Sicherheit

Ich fahre mittlerweile einigermaßen regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Fahrtzeit habe ich mittlerweile auf 90 Minuten drücken können. Doch was ist mit der Sicherheit?

Metro, anerkanntes Magazin für investigativen Journalismus, nebenberuflich auch noch kostenlose U-Bahn-Zeitung, hat hier natürlich die Antwort parat: schlecht sieht es aus mit meiner Sicherheit, denn laut diesem Bericht hier passiere ich mindestens fünf sehr kritische Stellen in der Stadt. Die Zahl der Fahrradunfälle ist von 2006 bis 2008 um 17 Prozent gestiegen.

Was tun? Metro hat fünf heiße Tipps für mich:
1. Helm tragen (mache ich, und laut dem Bericht auch 75 Prozent aller Fahrradpendler)
2. Fahrradwege benutzen (mache ich auch)
3. Sich bewusst sein, dass man ungeschützt ist (mache ich meistens)
4. Bremsen kontrollieren, bevor man losfährt (mache ich nicht, aber würde ich merken, bevor die erste abschüssige Stelle kommt)
5. Mit Vernunft fahren (versuche ich zumindest)

Was würde man in Stockholm nur machen, wenn man solche Tipps nicht in der Zeitung lesen könnte?

Ungeheuerlich

Metro 14. April 2008

Metro heute: Titelseite noch einigermaßen korrekt (Quelle: Metro)

Immer wieder liest man im BILDblog unter der Rubrik „Heute anonym“, welche Anonymisierungen die BILD-Zeitungen nun wieder unterlassen hat.

Das alles ist aber noch bescheiden, wenn man es in Vergleich zu schwedischen Medien setzt. Hier scheint die Nennung von Namen und der Abdruck von Bildern nach dem Gutdünken der Journalisten durchgeführt zu werden.

Kurz die Geschichte: Am 5. April verschwand die zehnjährige Engla Höglund aus dem in der Nähe von Falun gelegenen Stjärnsund spurlos. Umgehend wurde eine Suche gestartet, und ihr Bild überall publiziert. Schon am 7. April konnte ein 42-jähriger Mann festgenommen werden, der nun am vergangenen Wochenende gestand, das Mädchen umgebracht zu haben. Weiterhin gab er einen Mord an einer 31-jährigen Frau zu, den er vor acht Jahren begangen hatte.

Stockholm City 14. April 2008

Stockholm City heute morgen (Quelle: Stockholm City)

In Schweden sind solche Geschichten immer Nachrichten von nationaler Bedeutung, und in dem Fall kann man es den schwedischen Medien auch nicht verdenken, denn bei dieser Tragik und den Suchbemühungen der Bevölkerung besteht auch ein öffentliches Interesse. Eine ähnliche Tat wäre auch in Deutschland auf den Titelblättern präsent, wenn auch meist nicht als Hauptschlagzeile.

Metro 14. April 2008

Metro heute – auf Seite 2 riesiges Foto des Tatverdächtigen (Quelle: Metro, Bildverfremdung von mir)

An der Art und Weise, wie die Informationen präsentiert werden, sieht man aber umso deutlicher, wo in Schweden die Grenze des Qualitätsjournalismus verläuft:

  • Dagens Nyheter, nicht zu Unrecht sozusagen die schwedische FAZ, hat ein großes Foto von einer Kirche in Stjärnsund, wo sich die trauernden Dorfbewohner versammelten. Klein daneben stehen die Fotos der beiden Ermordeten. Auf den Seiten 6 und 7 sind Hintergrundberichte. Der Tatverdächtige wird hier praktisch durchgehend „der 42-jährige“ genannt. Nicht einmal sein Vorname erscheint. Das einzige Foto ist vollkommen unkenntlich.
  • Das Svenska Dagbladet liegt mir nur in der Online-Version vor. Hier verzichtet man gleichsam auf die Namensnennung und benutzt das gleiche unkenntliche Foto.
  • Auch die Göteborgs-Posten, nach eigenen Angaben Schwedens größte Lokalzeitung, verzichtet auf die Namensnennung.
  • Unter den sonstigen Zeitungen ist nur City noch lobend zu erwähnen, die ja gerade als U-Bahn-Zeitung eher eine Neigung zum Boulevard hat. Auch dort: keine Namensnennung, kein erkennbares Foto.
  • In die Niederungen der Presselandschaft kommt man aber früher, als ich erwartet hatte. Die durchaus nicht unseriöse Sydsvenskan (Südschwedische) schreibt:

