro Jahr 0,85 Prozent getilgt. Mit anderen Worten dauert es im Durchnitt 125 Jahre, bis eine Wohnung abbezahlt ist.

Wer sich nun fragt, wie das gehen soll: das ist ganz einfach zu erklären. Die Banken verleihen das Geld im Wissen, dass der Wert der Wohnung höchstwahrscheinlich steigen wird. Sie haben also eine Sicherheit, das Geld auch bei Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers zurückzubekommen. Zudem ist die Fluktuation bei Eigentumswohnungen groß. Die meisten Kredite werden vorzeitig ausgelöst durch Verkauf der Wohnung. Auf die Art können sich viele Leute mit wenig Geld vollkommen überteuerte Wohnungen leisten. Die niedrigen Anforderungen in Sachen Tilgung treiben die Preise nach oben.
Der Haken bei der ganzen Angelegenheit ist leicht zu finden. Das kann nur solange gut gehen, wie der Wert des Objekts zumindest gleich bleibt. Ist das nicht mehr der Fall, dann müssen die Banken Zinsen anheben und kürzere Tilgungszeiträume einfordern. Das werden sich wiederum viele nicht mehr leisten können.

Genau das stellt auch das Problem und den Kern der Frage dar, ob hier eine Spekulationsblase entstanden ist. Denn die Preisrallye wird irgendwann den Punkt erreichen, an dem die Leute es selbst unter diesen vorteilhaften Bedingungen nicht mehr finanzieren können. Die Preise werden sinken, und wenn sie das zu schnell tun, kann dies einen Crash auslösen.

Also ist ein langsames Absinken, wie das im vergangenen Jahr zu beobachten war, ein erstrebenswerter Zustand. Sollten die Preise in Kürze wieder anziehen, dann sollten die Bedingungen erneut verschärft werden, um den Markt weiter Richtung solidere Kreditbedingungen zu drängen.

Leider fehlt aber vor allem eines: ein Mentalitätswechsel. Während Nordin nämlich anscheinend verstanden hat, dass die derzeitige Situation keine nachhaltige Lösung ist, ist dies bei weitem nicht überall so. Mir kommt es so vor, als nehme man die Banken als Teil eines sozialen Netzes wahr, das zwar irgendwie schon nach kapitalistischen Regeln funktioniere, aber letzten Endes eine soziale Aufgabe erfüllen soll, die der Mietwohnungsmarkt durch systematische Konstruktionsfehler nicht wahrnehmen kann. Die Annahme, dass ein tragfähiges System darauf beruhen kann, dass man bei Krediten nur die Zinsen bedient, scheint weit verbreitet zu sein. Als wäre es ein Bürgerrecht, einen Wohnungskredit zu erhalten. Als wäre es pure Schikane, 15 % Eigenkapital und eine Tilgung zu verlangen. Kein Wunder also, dass die simple Lebensweisheit, dass man sich nur Dinge kauft, die man auch bezahlen kann, hier irgendwie außer Kraft gesetzt werden soll.

Die Banken argumentierten, dass es Flexibilität geben müsste, denn wenn eine finanzielle Notlage aufträte, wäre es erstmal sinnvoller, andere Kredite zu bedienen. An sich ein valides Argument, jedoch in dem Kontext wenig vertrauenserweckend. Das Problem ist schließlich nicht, dass die Tilgung unterbrochen wird, sondern dass so gut wie gar nicht getilgt wird. Ohne Regulierung darauf zu bauen, dass die Banken künftig ihre Kunden zu mehr Disziplin anhalten, ist also leichtsinnig. Und, unnötig anzumerken: ein Kreditnehmer, der so knapp wirtschaftet, dass er praktisch permanent die Tilgung aussetzen muss, hätte erst gar nicht einen Kredit erhalten dürfen.

Für mich persönlich lässt das nur zwei Schlüsse zu: erstens will sehr gut überlegt sein, die jetzige Mietwohnung aufzugeben. Und zweitens würde ich nur dann etwas kaufen, wenn der Preis eine Abzahlung in realistischen Zeiträumen zulässt.

