Der Bus war es (wahrscheinlich) nicht

Gute 6 Wochen nachdem ein Bus bei Slussen auf einen belebten Platz gerast ist und einige Menschen verletzt hat, ist der technische Bericht der Polizei erschienen. Das ist jetzt zwar auch schon drei Tage her, aber ich wollte es noch nachreichen.

Der Befund ist recht simpel: keine relevanten Sicherheitsmängel konnten an dem 15 Jahre alten Bus gefunden werden. Meine leise Vermutung, dass es nicht der zunächst vielgescholtene und mit seinen 15 Jahren vermeintlich viel zu alte Bus war, sondern leider die Busfahrerin, ist damit erheblich wahrscheinlicher geworden.

Leider deswegen, weil man natürlich niemandem wünscht, so einen Fehler zu machen – immerhin hätte mir auch ein Fehler mit tragischen Konsequenzen jederzeit passieren können. Wenn aber Lenkung und Bremsen versagt haben sollen, der Bus jedoch einwandfrei war, dann kann es eigentlich nur menschliches Versagen gewesen sein.

Da war’s vorbei mit der Busfahrerei

Der letzte Bus

Es traf mich unerwartet: Randy Cohen hört auf. Noch nie von ihm gehört? Schade eigentlich, denn er war 12 Jahre lang der Autor der Kolumne „The Ethicist“ in der New York Times. Wie der Name schon andeutet, geht es dort um ethische Fragen, oder vereinfacht darum, in Zweifelssituationen das moralisch richtige zu tun.

Oft habe ich die Kolumne auf dem MP3-Player während meiner Arbeit als Busfahrer gehört. Es ist nicht nur von rein akademischem Interesse. Gerade das Busfahren und insbesondere der Umgang mit den Fahrgästen hat mich öfters in Zweifel gestürzt, ob ich denn richtig gehandelt habe. Meistens musste ich feststellen, dass ich es zumindest hätte besser machen können. Meist ging es um den Umgang mit dem Konflikt – aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen sind Schwarzfahrer uneinsichtige Menschen – denn im Unrecht in der Sache war ich nur selten.

Ironischerweise ereilte mich die Kunde von Cohens Abgang zu dem Zeitpunkt, an dem ich selbst dabei war, meinen Hut zu nehmen. Es war mein vorletzter Arbeitstag als Busfahrer. Heute läuft mein Vertrag aus. Nach 3 Jahren und 8 Monaten endet meine Karriere in diesem Beruf.

Vernunft und Arbeitgeberregularien – oft ein Widerspruch

Eigentlich mochte ich den Job immer. Ich wollte Aktivitäten, die ich schätzte, in meinem Leben halten, auch wenn man eben nicht alles gleichzeitig machen kann. Lange Zeit war es eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Aber auch eine, die ihren Tribut forderte. Meine Chefs bzw. die Firma Busslink bestanden darauf, dass ich mindestens 20% einer Vollzeitstelle leistete, was auf ca. 4 Tage im Monat hinauslief. Das neben meiner Haupttätigkeit zu bringen bedeutete im letzten Jahr nicht selten, dass ich zwei Wochenenden im Monat aufgab, was wiederum mit sich brachte, dass ich über zwei Wochen (und mehr) keinen freien Tag hatte. Hatte man etwas vor, so legte man die Arbeitstage außen herum. Letzten Endes gab es nur zwei Arten von Wochenenden: solche, an denen etwas geplant war, und solche, an denen man arbeitete. Erst in letzter Zeit fiel mir auf, wie schön es ist, wirklich frei zu haben an diesen Tagen.

Mein Sommerjob 2008: als Busfahrer streiken

Die Idee, dass man neben seinem 20%-Job vielleicht noch einen 80%- oder gar 100%-Job haben könnte, der nicht so flexibel ist, kam bei meinen Chefs nie ganz durch und dementsprechend auch nicht gewürdigt. Obwohl anscheinend ständiger Personalmangel herrschte – ich wurde über lange Zeit mehrmals pro Woche angerufen – war die unumstößliche Grenze von 20 Prozent wichtiger als die Deckung des Bedarfs. Jedes Mal, wenn die Vertragsverlängerung anstand – und das war meist alle 6 Monate – schrammte ich knapp an diesem Limit entlang. Ich konnte noch so glaubwürdig vorrechnen, dass ich gerne auch 20 Prozent des Urlaubs hätte, mir also auch mal erlauben wollte, frei zu haben, aber verfangen hat dies selten. Ich musste mich rechtfertigen, dass ich nicht noch mehr brachte.

