Drinking with style

Die zweite Woche in Stockholm ist halb vergangen. Ich mache organisatorische Fortschritte und beginne, richtig zu arbeiten. Das Wetter ist mäßig, aber ich laufe viel. Vorläufiger, aber wohl nicht endgültiger Höhepunkt: das schwedische Dinner.
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Eine Woche in Stockholm: intime Einblicke

Es ist ein idyllischer Morgen in meiner neuen Behausung. Der Baggerfahrer nebenan fährt fröhlich winkend vorbei und verspricht, heute auch ganz leise zu baggern. Ein Elch galoppiert herum und schaut so dämlich, wie Elche es zu tun pflegen. Die Vögel zwitschern, und eine süße Eisenbahn tuckert fröhlich Richtung Stockholm-Östra.

Aus meinen journalistischen Ambitionen heraus musste ich davon natürlich gleich eine kleine Dokumentation anfertigen:
Zum Anhören: idyllisch morgendliche Geräuschkulisse (OGG, 259 KB)
Zum Anhören: nochmal idyllisch morgendliche Geräuschkulisse (OGG,146 KB)
Zum Anschauen: die Eisenbahn fährt vorbei (AVI, 414 KB)

So schön hat man es wirklich selten. Das überragende Schauspiel der Vorbeifahrt des Nahverkehrszuges werde ich ab sofort laut Fahrplan tagsüber 12mal in der Stunde genießen dürfen. Der Verkauf von Karten als einträgliches Nebeneinkommen bietet sich geradezu an. Mir schwebt eine Loge auf dem Dach des Containers vor. Auch eine Peepshow für die Fahrgäste wäre denkbar. allerdings wird dies am Verbot von Prostitution in Schweden – ja, sowas versucht man ernsthaft hier – scheitern.

Mit geschlossenem Fenster lässt es sich aber ganz gut aushalten, und die Bauarbeiten werden auch irgendwann abgeschlossen sein.

Mit Jogging habe ich die Gegend auch schon etwas erkundet. Nachdem ich mich beim ersten Mal prompt verirrte und dann doch ganz froh war, zurückgefunden zu haben. Seither habe ich mich etwas besser vorbereitet und entdeckt, dass Norra Djurgården, der weniger bekannte nördliche Teil der königlichen Tiergärten in Stockholm, in Reichweite liegt. So kann ich an Tiergehegen vorbeijoggen und, wenn ich meine Strecke mal etwas erweitern will, auch bis zum Meer kommen. Es klingt nach einem prächtigen Trainingsherbst und -winter.

Stockholm ist ohnehin eine sehr schöne Stadt, wie ein Blick Richtung Innenstadt zweifellos bestätigt.

Preview Stockholm

Hübsch, oder?
Das Bild entstand gestern, als ich am Djurgården Day teilnehmen wollte. Dieser Teil der Stadt enthält eine Reihe Museen und den Tierpark Skansen. Wir trafen uns im Park gegenüber dem Nordiska Museet. Auf der Wiese hatten sich rund 60 Studenten versammelt, die sich offenbar nicht daran störten, dass die Hasen alles vollgeschissen hatten und man keinen Meter laufen konnte, ohne in Tierexkremente zu treten. Unter den Anwesenden kannte ich dann auch so gut wie keinen – mit Ausnahme eines netten Italieners und einer Norddeutschen, die meinen Dialekt offenbar mit einer gewissen Abschätzigkeit betrachtete. Letzteres schätze ich gar nicht und trägt auch nicht zur Sympathiebildung bei. So schloss ich mich dem Italiener an. Vor dem Eingang von Skansen fing es an, zu regnen, und ich stellte fest, dass ich meinen Presseausweis, der meist ordentliche Rabatte beschert, nicht dabei hatte. Grund genug, das Unternehmen abzubrechen, und mir stattdessen etwas das Nordiska Museet, ein kostenloses Museum anzuschauen. Eigentlich sollte eine Art Christopher Street Day sein, zu dem Bianca, eine Studentin aus Heidelberg, und einige andere hinwollten. Nach Rücksprache mit ihr stellte sich aber heraus, dass man sich etwas im Datum vertan hatte – die Parade war schon tags zuvor gewesen.

