Es ist nicht zwingend investigativ, wenn Journalisten sich ein paar statistische Daten kommen lassen und daraus ein Thema basteln. Das Ergebnis kann dennoch interessant sein.
Meine tägliche Zeitung, die in Stockholm erscheinende Dagens Nyheter, hatte Ende 2009 den Lokalteil abgeschafft. Auf Anfrage sagte man mir, dass man die entsprechenden Themen lieber auf die entsprechenden Fachrubriken verteilen wolle. Das fand ich nicht so gut, und viele andere wohl auch nicht. Seit dem neuen Layout, das wohl so vor ca. einem Jahr eingeführt wurde, gibt es wieder einen umfänglichen Stockholmer Lokalteil.
Teil der Chronistenpflicht ist natürlich, festzustellen, wie sich die Region entwickelt. Das tat die Zeitung vorige Woche auf mehreren Seiten zu dem Thema, woher die Einwanderer stammen, die mittlerweile gut 20% der Bevölkerung des Großraum Stockholms ausmachen. Das Ergebnis ist eine Doppelseite mit allerlei Grafiken. Woher die Daten stammen, steht zwar nicht direkt dabei, aber es kann dafür nur eine Quelle geben: die Statistikbehörde Statistiska Centralbyrån (SCB). Diese erhebt u.a. die Staatsbürgerschaft und das Geburtsland der Einwohner. Letzteres ist ein gutes Maß für die Zahl der Einwanderer, auch wenn es z.B. natürlich im Ausland geborene Schweden gibt.
Schweden hat sich erst spät zum echten Einwanderungsland entwickelt – heute ist es eines der wenigen Länder, die das Asylrecht sehr ernst nehmen und entsprechend handeln. Daher gibt es viele Einwanderer aus dem Irak, Somalia und anderen Krisenregionen. Lange Zeit kamen Einwanderer aber vor allem aus einem Land: Finnland, das seit jeher eine schwedischsprachige Minderheit hat und zudem erst in letzter Zeit so wohlhabend wurde.
Bis heute sind die Finnen in 23 der 26 Gemeinden im Großraum Stockholm die größte Einwanderergruppe, aber das ändert sich langsam aber sicher. Einwanderung aus und Auswanderung nach Finnland ist praktisch ausgeglichen, so dass die aus Finnland stammenden Menschen langsam aber sicher in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen und andere Einwanderergruppen stärker werden. In Botkyrka gibt es mittlerweile deutlich mehr Türken. Södertälje ist mittlerweile für die Aufnahme von Irakern bekannt, die dort mittlerweile fast 10% der Bevölkerung ausmachen. In Sollentuna sind die Iraner knapp stärker vertreten. In Huddinge werden die Iraker die Finnen wohl auch bald überholt haben. Wachsende Einwanderergruppen sind die Polen, die zumindest im Sommer die schwedischen Baustellen bevölkern, und Asiaten, neben Einwanderern aus dem Nahen Osten.
Warum ich diese Erhebung so interessant finde? Als deutscher Einwanderer finde ich es spannend, zu sehen, wie die Deutschen hier vertreten sind und ob es irgendwelche Verdichtungen gibt. Nach Kommunen aufgeschlüsselt sind diese Daten kostenlos bei SCB nicht verfügbar. So kann ich zwar anhand der dortigen Datenbank herausfinden, dass es 48442 in Deutschland geborene Menschen in Schweden gibt (Stand: 2011), aber nicht, wie diese regional verteilt sind, denn diese Daten sind wiederum nur allgemein auf im Ausland geborene Menschen verfügbar, aber nicht nach Herkunftsland aufgeschlüsselt. Die Deutschen sind eine kleine, aber nicht unerhebliche Einwanderergruppe. Über uns wird wenig gesprochen, so dass es für mich umso interessanter ist, zu sehen, wo wir sind und welchen Anteil an der Bevölkerung wir stellen.
Die Tabellen der Dagens Nyheter geben hier einen Einblick. Laut denen waren 2011 insgesamt 11757 in Deutschland geborene Menschen in der Provinz Stockholm wohnhaft – das ist ja schonmal eine deutsche Kleinstadt und reicht für einen siebten Platz hinter Finnland, Irak, Polen, Iran, der Türkei und Chile. Mit Ausnahme von Botkyrka im Südwesten, Upplands Väsby im Norden und der flächenmäßig kleinsten schwedischen Gemeinde Sundbyberg direkt nördlich der Hauptstadt sind die Deutschen in den Top 10 der Einwanderernationen.
Bleibt die Frage, wie sie sich auf die Region verteilen. Dazu habe ich zwei Grafiken ähnlich denen in der DN erstellt. Es entsteht der Eindruck einer relativ gleichmäßigen Verteilung, der aber angesichts der geringen Zahlen etwas täuscht. Zwar machen die Deutschen ungefähr 0,6 % der Gesamteinwohnerschaft aus und sind nirgendwo komplett abwesend, aber die Schwankungsbreite liegt in den 23 erfassten Kommunen zwischen 0,3 % und 0,8 %.
Interessant ist, dass es kein klares Muster gibt – die 10 Gemeinden mit dem höchsten Anteil an Deutschen sind:
- Lidingö: 0,84 % (371 in Deutschland geborene)
- Danderyd: 0,84 % (268)
- Södertälje: 0,83 % (731)
- Täby: 0,81 % (520)
- Österåker: 0,75 % (297)
- Solna: 0,68 % (473)
- Vallentuna: 0,63 % (193)
- Salem: 0,60 % (94)
- Upplands-Bro: 0,60 % (144)
- Nacka: 0,58 % (527)
(Anmerkung: in Botkyrka ist die Anzahl unbekannt, aber der Anteil liegt irgendwo im Intervall 0 % bis 0,74 %)
Es scheint im Wesentlichen zwei Kategorien zu geben:
- Gutsituierte Vorortgemeinden: Lidingö, Danderyd, Täby und Nacka sind wohlhabende Vorortgemeinden. Dass die Deutschen eher dort wohnen, mag daran liegen, dass es sich bei ihnen den tendenziell um besser ausgebildete und damit auch besser verdienende Einwanderer handelt. Es dürfte aber auch etwas damit zu tun haben, dass diese Gemeinde allgemein unterdurchschnittlich viele Einwanderer haben.
