Very Angry People

Eigentlich ist es müßig, sich mit solchem Unfug auseinanderzusetzen, aber wenn es schon einmal des Weges kommt, möchte ich es hier festhalten.

Konkret geht es um dieses Foto, das kürzlich um die Welt ging:

Foto aus dem Weißen Haus vom 1. Mai 2011

Das Weiße Haus hat das Bild folgendermaßen beschriftet:

President Barack Obama and Vice President Joe Biden, along with members of the national security team, receive an update on the mission against Osama bin Laden in the Situation Room of the White House, May 1, 2011. Seated, from left, are: Brigadier General Marshall B. “Brad” Webb […]. Please note: a classified document seen in this photograph has been obscured. (Official White House Photo by Pete Souza)

Um es nochmal zu verdeutlichen: hier werden Obama, Biden und eine ganze Reihe anderer Leite über die Entwicklung der Aktion in Pakistan gegen Osama Bin Laden informiert.

Natürlich interessierte mich, was das Zentralorgan der Verschwörungstheorie, das Weblog „Alles Schall und Rauch“, zu der ganzen Sache zu sagen hat. Wenig überraschend wurde eine ziemliche Weile nach dem Bekanntwerden ein Beitrag online gestellt, der verkündete, der Autor habe ja schon 2007 „bewiesen“, dass Osama Bin Laden bereits im Dezember 2001 verstarb. Beim näheren Hinsehen handelt es sich freilich um eine Ansammlung von Zeitungsausschnitten, in denen meist nur spekuliert wird, dass Bin Laden schon tot sei.

Der Beitrag von 2007 fällt aber vor allem deswegen auf, weil er im sich im „Stil“ unterscheidet: damals geiferte der Autor, der sich selbst Freeman nennt und angeblich Manfred Petritsch heißt, noch nicht bei jedem Satz wild drauf los. Wie er in den „Spielregeln“ seiner Seite behauptet, er zitiere „viele Quellen“. Das machte er damals anscheinend noch, aber heute kaum mehr.

Mittlerweile scheinen seine Beiträge nur noch aus wilden Verwünschungen und Häme zu bestehen, die in einem einzigen Giftschwall ausgespuckt werden. Die Informationen, die er den Menschen angeblich bringen will, gehen dabei unter.

Der heutige Beitrag ist ein Paradebeispiel. Da bleibt an Fakten nicht viel übrig:

Wie der Chef der CIA, Leon Panetta, nun zugeben musste, gab es keine Live-Übertragung von TV-Bildern nach Washington während der Stürmung des angeblichen Verstecks von Osama Bin Laden. Die Kameras auf den Helmen der Navy Seals funktionierten nicht oder waren abgeschaltet. Deshalb sind die Berichte in den Medien, die amerikanische Regierung hätte den Einsatz im „Situation Room“ im Weissen Haus kurz vor Mitternacht des 1. Mai live verfolgen können, eine Lüge.

Sie sahen gar nichts und wussten nicht was vorging. Sie hörten nur das Code-Wort „Geronimo“ als Zeichen, Osama Bin Laden wurde getötet. Das folgende Foto, welches um die Welt ging, muss gestellt sein.

Ein paar klitzekleine Einwände:

  1. Wenn Panetta etwas „zugeben muss“, dann hätte man ihn mit irgendetwas konfrontieren müssen, das die bisherige Version in Frage stellt. Immerhin ist Freeman ja noch so gnädig, zu erwähnen, dass Panetta von PBS interviewt wurde. Den Link dorthin gibt er freilich nicht an – man könnte sich ja eine eigene Meinung bilden. Dabei gibt es das gut 10-minütige Interview als Video online, und wenn man sich das anschaut, dann erzählt der CIA-Chef doch sehr freimütig, wie die Aktion ablief.
  2. Mich würde doch mal brennend interessieren, woher die Information stammt, die Navy Seals hätten bei der Operation Kameras auf ihren Helmen gehabt. Ja, und selbst wenn es so wäre, woher will Freeman wissen, dass sie abgeschaltet oder kaputt waren?
  3. Wer hat denn bitteschön behauptet, die Übertragung wäre live gewesen? Die Bildunterschrift spricht von einem „Update“. Gibt es ein offizielles Statement, das behauptet, Obama hätte das Ganze live sehen können?

Kurzum: die skandalöse Aufdeckung ist, dass die Einbildung, es handele sich um eine Live-Übertragung, auch wirklich nur eine Einbildung war. Das musste natürlich einmal gesagt werden.

Ein weiterer kleiner Einblick in die Gedankenwelt des Mannes:

Und Panetta fügte hinzu, die US Navy Seals fällten selber die Entscheidung, Bin Laden zu ermorden, und nicht der Präsident. Also lief die Operation im Dunklen ab und niemand weiss genau was dort passierte. Die Spezialeinheit kann alles erzählen und stand wahrscheinlich unter dem Kommando der „Schattenregierung“, genau wie am 11. September 2001.