Letzten Endes transportierte dies auch die Botschaft, dass ich für die Firma nicht wichtig bin. Gerade in letzter Zeit wurde mir bewusst, dass es im Grunde egal ist, ob ich meinen Job gut mache. Nie hatte ich ein Mitarbeitergespräch, das den Namen verdient hätte. Nie gab es Lob oder Tadel. Selbst wenn es Beschwerden über mich gegeben haben sollte – und die gab es bestimmt – habe ich davon nie erfahren.

Deutlich machte mir das aber erst die Episode mit meinem Strafzettel im November. Ich bin immer noch überzeugt, dass die Firma diesen unsinnigen Strafzettel hätte annullieren lassen können, wenn nur jemand mit der beauftragten Parkfirma Q-Park gesprochen hätte. Schließlich war es Busslink (bzw. jetzt Keolis) selbst, die den Parkplatz besitzt, und einen Mitarbeiter wegen einer kleinen Nachlässigkeit um fast seinen ganzen Nettotageslohn zu bringen ist wohl in niemandes Interesse. Die Unwilligkeit meines Chefs, irgendetwas zu unternehmen, warf die Frage auf, wieso ich mich für die Firma einsetze, wenn die Firma dies nie für mich tut.

Mein erster Stempel - ein uraltes Ding, bei dem sich immer wieder die Schrauben lockerten. Ironischerweise ging er kurz vor meiner Kündigung verloren, und der letzte Stempel, den ich erhielt, war um Längen besser.

Ich kündigte an, meinen Vertrag nach Ablauf nicht mehr zu verlängern, worauf man mir die Standardformel „wir respektieren deinen Entschluss“ entgegnete. Die Sache wurde abgerundet durch ein letztes Telefongespräch mit meinem Chef in der Woche, in der ich meinen letzten Arbeitstag hatte. Er hielt mir wieder einmal vor, ich hätte nur 18% gearbeitet, was so kaum stimmen kann, da ich letztes Jahr im Sommer teilweise 6 Tage pro Monate gearbeitet habe und nach dem Urlaub im Dezember meinen 4-Tage-Schnitt konstant hielt. Ich sagte ihm, dass ich das nicht so sehe, aber es nun egal sei, weil ich aufhöre. Da meinte er, er wisse dies schon, aber er müsse nochmal nachfragen. Wenn ich das richtig verstanden habe, war das also eine Pflichtschuldigkeit, bevor er mich los ist. Zu guter Letzt wollte er, dass ich meine Arbeitssachen noch vor Ablauf des Vertrages einreichen solle. Das werde ich nicht, schon aus terminlichen Gründen, was er dann auch hinnahm – immerhin.

In den drei Jahren meiner Tätigkeit hatte ich vier Chefs – es gab beträchtliche Umwälzungen in dieser Zeit. An den Namen meiner ersten Chefin erinnere ich mich nicht mehr, weil sie direkt danach aufhörte. Dann kam Mats, der nett war, aber den ich nur ein- oder zweimal getroffen habe. Es folgte Milton, den ich schon von seiner Tätigkeit als Chef vom Dienst kannte, wo er die Busse verteilte und schaute, dass alle Dienste gedeckt sind. Er machte mir es mit der 20%-Regel nicht einfach, aber man konnte mit ihm reden. Sein Nachfolger Efrem kommt definitiv am schlechtesten weg, denn es ist er, der mir nicht helfen wollte, und der auch ganz froh zu sein schien, dass ich aufhöre.

Vorletzter Bus - blau, elegant, untermotorisiert, aber ansonsten ganz in Ordnung

Es ist also nicht ohne Bitterkeit, dass ich meinen Hut nehme. Die Wehmut bezieht sich denn auch nicht auf eine Firma, von der ich zwar viel hatte in Form von zusätzlichem Einkommen, eines Versicherungspakets und einer Dienstfahrkarte (ich war selbstverständlich immer im Dienst). Sie bezieht sich vielmehr darauf, dass es schon cool war, so ein Riesengefährt durch die Stadt zu steuern, und dass ich es in absehbarer Zeit nie wieder tun werde. Ich werde es bald wohl weitgehend verlernt haben.

Ein ambivalentes Verhältnis zum gemeinen Passagier

Zurück bleiben die Erinnerungen an Erlebnisse, positive wie negative, auch wenn man konstatieren muss, dass letztere überwiegen. Konflikte mit Fahrgästen waren häufig, vor allem, weil ich es mit dem Tickets sehr genau nahm, wenn ich Schwarzfahrer erwischte. Die gelegentliche Genugtuung, richtig gehandelt zu haben, die Freude daran jemandem geholfen zu haben, und seltene nette Gespräche verzuckerten die Arbeit ein bisschen.

