Das Endergebnis der Wahl zum schwedischen Reichstag

Es hat gedauert, weil man wegen der Stimmknappheit mehrfach nachzählte. Diesen Nachmittag wurde nun das Ergebnis des letzten der 6063 Wahlbezirke fertiggestellt.

Hier die Angaben, in Klammern die vorläufigen Ergebnisse vom Sonntag und die Ergebnisse von 2006:

  • Moderate (Moderata Samlingspartiet): 30,03 % (Sonntag: 30,0 %, 2006: 26,1 %)
  • Zentrumspartei (Centerpartiet): 6,55 % (Sonntag: 6,6 %, 2006: 7,88 %)
  • Volkspartei die Liberalen (Folkpartiet liberalerna): 7,05 % (Sonntag: 7,1 %, 2006: 7,54 %)
  • Christdemokraten (Kristdemokraterna): 5,60 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 6,59 %)
  • Sozialdemokraten (Arbetarepartiet-Socialdemokraterna): 30,69 % (Sonntag: 30,9 %, 2006: 34,99 %)
  • Linkspartei (Vänsterpartiet): 5,61 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 5,85 %)
  • Umweltpartei die Grünen (Miljöpartiet de gröna): 7,34 % (Sonntag: 7,2 %, 2006: 5,24 %)
  • Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna): 5,70 % (Sonntag: 5,7 %, 2006: 2,93%)
  • Piratenpartei (Piratpartiet): 0,65 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)
  • Feministische Initiative (Feministiskt initiativ): 0,40 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)

Wie man sieht, haben die Auslandsstimmen und andere später gezählte Stimmen das Ergebnis nur insofern beeinflusst, als dass die Moderaten etwas dazu gewonnen haben. Die letzten beiden Parteien habe ich hinzugefügt, weil sie erhebliche Aufmerksamkeit genossen haben und die beiden größten nicht in den Reichstag eingezogen sind.

Die konkrete Mandatverteilung wurde zur Stunde noch nicht bekanntgegeben. Jedoch wird nur mit minimalen Zugewinnen auf der bürgerlichen Seite gerechnet. Die drei Mandate Rückstand werden nicht auszugleichen sein. Damit hat die bürgerliche Koalition weiterhin keine Mehrheit und die Schwedendemokraten die Blockaderolle inne. Allerdings ist diese Verteilung auch gerecht, so unschön die aktuelle Situation auch sein mag. Die vier bürgerlichen Parteien haben rund 1900 Stimmen weniger erhalten als die gesamte Opposition. Eine Mehrheit wäre also nicht gerechtfertigt, sondern immer mit dem Makel behaftet, aufgrund eines unzulänglichen Wahlrechts zustande gekommen zu sein.
Dennoch ist es seltsam, dass die bürgerliche Koalition ihren Stimmenanteil steigern konnte und trotzdem keine Mehrheit hat – hier merkt man, dass eine Prozentsperre unter Umständen erhebliche Stimmanteile ausschließen kann.

Während man noch auf die weiteren Details wartet, kann man wie immer einen Blick auf die sonstigen Parteien richten, die gewählt wurden. Das ist immer recht spaßig, denn man darf in Schweden nach Lust und Laune irgendjemanden aufschreiben, was zu allerlei kreativen Auswüchsen führt.

Zunächst die Parteien, die sich im Vorfeld registriert haben:

  • Spritpartiet (Schnapspartei oder auch Alkoholpartei): ein Blick auf deren Homepage machte mir nicht auf den ersten Blick klar, ob sie denn nun für oder gegen Alkoholgenuss sind. Sie sind dagegen und wollen den Konsum halbieren. Immerhin 236 Stimmen haben sie dafür bekommen, wohl auch dank etwas Medienaufmerksamkeit.
  • Europeiska Arbetarpartiet-EAP (Europäische Arbeiterpartei): unter diesem verwirrenden Namen verbirgt sich die Schwesterpartei der deutschen BüSo, die beide in der sogenannten LaRouche-Bewegung vereint sind. Die Inhalte sind im Wesentlichen die gleichen. Wirr ist auch sonst allerlei, was die Partei plant. Sie sagt seit jeher den Zusammenbruch des Finanzsystems voraus, was sich natürlich gut trifft, wenn es ausnahmsweise wirklich mal schwächelt. Die Wähler kamen in Scharen: 187 Stimmen gab es dafür und damit 104 mehr als letztes Mal.
  • Alexander’s Lista (Deppenapostroph beachten) und Li Yu Chen Anderssonpartiet haben zwei Dinge gemeinsam: sie haben 4 Stimmen erhalten und traten beide in Gävleborgs Län. Bei beiden ist der Name Programm – zumindest bei letzterer weiß man das. Die Li Yu Chen Anderssonpartiet hat wirklich nur einen Kandidaten: Li Yu Chen Andersson, 44 Jahre, Übersetzer. Alexander’s Lista hingegen stellt vermutlich auch nur den Alexander auf, aber deren Wahlzettel glänzt mit Leere.

Nun die unregistrierten Parteien:

  • Kalle Anka Partiet (Donald-Duck-Partei): Der Klassiker unter den satirischen Scherzparteien, die seit jeher für freie Alkoholausgabe und breitere Bürgersteige steht. 123 Stimmen gab es für dieses Programm, was obige Ergebnisse ziemlich relativiert.
  • Junilistan (Juniliste): 30 Stimmen gab es von ganz hartnäckigen Wählern für diese „EU-kritische“ (eher EU-feindliche) Partei, die 2004 mit 14,5 % der Stimmen in das Europaparlament einzog und fünf Jahre darauf mit 0,47 % wieder auszog.
  • Jesus Kristus (bzw. nur Jesus): 4 Wähler haben dem Heiland persönlich die Stimme gegeben. Soviel Hingabe ist löblich, aber mir scheint zweifelhaft, dass er die Wahl angenommen hätte.
  • Mig Själv (mich selbst): zwei Wähler trauen offenkundig nur einem Menschen in der Welt zu, die Geschicke Schwedens zu leiten.
  • Tomma Stolar (leere Stühle): diese zwei Wähler haben nicht mal zu sich selbst Vertrauen und wollen den Reichstag gleich ganz leer lassen.
  • Älska mer! (Liebe mehr!): diese positive Aufforderung brachten weitere zwei Wähler vor.