Der Präsident machte in seiner Ansprache recht deutlich, dass er den Befehl zur Gefangennahme oder Tötung schon zu Amtsantritt gab und auch die Aktion am 1. Mai autorisierte. Dass ein Soldat in einem Feuergefecht nicht schnell in Washington anrufen kann, dürfte wohl noch nachvollziehbar sein. Nicht jedoch Freeman, wie es scheint.

Es ist immer das gleiche Schema: wer nicht alles, was der Fragesteller gerne hätte, vollständig veröffentlicht, hat etwas zu verbergen. Und, mehr noch, selbst wenn die Bilder vollständig publiziert worden wären, hätte es keine halbe Stunde gedauert, bis die entsprechenden Aufnahmen zerpflückt und als offenkundig gefälscht bezeichnet worden wären.

Dies ist die kranke Logik dieses Spiels: wer verlieren muss, kann nur verlieren.

Es gibt aber auch eine tragische Seite. Die Beiträge sind weder intelligent noch gut geschrieben, doch ziehen sie entsprechend interessierte Leute wie die Fliegen an. So hat sich ein kleiner fröhlicher Mob der Frustrierten, Verbitterten und Besserzuwissenglaubenden zusammengefunden, bei denen jede Hoffnung verloren scheint, sie mit einem schlüssigen Argument beeindrucken zu können.

Freeman schreibt immer wieder:

Ich lach mich schief.

Es wäre schön, wenn es so wäre. Jedoch ist die ganze Veranstaltung derart humorfrei und verbittert, dass man sich fragen muss, in welcher Verfassung der Verfasser ist. Die Humorbeiträge im Blog wirken jedenfalls sehr bemüht und können das Innenleben des Ganzen nur schwerlich verdecken.

Es ist eine Ideologie des Hasses, bei der feststeht, wer zu hassen ist, und die Realität sich diesem Diktat fügen muss, ob sie will oder nicht. Es geht nicht um Aufklärung, sondern um Desinformation.

Man kann nur hoffen, dass die Informationsgesellschaft über diese Auswüchse hinwegkommen wird. Solange aber die Zahl derer, die an die Mondlandeverschwörung und anderen Unfug glauben, steigt, mache ich mir da wenig Hoffnung.

Nachtrag 10. Mai 2011: netter Beitrag beim Spiegelfechter zum Thema.

Alles Schall und Rauch oder wie man sich die Medienwelt zurechtbiegt

Google Reader ist eine praktische Erfindung: man abonniert Blogs und ist so über alles, was dort publiziert wird, informiert. Man sagt der Blogosphäre nach, dass sie den Bürgerjournalismus zum Durchbruch verholfen hat. Nicht nur etablierte Medien finden Gehör, sondern auch alternative Publikationen, so dass kein Meinungsmonopol entstehen kann. Das klingt in der Theorie gut, aber bedeutet auch, dass man mit allen Gewächsen dieser Möglichkeiten leben muss.

Ein solches ist „Alles Schall und Rauch“. Man könnte es als Zentralorgan der Verschwörungstheorie bezeichnen und läge damit wohl gar nicht mal so falsch. Die Themenpalette ist im Wesentlichen USA, Israel, 9/11 was an inside job, Israel, Bilderberg regiert die Welt, Palästina, Welt geht unter, 9/11, Klimawandel ist Blödsinn, usw. usf.

Also nicht gerade meine Baustelle, um es mal milde auszudrücken. Aber man soll ja auch Offenheit bewahren, und dazwischen finden sich auch immer mal wieder interessante Dinge, wie z.B. eine Liveübertragung von den Protesten gegen Stuttgart 21.

Traurig wird die Geschichte aber irgendwo dann, wenn die vermeintlichen Aufklärer an ihren eigenen Standards scheitern. Damit meine ich nicht, dass diese Leute gar keine unabhängige 9/11-Untersuchung wollen, sondern eine, die genau das sagt, was sie ohnehin zu wissen glauben.

Ich meine damit, dass in dem Milieu so ziemlich alles, was durch etablierte Medien verbreitet wird, von vorneherein suspekt, um nicht zu sagen falsch, ist. Wenn die Medien aber ausnahmsweise mal das berichten, was gerne gehört wird, ist es anscheinend die pure Wahrheit.

Gestern erschien so eine Geschichte: Krebs ist eine moderne Krankheit.

Die Quelle des Blogeintrags ist nicht genannt, aber man braucht nicht lange nach ihr zu suchen. Es ist dieser Artikel der zweitgrößten britischen Tageszeitung Daily Mail. Da sagen die zwei Wissenschaftler Rosalie David und Michael Zimmerman, derzeit tätig an der Universität Manchester, mit einer bemerkenswerten Deutlichkeit: Krebs ist das Werk des Menschen, ein Produkt der Industriegesellschaft.

Bemerkenswert deswegen, weil mir der Artikel der beiden vorliegt, den sie diesen Monat in Nature Reviews Cancer veröffentlicht haben, dem Ableger der höchst angesehenen Zeitschrift Nature für die Krebsforschung.