Manchmal kam dies sogar zusammen. Einmal hatten vier Jungs versucht, hinten einzusteigen, um der Fahrkartenkontrolle zu entkommen. Ich schaltete den Motor ab und sagte, wenn sie nicht nach vorne kommen, um die Tickets zu zeigen, bleiben wir solange stehen, bis der Wachdienst kommt. Als sie merkten, dass ich es ernst meinte, und ausstiegen, kam eine Frau nach vorne und bedankte sich. Positiv war die Sache auch deswegen, weil ich damit die Methode gefunden hatte, die ich künftig in solchen Fällen immer anwenden würde. Zuvor hatte ich meine Fahrerkabine verlassen und den Schwarzfahrer direkt konfrontiert. Damit begab ich mich aber in eine Position der Schwäche, was den Konflikt manchmal nur verschärfte und mich als nicht ernstzunehmen darstellte. Einmal war einer sogar so dreist, mir zu sagen, er verstünde mein schwedisch nicht. In der Situation sah ich nicht gut aus, und wertvolle Minuten gingen verloren. Manchmal war es aber auch lustig. Vor einiger Zeit kam ein Paar herein. Er ging mit seinem Hund vorbei, sie hielt ihr Ticket an die Maschine. Ich fragte, was mit seinem Ticket sei. Da lehnte sie sich zu mir vor und drückte mir fast ihren Ausschnitt in Gesicht und sagte „das ist mein Mann, der ist betrunken. Kannst du nicht eine Ausnahme machen?“ Sie war übrigens auch betrunken, und so eine Masche zieht bei mir nicht. Ich schätzte immer Ehrlichkeit: wenn jemand sagte, dass er kein Ticket habe, aber ein paar Stationen mitfahren wolle, dann ließ ich das durchgehen, auch wenn ich das strenggenommen nicht dürfte – schaute aber auch, dass sich die Gegenseite an den Deal hielt. Wer aber versuchte, sich an mir vorbeizustehlen oder mir irgendwelche Uralttickets vor die Nase hielt, hatte nicht viel zu erwarten. Letzten Endes war ich dafür verantwortlich, dass alle ein Ticket hatten. Im Lichte der weiter oben erwähnten Probleme mit meiner Firma ist es fast ein Witz, dass ich das so ernst nahm, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Fahrkartenkontrolle selbst in der Innenstadt annähernd Null ist – in den drei Jahren hatte ich vielleicht drei- oder viermal Kontrolleure an Bord.

Das Schlimme daran ist – auch ein Grund für die Kündigung – dass man letzten Endes den Glauben an das Gute im Menschen verliert. Wenn man gelernt hat, dass vom Kleinkind bis zum Greis jeder ein Schwarzfahrer sein kann, fällt es schwer, noch irgendjemandem zu glauben.

Im Fall mit dem betrunkenen Pärchen erklärte er mir jedenfalls, dass er seine Jacke zuhause liegen habe lassen, und da sei seine Karte drin. Ja, ja, deine Mudder, dachte ich nur. Ich ließ es nicht durchgehen, und wurde dafür von ihm als Idiot beschimpft. Ich hätte mich eher als Idiot gefühlt, wenn ich diese Nummer hätte durchgehen lassen. Ich nahm es mit Humor.

Im Grunde habe ich aber ein Bedürfnis, die Gegenseite zur Einsicht zu bringen. Nur gerade das ist selten möglich, wenn ein Konflikt entsteht. Wie er auch endet: das Ergebnis ist unbefriedigend. Solche Dinge lassen mich nicht kalt. Einmal habe ich fast einen Radfahrer umgefahren, weil ich beim Losfahren kurz unaufmerksam war. Dem vorangegangen war ein Disput mit einer Frau, die nicht einsah, dass ich schon wegen des Verletzungsrisikos die Vordertüren nicht mehr öffnen kann, wenn der Bus übervoll ist, und dass ich von vorne auch nicht sehen kann, wieviel Platz es hinten noch gibt.