451 „Parteien“ wurden nur von einem Wähler gewählt. Viel ist purer Politikfrust und Verschwörungstheorie. Darunter sind aber auch Knaller wie „All makt åt kungen“ (Alle Macht dem König) oder „Jan Lennartssons röda byxparti“ (Jan Lennartssons Rote-Hosenpartei). Man kann die Daten hier als Excel-Datei herunterladen. Eigentlich schade, dass Deutschland kein so humoriges Wahlsystem hat. Bei so vielen Wählern käme da noch allerlei mehr lustiges Zeugs heraus.
Update (18:40 Uhr): Nun ist auch die Mandatverteilung fertig. Gegenüber der Wahlnacht haben sich kleinere Veränderungen ergeben. Obwohl die bürgerlichen Parteien auf 173 Sitze erhöhen konnten, fehlen natürlich immer noch zwei zur Mehrheit. Die Zentrumspartei hat nun 23 statt 22 Abgeordneten. Die Sozialdemokraten verlieren eben diesen Abgeordneten.

Insgesamt 59 Abgeordnete wurden per Direktwahl in den Reichstag gewählt. D.h. sie wurden auf dem Wahlzettel ihrer Partei von den Wählern so oft angekreuzt, dass dies mindestens 8% der Stimmen der jeweiligen Partei im jeweiligen Wahlkreis ausmachte. Allerdings wären viele von diesen direkt gewählten Kandidaten ohnehin in den Reichstag eingezogen – so auch Reinfeldt und Sahlin.

Die Zählerei ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Schließlich fanden zeitglich Wahlen für die Kommunen und die Län statt. Anscheinend machen die Zählhelfer erst einmal bei den Kommunen weiter. Dort sind derzeit aber erst knapp 2500 der 6063 Wahlkreise ausgezählt. Nur in Norrbotten, wo es naturgemäß nicht so viel zu zählen gibt, hat man schon mit der Auszählung der Wahlen im Län begonnen.

5K@EASD

Nicht viel los: schien zunächst ein sehr schwach besuchtes Event zu werden
Eines kann ich gleich vorab sagen: ich werde an diesem Lauf voraussichtlich nie wieder teilnehmen.

Nicht weil er zu teuer wäre. Er war nämlich kostenlos, ohne dass man einem Team beitreten musste, und das habe ich in 8 Jahren des Laufens eigentlich noch nie erlebt.

Ich werde deswegen nie mehr daran teilnehmen, weil dieser Lauf in Zusammenhang mit dem 46. jährlichen Meeting der European Association for the Study of Diabetes (EASD) stattfand. Da treffen sich also viele Leute, die sich auskennen, über die Krankheit und vor allem, was man dagegen tun kann. Ob Laufen dazu gehört, weiß ich nicht, aber schaden kann es vermutlich nicht. Jedenfalls findet diese Konferenz jedes Jahr an einem anderen Ort statt. Nächstes Jahr wird sie in Lissabon sein. Da würde ich nicht ungerne noch einmal hinfahren, aber nur wegen eines 5-km-Laufs bestimmt nicht.

Ziemlich leer

Außerdem war die Sache nur kostenlos für Konferenzteilnehmer und „Citizens of Stockholm“ – streng genommen bin ich beides nicht, aber ich habe das mal großzügig dahingehend interpretiert, dass ich ja immerhin Einwohner der Region Stockholm bin. Beschwert hat sich keiner.

Das hätte mich auch überrascht, denn das Geld für die Sache stammte einzig und allein von Novo Nordisk, einem großen Hersteller von Medikamenten für Diabetiker. Offenkundig kann man mit so etwas viel Geld verdienen, denn dieses Jahr veranstalten sie rund um die Welt ganze 6 derartige Läufe. Es ist anzunehmen, dass es darum ging, genügend Läufer zu haben, um Eindruck zu machen und entsprechende Fotos zu schießen. Woher die Läufer kommen, ist dabei vermutlich zweitrangig.

Füllte sich erst beim Aerobic - die Wiese beim Sjöhistoriska Museet

Die Zusammenhänge sind dabei klar: die Strecke ist mit der ersten Runde des Laufs Milspåret identisch. Mit anderen Worten: Novo Nordisk hat den Veranstalter der Milspåret, den Verein Spårvägens FK, damit beauftragt, nun eine verkleinerte Version jenes Laufs zu veranstalten und hat die Rechnung dafür übernommen. Die war nicht klein: jeder Teilnehmer erhielt ein T-Shirt, und die Ordner waren mit kleinen Utensilien wie Taschenlampen ausgestattet worden.
Dafür durfte der Schwedenchef des Sponsors auch nach dem mittlerweile üblichen Aerobic-Aufwärmgehampel etwas sagen. Da liefen aber alle schon zum Start. Immerhin warteten sie noch ein bisschen mit dem Start, was auch etwas ungewöhnlich ist, denn üblicherweise wird auf die Minute genau die geplante Startzeit eingehalten.

Mich hatte man per E-Mail geworben, wobei die Adressen vermutlich aus dem Pool der Anmeldungen der Milspåret geholt wurden. Und da er praktisch gelegen war und kostenlos, sagte ich nicht nein.

