Blue Monday

„Vad blir det? Rött eller blått?“, fragte der Kollege – was wird es? rot oder blau?

Blau natürlich – die Farbe der Moderaterna und damit der Regierungskoalition. Die Umfragen hatten im Wesentlichen recht und die Zeitungen überschlagen sich: zum ersten Mal ist es einem bürgerlichen Regierungschef gelungen, wiedergewählt zu werden. Das ist aber geschönt – Reinfeldts Leistung zeichnet sich nur dadurch aus, dass er es geschafft hat, die Regierung zusammenzuhalten. Die Bürgerlichen hatten nämlich schon in den 1970er Jahren zwei Wahlperioden in Folge die Mehrheit, und hätten sie sich nicht über die Kernkraft gezofft, wäre Thorbjörn Fälldin auch die direkte Wiederwahl gelungen.

Das eigentlich Historische: der Abstieg der Sozialdemokraten

Viel schwerer wiegt etwas anderes: den Sozialdemokraten ist es nicht gelungen, Wähler zurück zu gewinnen. Hier liegt die eigentliche historische Dimension. Über Jahrzehnte war es so, dass die Sozialdemokraten eine Art Staatspartei waren. Sie stellten im Normalfall die Regierung, und nur wenn die Wähler einmal richtig unzufrieden waren, übernahm vorübergehend die Konkurrenz die Macht. Diese Epoche schwedischer Politik endete gestern abend, vermutlich für immer. 30,9% – das letzte derart schlechte Ergebnis stammt vom März 1914, nicht einmal drei Jahre nach Einführung allgemeiner Wahlen.

Die Ursachen wird man noch eine Weile analysieren. Entgegen meinen Erwartungen deutete gestern einiges darauf hin, dass die Unbeliebtheit von Mona Sahlin, Vorsitzende der Sozialdemokraten, nicht der Hauptfaktor war. Ihr rot-rot-grünes Bündnis fiel beim Wähler wohl auch durch, weil eine tiefe Abneigung gegenüber der Linkspartei besteht. Aber auch die Inhalte zogen nicht. Alleine das bürgerliche Schreckgespenst an die Wand zu malen hat jahrzehntelang die Wähler bei der Stange gehalten, aber das schwedische Modell ist ebenso im Wandel begriffen wie der Rest der Welt. Die bürgerlichen Parteien haben gelernt, auf die Wähler zuzugehen. Nun ist es Zeit für die Sozialdemokraten, ebenso einen solchen Prozess zu starten.

Die Bündnisbildung hat noch zu einem weiteren, beklagenswerten Zustand geführt: obwohl sieben Parteien im Reichstag sind, gab es nur zwei Regierungsoptionen. Genau diese Absage an jegliche Flexibilität erzeugt nun einen Patt.

Internationaler Medienmagnet: die Schwedendemokraten

Denn mit den Schwedendemokraten ist eine fremdenfeindliche Partei in den Reichstag eingezogen. Nach dem vorläufigen Ergebnis liegen sie knapp vor den Linken und den Christdemokraten, was ihnen auch einen Sitz mehr beschert. Die internationale Presse hat sich auf diese Meldung mit Begeisterung gestürzt – wenig verwunderlich.

So spektakulär und überraschend ist das alles aber nicht. Ich erinnere mich noch vage an einen Artikel, den ich vor vier Jahren in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Studenten auf englisch schrieb. Da prophezeite ich, dass die so nett erscheinenden Schwedendemokraten – sie sind immer bestens angezogen und haben eine Blume als Symbol – noch lange nicht gestoppt sind und man sie erst nehmen müsse. Und wie es aussieht, hatte ich damit ziemlich recht. Einfach nur ignorieren und verabscheuen ist zu wenig.