Die wirklich erinnernswerten Momente: Schönes und Amüsantes

Die wirklich schönen Momente sind eigentlich diejenigen, die man bewahren müsste. Aber von denen verblassen leider nur allzuviele. In einer der letzten Fahrten ließ ich drei Frauen zwischen zwei Haltestellen aussteigen, weil sie im Gespräch mit mir doch zum Schluss gekommen waren, dass sie zu einem nahegelegenen Museum doch besser zu Fuß kämen. Sie waren sehr begeistert, aber hätte ich den Job weitergeführt, hätte ich das vermutlich schon längst wieder vergessen.. Herausragende Erlebnisse wie der Dank einer Norwegerin, deren Tasche ich im Bus wiedergefunden hatte, und die mich dafür umarmte, sind selten.

Jenseits der Kategorien Gut und Schlecht gibt es noch die grotesken Dinge, die immer mal wieder vorfielen. Unvergessen ist mir ein Vorfall beim Karolinska-Krankenhaus. Ein Pärchen stieg ein, und er war so betrunken, dass er es schon kaum in den Bus schaffte. Der Ausstieg klappte immerhin einigermaßen, aber gerade als ich losfahren wollte, hörte ich hinten etwas gegen den Bus schlagen. Der Mann war hinter dem Bus hingefallen und lag nun wie ein Käfer auf dem Rücken auf der Straße und strampelte mit allen Vieren. Er bekam es koordinatorisch nicht mehr hin, sich umzudrehen und auf den Bürgersteig zu „retten“. Ich fasste meine Fahrgäste grundsätzlich nicht an. Liegen lassen konnte ich ihn aber auch nicht. Also sagte ich, dass man dann wohl den Wachdienst oder die Polizei rufen müsse, wenn er nicht da weg kann. Seine Begleitung wandte sich aber nicht gegen mich oder versuchte, ihn aufzuheben. Sondern sie rief „Mensch, jetzt steh‘ doch auf. Der ruft sonst die Polizei.“ Und trat ihn. Es war ein höchst interessantes Schauspiel. Ich wartete etwas und rief dann die Zentrale ein, und sie sagten, ich könne weiterfahren – sie würden jemanden hinschicken. Bis dahin hatte er Mann endlich den Bürgersteig erklommen. Nun am rettenden Ufer gelandet war auch ich beruhigt. Offensichtlich ging auch sonst alles glatt. In der nächsten Runde waren sie nicht mehr da.

Leider wurden aber auch solche Geschichten in letzter Zeit selten. Ticketärgernisse schienen eine immer größere Rolle zu spielen. Auch musste ich mich der Realität stellen, dass Busfahrer nun nicht gerade eine Karriereoption ist. Manchmal denke ich mir auch, dass ich zu spät aufgehört habe und schon längst andere Dinge hätte machen können, die mich in meiner echten Karriere mehr voranbringen. Das werde ich aber wohl erst in fernerer Zukunft wirklich beurteilen können.

Dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass es nicht doch ein Comeback gibt. Wenn ich mit meiner Doktorandenstelle fertig bin, kann es vielleicht eine Lücke geben, und bevor ich gar nichts mache, klemme ich mich gerne nochmal hinters Steuer – dann aber mit einem anderen Chef und vermutlich näher gelegen in Nacka und Värmdö. Wahrscheinlich ist das alles jedoch nicht, und das ist wohl auch gut so.

Auch für Randy Cohen geht es weiter. Er wurde zwar im Gegensatz zu mir gefeuert, aber bereitet schon eine neue Sendung bei NPR vor.

Nachtrag 8. April 2011: vorgestern habe ich meine Klamotten und sonstigen Dinge (Stempel etc.) abgegeben. Mein Chef war ausgenommen freundlich, bot mir auch sogleich an, mich wieder zu melden, wenn ich wieder fahren wollte, und wünschte mir alles Gute. Das relativiert zumindest die vorangegangenen Verstimmungen und macht den Abschluss weit versöhnlicher als gedacht.

Das Sahnehäubchen war aber, dass ich 10 Minuten später bei einem Kurzeinkauf bei LIDL Peter traf. Er ist auch Deutscher und hatte 2007 gemeinsam mit mir den Einführungskurs gemacht. Er fährt immer noch – mittlerweile sogar Vollzeit – und beförderte kürzlich Freunde von mir nach Skeppsholmen in der Linie 65.

Was für schöne Zufälle es doch gibt.

Parkplatzkrieg die zweite

Schweden eilt ja der Ruf voraus, ein sozialdemokratisches Paradies zu sein, ja sogar ein bisschen sozialistisch angehaucht. Das mag auf manche Bereiche zutreffen, aber schon lange vor der jetzigen Regierung wurden einige Bereiche in den freien Markt verabschiedet, die meines Erachtens nicht unbedingt dorthin gehören. Vor allem, wenn es um die Abgabe von Hoheitsrechten geht, bin ich skeptisch.