(via Bobubbla?)

Die Wohnungsmarktrallye im Bild

Derzeit treiben mich die schwedischen Finanzen etwas um. Eine gute Gelegenheit, eine meiner Thesen zu überprüfen.

Mir erscheint der Crash deswegen annähernd unausweichlich, weil die Immobilienpreise schneller steigen als die Löhne. Irgendwann muss also der Punkt kommen, an dem sich der Bürger mit normalem Einkommen keine Immobilien mehr leisten kann. Immobilien finden keine Käufer mehr und der Markt kollabiert.

Das ist deswegen auch so kritisch, weil viele Leute in Schweden ihre Immobilien als eine Art Anlage mit Gewinngarantie kaufen. Sie gehen davon aus, dass der Wert ihrer Immobilien immer weiter steigt. Wenn man sie verkauft, streicht man also in jedem Fall einen Gewinn ein, ohne dass man mehr tun muss als die Zinsen zu bezahlen. Auf das Tilgen kann man verzichten. Wenn man so kalkuliert, kann man also viel höhere Kredite aufnehmen, denn es kommt ja nicht auf die Rückzahlung an. Die Banken tragen dieses Modell anscheinend auch mit. Nur wenn einmal der Verkaufswert sinken sollte, wird es problematisch.

Nun kann ich schlecht den genauen Bruchpunkt eines eventuellen Crashs vorhersagen. Aber einen Blick in das Verhältnis zwischen Löhnen und Immobilienpreisen wollte ich einmal werfen. Also habe ich die Verkaufspreisdaten von Mäklarstatik.segenommen und diese mit den Lohnangaben von ekonomifakta.se abgeglichen.

Das Ergebnis:

Immobilienpreise im Vergleich zu den Durchschnittslöhnen für den Zeitraum 1996-2009

Hier sieht man die Entwicklung der Löhne im Zeitraum 1996 bis 2009. Um einen Vergleich zu ermöglichen, habe ich einen Index verwendet, d.h. das Jahr 1996 hat bei allen Kurven den Wert 100. Wie man sieht, wachsen die Preise für Immobilien erheblich schneller. Vor allem bei Eigentumswohnungen gingen die Preise zwischen 2003 und 2007 durch die Decke.

Es bleiben für den Arbeitnehmer drei Möglichkeiten:

  1. Mehr arbeiten
  2. Mehr Kredit aufnehmen
  3. Kleinere Immobilien kaufen

Es wird wohl eine Mischung aus allem drei gewesen sein. Da man aber nicht in einer Schuhschachtel wohnen kann und auch nicht viermal soviel arbeiten, bietet der höhere Kredit den größten Spielarum. Glücklicherweise scheint die Kurve langsam abzuflachen, aber dass sie so lange stagniert, bis die Lohnentwicklung einigermaßen nachgezogen hat, scheint mir doch unwahrscheinlich.

Für mich bedeutet das letztendlich, dass ich extrem lange Zeiträume werde warten müssen, um einen Kredit unter Bedingungen aufnehmen zu können, wie ich sie mir wünsche.

PS: Wer sich fragt, was „K/T“ sein soll: das ist die Kaufsumme pro Taxierungswert. In Schweden wird für die steuerliche Veranlagung der Wert eines Haus taxiert. Der Taxierungswert (Taxeringsvärde) soll dabei 75% des Marktpreises betragen – allerdings werden Durchschnittspreise verwendet, die schon etwas älter sind. Der Wert ist also relativ stabil gegenüber kurzfristigen Ausreißern, wächst jedoch mittelfristig mit dem Markt mit. Ich würde daher annehmen, dass der Preisanstieg in der Grafik eher unterbewertet ist.