    Aber ganz in der Nähe von Torsåker, wo der Mann, der sie ermordet hat, wohnt. Er heißt Anders E. (Anm.: Nachname von mir entfernt). Ganz Schweden weiß, dass er 42 Jahre alt ist. Er fährt Lastwagen. Und einen roten Saab. Letzten Samstag tötete er die 10-jährige Engla Juncos Höglund aus Stjärnsund.

    Der Verfasser nennt nicht nur den Namen vollständig. Er kokettiert sogar mit der plakativen Preisgabe von Informationen wie dem exakten Wohnort des mutmaßlichen Mörders und dem Zweitnamen des Mädchens. In einem Stakkato-Stil werden sie dem Leser entgegengehämmert. Ob es sich um relevante Informationen handelt, scheint keine Rolle zu spielen.

  • Auch The Local meint, den vollen Namen des Täters abdrucken zu müssen. Fraglich ist hier auch die Rolle der schwedischen Nachrichtenagentur TT. Ob sie den Namen bekanntgegeben hat, geht leider nicht klar hervor. Wenn dem nicht so ist, dann ist es umso bedenklicher, dass der Redakteur von The Local ihn sogar noch nachträglich eingefügt hat.
  • Noch weiter gehen andere Blätter. Das Aftonbladet, Schwedens größte Tageszeitung, zeigt ein Privatfoto des Mannes,hat schon in dessen Privatleben herumgewühlt und die übliche Portion schockierter Arbeitskollegen, Freunde und Bekannter hinzugefügt. Die größte Frechheit ist ein Foto des Bruders des Tatverdächtigen. Schon an der Qualität kann man erkennen, dass es nicht autorisiert war und älter sein muss.
  • Expressen zeigt den Mann auch beim Einkaufen.
  • Auch nicht rühmlich tut sich Metro hervor, wo ein Foto des Verdächtigen, das aus der Führerscheinkartei stammen könnte, präsentiert wird – und zwar riesenhaft vergrößert. Der Bruder wird ebenso abgebildet. Dort wird angemerkt, das Foto sei 1995 entstanden.

Stockholm City 14. April 2008

Bericht in Stockholm City: anonym und korrekt (Quelle: Stockholm City)

Dass diese Recherchemethoden unseriös sind, hat offenbar nicht viele Redakteure davon abgehalten, ihre Ergebnisse ungefiltert zu veröffentlichen. Dass die Angaben aus dunklen Kanälen stammen, kann man nämlich auch daran erkennen, dass der Name des Tatverdächtigen in zwei verschiedenen Schreibweisen vorkommt.

Wer nun meint, da sei nichts dabei, sollte seine Hausaufgaben in Sachen Rechtsstaat nachholen.

Die Berufsethik des Journalisten gebietet, die Privatsphäre von Personen zu schützen. Schweden wie Deutschland sind Rechtsstaaten, in denen der Grundsatz gilt, dass die Unschuld eines Menschen solange angenommen wird, bis er von einem Gericht verurteilt wurde. Auch wenn nun ein Geständnis vorliegt und der mutmaßliche Täter den Platz zeigen konnte, an dem die Leiche verscharrt ist, ist es dennoch falsch, dessen Namen und Foto ohne Anonymisierung zu veröffentlichen. Die Privatsphäre des Mannes ist auch in diesem Falle zu achten, denn eine Rückkehr in die Gesellschaft ist ihm in dem Fall für immer versperrt, selbst wenn er die kommenden Jahrzehnte in einem Gefängnis verbringen wird. Eine Aussicht auf ein Leben in Freiheit, das auch den Schutz vor der übrigen Bevölkerung beinhaltet, muss aber immer bestehen, da sonst der Zweck des Strafvollzugs in Frage gestellt wird.
Zwar ist die Lage in diesem Fall relativ klar, aber man sollte auch bedenken, dass eine Anklage nicht mit einem Urteil gleichzusetzen ist. Bei einem Freispruch ist der Betroffene stigmatisiert oder sogar akut gefährdet, wenn die Fotos in der Welt sind – es handelt es sich im Grunde um einen Rufmord.
Zudem bedient die Veröffentlichung lediglich die Neugier der Öffentlichkeit, nicht deren allgemeinen Interessen. Es ist nicht relevant, wie der Mann aussieht noch wie er heißt. Dass er gefasst wurde, ist die zentrale Information. Ein Foto tut dann nichts mehr zur Sache.