Der Titel des Artikels von David und Zimmerman lautet:

Cancer: an old disease, a new disease or something in between?

zu deutsch:

Krebs: eine alte Krankheit, eine neue Krankheit oder etwas dazwischen?

Bei der Fragestellung bleibt es über weite Strecken auch. Der Artikel stellt eine Art Zusammenfassung des Forschungsstandes dar: die Seltenheit von Krebs in Fossilien und Mumien mit einem Durchgang verschiedener Erklärungsansätze und einer Reihe von etablierten Fakten.

Nur: die Behauptung, Krebs sei „purely man-made“, sucht man vergebens.

Stattdessen liest man beispielsweise

Im Allgemeinen unterstützt die Seltenheit von Krebs in den ältesten sterblichen Überresten die Theorie, dass das Sterbealter, die Ernäherung und Umweltfaktoren die Häufigkeit von Krebs in Menschen erheblich beeinflussen. Allerdings gehören die Einschränkungen der Diagnosemethoden, die von frühen Forschern verwendet wurden, und die unzureichende Datengrundlage zur Ermittlung einer zuverlässigen Krebshäufigkeit zu den andere möglichen Faktoren zur Erklärung dieses Fehlens von Beweisen.
(Generally, the scarcity of cancer in the earliest remains supports the theory that age at death, diet and environmental factors substantially influence the incidence of cancer in humans. However, other possible factors to explain this lack of evidence include the limitations of the diagnostic methods used by early investigators to study these remains, and the insufficiency of data to provide a reliable rate of cancer incidence.)

oder

Es muss auch daran erinnert werden, dass in modernen Gesellschaften Knochentumore vorwiegend die Jungen betreffen, so dass ein ähnliches Muster in antiken Gesellschaften zu erwarten wäre. Deshalb könnte die Seltenheit von Tumoren in antiken Gesellschaften ein Ergebnis anderer Faktoren als der Lebenserwartung sein.
(It must also be remembered that, in modern populations, tumours arising in bone primarily affect the young, so a similar pattern would be expected in ancient populations. Therefore, the rarity of tumours in ancient populations could be a result of factors other than life expectancy.)

In der Zusammenfassung heißt es schlicht

Es ist zu hoffen, dass Forschung in der Paläopathologie zur Aufklärung der Krankheitsentstehung von Krebs beitragen werden. Die Veröffentlichung der ersten histologischen Krebsdiagnose in einer ägyptischen Mumie ist ein Schritt auf diesem Weg. Trotz der Tatsache, dass andere Erklärungen wie die unzureichenden Techniken zur Krankheitsdiagnose ausgeschlossen werden können, legen die verfügbaren paläopathologischen und literarischen Beweise die Seltenheit von bösartigen Tumoren in der Antike nahe. Dies könnte mit der Verbreitung von Karzinogenen in modernen Gesellschaften zusammenhängen.
(It is hoped that research in palaeopath­ology will contribute to the elucidation of the pathogenesis of cancer. The publication of the first histological diagnosis of cancer in an Egyptian mummy is one step along the way. Despite the fact that other explanations, such as inadequate techniques of disease diagnosis, cannot be ruled out, the rarity of malignancies in antiquity is strongly suggested by the available palaeopathological and literary evidence. This might be related to the prevalence of carcinogens in modern societies.)

Es gibt also allerhand, was darauf hindeutet, aber die Forscher sind weit davon entfernt, ein abschließendes Urteil zu fällen.

Wie man das eben als Wissenschaftler sagt, der seine Datenlage einer kritischen Betrachtung unterzieht und auf deren Basis Schlüsse zieht. Was da in der Daily Mail steht, ist also entweder in einem Anfall von Sensationslust der beiden Wissenschaftler entstanden, oder Fiona Macrae von der Zeitung gingen einfach die Pferde durch beim Schreiben – beides nicht gerade schmeichelhaft für die Zeitung.

Soweit hat aber weder der Schreiber bei „Alles Schall und Rauch“ gegraben noch irgendeiner der Kommentatoren zum Artikel. Der Nature-Artikel ist zwar nur für Abonnenten (z.B. über Universitätsbibliotheken) in voller Länge erhältlich, aber auch am Abstract hätte man erkennen können, dass der Fall keineswegs so sonnenklar ist. Also habe ich kommentiert, um darauf hinzuweisen. Weil es in den Spielregeln zu den Kommentaren heißt, dass auch mal etwas verloren geht, habe ich den Kommentar später noch einmal neu formuliert abgeschickt, als der erste nicht erschien.

Zur Stunde ist keiner der beiden veröffentlicht. Da in der Zwischenzeit einige andere erschienen sind, ist wohl davon auszugehen, dass da nichts mehr kommen wird.
Im Kopf der Seite heißt es:

Es ist die Pflicht eines jeden Menschen immer gut informiert zu sein, damit man die richtigen Entscheidungen treffen kann

Offenkundig sind aber nur bestimmte Informationen genehm.