Ehrlich gesagt war ich anfangs etwas amüsiert, denn viel los schien nicht zu sein, und das hatte ich auch erwartet. Das Ganze lief ja außerhalb der üblichen Werbemaschinerie für Läufe, war brandneu, und die Strecke von 5 km ist in Schweden vergleichsweise unüblich.
Das hatte aber auch einen Vorteil, denn man konnte bei der Zeitmessung sparen – statt der heute üblichen Chipverfahren verwendete man ein Verfahren, bei dem von Hand die Zeit gestoppt werden und man dann anhand der Reihenfolge der Angekommen feststelle, welche Zeiten alle hatten. Sonderlich genau ist das nicht – zu meiner Überraschung war die offizielle Zeit mehrere Sekunden kürzer als meine selbstgemessene Zeit.

Schon besser

Laut der hatte ich nach 28:45 Minuten meinen Beitrag zu „changing diabetes“ (das ist der Slogan von Novo Nordisk) geleistet.

Wieviel wirklich los war, zeigte sich bei der Gepäckausgabe. Auf die durfte ich rund 15 Minuten warten – da war die Planung nicht ganz so gut. Es waren insgesamt 443 Läufer und 107 Walker, also insgesamt 550 Teilnehmer. Gar nicht mal schlecht für so ein Event. Anschließend gab es auch noch kostenlos Wasser (natürlich mit Logo von Novo Nordisk) und Bananen (ausnahmsweise ohne Logo).

Ich bin mit meiner Leistung sogar im mittleren Drittel, und es ist der erste Lauf dieses Jahres, den ich klar unter 6 Minuten pro Kilometer absolviert habe. Dummerweise ist ein Halbmarathon viermal so lang.

Nach der Wahl ist während der Auszählung

Das internationale Echo auf das vorgestrige Wahlergebnis war bemerkenswert. Aber, und daran habe ich auch nicht gedacht (aber dafür Thomas): die eigentliche Zählarbeit beginnt in Schweden erst am Montag. Das offizielle Endergebnis wird nach einer kompletten Neuzählung der Stimmen erstellt. Das vorläufige Wahlergebnis des Wahlabends ist nämlich bei weitem nicht komplett. Da man in Schweden nicht nur Parteilisten wählt, sondern auch einen einzelnen Kandidaten auf der Liste ankreuzen kann, müssen alle Stimmen genau erfasst werden. Überspringt der Kandidat dabei eine gewisse Hürde, kann er in das jeweilige Parlament einziehen, obwohl er einen zu schlechten Listenplatz hat. Hier kann man die Auszählung live verfolgen.

Ein Teil der Stimmen wird aber erst morgen in der sogenannten Onsdagsräkning (Mittwochsrechnung) gezählt.
Dort kommen Stimmen auf den Tisch, die über die Möglichkeit der vorzeitigen Wahl in fremden Wahllokalen abgegeben wurden. Diese Möglichkeit bestand bis zum Wahltag. Solche Stimmen kamen eventuell nicht mehr rechtzeitig zum Ziel und werden nachträglich gezählt. Weiterhin werden als ungültig gezählte Stimmen noch einmal angesehen und die Briefwahlstimmen aus dem Ausland – u.a. von 7213 in Deutschland lebenden Schweden – erst dann gerechnet. Rund 100.000 Stimmen warten also noch auf Behandlung.

Kann das noch etwas drehen? Ja, denn Auslandswähler wählen tendenziell bürgerlich (und wohl nur ganz selten Schwedendemokraten), und da die linke Seite nach aktuellem Stand bei der Mandatzuteilung etwas überbewertet ist, können rein rechnerisch schon 7108 Stimmen reichen, um doch noch eine Mehrheit zu erhalten. Letztes Mal erhielten die Bürgerlichen ein Plus von rund 6000 Stimmen auf diesem Weg. Vielleicht gibt es also eine Sensation.

Nicht nur das internationale, sondern auch das nationale Echo war übrigens bemerkenswert. Viele Schweden sind bestürzt über diesen Wahlausgang.

Der Umgang mit den Schwedendemokraten ist interessant. Eben sind mir diese beiden Beiträge von Nikke Lindqvist aufgefallen. Im ersten erwähnt er sein eigenes Projekt sverigedemokraterna.de vor, das die Politik der Partei beleuchtet und offenkundig darauf spekuliert, dass so mancher beim Tippen das S verfehlt und beim D landet. Jedenfalls hatte die Seite sehr viele Besucher, auch wenn sie den Wahlerfolg nicht verhindern konnte.

Weniger schön ist hingegen die Aktion sverigedemokrater.se, die ich nicht verlinke. Offenkundig wurde die Webseite der Partei gehackt und nun wird die dortige Personendatenbank frei im Internet verbreitet, auch über die genannte Seite. Dass es sich wirklich um das Mitgliederverzeichnis handelt, darf aber bezweifelt werden, denn da sind auch einige seltsame Datensätze dabei. Das ist natürlich eine Art von Mobbing, die ich nicht so sehr schätze. Nikke fand heraus, dass die Domain auf den Namen des Hackers Per Gottfrid Svartholm Warg ist. Dessen Mittäterschaft darf bezweifelt werden, denn ein Profi wäre wohl kaum so dämlich. Humorig ist hingegen, dass der Provider der Internetseite, PRQ, von Mikal Viborg geleitet wird, der juristischer Berater der Schwedendemokraten ist.

Ich bin mir nicht so sicher, ob die Schwedendemokratenwähler sich bewusst waren, was für Leute sie da gewählt haben. Vorraussichtlich wird beispielsweise der Parteisekretär Björn Söder im Reichstag sitzen, der die Färöer-Inseln für eine ideale Gesellschaft hält (weil man da auch mal Trachten trägt) und alle Kultursubventionen streichen bis auf die zum Erhalt des schwedischen Kulturerbes (Wikingerdörfer z.B. nach seinem Verständnis).
Ich hoffe, die Wähler haben aus Unwissenheit diesen Verein in den Reichstag gebracht.

Blue Monday

„Vad blir det? Rött eller blått?“, fragte der Kollege – was wird es? rot oder blau?