Metro 14. April 2008

Auch der Bruder (unkenntlich gemacht) wird abgebildet. Lediglich ein mutmaßliches Opfer, dessen Mörder noch nicht gefunden ist und der jetzige Tatverdächtige, wurde anonymisiert. (Quelle: Metro, Unkenntlichmachung von mir)

Das Vorgehen auf Unterschiede zwischen Schweden und Deutschland zu schieben, würde zu kurz greifen, denn wie sonst ist es zu erklären, dass bestimmte Blätter die Veröffentlichung von die Privatsphäre verletzenden Fotos und Informationen konsequent vermeiden, während andere damit sogar ihr Web-TV bestücken? Es ist eher die offenkundige Bereitschaft, auf jegliche ethische Leitlinien zu verzichten.

Die Regeln für Journalisten ähneln sich nämlich in beiden Ländern.

Im Pressekodex, der vom Deutschen Presserat festgelegt wird, heißt es:

Ziffer 8 – Persönlichkeitsrechte
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

In den Regeln des schwedischen Journalistenverbandes klingt das nicht viel anders:

7. Wäge Publikationen genau ab, die die Heiligkeit des Privatlebens kränken können. Verzichte auf solche Publikationen, wenn kein offenkundiges Allgemeininteresse die öffentliche Aufklärung erfordert.

Beide Regelungen gehen nicht ins Detail, aber geben Leitlinien vor.

So müssen sich die Redakteure vom Aftonbladet die Frage gefallen lassen, welches offenkundige Interesse denn darin besteht, an welchem Tisch der Tatverdächtige in einem lokalen Restaurant nach der Tat saß. Erst recht würde mich die Erklärung dafür interessieren, dass man den Bruder des Verdächtigen anscheinend ohne Genehmigung abbildet. Hätte er der Veröffentlichung eines Fotos zugestimmt, wäre dies nicht schon über 10 Jahre alt. Handelt es sich dabei nicht um eine „Kränkung“ der Privatsphäre? Kann dieser Mann etwas dafür, dass sein Bruder zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben soll?

Shame on you! Von BILD erwartet man so etwas, aber dass solche Methoden in schwedischen Medien reihenweise zur Anwendung kommen, ist ein Armutszeugnis.

Nachtrag 15. April 2008: Ich habe mich in einigen Details getäuscht. Das Foto des Bruders war offenbar ein Foto des Täters. Wie ich diese Information falsch aufgeschnappt habe, kann ich nicht mehr definitiv sagen, weil manche der Artikel schon nicht mehr online sind. Das Foto stammte aus einem Polizeivideo, woraus man schon erkennen kann, dass die Polizei nicht zimperlich ist, wenn es um die Veröffentlichung geht. Heute hat auch die DN ein Foto, wenn auch ein kleines, von dem Täter. Die DN wollte wohl abwarten, bis eine Pressekonferenz der Polizei jeden Zweifel an der Überführung des Täters ausgeräumt hatte, um nicht falsche Informationen abzudrucken. Auch hat man keine selbst auf dunklen Kanälen beschaffte Fotos, sonder nur die, die anscheinend von der Polizei freigegeben wurden.

Insofern ist es der DN hoch anzurechnen, dass sie wenigstens seriös arbeitet. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass Bilder und die Namensnennung vollkommen unnötig sind und es dem Täter schwer machen werden in 20 Jahren in die Gesellschaft zurückzukehren.