Viel wird spekuliert werden über die Ursachen für den Erfolg. Ist es nur Protestwählertum gegen das Establishment? Die Umfragen zeigen v.a. eine Abwanderung von den beiden großen Parteien. Oder brennt den Leuten das Thema Einwanderung so unter den Nägeln? Wahrscheinlich ist es beides. Vor allem aber ist es eines nicht: ein Strohfeuer. Die Schwedendemokraten haben seit 1991 einen kontinuierlichen Aufstieg geschafft. Heute erreichen sie in 24 der 29 Reichstagswahlkreise mehr als 4% der Stimmen. Ihre Hochburgen haben sie nach wie vor in Skåne, aber sie sind kein regional begrenztes Phänomen. Das ist eine allgemein Stimmung in Teilen des Volkes, und damit sehr ernst zu nehmen.

Daher wäre es auch der größte Fehler aller anderen Parteien, zu versuchen, einfach an den Schwedendemokraten vorbeizuregieren. Nyamko Sabuni, die Integrationsministerin, sprach gestern von einer „missglückten Integration“. Das konterkariert natürlich deutlich Artikel wie diesen. Hier muss etwas geschehen.

Völlig unklar: wer wird Schweden künftig regieren?

Die Regierungsbildung ist in jedem Fall eine spannende Frage. Mona Sahlin, die Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat es schlau gemacht: die Niederlage eingestanden und Reinfeldt die Regierungsbildung überlassen. Die Wähler haben ihr schließlich klar gesagt, dass sie keinen Anspruch darauf hat, auch wenn die Sozialdemokraten gerade so noch stärkste Partei sind.

In Schweden ist es anscheinend so, dass der Regierungschef im Amt bleibt, bis er zurücktritt, stirbt oder vom Reichstag per Misstrauensvotum abgewählt wird. Reinfeldt wird also nicht zurücktreten, und die Abwahl wird nur mit Hilfe der Schwedendemokraten möglich sein, auf deren Hilfe die linke Opposition nicht angewiesen sein will.

Minderheitsregierungen haben eine lange Tradition in diesem Land, und sogar welche mit mehreren Parteien hat es gegeben. Man muss trotzdem Partner finden, mit denen man Mehrheiten erzielen kann. Beide Seiten haben schon vor der Wahl ausgeschlossen, dass dies die Schwedendemokraten sein können. Ein Abweichen davon könnte Reinfeldts Karriere innerhalb kürzester Zeit pulverisieren.

Also hat er schon gestern abend durchblicken lassen, er wolle mit den Grünen reden. Diese erteilte gleich eine Absage an diese Überlegungen. Sie würden gerne Gespräche mit allen Parteien haben.

Das kann nur Taktik sein. Es ist fast zu hoffen, dass die Grünen einfach an der Regierung beteiligt sein wollen und dafür die Blöcke aufbrechen wollen. Die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien, die in der letzten Wahlperiode viele Beobachter erstaunt hat, beruhte möglicherweise nur auf der klaren eigenen Mehrheit. Sie könnte schon bald bröckeln, wenn man einen Regierungskompromiss auch noch irgendjemandem in der Opposition schmackhaft machen muss.

Die Bildung einer neuen Regierung mit einer neuen Kombination von Regierungsparteien ist daher mehr als wünschenswert. Nur, ist das realistisch? Rein rechnerisch würde es schon genügen, die Zentrumspartei oder die Christdemokraten in die Opposition zu schicken und stattdessen die Grünen ins Boot zu holen. Doch es bliebe in jedem Fall eine Vier-Parteien-Koalition und würde viel Kompromissfindung erfordern, insbesondere im Bereich Kernkraft.

Eine Minderheitsregierung nur mit den Moderaterna vielleicht? Auch nicht unbedingt realistisch, denn sie sind nicht die größte Partei, und die derzeitigen Partner werden hierfür wohl kaum ihre schönen Pöstchen abgeben wollen.

Bleibt am Ende nur die Große Koalition – für die müssten aber beide Seiten über mächtig große Schatten springen, denn das gab es in der schwedischen Politik wirklich noch nie.

Mehr zur Wahl in deutschsprachigen Medien:

(K)eine Wahlempfehlung

Der Wahlkampf geht zu Ende. Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich mich nicht aktiv eingeklinkt, wenn man einmal von meinen Berichten hier absieht.