Blau natürlich – die Farbe der Moderaterna und damit der Regierungskoalition. Die Umfragen hatten im Wesentlichen recht und die Zeitungen überschlagen sich: zum ersten Mal ist es einem bürgerlichen Regierungschef gelungen, wiedergewählt zu werden. Das ist aber geschönt – Reinfeldts Leistung zeichnet sich nur dadurch aus, dass er es geschafft hat, die Regierung zusammenzuhalten. Die Bürgerlichen hatten nämlich schon in den 1970er Jahren zwei Wahlperioden in Folge die Mehrheit, und hätten sie sich nicht über die Kernkraft gezofft, wäre Thorbjörn Fälldin auch die direkte Wiederwahl gelungen.

Das eigentlich Historische: der Abstieg der Sozialdemokraten

Viel schwerer wiegt etwas anderes: den Sozialdemokraten ist es nicht gelungen, Wähler zurück zu gewinnen. Hier liegt die eigentliche historische Dimension. Über Jahrzehnte war es so, dass die Sozialdemokraten eine Art Staatspartei waren. Sie stellten im Normalfall die Regierung, und nur wenn die Wähler einmal richtig unzufrieden waren, übernahm vorübergehend die Konkurrenz die Macht. Diese Epoche schwedischer Politik endete gestern abend, vermutlich für immer. 30,9% – das letzte derart schlechte Ergebnis stammt vom März 1914, nicht einmal drei Jahre nach Einführung allgemeiner Wahlen.

Die Ursachen wird man noch eine Weile analysieren. Entgegen meinen Erwartungen deutete gestern einiges darauf hin, dass die Unbeliebtheit von Mona Sahlin, Vorsitzende der Sozialdemokraten, nicht der Hauptfaktor war. Ihr rot-rot-grünes Bündnis fiel beim Wähler wohl auch durch, weil eine tiefe Abneigung gegenüber der Linkspartei besteht. Aber auch die Inhalte zogen nicht. Alleine das bürgerliche Schreckgespenst an die Wand zu malen hat jahrzehntelang die Wähler bei der Stange gehalten, aber das schwedische Modell ist ebenso im Wandel begriffen wie der Rest der Welt. Die bürgerlichen Parteien haben gelernt, auf die Wähler zuzugehen. Nun ist es Zeit für die Sozialdemokraten, ebenso einen solchen Prozess zu starten.

Die Bündnisbildung hat noch zu einem weiteren, beklagenswerten Zustand geführt: obwohl sieben Parteien im Reichstag sind, gab es nur zwei Regierungsoptionen. Genau diese Absage an jegliche Flexibilität erzeugt nun einen Patt.

Internationaler Medienmagnet: die Schwedendemokraten

Denn mit den Schwedendemokraten ist eine fremdenfeindliche Partei in den Reichstag eingezogen. Nach dem vorläufigen Ergebnis liegen sie knapp vor den Linken und den Christdemokraten, was ihnen auch einen Sitz mehr beschert. Die internationale Presse hat sich auf diese Meldung mit Begeisterung gestürzt – wenig verwunderlich.

So spektakulär und überraschend ist das alles aber nicht. Ich erinnere mich noch vage an einen Artikel, den ich vor vier Jahren in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Studenten auf englisch schrieb. Da prophezeite ich, dass die so nett erscheinenden Schwedendemokraten – sie sind immer bestens angezogen und haben eine Blume als Symbol – noch lange nicht gestoppt sind und man sie erst nehmen müsse. Und wie es aussieht, hatte ich damit ziemlich recht. Einfach nur ignorieren und verabscheuen ist zu wenig.

Viel wird spekuliert werden über die Ursachen für den Erfolg. Ist es nur Protestwählertum gegen das Establishment? Die Umfragen zeigen v.a. eine Abwanderung von den beiden großen Parteien. Oder brennt den Leuten das Thema Einwanderung so unter den Nägeln? Wahrscheinlich ist es beides. Vor allem aber ist es eines nicht: ein Strohfeuer. Die Schwedendemokraten haben seit 1991 einen kontinuierlichen Aufstieg geschafft. Heute erreichen sie in 24 der 29 Reichstagswahlkreise mehr als 4% der Stimmen. Ihre Hochburgen haben sie nach wie vor in Skåne, aber sie sind kein regional begrenztes Phänomen. Das ist eine allgemein Stimmung in Teilen des Volkes, und damit sehr ernst zu nehmen.

Daher wäre es auch der größte Fehler aller anderen Parteien, zu versuchen, einfach an den Schwedendemokraten vorbeizuregieren. Nyamko Sabuni, die Integrationsministerin, sprach gestern von einer „missglückten Integration“. Das konterkariert natürlich deutlich Artikel wie diesen. Hier muss etwas geschehen.

Völlig unklar: wer wird Schweden künftig regieren?

Die Regierungsbildung ist in jedem Fall eine spannende Frage. Mona Sahlin, die Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat es schlau gemacht: die Niederlage eingestanden und Reinfeldt die Regierungsbildung überlassen. Die Wähler haben ihr schließlich klar gesagt, dass sie keinen Anspruch darauf hat, auch wenn die Sozialdemokraten gerade so noch stärkste Partei sind.

In Schweden ist es anscheinend so, dass der Regierungschef im Amt bleibt, bis er zurücktritt, stirbt oder vom Reichstag per Misstrauensvotum abgewählt wird. Reinfeldt wird also nicht zurücktreten, und die Abwahl wird nur mit Hilfe der Schwedendemokraten möglich sein, auf deren Hilfe die linke Opposition nicht angewiesen sein will.

Minderheitsregierungen haben eine lange Tradition in diesem Land, und sogar welche mit mehreren Parteien hat es gegeben. Man muss trotzdem Partner finden, mit denen man Mehrheiten erzielen kann. Beide Seiten haben schon vor der Wahl ausgeschlossen, dass dies die Schwedendemokraten sein können. Ein Abweichen davon könnte Reinfeldts Karriere innerhalb kürzester Zeit pulverisieren.