Ich muss wohl annehmen, dass dieses Vorgehen in Schweden so üblich ist. Gut heißen kann ich es aber beim besten Willen nicht.

BaFöG auf Schwedisch

Heute versucht die U-Bahn-Zeitung Metro, ihre Leser zu schockieren. Dies ist für sich genommen nichts neues, denn das versucht sie 6mal pro Woche – am Sonntag erscheint sie nämlich nicht.

Heute treibt sie aber schon eine etwas mächtige Sau durchs Dorf: die zentrale Studienkreditvergabestelle CSN gab nämlich bekannt, dass viele Studenten ihre Studienkredite nicht zurückbezahlen.

Das System hier im Lande ähnelt dem BaFöG insofern, als dass es einen Teil gibt, den man zurückzahlen muss (Studielån), und einen Teil, den man geschenkt kriegt (Studiestöd). Dann hört es aber mit den Gemeinsamkeiten schon auf, denn die Unterstützung ist nicht an das Vermögen der Eltern gekoppelt, sondern wird generell an jeden ausbezahlt, der die grundlegenden Voraussetzungen erfüllt. Die wiederum sind eine bestimmte Mindestwohndauer in Schweden, aber vor allem der Erwerb einer gewissen Punktzahl pro Semester. Nach spätestens 6 Jahren wird der Geldhahn zugedreht.

Studielån hat zwar den grösseren Anteil, aber dafür bekommt man als kinderloser Student über 650 € im Monat – mit Kind natürlich noch mehr. Davon kann man gerade so leben, und mit einem Nebenjob sogar ganz gut.

Die Effekte dieses Systems sind allgemein bekannt: bessere Studienchancen für Kinder aus einkommensschwachen Familien, und, zumindest nach meiner eigenen Beobachtung, kaum Bummelstudententum.

Die Grosszügigkeit des Staates ist aber auch Gegenstand eben jener heutigen Meldung. Die vermeintlich lächerlich geringe Zahl von 27991 ehemaligen Studenten zahlt nämlich den Studielån nicht zurück. Der Grund dafür ist einfach, dass sich die Schuldner im Ausland befinden. Von 19000 hat CSN nicht einmal die Adresse.
Natürlich forscht man den Zechprellern hinterher, offenbar aber mit wenig Erfolg: stolze 3,3 Milliarden Kronen (353 Mio. €) fehlen noch in der Kasse, und das wäre selbst in Deutschland nicht einfach unter den Teppich zu kehren.

Das Groteske kommt aber erst noch – wenn die Schuldner sich erst wieder mit 68 Jahren nach Schweden begeben, kann CSN nichts mehr machen. Dann wird nämlich das Geld abgeschrieben und ist für immer weg.

Kindergarten

Ich tue mir „Sabine Christiansen“ schon seit geraumer Zeit nicht mehr an, was allerdings auch an den technischen Gegebenheiten liegt. Top-Politiker und solche, die sich dafür halten, können von einer offenkundig überforderten Moderatorin ungestoppt die grössten Albernheiten von Bundestagsdebatten und Parteiengeplänkel in epischer Breite von sich geben.

Für montägliche Meldungen und Leitartikel reicht es aber doch noch.

Bis das Ganze aber in Schweden ankommt, ist nicht selten Dienstag.

Heute schreibt nämlich die U-Bahn-Zeitung Metro, dass es in der Debatte angeblich um schwedische Kindergärten ginge – das war mir allerdings auch neu, und es steht auch drin, woher sie das haben:

Die Fernsehdebatte zeigt, wie weit die familienpolitischen Vorstellungen in der heutigen EU voneinander entfernt sind. Firmenchef Wolfgang Grupp warnte die CDU davor, es Schweden gleichzutun:
„Eine richtige Mutter verdient gerne weniger, wenn sie ganz in ihrer Mutterrolle aufgehen kann. In unserer Firma ist es den Männern verboten, überhaupt nach Vaterschaftsurlaub zu fragen.“ […]
In der FAZ schrieb die TV-Koluministin Sandra Fomferek ironisch darauf über die „verrückten Schweden“:
„Nun wissen wir, warum Pippi Langstrumpf verschiedenfarbige Strümpfe anhatte. Es muss am schwedischen Kindergarten gelegen haben.“