- Landschaftlich attraktive ländliche Gemeinden: bei Södertälje, Vallentuna, Österåker, Salem und Upplands-Bro dürfte sich vor allem das Bullerbü-Syndrom Wirkung zeigen: es handelt sich um großflächige, eher ländliche Kommunen, wo man sich den Traum vom roten Holzhäuschen im Grünen erfüllen kann, ohne weit von den Arbeitsplätzen in der Stadt entfernt zu sein. Zudem sind die Häuser dort relativ gut bezahlbar. Man muss aber auch sagen, dass man Nacka und Täby hier auch hinzurechnen kann – die Immobilienpreise sind zwar hoch, aber die Struktur ist in weiten Teilen schon recht ländlich.
Solna passt in keine der Kategorien. Ich kenne Deutsche, die dort leben, aber wieso gerade diese Gemeinde deutlich weiter oben steht ist mir nicht ersichtlich. Eine Erklärung ist vielleicht, dass Solna de facto eigentlich ein Teil Stockholms und nur aus historischen Gründen administrativ eigenständig ist. Das Gemeindegebiet schließt sich unmittelbar an das Stockholmer Stadtgebiet hat und ist sehr dicht besiedelt. Meine Vermutung ist, dass Solna damit am ehesten den mittelständischen und gut bürgerlichen Teilen Stockholms entspricht, in denen deutsche Einwanderer etwas überdurchschnittlich anzutreffen sind, während in anderen städtisch geprägten Gemeinden wie Stockholm, Sundbyberg oder Botkyrka auch große Mietshaussiedlungen, nicht selten soziale Brennpunkte, die Deutschen etwas weniger anziehen oder sie zumindest nicht lange halten.
Hier zeigt sich auch die Schwäche einer solchen Erhebung: die Gemeinden in sich selbst sind natürlich auch nicht homogen. Stockholm hat mit Östermalm das wohl teuerste Wohngebiet des ganzen Landes, aber mit z.B. Rinkeby und Tensta eben auch große soziale Brennpunkte. Södertälje ist als Anziehungspunkt für irakische Flüchtlinge bekannt, hat aber auch eine große Fläche, wo Einfamilienhäuser die Regel sind. Ein Gesamtdurchschnitt der Gemeinde kann dies nicht wiedergeben.
Interessant ist ein Blick auf die Platzierungen unter den Einwanderergruppen. Nirgends sind die Deutschen die größte Gruppe, aber in Danderyd und Täby schaffen sie es auf Platz 4, in Österåker und Lidingö auf Platz 3. Der zweite Platz wird aber nur in einer Gemeinde erreicht: Värmdö (auf den Karten ganz rechts mit den Inseln), mein Wohnort. Nun wird vielleicht jemand unken, ich hätte mich hier in ein Nest von Landsmännern begeben – die Grafiken oben zeugen vom Gegenteil. Die Erklärung ist simpel. Värmdö ist trotz seines gewaltigen Wachstums in den letzten Jahrzehnten noch sehr klassisch strukturiert: beim Einwandereranteil liegt die Kommune mit 11% auf Platz 23 (von 26), und die Finnen übertreffen alle anderen Einwandergruppen bei weitem. So leben hier 1342 Finnen, die also gut ein Viertel der 4337 hier lebenden im Ausland geborenen Einwohnern stellen. Weit abgeschlagen folgen dann die 211 Deutschen.
Das Fazit ist also ein bisschen so wie erwartet: es gibt zwar deutliche Unterschiede, aber ein deutsches Nest gibt es wahrscheinlich nirgends, und wenn, dann bräuchte man noch feiner aufgeschlüsselte Daten.
Ich glaube, man kann Solna als „Durchlaufstation“ sehen. Es ist „stadtnah“ gelegen, man kann in wenigen Minuten ins Zentrum von Stockholm, trotzdem findet man hier noch Wohnungen, die gemessen an den Stockholmer Innenstadtpreisen bezahlbar sind und auch viel Grün. Wenn die Familie dann wächst (so wie bei uns) oder sich andere Möglichkeiten ergeben, dann entscheidet sich nach ein paar Jahren, ob es doch in die Innenstadt oder in einen Vorort/in die Umgebung in ein Haus geht. Zumindest habe ich das jetzt schon von einigen Familien/Paaren gehört, allerdings nicht nur von Deutschen. Aber das würde die Attraktivität erklären, wenn auch nicht statistisch. ;O)
Ich habe vergessen zu erwähnen: es gibt schon auch soziale Brennpunkte in Solna, in eingen Stadtteilen möchte man sicher nicht so gerne wohnen. Aber Solna erstreckt sich flächenmäßig recht großzügig, sodass es dann eben – wie Du schon geschrieben hast – Wohngegenden gibt, die sich fast auf Innenstadtniveau bewegen. Und vieles dazwischen, was eine ganz nette Mischung ist und ein bisschen zu einer „lockeren“ Atmosphäre beiträgt. Der Unterschied zu Vasastan ist schon deutlich. In Solna sind die Kindergartengruppen dunkelhaarig-blond gemischt, in Vasastan sieht man oft mehrheitlich blond! ;O)