Korrekturen

Blogs sind ja dafür bekannt, dass sie von zu schnell gefällten Urteilen nur so strotzen. Meines ist keine Ausnahme. Rainer hat einige Punkte zu dem Beitrag über Kriminalität angeführt, die ich nicht ausreichend berücksichtigt habe. Schweden ist zwar vergleichsweise sicher, aber dass es praktisch überhaupt kein Verbrechen gäbe, ist wiederum auch falsch. Die Mordraten beispielsweise sind höher, und auch erschreckend viele Vergewaltigungen geschehen. Zudem gibt es natürlich auch eine starke Konzentration auf den Stockholmer Raum.
Bei meiner Medienkritik will ich dennoch bleiben – meiner Ansicht nach wird über die falschen Dinge in einer nicht angemessenen Breite berichtet. Die Ursachen werden nur allzugerne verschwiegen.

Eine Korrektur der ganz anderen Art zum gestrigen SpringCross. Dort hatte mir das vorläufige Ergebnis zunächst bescheinigt, ich hätte 38:04 Minuten für die 6 Kilometer gebraucht. Dabei hatte ich selbst 37:01 gemessen. 37:04 weist das Ergebnis nun aus, was mich auf den 195. Platz von insgesamt 252 in dieser Kategorie bringt.

Sehr witzig ist auch, dass sich der Teamname „Keesves“, den wir einmal für das Team zur Badischen Meile 2005 gewählt hatten, hartnäckig bei allen vom Löparkansliet veranstalteten Läufen hält, auch wenn ich ihn nicht angegeben habe.

Paranoia

Ein Thema, das mich in den letzten Tagen etwas beschäftigt hat, ist die Kriminalität. Anlass war Thomas‘ Blogeintrag und der zugehörige Artikel in der ZEIT (sehr empfehlenswert übrigens).

Es geht um eines der sichersten Länder Europas, in dem die Menschen irrationalerweise Angst vor Verbrechen haben: Schweden. Die Sache hat mich deswegen so beschäftigt, weil selbst jemandem wie mir, der nur einen sehr oberflächlichen Einblick in die schwedische Gesellschaft hat, die Effekte nicht entgehen.

Da ist zum Einen der Väktare-Wahn – ein Väktare ist direkt übersetzt ein Wächter. In Deutschland kennt man sie auch. Sie bewachen manche Firmen und natürlich Geldtransporte. In Schweden bewachen sie alles. Manchmal meint man, vor jeder Klotür stünde ein solcher Väktare. Jede Kneipe beschäftigt mindestens einen Sicherheitsmann, jede Firma sowieso – letztere natürlich noch in Verbindung mit Sicherheitskarten und Türcodes. Mag es hier noch verständlich erscheinen, so gerät es spätestens im privaten Bereich ins Absurde. Bei einem Spaziergang durch die Schärenstadt Vaxholm fällt einem auf, dass jede Gartenhütte den Aufkleber einer namhaften Sicherheitsfirma hat. Mein Wohnheim hat ebenfalls solche Aufkleber. Einen Sicherheitsmann habe ich hier zwar noch nie gesehen, aber prophylaktisch sollen alle potenziellen Missetäter wissen, dass man hier besser nicht einbricht. Nächtens sind Sicherheitsleute sowohl auf dem SU-Campus als auch auf dem KTH-Campus unterwegs – in Karlsruhe habe ich so etwas nie gesehen.
Es ist zwar beruhigend, dass man in Urlaub fahren kann, ohne dass gleich eingebrochen wird. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob Sicherheit hier nicht mit einem zu hohen Preis erkauft wird. Das meine ich wörtlich, denn mir geht es nicht um Datenschutz und Privatsphäre, sondern um das liebe Geld. Der Arbeitsmarkt für Sicherheitsleute ist derart groß, dass es ein Sicherheitsgymnasium gibt, wo die Schüler auf dem Weg zum Abitur zu Sicherheitsfachleuten ausgebildet werden. Dass man im Gymnasium gleich eine Berufsausbildung macht, ist in Schweden normal. Dennoch steht dies beispielhaft dafür, dass ein beträchtlicher Teil derjenigen, die weder sehr niedrig noch sehr hoch ausgebildet sind, in diesem Markt Anstellung finden. Firmen wie Falck Security oder Securitas profitieren sicherlich davon. Was zahlt also der gemeine Bürger für seine Sicherheit? Ich habe keine Ahnung, aber es dürfte ein nennenswerter Beitrag sein.

Andere Effekte der Angst vor Verbrechen sind neben der häufigen Werbung für die Polizeiausbildung auch, dass die Politik Kapital daraus schlägt. Ich erinnere mich mit Grauen an Wahlplakete der Moderaterna, die mehr Straßenbeleuchtung und Polizei für Östermalm – nicht gerade ein Zentrum des Verbrechens – ankündigten. Und die Leute wählten sie nicht zuletzt deswegen.

An den leicht paranoiden Zügen dieses Zustands ist aber vor allem die Presse schuld. Der ZEIT-Artikel beschreibt mit dem Haga-Mann (ein Massenmörder und Vergewaltiger) und der dazugehörigen Berichterstattung ein besonders krasses Beispiel. Aber auch der Alltag wird kontinuierlich mit Verbrechensmeldungen geflutet. Letzten Sommer schrieb City entrüstet, dass es im Schnitt pro Tag 40 Taschendiebstähle in der U-Bahn gäbe. Ohne andere Zahlen zu haben, kann ich beruhigt behaupten, dass die Berliner Polizei ein Fass aufmachen würde, wenn sie einmal einen Tag mit nur 40 Taschendiebstählen hätte. Busfahrer dürfen mittlerweile keine Fahrkarten mehr verkaufen, weil es einige Überfälle gab. Ein aktuelles Beispiel: in Södertälje wurden gestern nacht Polizeifahrzeuge von Jugendlichen mit Steinen beworfen, eine Scheibe ging kaputt. In den Morgennachrichten war dies die erste (!!) Meldung, und auch die nationalen Zeitungen haben sie an prominenter Stelle platziert. Man stelle sich vor, das gleiche wäre in Bochum oder Leipzig passiert – Seite 5 ganz unten, gleich neben der Meldung, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist. In den Außenbezirken Londons, in den Banlieus in Paris, in manchen Bezirken von Berlin passiert ähnliches täglich. Sicherlich ist das schlimm, aber muss es deswegen gleich ein großes Medienecho geben? Selbst bei Kapitalverbrechen muss man die Frage stellen, ob denn gleich jeder Mord und jede Vergewaltigung ein nationales Thema darstellt.

Mir kommt es vor, als berichte man im permanenten Sommerloch. Die Ereignislosigkeit gebietet, jedes Ereignis zu publizieren. Jede Lappalie wird zur großen Tragödie, jedes Verbrechen ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft.

Ein trauriger Zustand eigentlich – wenn dieses Land nicht so sicher wäre, müsste man sich glatt Sorgen machen.