Wolfang Grupp also hatte etwas erzählt, und Schweden regt sich auf. Wem dieser Name nicht geläufig sein sollte, kann beruhigt sein: auch ich musste nachschauen. Der gute Mann ist Chef von Trigema und Dauergast bei Christiansen, weil er mit seinen pragmatisch hinterwäldlerischen Ansichten das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreisst – und zwar für sein Bekenntnis zum Standort Deutschland und seinem direkten Kontakt zu den Mitarbeitern, der die Existenz einer Mitarbeitervertretung vermeintlich überflüssig mache.
Sprüche wie die obigen zeigen, was die Self-Made-Geschäftsmanns-Wundertüte Grupp noch so alles hergibt: Dorfkapitalismus vom Feinsten – die soziale Verantwortung liegt nicht beim Staat, sondern beim Chef. Und der habe von Natur aus ja nur das Beste für seine Mitarbeiter zu wollen. Reiner Altruismus regiert also die Welt – dass es auch Chefs wie Klaus Esser und Josef Ackermann gibt, die bei der Prioritätenliste erst einmal ihr eigenes Konto obenan stellen, ist da wohl nur ein kleines Detail.
Eigentlich hätte man in diese Runde gleich noch Eva Herman einladen sollen, damit diese über den natürlichen Abstand zwischen Frau und Herd fabuliert. Willkommen in den 1950er Jahre, als die Welt noch in Ordnung war…

Die Zeitung Svenska Dagbladet hat das nach gut 36 Stunden doch schon etwas angestaubte Thema aufgegriffen (The Local übrigens auch) und als Überschrift das Zitat „Kindergarten schadet den Kindern“ gewählt.
Interessant wird es bei den Kommentaren.

Dort schreibt „Lasse2“ unter der Überschrift „Deutschland viel besser“:

In Deutschland kümmert man sich wirklich um die Kinder und nicht nur um die Karriere der Eltern und deren Bequemlichkeit. Das deutsche Steuersystem macht es möglich für eine Familie, von einem Einkommen zu leben […]
Auf diese Art schafft man wirkliche Gerechtigkeit, indem alle Paare gleich viel bezahlen unabhängig davon, wie das Einkommen verteilt ist. Dadurch gewinnen die Kinder viel!

Das meint er offenbar nicht ironisch – anscheinend ist ihm nicht bekannt, dass man für diese Steuervorteile heiraten muss und sich nicht etwa wie hier als „Sambo“ (zusammenwohnend) registrieren kann. Vor lauter Kinderfreundlichkeit hat Deutschland nebenbei bemerkt auch eine der miesesten Geburtenraten der EU.

Doch schauen wir weiter. „Ernie“ schreibt:

Der Kindergartenplatzmangel ist schreiend in Deutschland. Was jetzt passiert ist, ist, dass die christdemokratische Familienministerin(!) Ursula von der Leyen nun diejenige ist, die für die Modernisierung der deutschen Familienpolitik steht und das alle erzkonservativen Opas in CDU/CSU aufgeschreckt hat. SPD-Chef Kurt Beck hat Bischof Mixa mit Recht mit einer kastrierten Katze verglichen.

Schön, dass Beck ab und zu auch mal was vernünftiges von sich gibt. Ich bin auch davon beeindruckt, dass Ernie so treffend die Situation beschreibt.

Es finden sich auch polemische Beiträge wie

„Zoobesuch“ – wie gut ist es, dass kleine Kinder gezwungen werden, eingesperrte Tiere anzuschauen? Das ist wahrscheinlich so, damit man ein deutscher Dyslektiker wird.

als Antwort auf die Meinung, dass Kinder keine „Aufbewahrungsanstalt“ (genauso im Text zu finden) bräuchten, sondern nur Aufmerksamkeit.

So geht es weiter – teilweise sind die Beiträge nicht einmal Positionen zuzuordnen. Nichtsdestotrotz überrascht mich die Bandbreite der Meinungen. Eigentlich sollte man denken, die Schweden erschauern angesichts des deutschen Sozialsystems. Dem ist offenbar nicht ganz so.