Der Grund ist simpel: ich bin froh, das nationale Wahlrecht nicht zu haben, denn hätte ich es, wäre ich mir nicht sicher, was ich wählen soll. Meine Sympathien sind klar verteilt, aber so einfach ist es nicht. Es geht um Inhalte. Auch wenn die Opposition den kommenden Sonntag fast zur Schicksalswahl stilisiert: sie ist es nicht. Schweden hat in den letzten Jahren allerlei Bereiche privatisiert. Das stört manche, aber für das Funktionieren des Gemeinwesens muss der Staat weder einen Wodkahersteller, noch eine Apothekenkette oder das schwedische TÜV-Pendant in seinem Besitz haben. Man hat einige (unnötige) Geschenke an Reiche gemacht wie die Steuerreduzierung für Haushaltsdienste und die Steuerdeckelung auf Häuser. Und einige von allgemeinem Nutzen, die aber auch nicht zwingend nötig gewesen wären: ein Steuernachlass für Handwerkerarbeiten (zur Wirtschaftsankurbelung) und eine allgemeine Lohnsteuersenkung.

Gerade hier schaue ich skeptisch in beide Richtungen. Ein Pfeiler der Überlegenheit des schwedischen Steuersystems ist für mich dessen Einfachheit. Gerade diese untergräbt man aber weiter durch Gewährung von weiteren Steuerausnahmen für entsprechende Gruppen, wie sie beide Seiten in verschiedenen Varianten vorhaben. Solche Detailregelungen für irgendwelche Partikularinteressen haben das deutsche System zu dem unüberschaubaren Monstrum gemacht, das es heute ist. Nicht gut.

In anderen Bereichen ist der Fall klarer. So gefällt mir der Ansatz der Regierung, Schülern beim Abi etwas mehr abzuverlangen als nur höheres Grundschulniveau, ausgesprochen gut. In Verkehrs- und Umweltpolitik traue ich hingegen der Opposition mehr zu.

Alles in allem hat die Regierung ziemlich genau das gemacht, was sie vorher angekündigt hatte. Schweden hat es überlebt, und gar nicht mal schlecht. Egal welche Seite gewinnt: Schweden wird daran nicht zugrunde gehen.

Das haben auch die meisten Wähler verstanden. Für einen Regierungswechsel und eine echte Wechselstimmung braucht es im Grunde drei Dinge: zum Ersten eine unbeliebte Regierung, zum Zweiten eine attraktive Oppositionstruppe und zum Dritten richtungsweisende Themen. Alles drei ist nicht vorhanden, und so wundert es nicht, dass die Regierung in den Umfragen vorne liegt. Und ich mache keinen Hehl daraus: damit habe ich nicht das geringste Problem. Womit ich aber ein Problem hätte, wäre ein Einzug der rechtspopulistischen Schwedendemokraten und – noch schlimmer – ein Patt zwischen den Blöcken. In dem Fall könnte keine stabile Regierung gebildet werden. Eine sichere Mehrheit ist mir in jedem Fall zehnmal lieber als dieses Szenario.

In der regionalen und lokalen Wahl habe ich Wahlrecht und glücklicherweise weniger Bedenken. Dass ich mit Börge Hellström gerne einen Vertreter meines Wohnbezirks in den Gemeinderat schicken würde, habe ich hier schon kundgetan.

Aber auch regional werde ich Sozialdemokraten wählen. Warum? Weil mir die Nahverkehrsprojekte der Sozialdemokraten mehr zusagen als die der bürgerlichen Regierung – nicht viel, aber ein bisschen. Zudem ist mit einem Sieg der linken Parteien ohnehin nicht zu rechnen – es gilt also, sie zumindest stark zu machen. Die entscheidende Frage des regionalen Verkehrs, die Umgehungsstraße um Stockholm, wollen die linken Parteien zwar fahrlässigerweise einem Bürgerentscheid stellen, aber da dies eigentlich nicht in der regionalen Zuständigkeit liegt, wird das Projekt eher bei einem nationalen Regierungswechsel gestoppt werden als bei einem regionalen.