Weitere Beobachtungen der Woche:

  • Die Schweden gehören zu den korrektesten Autofahrern dieses Planeten. Scheinbar grundlos in bewaldeten Streckenstücken aufgestellte Tempo 30-Schilder befolgen sie brav. Auch das mehr als nur vorsichtige Tempo 110 auf Autobahnen hierzulande wird maximal um 10 km/h überschitten. Kontrollieren muss man dies wohl nicht, denn auf der ganzen Strecke nach Stockholm sowie hier in der Stadt habe ich keinen Blitzer gesehen.
  • Das Knäckebrotregal in meinem Supermarkt hat exorbitante Ausmaße. Die ganze Wasa-Produktpalette ist mannshoch gestapelt. Ich werde dies in Kürze auch fotografisch dokumentieren.
  • Das Käseregal ist nicht minder beeindruckend
  • Auch die Milchtheke kann sich sehen lassen

Zitate, die man sich merken sollte:

Motstand är meninglös!

(Widerstand ist zwecklos, aus dem schwedischen Untertitel zu The hitchhiker’s guide to the galaxy)

Zum Abschluss ein kleiner Linktipp: planka.nu; eine Art Schwarzfahrversicherung. Man zahlt 100 Kronen (ca. 10,75 €) im Monat. Wenn man beim Schwarzfahren erwischt wird, zahlt die Versicherung die Strafe. Für Dauerschwarzfahrer offenbar eine lohnende Angelegenheit.

Ach ja: alle, die sich das hier durchlesen, sind natürlich dazu aufgerufen, ihren Senf dazu abzugeben. Arne und Chris gehen schon einmal mit gutem Beispiel voran.

Noch 10 Tage: Wie ich Vivanco ganz alleine rettete

Tatendrang hat den Menschen bewegt, den Atlantik zu überqueren, Türme zu bauen und den Mount Everest zu besteigen. Meiner hingegen reicht heute nur bis zum Studienbüro, und droht dort sogleich wieder zu schwinden, denn die für mich zuständige Sektion des Studienbüros ist geschlossen. Stattdessen muss ich zur anderen Sektion, wo sich schon eine 20 Meter lange Schlange gebildet hat. Souverän hat man die bestehende Aufteilung belassen. Lediglich Maschinenbauer müssen sich heute auf zwei statt auf drei Schalter verteilen. Der hierdurch frei gewordene Schalter ist einfach für alle übrigen Studenten zuständig. Die 40 € Verwaltungsbeitrag im Semester sind ohne Frage hervorragend angelehnt.

Es geht dennoch verdächtig schnell voran. Den Schalter besetzt Frau Haas, die nicht nur ziemlich gut aussieht – überhaupt übertrifft das Studienbüro mit einem Frauenanteil von 100% die übliche Situation an der Universität Karlsruhe bei weitem – sondern mit ihrer üblichen Zuständigkeit „International Department“ fast schon prädestiniert für mein Anliegen ist: die Beantragung von meiner zwei Urlaubssemester für Schweden. Souverän lege ich ihr die Anträge hin. Weniger souverän stehe ich allerdings da, als sie fragt, wann ich denn die Gebühr für das kommende Semester überwiesen habe. Kleinlaut gestehe ich, dass dies erst heute morgen war. Ansatzweise genervt antwortet sie, dass da mit einer Ankunft des Geldes noch nicht zu rechnen sei. Ich befürchte, sie hat recht.
Ich wage nun nicht mehr, mich für das Hauptdiplom anzumelden – die Leute hinter mir hätte das wohl auch nicht so begeistert. Ich kann schließlich morgen nochmal hingehen. Vielleicht hat dann sogar meine Sektion des Studienbüros geöffnet. Und am Donnerstag ist schließlich auch noch ein Tag – wenn auch nur einer von neun, bevor ich losfahre.
Mein organisatorisches Glück ist mir auch an meiner nächsten Station nicht hold – die Dozentin ist nicht da.

Ich überlege, was ich nun tun könnte. Nach 7,57 km (neueste Messung meiner Standardstrecke) heute morgen und ohne Frühstück scheint mir eine Brezel eine begehrenswerte Anschaffung zu sein. Drei Bäckereien später verlege ich mich dann doch auf einen Laugenweck, weil entweder keine Brezeln mehr zum Verkauf stehen oder die vorhandenen Brezeln nicht so aussehen, als ob sich die Anschaffung samt Verzehr lohnen würde.