Unterschwellig kommt hier aber auch durch, was man als grössten Kritikpunkt am schwedischen System auffassen kann: die vermeintliche Wahlfreiheit ist keine. Während in Deutschland zu beklagen ist, dass eine Mutter ihren Beruf nicht ausüben kann, weil es keine geeignete Betreuung gibt, so ist es in Schweden genau umgekehrt. Die Freiheit in der Karriere hat dazu geführt, dass von der Frau erwartet wird, arbeiten zu gehen – die freie Entscheidung, nur Mutter zu sein, wird nicht akzeptiert.

Deutschland als gelobtes Land hinzustellen, wie es Lasse darstellt, ist dennoch grotesk. Amokläufer in Schulen, Rütli, zu Tode gehungerte vernachlässigte Kinder – all das ist in Schweden unbekannt, und das hat mit Sicherheit nicht zuletzt mit dem Sozialsystem zu tun.

Der lange Arm des Gesetzes

Oder so ähnlich jedenfalls.

Zunächst einmal etwas Erfreuliches: die Trängselskatt, also die City-Maut hier in Stockholm, kommt im Sommer wieder, so dass Busse wohl künftig nicht mehr verspätet sein werden. Ich freue mich natürlich doppelt, weil mein Auto ein deutsches Kennzeichen hat und daher nicht zahlen muss. Die kleine politische Komponente bei dem ganzen besteht auch darin, dass die Steuer von den Konservativen fast genauso wieder eingeführt wird, wie sie im letzten Frühjahr getestet worden war. Dabei waren sie doch strikt dagegen gewesen.

Auch erfreulich ist, dass Bewegung in die Rauchverbotsdebatte kommt. Viele Ansätze sind erfrischend radikal. Ich hoffe auf bald rauchfreie Kneipen.

Nun etwas weniger erfreuliches, zumindest für die Betroffenen. Genauer gesagt ist es eher lächerlich. Fredrik Reinfeldt, seines Zeichens Regierungschef hier im Lande, hatte angeblich mal ein Kindermädchen angestellt, dessen Asylantrag abgelehnt worden war. Steuern hat er dafür aber nicht gezahlt. Die Meldung ist derart skandalös, dass beide grossen schwedischen Tageszeitungen (DN und SvD) es nicht einmal für nötig gehalten haben, sie abzudrucken. Die Sache ist wahrscheinlich eine Luftnummer, auch wenn Metro daran festhält und jetzt sogar über eine Anzeige gegen Reinfeldt berichtet.

Das kann man alleine schon daran erkennen, dass die mutmassliche illegale Beschäftigungsdauer unglaubliche 6 Wochen betragen haben soll.

Sülze

Alles wird schlechter.

Bei LIDL sind die Regale dünn bestückt – Milch und Joghurt gibt es nicht, Kartoffeln nur in 10-Kilo-Säcken. Im Regal mit den eingelegten Oliven steht ein reichlich verschimmeltes Glas in der ersten Reihe. Ich komme mir vor wie auf einer Hamsterfahrt in den 40er-Jahren. Damals hat man den Schimmel aus der Not heraus einfach oben abgehoben – da kann man das heute wenigstens im Regal stehen lassen. Man soll ja nicht meckern. Wenigstens sind die leckeren Pilzmischungen und der Spinat nicht aus.

Auf dem Rückweg schmieren meine Scheibenwischer derart, dass wir einen Boxenstopp bei der Tankstelle einlegen. Wir rätseln zuvor, was wohl Scheibenwischerblätter auf Schwedisch heissen mag. Den besten Vorschlag, den wir haben, ist „fönsterputsare“. Ich kann dank meiner familiären Vorbildung an einem Auto das Öl, die Reifen und auch einige Lampen wechseln – aber beim Scheibenwischer versage ich kläglich. Ein Trauerspiel.