Blickt man auf die Personen, dann ist der Fall relativ klar. Mona Sahlin hat allem Anschein nach nicht einmal in der eigenen Partei viel Rückhalt, und das ist ein erheblicher Grund dafür, dass ihr rot-grünes Bündnis nicht so recht in Fahrt kommt. Gut möglich, dass ihre Karriere nächste Woche schon beendet ist.

Spannung verspricht der Sonntagabend trotzdem – um 20 Uhr werden die Wahllokale geschlossen, und bei eventuell knappen Verhältnissen kann es lange dauern, bis man mehr weiß.

Einen tiefen Einblick und eine gute Analyse findet man hier von Albrecht Breitschuh, dem ARD-Korrespondent in Schweden.

Im Spiegel findet man diesen Artikel von Anna Reimann. Wieso man immer vom „liberalen“ Schweden spricht, ist mir ein Rätsel. Die Niederlande sind für meine Begriffe ein liberales Land. In Schweden konnte man bis vor einiger Zeit noch nicht einmal frei wählen, welchen Arzt man besucht. Sicherlich gibt es liberale Politikbereiche, z.B. die Einführung der Homo-Ehe, aber Schweden als Musterbeispiel von Liberalität zu sehen fällt mir schwer. Ein Fehler ist mir jedenfalls aufgefallen: die Angabe, dass die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit 1917 nicht stärkste Partei werden, stimmt nicht so ganz. 1917 war das erste Mal, dass sie stärkste Partei wurden.

Die kleine Plakateschau (5): Moderaterna

Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich im Endspurt des Wahlkampfs bei meiner Rundschau über die Wahlplakate nicht auch noch bei der Hauptregierungspartei vorbeischauen würden: die Moderaterna.
Wer es nicht ahnen kann: das heißt „die Moderaten“. Moderat waren sie nicht immer, denn früher hieß Högerpartiet, also Rechtspartei (im Sinne der Richtung rechts). Nachdem sie anscheinend nachhaltig gescheitert sind, Schweden das Konservative schmackhaft zu machen, haben sie den Spieß umgedreht. Stattdessen stellen sie sich jetzt allen Ernstes als „Arbeiterpartei“ dar.

Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen

Wie beispielsweise auf diesem Plakat hier. Schweden hat keine sonderlich hohe Arbeitslosigkeit (wenn man mal von der Jugend absieht), aber irgendwie ist das zum Wahlkampfthema geworden. Die Masche mit der Arbeiterpartei wurde freilich schon vor vier Jahren in ähnlicher Form aufgefahren. Man fühlt sich an Jürgen Rüttgers erinnert.

Das Ziel ist nämlich das gleiche: den Sozialdemokraten, die die Arbeiterpartei sogar noch im Namen tragen, das Recht abzusprechen, diese Gruppe zu vertreten. Soziologisch ist das bestimmt interessant, denn den Arbeitern fühlen sich bestimmt viele „einfache Leute“ nahe, obwohl Schweden mittlerweile längste eine Nation von Dienstleistern geworden ist, wo der klassische Arbeiter bestimmt nicht mehr so oft vorkommt. Insofern ist das auch albern.

Umgehung Stockholm - Ja/Nein

Genau das trifft auch ein bisschen auf diesen Teil der Kampagne zu. Parteizugehörigkeiten werden in Schweden mit Kürzeln in Klammern bezeichnet. (S) für Sozialdemokraten, (M) für die Moderaterna. So ist die Symbolik klar, jedoch gibt es einen Knackpunkt: hier soll der Eindruck erweckt werden, es sei ein Stockholmer Thema. Ist es aber nicht – die Umgehungsstraße (Förbifart) um Stockholm liegt in der Zuständigkeit des Reichstags. Das ist die Gefahr bei so einer großen Wahl: was eigentlich in welche Schublade gehört, ist eigentlich egal, denn es entscheidet sich sowieso an einem Tag, und dass jemand verschiedene Parteien an einem Tag wählt, ist eher unwahrscheinlich.