Die privatisierte Polizei

Ein Beispiel ist die blühende Branche der Sicherheitsunternehmen. Man hat das Gefühl, diese bewachten jede Hundehütte dieses Landes. Nicht dass Schweden sonderlich gefährlich wäre, aber das hält nicht davon ab, an jeder Haustür ein Codeschloss anzubringen. Eine Standardfrage bei vielen Lieferungen ist, ob es denn einen Türcode gebe. Die Sicherheitsleute sind oft mit einer Plakette ausgestattet, die ihnen so etwas wie einen offiziellen Status gibt. Es entsteht der Eindruck, es handele sich um eine Art privatisierte Hilfspolizei. Nun sollen sie sogar polizeiähnliche Uniformen bekommen, was anscheinend sogar gut gefunden wird.

Ein anderer Bereich sind die Parkplätze des Landes. Diese wurden praktisch vollständig in die Hände von Privatfirmen gelegt, die seither ihr Geschäft damit machen, Parksünder sofort zu stellen. Das gelingt ihnen auch äußerst oft. Als wir einmal Besuch von Freunden hatten, wurde ihnen schon wenige Minuten nach Ablauf ihres Parkscheins das Knöllchen an die Scheibe geheftet.

Und ein solches ist nicht billig: unter 300 kr, also gut 30 €, geht nichts.

Ein Déjà Vu

Vor fast genau 5 Jahren hatte ich einmal einen Disput mit einer Parkfirma, die horrende Summen für das Parken auf einer Müllhalde haben wollte. Ich kam damals davon.

Danach sieht es dieses Mal leider nicht aus. Vor knapp 3 Wochen parkte ich auf dem Weg zur Arbeit als Busfahrer auf dem Firmenparkplatz. Meine Parkgenehmigung liegt immer irgendwo auf dem Armaturenbrett, aber ich vergaß, sie so herauszulegen, dass sie gut in der Windschutzscheibe zu sehen ist. Bei meiner Rückkehr erwartete mich ein gelber Streifen mit einem Bußgeld von 550 kr, also rund 60 €.

Ich ging natürlich in Widerspruch, denn ich war schließlich berechtigt, dort zu stehen.

Heute kam nun die Antwort:

Laut der Beschilderung wird eine gültige Parkgenehmigung für das Abstellen auf dem Platz benötigt. Diese Genehmigung soll sich im Fahrzeug befinden und laut den Vorschriften während der ganzen Parkzeit gut sichtbar und von außen voll lesbar an Windschutzscheibe platziert sein. Laut unserem Personal wurde die Kontrollabgabe [Anm. das ist die euphemistische Bezeichnung für dieses Bußgeld] verhängt, weil keine solche Genehmigung gut sichtbar zur Kontrolle platziert war.

Das ist bedauerlich, dass deine Genehmigung bei der Kontrolle nicht sichtbar war. Dass du im Nachhinein eine gültige Genehmigung vorweisen kannst, ist jedoch kein Grund, die Angelegenheit abzuschreiben.

Es bleibt also bei den 550 kr.

Strafe und Verhältnismäßigkeit

Es ist nicht so, dass ich gar kein Bußgeld bezahlen wollte. Ein Fehler kann bestraft werden, denn durch ihn ist der Firma schließlich ein Aufwand angefallen. Jedoch steht der Betrag in keinem Verhältnis dazu. Um mal etwas Küchenrechtsphilosophie auszupacken: der Zweck eines Verbotes ist, im Interesse der Allgemeinheit unerwünschtes Verhalten zu verhindern. Man belegt es mit einer Strafe, um es durchzusetzen, sei es durch vorangehende Abschreckung oder nachfolgender Ahndung, um Wiederholungen zu verhinden und Buße zu erreichen.

Die Strafe muss dem Vergehen angemessen sein.
Der Zweck dieser Parkregelung ist, nur denen Zugang zum Parkplatz zu gewähren, die eine Berechtigung haben. Eine Parkgenehmigung zu besitzen und diese nicht ordnungsgemäß zu zeigen ist jedoch ein anderes, weniger schweres Vergehen als Parken ohne jegliche Berechtigung.

Welchen Sinn hat es also, in diesem Fall mich genauso zu bestrafen wie einen, der dort einfach falschparkt?