061209_142829.jpg

Die letzte Media Markt-Kampagne „So billig, dass mir die Bratwurst im Hals stecken blieb“

Später auf dem Weg zu Anita: meine Nahverkehrskarte, die ich am gleichen Morgen für teures Geld (600 SEK = 65,92 €) gekauft habe, ist verschwunden. Ich fahre trotzdem los, kehre dann aber dann nochmal um. Es stürmt, Erinnerungen an Lothar kommen auf. Ich kaufe eine neue Karte.

So bin ich innerhalb eines Tages 220 € losgeworden – und was habe ich davon? Nicht viel, aber immerhin ein LIDL-Fondueset.

Weil der gestrige Tage also nur mittelmässig war und SL daran stark beteiligt war, ist der allseits beliebte Stockholmer Nahverkehrsverbund heute auch meine Bashing-Zielscheibe.

Treue Leser werden sich erinnern: bei SL gibt es bislang keine Automaten, so dass ABMler am U-Bahnhofseingang Tickets verkaufen müssen. Machen die dann Pause, geht SL mehr Geld durch die Lappen als dieser Mensch überhaupt in der Stunde verdient. Sinnigerweise will man jetzt auch noch aus Sicherheitsgründen den Fahrkartenverkauf in Bussen verbieten.

Als ich nach Schweden kam, kostete eine Einzelfahrt im SL-Netz 40 kr (ca. 4,39 €). Dann senkte man diesen Irrsinnspreis auf 20 kr ab. Für Mehrfahrer gab es Abstempelkoupons, so dass man bei Kurzfahrten mit rund 14,50 kr davon kam. Letztes Jahr im Mai hatte man auch die sogenannte „enhetstaxa“ eingeführt – ein Fahrpreis für alle Fahrten innerhalb des SL-Gebiets. Dadurch wurden zwar die Karten leicht teurer – Koupons kosteten jetzt 18 kr – dafür wurde aber das System erheblich einfacher und im Schnitt auch billiger. SL kostete die Aktion allerdings 100 Millionen Kronen pro Jahr. Geld, das sie natürlich nicht haben.

Planka.nu demonstranter

Die U-Bahn-Zeitung Metro heute mit einem Bild von planka.nu-Demonstranten, die gegen die neuen Preise demonstrieren

Soweit, so gut – eigentlich konnte man damit schon einigermassen leben. Die neue Preispolitik ab diesem Jahr macht damit aber Schluss. Einzelfahrten kosten ab 29. Januar wieder 40 kr. Wenigstens bemüht man sich um eine halbwegs anständige Begründung: die vielen Käufer von Einzelfahrkarten hätten zu Schlangen am Einkaufsschalter und beim Busfahrer geführt, und damit letztendlich auch zu Verspätungen.

Daher beglückt man die Stockholmer auch mit wenigstens einer wirklichen spannenden Neuerung: ab 29. Januar kann man Einzelfahrkarten auch per SMS kaufen – und dort kosten sie nur 26 kr. Ausserdem werden als Vorboten eines neuen Fahrkartenautomatensystems namens SL Access – man lese und staune – Fahrkartenautomaten aufgestellt.

Zu früh sollte man sich allerdings nicht. Der Einheitsfahrpreis ist ab 1. April Geschichte, wenn ein neues Zonensystem eingeführt wird. Dann gibt es zwar nur 3 Zonen, nicht wie früher 5, aber eine Einzelfahrt ist dann sogar bei im voraus gekauften Mehrfachfahrkarten bis zu 40 kr teuer. Einzelfahrten werden dann zwischen 26 kr und 52 kr kosten. Die Monatskarten werden dann 620 kr kosten – ich sollte sie also tunlichst nicht verlieren. Der Studentenrabatt ist anscheinend auch vom Tisch. Immerhin: der Fahrkartenverkauf in Bussen wird auch bis April weitergeführt.

I have to admit it’s getting better, it’s getting better all the time…

Verkehrssicherheit




Stockholm City bus driver drunk

Originally uploaded by HansBaer.