Die blaue Gestaltung der Plakate weiter oben ist übrigens auch das Hauptmotiv. Diese gibt es in tausenden Varianten mit der jeweils lokal relevanten Version.

Macht Humlan für Teenager zugänglich und sicher

Dieses hier ist z.B. für die Innenstadt. Bei uns hier draußen versprechen sie die Unterstützung der wunderbaren Wirtschaft.

Gemeinsam machen wir Schweden zu einem Erfolgsland

Aber auch Gesichter gibt es zu sehen. Obiges Plakat dürfte das häufigste sein: Ministerpräsident Reinfeldt locker und leger. Bei dem Slogan stellt sich natürlich die Frage, wieso es in den letzten vier Jahren nicht gelungen ist, Schweden zu einem Erfolgsland zu machen.

Vielmehr frage ich mich, ob es System hat, dass viele der Fotos auf den Plakaten so aussehen wie ein Familienfoto: so, jetzt stell dich mal dahin. Das wirkt alles sehr improvisiert. Auf mich machen da die stilvollen sozialdemokratischen Plakate in Schwarz-Weiß mehr Eindruck. Diese sind größtenteils im Studio entstanden, und das sieht man auch. Neuerdings haben sie sogar Farbe – um Mona Sahlin herum stehen Jugendliche mit Boxhandschuhen in rot und weiß. Sehr seltsam, wenn man mich fragt.

Fazit? Schwer zu sagen – die moderate Kampagne versucht, Inhalte auf sehr, nun ja, plakative Weise zu verkaufen. Im Gegensatz zu manchen ihrer kleineren Koalitionsparteien haben sie sich hingegen für Inhalt entschieden. Im Stil können sie aber nicht voll überzeugen.

State of the Wahlkampf

Mein Ergebnis beim Test von Dagens Nyheter (Ausriss: dn.se)

Der Sommer geht langsam zu Ende und der Wahlkampf beginnt.

Bislang nimmt sich das alles noch recht brav aus, was auch nicht verwundert, denn das schwedische Sommerloch ist im Vergleich zum deutschen ein Krater.

Meine Hauszeitung Dagens Nyheter hatte in den letzten Wochen eine Serie über die Maßnahmen der bürgerlichen Regierung, die seit 2006 an der Macht ist. Der Eindruck daraus war, dass die meisten vorher versprochenen Maßnahmen auch durchgeführt wurden. Das wäre auch so meiner gewesen. Man kann dieser Regierung bestimmt einiges vorwerfen, aber man muss ihr lassen, dass sie ziemlich genau das gemacht hat, was vorher versprochen wurde. Und das Ganze – Frau Merkel aufgepasst! – weitgehend geräuschlos mit sage und schreibe vier Parteien in der Koalition.

Einen Skandal hatte der Wahlkampf aber auch schon. Arbeitsmarktsminister Sven Otto Littorin hat hingeworfen – zunächst hieß es, aus persönlichen Gründen, was auch nicht überraschend war, da er sich gerade in einem Sorgerechtsstreit befidnet. Dann kam aber ans Licht, dass ihm vorgeworfen werde, er habe die Dienste einer Prostituierten in Anspruch genommen. Freier machen sich in Schweden aber strafbar. Also war dies der Auslöser, der ihn zum Rückzug bewegte. Premierminister Fredrik Reinfeldt gab zunächst vor, davon nichts gewusst zu haben, musste dann aber einräumen, dass es doch so gewesen sein. Das kostete Vertrauen.