Also hat er schon gestern abend durchblicken lassen, er wolle mit den Grünen reden. Diese erteilte gleich eine Absage an diese Überlegungen. Sie würden gerne Gespräche mit allen Parteien haben.

Das kann nur Taktik sein. Es ist fast zu hoffen, dass die Grünen einfach an der Regierung beteiligt sein wollen und dafür die Blöcke aufbrechen wollen. Die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien, die in der letzten Wahlperiode viele Beobachter erstaunt hat, beruhte möglicherweise nur auf der klaren eigenen Mehrheit. Sie könnte schon bald bröckeln, wenn man einen Regierungskompromiss auch noch irgendjemandem in der Opposition schmackhaft machen muss.

Die Bildung einer neuen Regierung mit einer neuen Kombination von Regierungsparteien ist daher mehr als wünschenswert. Nur, ist das realistisch? Rein rechnerisch würde es schon genügen, die Zentrumspartei oder die Christdemokraten in die Opposition zu schicken und stattdessen die Grünen ins Boot zu holen. Doch es bliebe in jedem Fall eine Vier-Parteien-Koalition und würde viel Kompromissfindung erfordern, insbesondere im Bereich Kernkraft.

Eine Minderheitsregierung nur mit den Moderaterna vielleicht? Auch nicht unbedingt realistisch, denn sie sind nicht die größte Partei, und die derzeitigen Partner werden hierfür wohl kaum ihre schönen Pöstchen abgeben wollen.

Bleibt am Ende nur die Große Koalition – für die müssten aber beide Seiten über mächtig große Schatten springen, denn das gab es in der schwedischen Politik wirklich noch nie.

Mehr zur Wahl in deutschsprachigen Medien:

Valvaka

Ich habe soeben meine Bürgerpflicht erledigt und war wählen. Es war ausgesprochen viel los – ich dürfte 5 Minuten anstehen, und das wohlgemerkt im Bezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Meine bessere Hälfte werde ich mit etwas Süßem bestechen, damit sie später auch noch ins nahegelegene Wahllokal geht.

Nun gilt es nur noch abzuwarten. Eine traditionelle Beschäftigung am Wahlabend ist die sogenannte „Valvaka“, übersetzt „Wahlwache“. In Deutschland würde man es bei den Parteien wohl Wahlparty nennen, was natürlich eine sehr beschönigende Bezeichnung sein kann. In Schweden ist die Wahlbeobachtung am Abend etwas umfänglicher – zumindest wurde ich zweimal von Freunden darauf angesprochen, ob wir nicht zusammen Wahl eine Valvaka machen sollen.

Leider geht dies aus zeitlichen Gründen, und ich werde heute abend keine großartige Live-Berichterstattung machen können. Meine Valvaka findet hinter dem Steuer eines Busses statt, wo ich bestenfalls twittern kann. Daher verweise ich die geneigten Leser gerne an Thomas, der heute abend an allen aktuellen Ereignissen dranbleiben wird.

(K)eine Wahlempfehlung

Der Wahlkampf geht zu Ende. Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich mich nicht aktiv eingeklinkt, wenn man einmal von meinen Berichten hier absieht.

Der Grund ist simpel: ich bin froh, das nationale Wahlrecht nicht zu haben, denn hätte ich es, wäre ich mir nicht sicher, was ich wählen soll. Meine Sympathien sind klar verteilt, aber so einfach ist es nicht. Es geht um Inhalte. Auch wenn die Opposition den kommenden Sonntag fast zur Schicksalswahl stilisiert: sie ist es nicht. Schweden hat in den letzten Jahren allerlei Bereiche privatisiert. Das stört manche, aber für das Funktionieren des Gemeinwesens muss der Staat weder einen Wodkahersteller, noch eine Apothekenkette oder das schwedische TÜV-Pendant in seinem Besitz haben. Man hat einige (unnötige) Geschenke an Reiche gemacht wie die Steuerreduzierung für Haushaltsdienste und die Steuerdeckelung auf Häuser. Und einige von allgemeinem Nutzen, die aber auch nicht zwingend nötig gewesen wären: ein Steuernachlass für Handwerkerarbeiten (zur Wirtschaftsankurbelung) und eine allgemeine Lohnsteuersenkung.

Gerade hier schaue ich skeptisch in beide Richtungen. Ein Pfeiler der Überlegenheit des schwedischen Steuersystems ist für mich dessen Einfachheit. Gerade diese untergräbt man aber weiter durch Gewährung von weiteren Steuerausnahmen für entsprechende Gruppen, wie sie beide Seiten in verschiedenen Varianten vorhaben. Solche Detailregelungen für irgendwelche Partikularinteressen haben das deutsche System zu dem unüberschaubaren Monstrum gemacht, das es heute ist. Nicht gut.

In anderen Bereichen ist der Fall klarer. So gefällt mir der Ansatz der Regierung, Schülern beim Abi etwas mehr abzuverlangen als nur höheres Grundschulniveau, ausgesprochen gut. In Verkehrs- und Umweltpolitik traue ich hingegen der Opposition mehr zu.

Alles in allem hat die Regierung ziemlich genau das gemacht, was sie vorher angekündigt hatte. Schweden hat es überlebt, und gar nicht mal schlecht. Egal welche Seite gewinnt: Schweden wird daran nicht zugrunde gehen.

Das haben auch die meisten Wähler verstanden. Für einen Regierungswechsel und eine echte Wechselstimmung braucht es im Grunde drei Dinge: zum Ersten eine unbeliebte Regierung, zum Zweiten eine attraktive Oppositionstruppe und zum Dritten richtungsweisende Themen. Alles drei ist nicht vorhanden, und so wundert es nicht, dass die Regierung in den Umfragen vorne liegt. Und ich mache keinen Hehl daraus: damit habe ich nicht das geringste Problem. Womit ich aber ein Problem hätte, wäre ein Einzug der rechtspopulistischen Schwedendemokraten und – noch schlimmer – ein Patt zwischen den Blöcken. In dem Fall könnte keine stabile Regierung gebildet werden. Eine sichere Mehrheit ist mir in jedem Fall zehnmal lieber als dieses Szenario.