Ganz einfach: keinen außer der Gewinnsteigerung der Firma. Der Auftraggeber, also mein Arbeitgeber, hat schließlich kein Interesse daran, die eigenen Mitarbeiter verknacken zu lassen.
Die beschönigende Bezeichnung „Kontrollabgabe“ (kontrollavgift) verschleiert zudem, dass es sich um eine Strafe handelt. Vermutlich würde die betreffende Firma Q-Park argumentieren, dass es sich nicht um eine Strafe handelt, sondern um eine Abgabe zur Durchführung der Kontrollen – wobei man sich dann fragen müsste, wieso nur diejenigen, die dort nicht parken dürfen, zahlen müssen. Ein fragwürdiges Konstrukt ist das Ganze schon alleine deswegen, weil die eintreibende Firma gleichzeitig auch die Berufungsinstanz ist, in deren Interesse es natürlich nicht liegt, auch die Position des Delinquenten nachzuvollziehen.

Wie geht es weiter?

De facto bleibt für mich das Problem, dass ich mehr als die Hälfte des entsprechenden Tageslohns dafür abgeben muss – und dass ich, wenn überhaupt, nur unter erheblichem Risiko und geringen Erfolgsaussichten die Sache gerichtlich klären lassen kann. Ein Prozesshansel nennt man sowas, wenn der Streitaufwand den Streitwert um ein Vielfaches übersteigt.

Das oben zitierte Schreiben ist natürlich eine Standardvorlage. Diese Art von Einspruch kriegen die wahrscheinlich pro Tag im Dutzend. Und einige sind wohl so verärgert, dass die Bearbeiter lieber anonym bleiben: das Schreiben ist mit „Ewa H“ unterzeichnet.

Was tun? Ein neuerlicher Einspruch ist vermutlich zwecklos, wobei ein Versuch kaum schaden kann. Herunterhandeln ist besser als in voller Höhe zu bezahlen. Ich ziehe sogar eine Art von zivilem Ungehorsam in Betracht. Ich könnte beispielsweise etwas weniger bezahlen und abwarten, ob sie den letzten Kronen wirklich hinterherrennen wollen. Die Frage ist natürlich, wieviel ich dabei riskiere, denn die Schufa-Abfrage ist in Schweden so üblich wie die Frage nach dem Wetter.

Fürs erste habe ich aber den naheliegenderen Weg gewählt und meinen Chef bei Busslink kontaktiert – wie meine Erfahrungen vor 5 Jahren zeigten, sind die Forderungen nämlich schnell hinfällig, wenn der Auftraggeber nicht möchte, dass das Geld eingetrieben wird.

Nachtrag 13:30 Uhr: Q-Park hat auf seiner Homepage netterweise das Gesetz, nach dem dieses Bußgeld erhoben wird. Die Bezeichnung „Kontrollavgift“ stammt also vom Gesetzgeber. Laut diesem darf das Bußgeld die entsprechenden kommunalen Tarife nicht überschreiten. Ich tippe mal darauf, dass dieser Tarif genau 550 kr beträgt.

Die im Schreiben genannten Vorschriften zur Platzierung der Parkgenehmigung suche ich jedoch vergebens. Ggf. werde ich mal nachfragen, wer diese gemacht hat und wo sie einzusehen sind. Am Parkplatz selbst steht nämlich nur „P-tillstånd erfordras“ (Parkgenehmigung erforderlich) oder ähnliches, nicht jedoch die genauen Konditionen.

Es geht ein Lauf durch Lidingö

Unverhofft kommt oft – vor zwei Wochen wurde im Intranet meines Arbeitgebers Busslink angeboten, man könne an der Auslosung von Plätzen zum Lidingöloppet teilnehmen. Busslink ist nämlich Sponsor und konnte so auch einige Mitarbeiter ins Rennen schicken.

Lidingöloppet ist eine Institution auf Lidingö. Diese Insel liegt direkt neben Stockholm, ist aber eine eigene Kommune. Wie alle Kleinen, die neben Großen liegen, legt wohl auch Lidingö besonders viel Wert darauf, selbstbewusst aufzutreten und zumindest in irgendetwas der Größte zu sein.

Auf wundersame Weise haben die Bewohner der Insel das auch geschafft – mit dem größten „Terränglopp“ (Crosslauf) der Welt. Über 32000 Läufer waren dieses Mal angemeldet. Wie man auf solche beeindruckenden Zahlen kommt, lässt sich erahnen, denn der Lauf ist vielen Dingen anders. So darf man sich bis zum Wettkampftag anmelden und ummelden, was sonst nur bei Kleinstläufen geht, bei denen man für jeden Teilnehmer dankbar ist.