Auf den zweiten Blick war die ganze Affäre aber auch ein Skandal der Zeitung Aftonbladet. Deren Reporter hat mit der besagten Dame ihre Kontaktlisten durchgesehen, wo eine Nummer auftauchte, die zu besagtem Zeitpunkt einmal Littorin gehört haben soll. Das war es dann aber schon. Es gibt keine weiteren Beweise, keine weiteren Ermittlungen. Erst ließ Aftonbladet vermelden, man wisse etwas, aber wolle lieber nicht zuviel sagen, um es dann kurz darauf doch zu tun. Es folgten journalistisch und ethisch fragwürdige Winkelzüge. Die Prostituierte bleibt bislang anonym, und so steht Wort gegen Wort. Littorin gab dann der DN ein (schriftliches) Exklusivinterview, das Aftonbladet wohl gerne gehabt hätte, aber nicht bekam. Das alles sei ein Alptraum. Er sei zu Unrecht angeklagt und könne sich nicht wehren.
Aftonbladet hat vorgeführt, wie man mit zunächst gestreuten Gerüchten gefolgt von unbewiesenen Behauptungen einen Minister vernichten kann, ohne dass hierfür irgendein rechtsstaatliches Organ einen Finger rühren muss. Denn das vermeintliche Verbrechen soll sich vor vier Jahren zugetragen haben und ist mittlerweile verjährt. Zu einem Verfahren ist es daher nur in einer Hinsicht gekommen: die Justizkanzlerin überprüfte Anzeigen gegen Aftonbladet, die von einige Privatpersonen eingereicht worden waren, und lehnte sie ab.

So ist die Angelegenheit eingeschlafen – und das ist auch ganz gut so, denn rechtsstaatlich nicht überprüfbare, auf dünnem Beweismaterial aufgebaute Vorwürfe gegen einen Minister haben mit der Arbeit der Regierung nichts zu tun. Und genau diese soll bei einer Wahl bewertet werden.

Die ersten Umfragen nach dem Sommer zeigen daher wenig erstaunlich wieder eine Führung der Regierung.

SIFO-Umfrage für August 2010 (Ausriss: svd.se)

Für die Sozialdemokraten ist das eine ernste Lage. In dem obigen Diagramm sind sie mit 30,6% verzeichnet. Die Moderaterna sollen demnach 32,6% erhalten. Andere Umfragen sehen nicht viel anders aus. Wenn das Ergebnis der Wahl wirklich so ausfallen wird, dann verlieren die Sozialdemokraten nicht einfach noch eine Wahl. Der Nimbus der Staatspartei, die Schweden über Jahrzehnte so geprägt hat wie keine andere, wäre dahin. Es wäre das erste Mal seit September 1914, dass eine andere Partei mehr Stimmen erhält als die Sozialdemokraten, und das schwächste Wahlergebnis seit März 1914. Da ist schon fraglich, ob sich Mona Sahlin als Parteichefin wird halten können. Mein Eindruck ist, dass sie als Person nicht allzu großes Vertrauen genießt.

Über die Ursachen vermag ich nur zu spekulieren. Die letzten vier Jahre mit bürgerlicher Regierung taugen anscheinend nicht zur Abschreckung. Das verwundert nicht: Schweden hat die Krise ganz passabel gemeistert, soziale Kahlschläge sind ausgeblieben, und die Privatisierung verschiedener Bereiche wie z.B. dem Apothekenwesen scheint nicht an den Sympathien zu nagen. Ehemalige politische Harakiri-Themen wie die Fortführung der Kernkraft haben auch keine Sprengkraft mehr.
Der linken Seite scheint mir hier ein Konzept zu fehlen, das den Regierungsbonus überwinden kann.

Interessanterweise könnte es trotz allem nicht für eine Mehrheit der bürgerlichen Allianz reichen. Die rechtsradikalen Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten), die sich rechtskonservativ-bieder wie dereinst in Deutschland die Republikaner geben, werden mit einiger Wahrscheinlichkeit die Vier-Prozent-Hürde meistern und dann möglicherweise einen Patt auslösen. Es steht zu befürchten, dass sie dann doch in die Regierungsarbeit eingebunden werden. Eine wenig ansprechende Aussicht.