In der regionalen und lokalen Wahl habe ich Wahlrecht und glücklicherweise weniger Bedenken. Dass ich mit Börge Hellström gerne einen Vertreter meines Wohnbezirks in den Gemeinderat schicken würde, habe ich hier schon kundgetan.

Aber auch regional werde ich Sozialdemokraten wählen. Warum? Weil mir die Nahverkehrsprojekte der Sozialdemokraten mehr zusagen als die der bürgerlichen Regierung – nicht viel, aber ein bisschen. Zudem ist mit einem Sieg der linken Parteien ohnehin nicht zu rechnen – es gilt also, sie zumindest stark zu machen. Die entscheidende Frage des regionalen Verkehrs, die Umgehungsstraße um Stockholm, wollen die linken Parteien zwar fahrlässigerweise einem Bürgerentscheid stellen, aber da dies eigentlich nicht in der regionalen Zuständigkeit liegt, wird das Projekt eher bei einem nationalen Regierungswechsel gestoppt werden als bei einem regionalen.

Blickt man auf die Personen, dann ist der Fall relativ klar. Mona Sahlin hat allem Anschein nach nicht einmal in der eigenen Partei viel Rückhalt, und das ist ein erheblicher Grund dafür, dass ihr rot-grünes Bündnis nicht so recht in Fahrt kommt. Gut möglich, dass ihre Karriere nächste Woche schon beendet ist.

Spannung verspricht der Sonntagabend trotzdem – um 20 Uhr werden die Wahllokale geschlossen, und bei eventuell knappen Verhältnissen kann es lange dauern, bis man mehr weiß.

Einen tiefen Einblick und eine gute Analyse findet man hier von Albrecht Breitschuh, dem ARD-Korrespondent in Schweden.

Im Spiegel findet man diesen Artikel von Anna Reimann. Wieso man immer vom „liberalen“ Schweden spricht, ist mir ein Rätsel. Die Niederlande sind für meine Begriffe ein liberales Land. In Schweden konnte man bis vor einiger Zeit noch nicht einmal frei wählen, welchen Arzt man besucht. Sicherlich gibt es liberale Politikbereiche, z.B. die Einführung der Homo-Ehe, aber Schweden als Musterbeispiel von Liberalität zu sehen fällt mir schwer. Ein Fehler ist mir jedenfalls aufgefallen: die Angabe, dass die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit 1917 nicht stärkste Partei werden, stimmt nicht so ganz. 1917 war das erste Mal, dass sie stärkste Partei wurden.

Die kleine Plakateschau (6): Die Vandalen kommen (von links)

Am Ende der Schau kommt das Ende der Plakate. Die Vandalen haben es über die Jahre nicht einfach – seit ihr Reich vor rund 1500 Jahren den Bach hinunterging, kreidet man ihnen allerlei Beschädigungen im öfentlichen Raum an.

In diesem Fall hier kann man die Schuldigen aber erahnen.

Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen - Schwedens einzige Arbeiterpartei
Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen - Schwedens einzige Arbeiterpartei

Die Hitlerbärte finden sich in der ganzen Stadt. Da muss jemand also viel Zeit aufgewendet haben. Außerdem wurden ausschließlich Plakate der bürgerlichen Koalition beschädigt.

Stockholms Finanzbürgermeister (und damit eigentlicher Bürgermeister) Sten Nordin

Solche Aufkleber finden sich auch vielerorts, und nicht wenige davon nennen auch Namen: Die Ungsocialisterna, also die Jugendorganisation „Jungsozialisten“, die aber in Schweden nicht etwa den Sozialdemokraten oder der Linkspartei zuzuordnen sind, sondern der weitaus linkeren und radikaleren Splittergruppe „Sozialistische Partei“, ihres Zeichens Mitglied der Vierten Internationale und trotzkistisch ausgerichtet.

Nun muss das eine mit dem anderen nichts zu tun haben – aber angesichts der Auswahl der beschädigten Plakate ist klar, was die Intention war. Hitlerbärte anzumalen zeugt in jedem Fall von wenig Demokratieverständnis. Es ist einfach nur Idiotie, anzunehmen, man könne damit auch nur eine einzige Stimme gewinnen. Mittlerweile wurden auch zahlreiche Plakate erneuert.

Es gibt aber auch ein bisschen intelligenteren Vadndalismus, z.B. den hier.

Kannst du dir einen rot-grünen Wahlsieg leisten? Absolut!

Nur folgende Anweisung sollte man nicht befolgen.

Wähle nicht!
Wähle nicht!

Jonathan Safran Foer – Tiere essen (Eating Animals)

Selten folge ich aktuellen Buchtrends. Noch seltener lese ich ein Buch schnell durch. Dieses ist in beider Hinsicht eine Ausnahme.

Ich vertrete schon seit längerem die Ansicht, dass Fleisch in der allgemeinen Ernährung zu gewöhnlich geworden ist, während jahrhunderte-, wenn nicht gar jahrtausendelang Fleisch als etwas besonderes galt, das auch nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch kam. Diese Wertschätzung ist verloren gegangen. Das ist kulturell ein Verlust, aber hat eine weit größere Tragweite. Ich selbst habe den Schluss gezogen, zuhause zu vegetarischer Ernährung zu tendieren, oder simpler gesagt, beim Einkauf einfach kein Fleisch mehr mitzunehmen.