Ich begebe mich in den „Tchibo-Prozente-Shop“, wo billige Produkte von „TCM“, Tchibos Hausmarke, noch billiger verkauft werden. Ich zögere bei der Überlegung, mir eine Joggingjacke zu kaufen – aus der Überlegung heraus, dass es zwar eine sinnvolle Investition, aber doch nicht unbedingt notwendig sein. Solche Abwägungen widersprechen eigentlich deutlich meinem Naturell. Ich bin wohl doch mit meiner Schwester verwandt – die will tatsächlich auf der Fahrt nach Stockholm jeden Abend die Bettwäsche auspacken und das Bett beziehen, weil sie die 10 € für einen Jugendherbergsschlafsack sparen will. Ähnlich groteske Diskussionen spielten sich ab, was wir denn auf der Fahrt essen sollen. Wenn es um die Nahrungsbeschaffung auf Urlaubsreisen gehen, verlasse ich üblicherweise die Interrailer-Abenteuereinstellung und wende mich amerikanischen Schnellrestaurants zu. Diese sind nämlich überall gleich und unerwünschte Nebeneffekte wie nach dem Genuss eines Kebabs in Polen (beziehungsweise das, was dort als solcher verkauft wird) bleiben in der Regel aus. Meine Kompromissbereitschaft war beim Vorschlag „Kekse“ allerdings in jedem Falle überschritten.

Deutlich strategischer gehe ich beim anschließenden Besuch des örtlichen „Saturn“ vor. Da gute Headsets bei Ebay zwar für unter 35 € zu haben sind, jedoch horrende 8 € Versandkosten verlangt werden, wollte ich dort die Lage überprüfen. Die Preise sind allerdings in vergleichbarem Bereich, und zumindest hier im Regal besitzt die Firma „Vivanco“ eine marktbeherrschende Stellung. Ich beschließe, dies nicht zu unterstützen und mittels des Nichtkaufs eines Headsets einen vernichtenden Schlag gegen Markt und Regal auszuüben – stattdessen werde ich bei „Makro Markt“ einen neuerlichen Versuch wagen. Letzterer hat sich zwar einmal erdreistet, mit Dieter Bohlen eine der unerfreulichsten Erscheinungen des modernen Medienzirkus zu engagieren, ist sonst aber erfreulicherweise von den volksverdummenden Kampagnen von „Saturn“ und „Media Markt“ weit entfernt. Die Manager zittern jetzt vermutlich, denn es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass das Großkapital bei solch subversiven Taktiken dem Untergang geweiht ist. Beim Hinausgehen habe ich dennoch Mitleid mit den zahllosen Vivanco-Mitarbeitern, die angesichts solch herzlosen Verhaltens wohl den Tränen nahe sind, und nehme eine Vivanco CD-Tasche für 320 (!!) CDs zum Preis von 10 € mit. Vermutlich wurde die von burmesischen Hausfrauen in Handarbeit gestrickt, und ich habe soeben deren Lebensunterhalt gesichert. Ich fühle mich als Held des Tages. Interessant ist auch, dass eine derart große Tasche bis vor kurzem nicht einmal zu kaufen war. Sicherlich werden solche Taschen ausschließlich zur Aufbewahrung von Backups verwendet. Beruhigend, dass die Menschen so an ihrer Datensicherheit interessiert sind.

Ich treffe mich mit Marta im Rahmen meiner fortlaufenden Mission, alle Bekannten und Freunde noch einmal vor der Abfahrt zu sein. Freilich nur ein hehrer Wunsch.

Bei meiner Rückkehr wird mir die prekäre Situation meiner Wäschetonne bewusst. Mit Wonne wühle ich mich durch dieses bakterielle Biotop, um eine Waschmaschinenladung zusammenzustellen. Ausgesprochen faszinierend sind meine Ausdünstungen vom Joggen, die einen gelblichen Ton angenommen haben und nun Nikotinablagerungen auf Tapeten ähneln. „Galileo“ oder „Welt der Wunder“ wäre dies sicher einen 1ominütigen Bericht wert.

Als letztes großes Highlight des Tages steht noch Kino mit Jörn, Vanessa und Julia an. Der Film „Madagascar“ ist geografisch weit entfernt von Schweden – vielleicht auch gut so.

Noch 10 Tage bis zur Abfahrt.