Der Hauptgrund ist wohl, dass es eine Fülle von Disziplinen gibt, die auf drei Tage verteilt werden. Vom 1,7 km kurzen Lauf Lidingöruset, über die Läufe für Kinder, Nordic Walking auf drei verschiedenen Distanzen, einer Staffeldisziplin bis hin zu den langen Laufstrecken, die aus einem Frauenlauf über 10 km, einem Mittelstreckenlauf über 15 km und der Königsdisziplin über 30 km bestehen. Letztere ist auch der „eigentliche“ Lidingöloppet, der in den sogenannten „schwedischen Klassiker“ eingeht. Bei dem geht es darum, vier sehr harte sportliche Wettkämpfe innerhalb eines Jahres zu bestehen.

30 km klingt gar nicht so furchteinflößend, aber die Betonung liegt eben darauf, dass es sich um einen Crosslauf handelt. Dieser Begriff ist natürlich sehr dehnbar, je nachdem, wie cross man es denn mag. In Lidingö bedeutet er, dass es auf schmalen Waldwegen auf weiten Teilen der Strecke steil den Hügel hinauf und wieder hinab geht – Steine und Wurzel auf dem Weg inklusive. Das alles ist nicht angenehm, aber immerhin angenehmer als bei SpringCross, wo man teilweise durch das hohe Gras muss, ohne zu wissen, wie der Untergrund sich verhält. Trotzdem sind 30 km extrem hart und dürften mehr belastend als ein Marathon sein.

Das war mir vorher schon einigermaßen bewusst, und so war mir auch klar, dass die 30 km im Moment eine Nummer zu hoch für mich angesiedelt sind. Damit war ich geradezu prädestiniert für die 15 km, eine Distanz, die wohl genau für eine solche Klientel eingeführt wurde.

Am Freitag radelte ich also unter abenteuerlichen Bedingungen nach Lidingö. Die Beschilderung war nämlich so schlecht, dass ich auf der Schnellstraße landete, anstatt die Fahrrad- und Fußgängerbrücke zu der Insel zu nehmen. Ähnlich schön war auch, dass meine Startnummer fehlte. Daraufhin erhielt ich eine andere Nummer, die dann eben nicht mehr auf mich persönlich ausgestellt war. So fuhr ich am Freitag insgesamt rund 39 km mit dem Fahrrad. Wenig verwunderlich fühlte ich mich tags darauf auch nicht gerade topfit.

Am Samstagmorgen wollte ich mich daher natürlich vor unnötigen Belastungen schützen. Ich fuhr mit der U-Bahn nach Ropsten und ab dort mit den kostenlosen Shuttlebussen, die natürlich nicht zufällig von Busslink gestellt wurden.

Was die Gepäckabgabe angeht, ist der Lidingöloppet etwas speziell. So kann man seine Tasche wie bei vielen anderen Läufen vor dem Start abgeben. Besonders ist hier aber, dass man darüber hinaus noch einen Plastikbeutel erhält, in den man Kleidung stecken kann, die man bis vor kurz dem Start anbehalten möchte. Dieser wird dann in einen Wagen neben dem Startfeld geworfen, und nach dem Lauf erhält man beides wieder zurück.

Start und Ziel sind räumlich voneinander getrennt, aber in Spaziergangsreichweite voneinander. Dazwischen liegt die Sportmesse, wo Taschenabgabe und Startnummerausgabe stattfinden. Insgesamt hat das auch ein bisschen etwas von Volksfest, denn die Wege sind teilweise gesäumt von Ständen.

Der Start selbst fand auf einer weitläufigen Wiese statt. Jede Startgruppe hatte ihr abgestecktes Feld. Beim Lidingöloppet werden die Startnummer nicht nach den Zeiterwartungen vergeben, sondern nach der Reihenfolge der Anmeldung. Es können also auch langsame Läufer vorne starten, die dann die schnelleren behindern. Dazu kommt, dass die Strecke schon nach wenigen hundert Metern sehr schmal wird.
Daher ist das Startfeld so angelegt, dass auf möglichst großer Breite gestartet wird, und es wurde darum gebeten, dass man sich als langsamer Läufer rechts halten solle. Auf diese Weise sortiert sich das Feld sehr schnell.

Die erste Startgruppe lief 10.30 Uhr los, die zweite 10.40, und so weiter.
Ich war als spät hinzu Gekommener in der vierten und letzten Startgruppe, und dort merkte man auch, dass die 15-km-Distanz noch nicht lange angeboten wird. Das Startfeld war gerade einmal halb gefüllt.