Mehr Geld im Geldbeutel – ein kleiner Nachtrag

Ich hatte eigentlich nicht vor, diese Wirtschaftsthemen zu einer Serie auszubauen, aber gestern morgen sprang mir eine Zahl in einem Zeitungsartikel entgegen: 2030 Milliarden. Das ist eine Menge, finde ich, denn soviele Kronen Kredit haben schwedische Privathaushalte aufgenommen. Nach aktuellem Stand sind das 228 Milliarden Euro, oder mit anderen Worten: rund 25.000 Euro pro schwedischem Einwohner!

Das ist wohlgemerkt der Durchschnitt. Nun kann es sein, dass mir das mangels direkter Vergleichsmöglichkeiten als sehr hoch erscheint und andere europäische Länder ebenso ordentlich in der Kreide stehen. Trotzdem finde ich den Betrag beängstigend hoch, v.a. wenn man berücksichtigt, was im Nebensatz erwähnt wird. Dort steht nämlich, dass die Hälfte davon zu beweglichen Zinsen aufgenommen wurde.

Der Durchschnittsschwede hat also gut 12.000 Euro Schulden, bei denen er nicht weiß, wie hoch die Zinsen sein werden. Das finde ich doch schon ein bisschen bedrückend. Für meine Geschmack ist da schon eine Menge Vabanque dabei.

Geradezu beispielhaft finde ich auch den Rest des Artikels. Die dort präsentierte Familie macht es sich ganz einfach: wenn die Zinsen steigen, zahlen wir den Kredit eben langsamer ab.

Man kann nur hoffen, dass die meisten Schuldner ein entsprechendes Polster haben, um so reagieren zu können.

Mehr Geld im Geldbeutel – das eigentümliche Verhältnis der Schweden zum Kredit

In dicken Lettern prangte es heute morgen auf der Zeitung:

Mer i plånboken om inte räntan stiger

Zu deutsch:

Mehr im Geldbeutel wenn die Zinsen nicht steigen

Es ist nicht die erste derartige Schlagzeile, die ich lesen darf. Jedes Mal, wenn sich an den Steuern, den Löhnen und vor allem an den Kreditzinsen etwas ändert, wird davon geschrieben, dass man nun mehr oder weniger im Geldbeutel. Dieses Mal geht es um Steuern, die leicht gesenkt werden sollen.

Das Paar, das heute porträtiert wird, kommt zwar aus Indien, ist aber in dieser Hinsicht voll schwedisiert, denn es verkündet erfreut:

”Vi kan spendera mera nu”

also:

”Wir können jetzt mehr ausgeben”

Vielleicht bin nur ich es, aber mir scheint, dass es in diesem Punkt einen grundlegenden Unterschied zwischen schwedischer und deutscher Sichtweise gibt. Während ein Deutscher (nach meinem Empfinden) nur einen Kredit aufnimmt, wenn er gar nicht anders kann, und ihn dann straff organisiert innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zurückbezahlt, empfindet ein Schwede die Schuldenlast offenbar nicht als solche. Er hat anscheinend keine sonderliche Ambitionen, sie schnell wieder loszuwerden, und nichtmal ein Problem damit, nur die Zinsen zu bedienen.

Anders kann ich mir diese Form der Selbsttäuschung kaum erklären. Es ist eigentlich unnötig zu erklären, dass man nicht mehr im Geldbeutel hat, wenn man Schulden in (Kronen-)Millionenhöhe vor sich herschiebt, sondern allenfalls mehr Luft hat, die Schulden zurückzubezahlen. Aber lieber lässt man das Damoklesschwert von beweglichen Zinsen über sich hängen als dass man aktiv Vorsorge trifft. Kein Wunder, dass jede Leitzinsänderug, die Reichsbankschef Stefan Ingves verkündet, mit Argusaugen beobachtet wird.

So laufen hunderttausende hochverschuldete Schweden durch die Welt und glauben tatsächlich, sie hätten bald mehr Geld im Geldbeutel – und realisieren nicht, dass die Zinsen derzeit immer noch ziemlich niedrig sind.