Skandalöses bringt heute mal wieder die kostenlose U-Bahn-Zeitung „Stockholm City“ – ein Busfahrer sei „rattfull“, also sturzbetrunken, zur Arbeit erschienen. Die Polizei bemerkte sein seltsames Fahrverhalten und stoppte ihn noch, bevor er die ersten Fahrgäste der Morgenschicht aufnehmen konnte. Prompt werden von der Verkehrssicherheitsorganisation NTF die permanent im Kommen zu sein scheinenden „Alkolås“ für Busse gefordert. Bei diesen „Alkoholschlössern“ ist eine Vorrichtung gemeint, die ähnlich einer Wegfahrsperre das Starten des Motors verweigert, sofern man nicht durch Pusten in ein Röhrchen die eigene Nüchternheit nachgewiesen hat.
Wie Citys Konkurrenzblatt Metro vor im September zeigte, sind diese Vorrichtungen aber auch nach dem Genuss von zwei wenig leckeren schwedischen Dosenbieren zu überlisten. Nichtsdestotrotz will man diese Schlösser ab 2012 in allen PKWs verpflichtend einführen. Ab 2010 schon sollen LKWs und Busse ausgerüstet werden. Womit die Forderung von NTF natürlich Makulatur ist.
Schockierend übrigens auch das Ergebnis des Alkoholtests bei dem erwischten Busfahrer: 0,36 Promille! Auch wenn Alkohol am Steuer ein unentschuldbares Vergehen ist, muss ich doch sagen: Wenn der schon bei so einem Blutalkoholwert in keiner geraden Linie fahren kann, sollte er besser gar keinen Bus mehr fahren. Wird er jetzt wohl auch nicht mehr so schnell…

Kleine Anmerkung noch zum Thema Verkehrssicherheit: bei dem Wintereinbruch letzte Woche habe ich entdeckt, was schwedische Winterreifen sind: Spikes! Das, was man in Deutschland als Winterreifen bezeichnet, dürfte hier wohl kaum als solche durchgehen. Sollte ich mein Auto hier also noch ummelden, wäre in jedem Fall ein neuer Satz Reifen vonnöten.

Polit-Ticker (2): GEZ-Preller und Schwarzarbeiter

Sehr lustig ist allerdings, was sich so alles bei der neuen Regierung tut.

Zunächst haben wir da die neue Kulturministerin Cecilia Stegö Chilò (siehe Metro-Ausriss von heute auf dem Bild), die nun unter anderem für den Bereich Fernsehen zuständig ist und damit auch die Hoheit über das staatliche Fernsehen SVT hat. Auch in Schweden gibt es so etwas wie eine GEZ-Gebühr, allerdings nur für das Fernsehen, welches dafür wiederum werbefrei ist, aber leider beträchtliche Teile des Tages überhaupt nicht sendet.

Der Mann von Frau Chilò hat auch kürzlich ganz korrekt den Fernseher der beiden angemeldet – schliesslich sollte man für den eigenen Verein schon zahlen, meinten die offenbar wohl. Dummerweise kam nun heraus, dass sie die letzten 16 Jahre (!!!) auch schon einen Fernseher hatten, der aber nicht angemeldet war. Das bringt die Gute, die übrigens von der grössten Regierungspartei Moderaterna kommt, schon nach 5 Tagen im Amt doch etwas in Erklärungsnot. SVT forderte gleich mal ihren Rücktritt. Sie selbst war heute auch für grosse Medien wie Svenska Dagbladet nicht zu erreichen.

Handelsministerin Maria Borelius (Moderaterna) hat allerdings auch eine ordentliche Leiche im Keller. Bei ihr kam heraus, dass sie in den 1990er Jahren ein Kindermädchen schwarz angestellt hat. Und das, obwohl das Ehepaar Borelius in dem Jahrzehnt alles in allem 16 Millionen Kronen (nach heutiger Rechnung ca. 1,7 Mio. Euro), was ja schon eine ganze Menge ist und sicher für eine legale Beschäftigung ausgereicht hätte. Borelius war hingegen gleich zu einem Interview bereit und entschuldigte sich vielmals.

Dagegen nimmt sich die Überraschung bei der Ernennung des Ex-Ministerpräsidenten Carl Bildt (Moderaterna) zum Aussenminister noch recht harmlos aus. Dass man ihn zurückholte, hatte einige gewundert, schon alleine, weil sich Reinfeldt und er nicht gerade grün sind.