Noch 100 Tage bis zur Wahl

In exakt 100 Tagen öffnen die Wahllokale zur Reichstagswahl in Schweden. Und nicht nur das: die Parlamente der Provinzen und Kommunen, die auch von Ausländern (EU und einige andere) mitgewählt werden dürfen, stehen gleichzeitig zur Wahl. Dies macht den Tag zum Höhepunkt des politischen Lebens in diesem Lande, denn bis 2014 steht dann keine einzige Wahl mehr an.

Richtig los geht es freilich erst im Sommer, wenn überall die Hütten (sogenannte valstugor) an zentralen Punkten der Orte stehen, um den Wähler nahezukommen.

Debattiert wird aber jetzt schon im Fernsehen, und die Demoskopen sind auch fleißig. Letztere haben Zahlen erhoben, die vor allem dies sagen: es wird eng und es wird spannend. Die Blöcke sind in den Umfragen der letzten Zeit teilweise gleichauf, und das praktisch zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Die „Allianz“, eine Koalition aus 4 bürgerlich-konservativen Parteien, hat nämlich gehalten und funktionierte so geräuscharm wie es sich Angela Merkel derzeit in ihren Träumen ausmalen dürfte. Daher stehen auch die Blöcke geschlossen gegeneinander: die Allianz auf der einen Seite, die „Rotgrünen“ mit den Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei auf der anderen Seite. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Eine Minderheitsregierung scheint ausgeschlossen, denn die Sozialdemokraten haben sich nach ihrem Wahldebakel 2006t nie ganz gefangen und suchten den Schulterschluss mit den anderen beiden linken Parteien. Es ging zwar aufwärts, aber die Zeiten, als sie wie gottgegeben jede andere Partei mit großem Abstand abhängten, scheinen vorbei: nach aktuellen Umfragen ist nicht einmal gesichert, dass sie stärkste Partei werden.

Hoffnung kann man sich aber machen, denn die gestern veröffentlichten Daten der schwedischen Statistikbehörde, die in der Vergangenheit immer richtig lag, sieht Rotgrün vorne.

Wie ich mich selbst entscheiden werde, muss ich noch mit mir ausmachen. Zum Reichstag bin ich ohnehin nicht wahlberechtigt. Egal kann es mir aber natürlich nicht sein. Aber auch wenn ich wählen dürfte, wäre nicht klar, wen. Zwar bin ich nach wie vor Sozi, aber ich sehe trotzdem nicht so ganz, was sie so viel besser machen würden als die bestehende Regierung. Das Angebot, das über das reine Zurückdrehen der Reformen der letzten Jahre hinausgeht, sehe ich (noch) nicht ganz. Vielleicht liegt es aber auch an der Spitzenkandidatin Mona Sahlin, mit der ich einfach nie richtig warm geworden bin. Zudem muss ich sagen, dass ich zwar nicht mit allem in den letzten Jahren einverstanden war, aber die aktuelle Regierung hat ihren Job ganz passabel gemacht.

Ähnlich zwiespältig ist es bei den Parlamenten, die ich wählen darf. Auf Provinzebene, wo es in erster Linie um Nahverkehrsfragen und das Gesundheitswesen geht, bin ich mit der Verkehrspolitik beider Blöcke nicht so ganz glücklich. Die Umgehungsstraße Förbifart wird von linker Seite in Zweifel gezogen und soll einer seltsam konstruierten Volksabstimmung unterzogen werden. Ich halte sie für zwingend nötig und frage mich, welche Alternative es da geben soll. Auf rechter Seite ist man jedoch ziemlich lethargisch, was den Ausbau des Nahverkehrs auf Schienen angeht. Ein paar Straßenbahnprojekte hier und da, aber die U-Bahn ist für die fertig. Ich tendiere klar zu meiner Partei in diesem Fall, aber ich werde mich eingehend mit den Programmen auseinandersetzen. Ein ähnliches Dilemma habe ich in meiner Kommune. Das einzige Thema, bei dem meine Genossen bisher hier in Erscheinung getreten sind, ist der Protest gegen die gewählte Lösung zum Neubau einer Brücke von der Insel herunter. Die konservative Mehrheit will eine neue Brücke schnell bauen und sie über eine Maut refinanzieren. Meine Partei ist dagegen, soweit ich das mitbekommen habe. Dumm nur, dass ich ausgerechnet dabei stark zur Mautlösung tendiere, denn die bestehende Brücke ist jetzt schon jeden Werktag überlastet. Allerdings könnte ich aber auch sagen, dass sie meine Unterstützung gut gebrauchen können, denn Värmdö ist ohnehin sehr konservativ.

Es steht also noch einiges bevor. Den ersten Wahl-O-Mat-Test habe ich schon einmal beim Svenska Dagbladet gemacht. Das Ergebnis finde ich allerdings wenig erbaulich:

Ausriss: svd.se

Noch ein Test

deutschertest

Der SPIEGEL hat zur Europawahl den Wahl-O-Mat unter seine Fittiche genommen. In ihm werden 38 Fragen präsentiert, die wie gewohnt mit drei groben Auswahlmöglichkeiten beantwortet werden können. Am Ende kann man Fragen, die einem besonders wichtig sind, doppelt gewichten.

