Es geht ein Lauf durch Lidingö

Unverhofft kommt oft – vor zwei Wochen wurde im Intranet meines Arbeitgebers Busslink angeboten, man könne an der Auslosung von Plätzen zum Lidingöloppet teilnehmen. Busslink ist nämlich Sponsor und konnte so auch einige Mitarbeiter ins Rennen schicken.

Lidingöloppet ist eine Institution auf Lidingö. Diese Insel liegt direkt neben Stockholm, ist aber eine eigene Kommune. Wie alle Kleinen, die neben Großen liegen, legt wohl auch Lidingö besonders viel Wert darauf, selbstbewusst aufzutreten und zumindest in irgendetwas der Größte zu sein.

Auf wundersame Weise haben die Bewohner der Insel das auch geschafft – mit dem größten „Terränglopp“ (Crosslauf) der Welt. Über 32000 Läufer waren dieses Mal angemeldet. Wie man auf solche beeindruckenden Zahlen kommt, lässt sich erahnen, denn der Lauf ist vielen Dingen anders. So darf man sich bis zum Wettkampftag anmelden und ummelden, was sonst nur bei Kleinstläufen geht, bei denen man für jeden Teilnehmer dankbar ist.

Der Hauptgrund ist wohl, dass es eine Fülle von Disziplinen gibt, die auf drei Tage verteilt werden. Vom 1,7 km kurzen Lauf Lidingöruset, über die Läufe für Kinder, Nordic Walking auf drei verschiedenen Distanzen, einer Staffeldisziplin bis hin zu den langen Laufstrecken, die aus einem Frauenlauf über 10 km, einem Mittelstreckenlauf über 15 km und der Königsdisziplin über 30 km bestehen. Letztere ist auch der „eigentliche“ Lidingöloppet, der in den sogenannten „schwedischen Klassiker“ eingeht. Bei dem geht es darum, vier sehr harte sportliche Wettkämpfe innerhalb eines Jahres zu bestehen.

30 km klingt gar nicht so furchteinflößend, aber die Betonung liegt eben darauf, dass es sich um einen Crosslauf handelt. Dieser Begriff ist natürlich sehr dehnbar, je nachdem, wie cross man es denn mag. In Lidingö bedeutet er, dass es auf schmalen Waldwegen auf weiten Teilen der Strecke steil den Hügel hinauf und wieder hinab geht – Steine und Wurzel auf dem Weg inklusive. Das alles ist nicht angenehm, aber immerhin angenehmer als bei SpringCross, wo man teilweise durch das hohe Gras muss, ohne zu wissen, wie der Untergrund sich verhält. Trotzdem sind 30 km extrem hart und dürften mehr belastend als ein Marathon sein.

Das war mir vorher schon einigermaßen bewusst, und so war mir auch klar, dass die 30 km im Moment eine Nummer zu hoch für mich angesiedelt sind. Damit war ich geradezu prädestiniert für die 15 km, eine Distanz, die wohl genau für eine solche Klientel eingeführt wurde.

Am Freitag radelte ich also unter abenteuerlichen Bedingungen nach Lidingö. Die Beschilderung war nämlich so schlecht, dass ich auf der Schnellstraße landete, anstatt die Fahrrad- und Fußgängerbrücke zu der Insel zu nehmen. Ähnlich schön war auch, dass meine Startnummer fehlte. Daraufhin erhielt ich eine andere Nummer, die dann eben nicht mehr auf mich persönlich ausgestellt war. So fuhr ich am Freitag insgesamt rund 39 km mit dem Fahrrad. Wenig verwunderlich fühlte ich mich tags darauf auch nicht gerade topfit.

Am Samstagmorgen wollte ich mich daher natürlich vor unnötigen Belastungen schützen. Ich fuhr mit der U-Bahn nach Ropsten und ab dort mit den kostenlosen Shuttlebussen, die natürlich nicht zufällig von Busslink gestellt wurden.

Was die Gepäckabgabe angeht, ist der Lidingöloppet etwas speziell. So kann man seine Tasche wie bei vielen anderen Läufen vor dem Start abgeben. Besonders ist hier aber, dass man darüber hinaus noch einen Plastikbeutel erhält, in den man Kleidung stecken kann, die man bis vor kurz dem Start anbehalten möchte. Dieser wird dann in einen Wagen neben dem Startfeld geworfen, und nach dem Lauf erhält man beides wieder zurück.

Start und Ziel sind räumlich voneinander getrennt, aber in Spaziergangsreichweite voneinander. Dazwischen liegt die Sportmesse, wo Taschenabgabe und Startnummerausgabe stattfinden. Insgesamt hat das auch ein bisschen etwas von Volksfest, denn die Wege sind teilweise gesäumt von Ständen.