Heiße Society-News

Wie Expressen berichtet, wird heute die Verlobung von Kronprinzessin Victoria mit ihrem Freund Daniel Westling bekanntgegeben. Offiziell ist das noch nicht, aber heute ist das übliche Treffen von König und Ministerpräsident. Angeblich sollen auch die Königin und die Kronprinzessin anwesend sein. Entweder passiert heute also etwas wichtiges, oder sie wollen einfach zusammen Semlor essen, wie man das am heutigen Faschingsdienstag in Schweden üblicherweise macht.

Nachtrag 10:30 Uhr: Sogar die Republikanska Föreningen, also der Verband der Monarchiegegner in Schweden, gratuliert und meint „Kärlek är härligt“, also „Liebe ist herrlich“. Das mag überraschen, aber eigentlich wollen sie natürlich nur die Gelegenheit nutzen, ihre Positionen weiter zu verbreiten. So kritisieren sie, dass die Hochzeit den Steuerzahler teuer zu stehen kommt, und dass Victoria erst um Erlaubnis fragen muss. Alle Mitglieder der schwedischen Thronfolge brauchen nämlich die Erlaubnis des Monarchen, und im zweiten Range auch der Regierung, um heiraten zu dürfen, ohne ihr Recht auf den Thron zu verwirken. Beim Aftonbladet kann man schonmal Glückwünsche hinterlassen.

Halvtid – Halbzeit

Letzte Woche war es überall in den schwedischen Medien: die Regierung Reinfeldt hat die Hälfte ihrer ersten Legislaturperiode hinter sich.
Wenn man den Umfragen trauen will, sieht es nicht gut aus für sie – momentan würden die Sozialdemokraten eine Wahl locker gewinnen. In Stockholm, wo die Sozialdemokraten vor zwei Jahren ebenfalls durch eine bürgerliche Koalition abgelöst wurden, steht man nicht ganz so schlecht da, aber da in Schweden alle Wahlen gemeinsam stattfinden, könnte eine Abwahl der nationalen Regierung auch einen Regierungswechsel im Stockholmer Stadshus bedeuten.

Daher läuft derzeit eine Kampagne, um die Stimmung zu drehen. Letztes Wochenende hing das oben abgebildete Heftchen an meinem Auto. Darin enthalten sind Stockholmer Themen, die nahezu textfrei präsentiert werden. Mehr Polizisten soll es wohl geben, und angeblich auch eine bessere Krankenversorgung. Letzteres kann ich aus persönlicher Erfahrung jedenfalls nicht bestätigen.

Die Kampagne ist aber wohl nur ein Teil eines größeren Plans, wenn ich mir die Entwicklung der letzten zwei Jahre ansehe. Sicherlich sind auch einige Pannen in der Regierung passiert, aber es ist wenig verwunderlich, dass man die Reichen begünstigende Maßnahmen wie die Reduktion der Steuer auf Immobilien und die Erhöhung der Abgaben für die Arbeitslosenversicherung ganz am Anfang vornahm. Zuletzt war es das FRA-Gesetz, das die Gemüter bewegte und noch bewegt. Den Schweden wurde mit der Zeit bewusst, dass die Regierung tatsächlich das macht, was sie vor der Wahl angekündigt hatte. Die meisten hatten aber wohl vor allem deswegen anders gewählt, weil sie genug von Göran Persson hatten.

Nun zur Halbzeit will die Regierung anscheinend eine Charmeoffensive starten und gibt den Wählern viele hübsche Bonbons, damit man in 2 Jahren auch wiedergewählt wird. Ab nächstem Jahr werden die Steuern etwas gesenkt, und schon vor einiger Zeit versuchte sich der Finanzminister – vermutlich der einzige weltweit, der einen Pferdeschwanz trägt – als Schuldensanierer und kündigte an, die Schulden bis 2011 um ca. ein Drittel reduzieren zu wollen. Es bleibt abzuwarten, was noch so kommen wird. Die Schweden lassen sich aber selten durch Steuersenkungen beeindrucken, da sie im Allgemeinen hinter dem Wohlfahrtsstaat stehen.