Foer macht keinen Hehl daraus, dass er lange Zeit und immer mal wieder Vegetarier war (und ist). Was sein Buch aber angenehm abhebt, ist, dass ihm dieser weltverbesserischer Eifer fehlt, der jedem Fleischesser die ganzen Peta-Aktivisten und auch schon viele handelsübliche Vegetarier höchst suspekt macht. Ein solcher führt nämlich eher dazu, dass die Argumentation auf der Schiene verläuft, dass Vegetarier (und noch mehr Veganer) in jeder Hinsicht die besser lebenden (und damit wohl auch besseren) Menschen seien und sich jeder, der ein Schnitzel anguckt, gefälligst unheimlich schlecht vorkommen muss.

Das Buch beschäftigt sich aber nicht nur mit Betrachtungen dieser Art, sondern vielmehr mit einer Darstellung der Industrie, die uns tagtäglich mit dem Essen auf unseren Tellern versorgt. Es ist trotzdem ein Panoptikum des Grauens geworden. Überzüchtete eingeklemmte Tiere, die in Massen krepieren – das volle Programm. Ich kaufe ihm diese Darstellung weitestgehend ab. Das Buch scheint nämlich sehr gut recherchiert zu sein. Mir ist nur ein Fehler aufgefallen: an einer Stelle heißt es, Vegetarier lebten im Schnitt länger (weil gesünder). Dies beruht anscheinend auf einer Misinterpretation der Daten.

Er spricht aber auch von den Alternativen, die (in den USA zumindest) beinahe verschwunden sind: Bauern, die ihren Tieren ein schönes Leben bereiten und dafür sorgen, dass sie bei der Schlachtung schnell und schmerzlos sterben. Er spricht aber auch ganz offen über das Dilemma, das hierbei entsteht: weder kann man die unglaublichen Fleischmengen, die in Europa und Nordamerika verzehrt werden, auf diese Art herstellen, noch ist dies zu dem Preis möglich, den wir mittlerweile gewohnt sind. Das Buch ist sehr US-zentriert, denn für den Markt wurde es natürlich auch geschrieben. Dort hat industrielle Fleischproduktion einen Markteinteil von rund 99%. Es fällt schwer, zu glauben, dass die gleichen horrorartigen Zustand auch in Europa den Markt so dominieren. Ich glaube es ehrlich gesagt auch nicht so ganz – zumindest in Deutschland kann konstatiert werden, dass der Familienbauernhof (noch) keine Randerscheinung ist. Meldungen wie diese hier, wo 4000 Hühnern beim Transport die Flügel gebrochen wurden, finden ihren Weg in die Medien – bei Foer sind sie der Normalzustand und damit wohl kaum noch berichtenswert.

Dennoch darf man sich keine Illusionen machen: unser idyllisches Bild vom Bauernhof ist ein Wunschtraum. Hier geht es um knallharten Kapitalismus, der nur in staatlicher Kontrolle seine Grenzen findet. Ein Blick ins aktuelle Prospekt von real zeigt mir, dass selbst bestes Schweinefleisch nur 5,55 € pro Kilo kostet. In Schweden ist der Preis wohl etwas höher. Da muss man sich schon fragen, ob diese Tiere gut zu Essen bekamen, Freilauf und ein einigermaßen langes Leben hatten, wenn am Schluss ein Kilo von ihnen 5,55 € kostet. Ist dies zu so einem Preis möglich?

Selbst wenn es so ist: es ist den Menschen egal, und das ist das eigentlich beklemmende an dem Buch. Jeder setzt sich intensiv damit auseinander, wie man aus guten Zutaten gutes Essen macht. Keiner will aber wissen, wo dieses Essen herkommt – nicht aus Desinteresse, sondern eher aus bewusst gewählter Ignoranz. Es ist ein nicht wissen wollen aus der Befürchtung, etwas zu erfahren. Wir wollen, dass die Spielzeuge unserer Kinder frei von Schadstoffen sind und veranstalten einen Riesenterz um letztendlich harmlose Arzneien. Wie aber das Zeug produziert wird, das viele von uns jede Woche kiloweise in sich hineinschaufeln, wollen wir nicht wissen. Wir besuchen Autofabriken, aber keine Schlachtereien. Man kann es einem nicht verdenken – ich will das auch nicht sehen.

Solange uns aber Missstände in Autofabriken mehr interessieren als Missstände in Schlachtereien, kann kein politischer Druck entstehen. In der Hinsicht haben sich in Europa die Grünen und allerlei Verbände große Verdienste erwiesen, hier vorangegangen zu sein, auch wenn es keine populäre Position war.

Ich habe die letzten Wochen auch dazu genutzt, im Freundes- und Bekanntenkreis das Thema etwas zu diskutieren. Angesichts dessen, dass das Angebot vegetarischer Alternativen ein Standard geworden ist, scheint die Skepsis erstaunlich tief verankert zu sein. Es ist ein heißes Thema, schon weil es vielen nicht einmal als diskutierenswürdig erscheint. Vegetarische Ernährung wird oft als Notlösung gesehen, nicht als Alternative. Es scheint sogar überraschend zu sein, dass ein vegetarisches Gericht schmecken kann – auch wenn es freilich nicht muss. Fleischverzehr wird als essentiell angesehen – etwas, auf das man bei einer abgerundeten Ernährung gar nicht verzichten kann. Das ist so natürlich nicht richtig. Es ist eher ein Tribut an die Bequemlichkeit, eine Mischung aus sozialer Konvention, dem verlockenden Geschmack und schlichter Gewohnheit. Schon alleine den Gedanken zu formulieren, eine auch nur vorwiegend vegetarische Ernährung, erzeugt Reaktionen, als habe man gerade verkündet, man wolle morgen mit einem Schlauchboot Walfangschiffe stürmen. Glühbirnen auszutauschen gegen den Klimawandel ist für jeden eine Option, aber den Bedarf für die unheimliche aufwändige Tierhaltung zu reduzieren nicht. Hier greift auch das klassische Ich-als-einzelner-kann-sowieso-nichts-tun-Argument, was natürlich einen Stillstand zementiert.
Auch einen Blick auf die Speisekarten habe ich in letzter Zeit geworfen. Man kann froh sein, wenn 10% der angebotenen Gerichte vegetarisch sind. Die Marktmacht der Vegetarier drückt sich anscheinend eher in der Bildung von Parallelstrukturen aus – kein vielversprechender Weg, einen allgemeinen Wandel zu stützen.