Der Start selbst fand auf einer weitläufigen Wiese statt. Jede Startgruppe hatte ihr abgestecktes Feld. Beim Lidingöloppet werden die Startnummer nicht nach den Zeiterwartungen vergeben, sondern nach der Reihenfolge der Anmeldung. Es können also auch langsame Läufer vorne starten, die dann die schnelleren behindern. Dazu kommt, dass die Strecke schon nach wenigen hundert Metern sehr schmal wird.
Daher ist das Startfeld so angelegt, dass auf möglichst großer Breite gestartet wird, und es wurde darum gebeten, dass man sich als langsamer Läufer rechts halten solle. Auf diese Weise sortiert sich das Feld sehr schnell.

Die erste Startgruppe lief 10.30 Uhr los, die zweite 10.40, und so weiter.
Ich war als spät hinzu Gekommener in der vierten und letzten Startgruppe, und dort merkte man auch, dass die 15-km-Distanz noch nicht lange angeboten wird. Das Startfeld war gerade einmal halb gefüllt.

Schon bald nach dem Start merkte ich, dass bei dem Lauf auch viele teilnahmen, die sich ganz klar übernommen hatten oder von vorneherein auf einen langen Spaziergang abzielten. Schon nach 2 km gingen einige, und ich begann mich zu fragen, wie lang es wohl dauern würde, bis ich den ersten aus der Gruppe vor mir überholen würde. Das ist eigentlich leicht herauszufinden, denn die Startnummern sind mit verschiedenen Farben markiert.

Dummerweise war mir nicht mehr so ganz gegenwärtig, dass meine Startnummer die Farbe blau hatte. Als ich da nach ca. 2 km schon an den ersten grünen vorbeikam, hielt ich dies für meine eigene Farbe und wunderte mich, dass die so lange vor mir geblieben sein konnten. Mir fiel der Fehler erst auf, als ich nach 6,5 km den ersten mit roter Startnummer überholte – auf den hatte ich also zu dem Zeitpunkt schon 20 Minuten Vorsprung. In der letzten Startgruppe zu sein brachte mit sich, dass ich mich an niemandem orientieren konnte. Bei einem simultan gestarteten Lauf ist es so, dass man irgendwann seinen Platz im Feld gefunden hat und sich dann an seinen Mitläufern orientiert. Das ging am Samstag nicht, denn alle, die vor mir waren, mussten eigentlich zwangsläufig die langsamsten der vorigen Gruppe sein, und die konnte ich mir schlecht als Richtlinie für die eigene Geschwindigkeit nehmen.

Ich war ohne Zeiterwartungen gestartet, denn ich wusste nicht, wie die Strecke nun in der Praxis aussehen würde. Was ich vorfand, war eine Strecke, die mich stark an meine frühere Laufstrecke am Lappis erinnerte: schmale Wege, kurze aber steile Anstiege, unebener aber harter Boden.

Es lief gut, und es zeigte sich auch, dass das viele Radfahren in den letzten Wochen und meine weiteren 2 kg weniger seit dem Halbmarathon ihre Wirkung zeigten. In einer längeren Phase überholte mich keiner mehr, sondern ich überholte nur noch die Läufer von den anderen Startgruppen. Eine schöne Einrichtung des Lidingöloppet ist übrigens, dass die Kilometermarken nicht wie bei anderen Läufen nach oben zählen, sondern einem Countdown gleich nach unten.

Ich orientierte mich an der Geschwindigkeit von 6 Minuten pro Kilometer, und zeitweise hatte ich darauf drei Minuten Vorsprung. Zwar war ich am Anfang nicht so schnell wie beim Halbmarathon, blieb dafür aber ziemlich konsequent unter den 6 Minuten pro Kilometer. Ab 10 km schmolz der Vorsprung nicht mehr rapide dahin, sondern verkleinerte sich nur langsam.

Umso erfreulicher ist das Endergebnis: 1:28:41 Stunden!

Das sind 1:10 Minuten schneller als die 15-km-Zwischenzeit beim Halbmarathon. Das alles, wohlgemerkt, auf einer Strecke, die erheblich anstrengender ist.

Ich bin daher auch recht stolz und freue mich schon auf den Halbmarathon in einem Monat auf Åland, bei dem ich gerne zumindest der Zwei-Stunden-Marke näher kommen würde.

Interessant ist aber auch die Gesamtergebnisliste. Normalerweise schaue ich nicht so darauf, denn die Platzierung sagt wenig darüber aus, wie gut man nun war. Dazu ist die Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes zu unterschiedlich bei den verschiedenen Läufen. Allgemein bin ich aber bemüht, in das Mittelfeld eines Laufes vorzustoßen. Beim Lidingöloppet hingegen bin ich nicht nur gerade so darin gelandet, sondern ich habe es sogar geschafft, fast 60% der anderen Läufer hinter mir zu lassen – was aber auch darauf hindeuten kann, dass die Konkurrenz einfach etwas schwächer besetzt war wegen der vielen attraktiven Alternativen zu dieser Distanz. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich es jemals zu einem so guten Ergebnis geschafft hätte.

Das macht natürlich Lust darauf, nächstes Jahr wieder anzutreten.

Jetzt muss ich aber erst einmal an den Nachwirkungen leiden. Gestern war es der Muskelkater, heute die Gelenke – und eine riesengroße Blase am linken Fuß.

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