Wenn ich ehrlich bin: so schlecht hat es die Regierung bislang nicht gemacht, auch wenn das FRA-Gesetz, das einem Abhörfreibrief für den militärischen Nachrichtendienst gleichkommt, eigentlich nicht tragbar ist. Allerdings kann mich auch nicht viel schrecken, denn wenn man aus Baden-Württemberg kommt, dann erscheint einem die bürgerliche Politik Schwedens geradezu als sozialistisch.
Bemerkenswert ist auf alle Fälle die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien – es hat zwar in manchen Details etwas geknirscht, aber bislang reißen sich fast alle zusammen, so dass bislang nichtmal versucht worden ist, ein Ende der Koalition herbeizureden.

Es bleibt abzuwarten, ob die Stimmung gegen die Regierung anhalten wird. Meine Genossen mögen schon triumphieren, aber der Wahlsieg ist noch lange nicht in der Tasche. Eine Lichtgestalt ist Mona Sahlin gerade nicht, und bei einer Flaute in der Wirtschaft wird sich noch zeigen, wer dann die besseren Karten hat.

Angie in Stockholm

Ich bereue es gerade ein bisschen, mich nicht unter fadenscheinigen Vorwänden unter die Presse bei Angela Merkels Staatsbesuch in Schweden gemischt zu haben. Bei der Pressekonferenz war der Raum halbleer.
Allerdings gab es außer der Anwesenheit der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten auch wenig zu erleben. Die Teile der Pressekonferenz, die ich gehört habe, bestanden fast nur aus Fragen zu Georgien, die mit den üblichen Worthülsen beantwortet wurden, die man in den letzten zwei Wochen zur Genüge hören konnte. Tenor ist, dass Russland sich aus Georgien zurückziehen soll, was für sich genommen ja auch nichts Neues ist. Immerhin wurde die Ostseepipeline, die für Schweden natürlich ein schwieriges Thema ist, kurz erwähnt.

Ansonsten ist wohl alles in Butter. Reinfeldt hat früher schon gesagt, sie sei eine „warme Persönlichkeit“, und dass die „persönliche Chemie“ stimme. Ob die beiden per du sind, ist unbekannt, zumal sie sich auf englisch unterhalten. Das können die beiden dann heute abend beim „Arbeitsabendessen“ in Harpsund
weiter erörtern.

Der lange Arm des Gesetzes

Oder so ähnlich jedenfalls.

Zunächst einmal etwas Erfreuliches: die Trängselskatt, also die City-Maut hier in Stockholm, kommt im Sommer wieder, so dass Busse wohl künftig nicht mehr verspätet sein werden. Ich freue mich natürlich doppelt, weil mein Auto ein deutsches Kennzeichen hat und daher nicht zahlen muss. Die kleine politische Komponente bei dem ganzen besteht auch darin, dass die Steuer von den Konservativen fast genauso wieder eingeführt wird, wie sie im letzten Frühjahr getestet worden war. Dabei waren sie doch strikt dagegen gewesen.

Auch erfreulich ist, dass Bewegung in die Rauchverbotsdebatte kommt. Viele Ansätze sind erfrischend radikal. Ich hoffe auf bald rauchfreie Kneipen.

Nun etwas weniger erfreuliches, zumindest für die Betroffenen. Genauer gesagt ist es eher lächerlich. Fredrik Reinfeldt, seines Zeichens Regierungschef hier im Lande, hatte angeblich mal ein Kindermädchen angestellt, dessen Asylantrag abgelehnt worden war. Steuern hat er dafür aber nicht gezahlt. Die Meldung ist derart skandalös, dass beide grossen schwedischen Tageszeitungen (DN und SvD) es nicht einmal für nötig gehalten haben, sie abzudrucken. Die Sache ist wahrscheinlich eine Luftnummer, auch wenn Metro daran festhält und jetzt sogar über eine Anzeige gegen Reinfeldt berichtet.

Das kann man alleine schon daran erkennen, dass die mutmassliche illegale Beschäftigungsdauer unglaubliche 6 Wochen betragen haben soll.