Schon bald nach dem Start merkte ich, dass bei dem Lauf auch viele teilnahmen, die sich ganz klar übernommen hatten oder von vorneherein auf einen langen Spaziergang abzielten. Schon nach 2 km gingen einige, und ich begann mich zu fragen, wie lang es wohl dauern würde, bis ich den ersten aus der Gruppe vor mir überholen würde. Das ist eigentlich leicht herauszufinden, denn die Startnummern sind mit verschiedenen Farben markiert.

Dummerweise war mir nicht mehr so ganz gegenwärtig, dass meine Startnummer die Farbe blau hatte. Als ich da nach ca. 2 km schon an den ersten grünen vorbeikam, hielt ich dies für meine eigene Farbe und wunderte mich, dass die so lange vor mir geblieben sein konnten. Mir fiel der Fehler erst auf, als ich nach 6,5 km den ersten mit roter Startnummer überholte – auf den hatte ich also zu dem Zeitpunkt schon 20 Minuten Vorsprung. In der letzten Startgruppe zu sein brachte mit sich, dass ich mich an niemandem orientieren konnte. Bei einem simultan gestarteten Lauf ist es so, dass man irgendwann seinen Platz im Feld gefunden hat und sich dann an seinen Mitläufern orientiert. Das ging am Samstag nicht, denn alle, die vor mir waren, mussten eigentlich zwangsläufig die langsamsten der vorigen Gruppe sein, und die konnte ich mir schlecht als Richtlinie für die eigene Geschwindigkeit nehmen.

Ich war ohne Zeiterwartungen gestartet, denn ich wusste nicht, wie die Strecke nun in der Praxis aussehen würde. Was ich vorfand, war eine Strecke, die mich stark an meine frühere Laufstrecke am Lappis erinnerte: schmale Wege, kurze aber steile Anstiege, unebener aber harter Boden.

Es lief gut, und es zeigte sich auch, dass das viele Radfahren in den letzten Wochen und meine weiteren 2 kg weniger seit dem Halbmarathon ihre Wirkung zeigten. In einer längeren Phase überholte mich keiner mehr, sondern ich überholte nur noch die Läufer von den anderen Startgruppen. Eine schöne Einrichtung des Lidingöloppet ist übrigens, dass die Kilometermarken nicht wie bei anderen Läufen nach oben zählen, sondern einem Countdown gleich nach unten.

Ich orientierte mich an der Geschwindigkeit von 6 Minuten pro Kilometer, und zeitweise hatte ich darauf drei Minuten Vorsprung. Zwar war ich am Anfang nicht so schnell wie beim Halbmarathon, blieb dafür aber ziemlich konsequent unter den 6 Minuten pro Kilometer. Ab 10 km schmolz der Vorsprung nicht mehr rapide dahin, sondern verkleinerte sich nur langsam.

Umso erfreulicher ist das Endergebnis: 1:28:41 Stunden!

Das sind 1:10 Minuten schneller als die 15-km-Zwischenzeit beim Halbmarathon. Das alles, wohlgemerkt, auf einer Strecke, die erheblich anstrengender ist.

Ich bin daher auch recht stolz und freue mich schon auf den Halbmarathon in einem Monat auf Åland, bei dem ich gerne zumindest der Zwei-Stunden-Marke näher kommen würde.

Interessant ist aber auch die Gesamtergebnisliste. Normalerweise schaue ich nicht so darauf, denn die Platzierung sagt wenig darüber aus, wie gut man nun war. Dazu ist die Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes zu unterschiedlich bei den verschiedenen Läufen. Allgemein bin ich aber bemüht, in das Mittelfeld eines Laufes vorzustoßen. Beim Lidingöloppet hingegen bin ich nicht nur gerade so darin gelandet, sondern ich habe es sogar geschafft, fast 60% der anderen Läufer hinter mir zu lassen – was aber auch darauf hindeuten kann, dass die Konkurrenz einfach etwas schwächer besetzt war wegen der vielen attraktiven Alternativen zu dieser Distanz. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich es jemals zu einem so guten Ergebnis geschafft hätte.

Das macht natürlich Lust darauf, nächstes Jahr wieder anzutreten.

Jetzt muss ich aber erst einmal an den Nachwirkungen leiden. Gestern war es der Muskelkater, heute die Gelenke – und eine riesengroße Blase am linken Fuß.