Tragisches Unglück bei Slussen und die überhastete Suche nach Schuldigen

Während in aller Friedlichkeit der Stockholm-Marathon (Bilder kommen noch) abgehalten wurde, bot sich gleich um die Ecke ein Bild des Grauens.

Das meine ich ernst. Am Samstag geriet bei Slussen ein Bus außer Kontrolle und fuhr auf einen gut frequentierten Platz. Ein Mann wurde schwer verletzt, zwei weitere Frauen leicht. Ein Kinderwagen wurde angefahren und das darin liegende 17 Monate alte Kind herausgeschleudert. Das Kind kam zum Glück mit kleineren Verletzungen davon. In manchen Berichten ist von bis zu 6 Verletzten die Rede.

Um dem geneigten Leser ein Bild der Örtlichkeiten zu geben:

Ausblick von Süden auf Slussen und die Stockholmer Skyline. Das Unglück trug sich auf dem Platz im Vordergrund zu (Bild: Alex Nordstrom; CC-2.5)

Oder, um es noch etwas deutlicher zu machen:

Der Bus fuhr über die Treppe im Vordergrund auf den Platz. (Bild: Alex Nordstrom; CC-2.5)

Der im Hintergrund zu sehende Platz ist der Södermalmstorg, auf dem mehrere Buslinien halten, u.a. auch die Linie 55, die hier involviert war. Soweit ich das rekonstruieren kann, trug sich die Sache folgendermaßen zu: die Linie 55 hatte an diesem Tag auf dem Södermalmstorg ihre Endhaltestelle, denn der weitere Linienverlauf Richtung Altstadt war aufgrund des Marathons gesperrt. Der Bus hatte also vermutlich an der Haltestelle Richtung Hjorthagen (hier zu sehen) oder um die Ecke Aufenthalt bis zu seiner nächsten Abfahrt. Die Haltestelle in der anderen Richtung, wo der Bus neue Passagiere hätte aufnehmen sollen, ist auf dem verlinkten Bild von Hecken verdeckt. Dass die Runde also noch nicht begonnen hatte, war ein großes Glück: es waren keine Passagiere an Bord. Tragisch ist die ganze Sache für die Busfahrerin, die über 10 Jahre Erfahrung verfügt und den Bus gerade übernommen hatte. Die Fahrt endete schon nach wenigen Sekunden. Sie bog wohl rechts ab, um den Platz zu umrunden, und hätte daher gleich wieder rechts abbiegen sollen (wie hier zu sehen bei diesem Bus kurz vor der Kurve).

Das misslang aber offenkundig. Der Bus ging geradeaus die Treppe (siehe oben im Bild) hinunter und kam erst ein Stück später zum Stehen.

Die Frage ist: Wie konnte das passieren?

Viele sind ganz schnell dabei, die Privatisierung des Busverkehrs, angeblich schlechte Wartung der Busse und das Alter der Busse als Ursachen zu sehen. Die Wahrheit ist aber ganz einfach: man kann es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sagen.

Ich habe weder die Linie 55 gefahren noch jemals in der dafür zuständigen Südgarage gearbeitet. Ich habe die Wartung der Busse auch in meiner eigenen Garage immer nur fragmentarisch erlebt. Aber ich kann durchaus etwas zu diesem Bustyp und einigen anderen allgemeinen Dingen sagen:

  • Er mag zwar nicht mehr so hübsch aussehen, aber der hier verunglückte Bustyp gehört zu den zuverlässigsten. Die meisten dieser Busse haben weit über 500.000 km auf dem Buckel, aber machen weitaus weniger Probleme als neuere Busmodelle. Natürlich haben auch sie ihre Macken, aber keine davon ist sicherheitsrelevant oder beeinträchtigt den Betrieb nennenswert. Das kann man von vielen neueren Bussen wirklich nicht behaupten. Beispielsweise sind die neueren Scania-Gelenkbusse mit solchen Mängeln behaftet, dass es in kritischen Zeiten (z.B. extrem heiße Tage) schwer fällt, überhaupt genügend Rollmaterial auf der Straße zu halten. Deswegen sind die alten Scania-Busse bei den Busfahrern auch erheblich beliebter als die neuen Modelle.
  • SL hat die Belastungsgrenze dieser Busse selbst gewählt. Der Nahverkehrsverbund schreibt eine Höchstbetriebsdauer von 16 Jahren vor. Man kann den beuftragten Firmen wohl nicht vorwerfen, dass sie den im Regelwerk vorgegebenen Spielraum ausnutzen. Das Alter der Busse halte ich also für zweitrangig, solange kein Befund vorliegt, dass diese Busse tickende Zeitbomben sind.
  • Nie, ich wiederhole, nie musste ich einen Bus übernehmen, der offenkundige Sicherheitsmängel hatte. Solche waren zu jedem Zeitpunkt ein hinreichender Grund, einen Fahrzeugtausch zu verlangen. Natürlich kann es sein, dass in der Werkstatt geschludert wurde. Dass dies in großem Umfang geschieht, wäre mir aber neu.
  • Interessant ist auch, dass sich jetzt bei allen möglichen Medien Busfahrer melden, die sich über Qualitäts- und Sicherheitsmängel auslassen. Das mag ja alles stimmen, aber es ist noch lange keine Beweisführung für systematische Fehler. Als die Gorch Fock in die Schlagzeilen kam, meldeten sich plötzlich allerlei Leute, die von schrecklichen Zuständen auf dem Schiff berichteten. Der Kommandant wurde demontiert und dann abserviert. Der Untersuchungsbericht kam hingegen klar zum Schluss, dass dies alles unhaltbar war. Ich hoffe, man kommt nun nach diesem Unglück nicht auf die Idee, die allgemeine Qualität anhand der Aussagen Unzufriedener zu beurteilen, die sich im Schutz der Anonymität aus der Deckung wagen.
  • Auch wenn ich mich in die arme Busfahrerin sehr gut hineindenken kann, kann man menschliches Versagen nicht ausschließen.
    Als solche rechne ich nicht, die alternativen Bremsmöglichkeiten nicht zu verwenden. Wenn man nämlich die Handbremse zieht oder die Türen öffnet, blockieren die Hinterräder. Jedoch ist man als Busfahrer dazu trainiert, eben diese Bremsen im Verkehr sehr vorsichtig einzusetzen, denn sie wirken sehr abrupt und sind daher normalerweise eine Gefahr für alle Insassen. Also kann man nicht erwarten, dass die Fahrerin diese Bremsen sofort betätigt.
    Für den Unfall hätten zwei zentrale Systeme auf einmal versagen müssen: Lenkung und Bremsen. Laut der Aussage der Fahrerin merkte sie nämlich, dass der Bus aus der Spur lief, und versuchte zu bremsen, was aber nicht ging. Dass beides zusammenfällt, ist extrem unwahrscheinlich. Es ist also durchaus denkbar, dass hier noch eine menschliche Komponente mitgewirkt hat.
    Die Vermutung in der Presse, die Fahrerin habe Gas und Bremse verwechselt, ist jedoch wenig plausibel. Diese Busse rühren sich ohne Druck auf das Gaspedal kaum von der Stelle. Die Fahrerin muss also schon auf dem Gas gestanden haben, um den Bus überhaupt zu beschleunigen. Möglich, wenn auch angesichts der Kürze der Strecke unwahrscheinlich, erscheint mir, dass sie den Fuß von den Pedalen nahm – was man eigentlich nicht machen soll, aber natürlich trotzdem ab und zu tut – und vor der nächsten Kurve bremsen wollte, aber stattdessen Gas gab. Der Bus wäre in dem Fall fast zwangsläufig auf die Treppe zu geschossen, denn dieser Bustyp ist im Leerzustand doch recht flott und wäre kaum um die Kurve zu bringen gewesen. Ein unwahrscheinlicher Hergang,der sich zudem nicht mit den Aussagen der Fahrerin deckt.
    Wahrscheinlicher erscheint mir da doch die Möglichkeit, dass die Lenkung wirklich versagte und die Fahrerin einfach nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Dass die Bremsen dann wirkungslos erschienen, kann in der Paniksituation durchaus so erschienen sein.

Bis man aber definitive Ergebnisse hat, wird man abwarten müssen. Es hat jedenfalls keinen Sinn, schon einmal die Wartung der Busse und alle daran Beteiligten in Sippenhaft zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass die ganze Sache für die Verletzten glimpflich abgeht.

Schlimme Geschichte

Es ist manchmal schon seltsam, wie gewohnte Umgebungen plötzlich der Schauplatz von Unglücken werden.

In Kista, wo ich meine Masterarbeit schrieb, ist vor knapp zwei Stunden eine Brücke eingestürzt – ein Vorkommnis, das man in einer Industrienation wie Schweden nicht erwartet. Ein Toter und zwei Verletzte sind schon bestätigt, und da noch u.a. ein Auto unter der Brücke eingeklemmt sein sollen, können sich diese Zahlen noch erhöhen.

Erst hieß es, es handele sich um eine Fußgängerbrücke zwischen dem Einkaufszentrum Kista Centrum und der U-Bahn-Station. Diese habe ich schon unzählige Male überquert, und natürlich macht man sich Gedanken, wie viele normalerweise auf dieser Brücke jede Minute entlang laufen und dass so etwas auch einen selbst treffen kann, auch wenn dies in der Industrienation Schweden natürlich sehr selten ist.

Obwohl ich die Ecke doch ganz gut kenne, bin ich aber immer noch unsicher, welche Brücke nun denn genau eingestürzt ist. Mittlerweile ist von einem Einsturz bei einer Baustelle die Rede, und so muss es wohl eine andere Brücke sein. Es muss also wohl eine der beiden Brücken über den Hanstavägen sein – eine von denen lag auch auf dem Weg zu meiner damaligen Wirkungsstätte und wird tatäglich von den Unzähligen frequentiert, die in einem der vielen Technologieunternehmen in Kista arbeiten oder an der IT-University studieren.

Das ist schon alles sehr tragisch. Zwar fühle ich mich natürlich nicht direkt betroffen, aber irgendwie möchte ich natürlich schon so schnell wie möglich mehr erfahren. Das wird wohl aber noch etwas warten müssen.