Ich stimme in bestimmten Schlussfolgerungen nicht mit Foer überein. Er weist gegen Ende darauf hin, dass man in seinen Ausführungen eine Aufforderung sehen sollte, nicht weniger, sondern gar kein Industriefleisch zu essen. An diesem Punkt fällt er aber auch in die weltverbesserische Rhetorik, die, wie oben erwähnt, nicht typisch für ihn ist. Dass nur eine Änderung eintreten könne, wenn man ganz diesem Fleisch abschwört, ist etwas naiv. Wer nach dem ganzen Kuchen schreit, wird nachher kaum mehr als Krümel kriegen. Jedes verkaufte Kilo Fleisch, das nicht aus dieser Quelle stammt, bewegt die Marktverhältnisse und zwingt letzten Endes alle Marktakteure, auf die veränderten Kundenprioritäten zu reagieren.

Deswegen fühle ich mich im Grunde nur umso mehr in meiner Haltung bestätigt: die Ignoranz ist eher das Problem als der Fleischverzehr an sich. Wenn Fleisch die Ausnahme anstatt der Regel ist, wenn man bewusst einkauft anstatt nur das billigste im Regal zu nehmen, wenn man höhere Standards in den Bauern- und Schlachthöfen von der Politik verlangt und dafür gerne auch mehr Geld auf den Tisch zu legen, dann ist schon viel gewonnen.

Die kleine Plakateschau (5): Moderaterna

Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich im Endspurt des Wahlkampfs bei meiner Rundschau über die Wahlplakate nicht auch noch bei der Hauptregierungspartei vorbeischauen würden: die Moderaterna.
Wer es nicht ahnen kann: das heißt „die Moderaten“. Moderat waren sie nicht immer, denn früher hieß Högerpartiet, also Rechtspartei (im Sinne der Richtung rechts). Nachdem sie anscheinend nachhaltig gescheitert sind, Schweden das Konservative schmackhaft zu machen, haben sie den Spieß umgedreht. Stattdessen stellen sie sich jetzt allen Ernstes als „Arbeiterpartei“ dar.

Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen

Wie beispielsweise auf diesem Plakat hier. Schweden hat keine sonderlich hohe Arbeitslosigkeit (wenn man mal von der Jugend absieht), aber irgendwie ist das zum Wahlkampfthema geworden. Die Masche mit der Arbeiterpartei wurde freilich schon vor vier Jahren in ähnlicher Form aufgefahren. Man fühlt sich an Jürgen Rüttgers erinnert.

Das Ziel ist nämlich das gleiche: den Sozialdemokraten, die die Arbeiterpartei sogar noch im Namen tragen, das Recht abzusprechen, diese Gruppe zu vertreten. Soziologisch ist das bestimmt interessant, denn den Arbeitern fühlen sich bestimmt viele „einfache Leute“ nahe, obwohl Schweden mittlerweile längste eine Nation von Dienstleistern geworden ist, wo der klassische Arbeiter bestimmt nicht mehr so oft vorkommt. Insofern ist das auch albern.

Umgehung Stockholm - Ja/Nein

Genau das trifft auch ein bisschen auf diesen Teil der Kampagne zu. Parteizugehörigkeiten werden in Schweden mit Kürzeln in Klammern bezeichnet. (S) für Sozialdemokraten, (M) für die Moderaterna. So ist die Symbolik klar, jedoch gibt es einen Knackpunkt: hier soll der Eindruck erweckt werden, es sei ein Stockholmer Thema. Ist es aber nicht – die Umgehungsstraße (Förbifart) um Stockholm liegt in der Zuständigkeit des Reichstags. Das ist die Gefahr bei so einer großen Wahl: was eigentlich in welche Schublade gehört, ist eigentlich egal, denn es entscheidet sich sowieso an einem Tag, und dass jemand verschiedene Parteien an einem Tag wählt, ist eher unwahrscheinlich.

Die blaue Gestaltung der Plakate weiter oben ist übrigens auch das Hauptmotiv. Diese gibt es in tausenden Varianten mit der jeweils lokal relevanten Version.

Macht Humlan für Teenager zugänglich und sicher

Dieses hier ist z.B. für die Innenstadt. Bei uns hier draußen versprechen sie die Unterstützung der wunderbaren Wirtschaft.

Gemeinsam machen wir Schweden zu einem Erfolgsland

Aber auch Gesichter gibt es zu sehen. Obiges Plakat dürfte das häufigste sein: Ministerpräsident Reinfeldt locker und leger. Bei dem Slogan stellt sich natürlich die Frage, wieso es in den letzten vier Jahren nicht gelungen ist, Schweden zu einem Erfolgsland zu machen.

Vielmehr frage ich mich, ob es System hat, dass viele der Fotos auf den Plakaten so aussehen wie ein Familienfoto: so, jetzt stell dich mal dahin. Das wirkt alles sehr improvisiert. Auf mich machen da die stilvollen sozialdemokratischen Plakate in Schwarz-Weiß mehr Eindruck. Diese sind größtenteils im Studio entstanden, und das sieht man auch. Neuerdings haben sie sogar Farbe – um Mona Sahlin herum stehen Jugendliche mit Boxhandschuhen in rot und weiß. Sehr seltsam, wenn man mich fragt.

Fazit? Schwer zu sagen – die moderate Kampagne versucht, Inhalte auf sehr, nun ja, plakative Weise zu verkaufen. Im Gegensatz zu manchen ihrer kleineren Koalitionsparteien haben sie sich hingegen für Inhalt entschieden. Im Stil können sie aber nicht voll überzeugen.