Eine Neuerung dieses Mal ist, dass alle 32 Parteien, die antreten, um Stellungnahmen gebeten wurden. 29 haben geantwortet, und mit diesen kann man sich am Ende vergleichen.
Das Dumme ist nur, dass man sich immer nur mit 8 Parteien vergleichen kann. Man muss sich also mühsam durchklicken, bis man herausgefunden hat, mit welchen Parteien man die größte Schnittmenge hat.

Ich habe es getan – oben sind allerdings nicht nur die Parteien abgebildet, mit denen ich besonders übereinstimme. Es handelt sich um die vier „besten“ kleinen Parteien mit vier etablierten Parteien. Daher hat sich die FDP in die Übersicht verirrt, auch wenn ich mit der sehr wenig gemeinsam habe. CDU und CSU hätte besser abgeschnitten, aber weit weniger als die Feministinnen. Vielleicht wird man doch etwas offener für feministische Themen nach drei Jahren in Schweden.

Schock

Der Wahl-O-Mat ist mittlerweile auch in Schweden angekommen. Zwar ist dieses Instrument der Wahlentscheidungsfindung noch nicht so nachhaltig etabliert wie in Deutschland, aber zumindest die Dagens Nyheter hat ein solches System eingerichtet.

Ich mache solche Testes gerne, denn ich möchte auch wissen, ob meine Ansichten einigermaßen mit meiner generellen Parteipräferenz übereinstimmen.

25 Fragen sind es also. Einige Themen sind darunter, die zwar Europa betreffen, aber im Grund gar nicht vom Europaparlament beeinflusst werden können wie beispielsweise die Einführung des Euro in Schweden und die Mitgliedschaft Schwedens in der EU.

Das Ergebnis:
versuch1

Ich war schockiert – sollte ich etwa mit meinen Ansichten am nähesten an einer Partei liegen, die für mich eigentlich eher ein Anachronismus der schwedischen Politik ist.

Also versuchte ich es noch einmal:
versuch1

Noch schlimmer, aber immerhin mehr als 50% Zustimmung zu den Sozialdemokraten. Anscheinend ist es aber so, dass Tendenzen nicht berücksichtig wird. Wenn also eine Partei teilweise einer Aussage zustimmt, man selbst aber voll dafür ist, dann wird das anscheinend trotzdem als nicht übereinstimmend gerechnet.

Es geht aber erheblich detaillierter: der EU Profiler stellt 30 Fragen, die man abgestuft beantworten und auch gewichten kann. Der Unterschied in den Fragen ist, dass sie zu guten Teilen recht allgemein gehalten sind. Das Ziel des Testes ist also nicht nur, herauszufinden, ob man in aktuellen Sachfragen mit einer Partei übereinstimmt, sondern ob man auch deren Wertekanon teilt. Das mag zwar etwas unnötig wirken, ist aber irgendwo sinnvoll, weil ein EU-Parlamentarier schließlich auf vielerlei politische Fragen eine Antwort haben muss.

Das ist das Ergebnis:

2tertest

Ich bin also entweder ein ziemlich linker Zentrist (konservativ, grün) bzw. Folkpartist (liberal), oder eben ein sehr EU-freundlicher Sozialdemokrat. Ein Kristdemokrat bin ich da aber mal gar nicht, und auch die Moderaterna liegen mir nicht viel näher. Damit kann ich schon eher leben.

Bei einem prozentualen Matching gefällt mir das Ergebnis auch recht gut:

euprofiler2

Einen weiteren Test habe ich auch noch gefunden, nämlich den auf makthavare.se.

Dort war das Ergebnis so mittelprächtig:
3tertest

Hier bin ich also am ehesten ein Liberaler.

Das Problem ist im Grunde, dass in Sachen EU keine perfekt passende Partei für mich geben kann. Ich bin für schwedische Verhältnisse extrem pro-EU, innerhalb der Sozialdemokraten eher rechts, im Gesamtspektrum aber leicht links, und eine liberale Komponente gibt es da auch noch.

So ist es wie für jeden anderen Wähler auch – man muss den besten Kompromiss, die größte Schnittmenge finden. Letzten Endes bedeutet das in meinem Fall, zu schauen, ob es Positionen der Sozialdemokraten gibt, mit denen ich nicht leben kann.

Es gibt bislang so einiges, was mir nicht übermäßig behagt. An der von der Piratenpartei aufgeworfenen Frage der Informationsfreiheit und Urheberrecht ist die Partei nicht sonderlich interessiert – gerade hier könnte man sich künftig ein Profil schaffen. Die etwas zögerliche Position zum Euro würde ich auch gerne anders sehen.

Ob solche Dinge genügen, mich zu einer anderen Partei zu ziehen, wird sich aber noch entscheiden. Ich habe ja noch Zeit, zu überlegen.